Inneres Ausland

Inneres Ausland

Das Dunkel von mir

Der Chor

Erdrutsch

Schüttmulde

Wie viele Herzen noch?

Jubilare

Jetzt auf einmal gehts

Solche Leute brauchen Heimat

Puppen

Auf der Fähre nach Thassos

Die drei Zigeuner

Gavotte

Wölfe in Brandenburg

Aufstehen

Der Rest ist Mut

Herbstschnulze

 

UNVERÖFFENTLICHT

Der grösste Hobel

Selbstfahrender Laster

Litfasssäule

Reichsbürger

Das Dunkel von mir

Da ist ein Ort, wo alles gut tut,
keiner sagt: Wohin woher,
kein Idiotenwort, das weh tut,
niemand fragt: Wozu wofür?
Dafür gibt es keine Gründe,
keinen Schlüssel und für keine Tür.
Das ist dort, wo ich verschwinde,
das Dunkel von mir.

Da fliegt der Adler mit der Taube,
da steigen Hexen aus den Wäldern auf,
was wir dann seh’n von uns, das ist das, was ich glaube –
auf allen Dächern sitzen Feuerhähne drauf.
Wir haben mal davon gesprochen,
ich stand im Regen neben dir
und sagte: „So viel schöne Sachen
bringst du ins Dunkel von mir.“

Ich such hier nichts –
der Regen ging zu Ende,
und auch der leere Platz,
auf dem ich stand mit dir –

ich such nach nichts,
so lang ich es noch finde
im Dunkel von mir.

Der Chor

Sie stammen aus verschiedensten Verhältnissen,
manche seh’n traurig aus, andere sind voller Lust,
sie kommen an mit unterschiedlichsten Behältnissen,
sind da mit Auto, Fahrrad, E-Bike, Rollern und zu Fuß,
sie sammeln sich und warten in ganz individuell geprägten Haltungen,
der eine redselig, die andere regungslos,
und sie sind anwesend aus den verschiedensten Bedürfnissen,
die Skala reicht von Elternwunsch bis Sonst ist eh nix los.

Die meisten würden andernorts die Abwehrmasken zueinander losschicken,
sie sind kein Fanclub, Kirche, NGO oder Partei,
ob links, ob rechts, ob schmal, ob breit mit ihren ökologischen Fußabdrücken
sind ja von armen, reichen, biedern, wilden, Queren, Queeren welche bei.
Es gibt natürlich Freundschaften, und es gibt Feinde,
es gibt die Wortführer und gibt interne Polizei,
es gibt die Angeber und Notengeber, Postenschieber und die Etikettenkleber,
und natürlich sind auch Romeo und Julia dabei.

Sie würden auf sich teilweise, wenn sie sich anders träfen, vielleicht einprügeln,
ein falscher Blick, gleich sind Aggressionen frei,
oder sie würden gar nichts miteinander klar kriegen,
die Schwermut käme und mit ihr das große Einerlei.
So sehen eigentlich jetzt auch aus, wo sie grad im Saal Platz nehmen,
reichlich abgedreht – man fragt sich: sind denn Wärter auch mit bei?
Der eine grunzt, die andere keucht, ein dicker Junge sieht so aus, als würd’ er abheben,
er tritt nach vorn, und dreißig Münder lassen einen Ton, der anschwillt, aus den Lungen frei –

und aus dem Chaos, da wird ein Chor,
Feinsliebchen, ich scheide,
küss aus dem Frosch den Prinz hervor
und dann schweig für beide.
Über die Dächer tobt ein Kind,
ganz co2-frei weht der Wind.

Und wie der wilde Klang so frei nach draußen zieht,
singen rauhe Kehlen als ihr Abschiedslied:

Der schönste Platz, den ich auf Erden fand,
war’n unsre Spuren in dem heißen Sand.

Erdrutsch

Nach dem Erdrutsch wird es lustig,
Liebe ist der Hauptgewinn,
Guillotinen alt und rostig,
keiner hält den Kopf mehr hin.
Wir fangen an wie neue Menschen,
als hätten wir uns nie gesehen
und wär’n doch alle wie Geschwister.
Nach dem Erdrutsch wird es gehen.

Panik war gestern, heut geht’s neu los,
denk nicht an vorher, das stört hier bloß,
heute ist morgen als gestern dran,
wir fangen besser ganz neu an.
Wir fangen besser ganz neu an.

Nach dem Erdrutsch bleibt es rutschig,
Kontinente küssen sich,
alte Grenzen wirken putzig,
Meere überspannen sich.
Aus den Tiefen der Sahara
führt ein Damm nach Gibraltar,
und die Angst- und Foltermeister
war’n auf einmal nicht mehr da.

Panik war gestern, heut geht’s neu los,
alles ist offen, die Hoffnung groß,
häng dich an gar nichts von gestern dran,
wir fangen besser ganz neu an.
Wir fangen besser ganz neu an.

Es war wirklich nur ein Erdrutsch,
Bombe nicht, nicht Gottes Schwert,
galt der Spruch: Alles, was feststeht,
umzufallen ist es Wert.
Wo kein Stein mehr auf dem andern,
wird es unwägsam und schön –
so wie wir, so unbekümmert,
wenn wir voreinander stehen.

Panik war gestern, heut geht’s neu los,
die letzte Chance, ein Traum so groß,
häng dich an gar nichts von gestern dran,
wir fangen besser ganz neu an.
Wir fangen besser ganz neu an.

Schüttmulde

Zwei Männer auf dem Weg zur Arbeit, sie laufen neben mir,
der eine sagt zum andern, und ich hör’s nur nebenher:
„Ne Schüttmulde könnt ich gut gebrauchen“, er sagte kein Wort mehr.
Ich dachte: Mach was draus, merk es dir – da muss ’ne Schüttmulde her!
//: Da muss ’ne Schüttmulde her. ://

Kirmesplatz der Ängste, der Junge an den Scootern ist pechschwarz,
das Eismädel hat Schlitzaugen, der Blumenmann stinkt nach Hartz.
Manche fragen: Wo sind die Volksdeutschen? Tja, sowas gibt es heut nicht mehr –
am besten hört ihr auf zu lamentieren: Da muss ’ne Schüttmulde her!
//: Da muss ’ne Schüttmulde her. ://

Jahrmarkt der schönen Träume, die schlanke Frau im Schwimmbad ist auch ein blanker Mann,
der gern ein Patriarch mit Furcht und Strenge wär und deshalb auch mal weich sein kann.
Aber der Mann, mit dem sie wirklich hier ist am Beckenrand, der wär gern ein Foxterrier –
mach bitte keinen ausgedehnten Psychocrash – muss nur ’ne Schüttmulde her.
//: Da muss ’ne Schüttmulde her. ://

„Je nach vorgesehenem Aufgabengebiet unterscheidet man zwischen Schüttmulden, Schuttmulden, Aushubmulden, Erdmulden und Aufzugskübeln.“

Die Machtdarsteller dieser Erde, die hau’n sich bis zum Umfall’n auf die Brust,
besorgen das Geschäft von jemand anderm, und ham’s wahrscheinlich echt nicht mal gewusst,
die treffen sich fast monatlich zum Gockeln, die Verantwortung wiegt nicht schwer,
es handelt sich ja nur um ein paar Milliarden Menschen – da muss ne Schüttmulde her.

Meine Gedanken gehen in jede Richtung, ich träum vom Morden wie vom Glück, das man nicht sieht,
es kann zerstörend sein und heiter, alles möglich in ’nem angefangenen Lied,
alles ist da und wieder nicht da, hin und zurück, wie’s Leben kreuz und quer –
ich will mich manchmal einfach nicht entscheiden – da muss ’ne Schüttmulde her.

//: Da muss ’ne Schüttmulde her. ://
Sonst hilft nichts mehr, no no.

Wie viele Herzen noch?

Wie viele Herzen noch,
mit dem ersten Schlag ganz wach,
sie klopfen und sie hoffen –
wie viele Herzen noch?

Wie viele Herzen noch,
auf ihrem ersten Weg so schwach,
doch Kraft bringt jede neue Kurve –
wie viele Herzen noch?

Sie warten, sie starten, sie ahnen, eine weite Reise kann es sein. Sie müssen alle über diesen Graben – in den Tumult hinein.

Wie viele Herzen noch?
Im Sturm lernen sie fliegen, doch
im Stillstand werden sie wie Stein sein.

Kennen sie ein Ziel? Sie sind ja eigentlich nur so eine Art von Motoren.
Doch manchmal kommt ein Schwung in ihre Fahrt, ein Doppelschlag der Leichtigkeit – und wenn das dann wieder vorbei ist, wird es manchen von ihnen sehr schwer. Und manche zerbrechen daran.

Wie viele Herzen noch?
Es heißt, dem gleichen Zeichen nach,
doch auf milliarden Wegen.

Wenn man von oben schaut, sind sie wie ein Vogelschwarm, der aufbricht, unermütlich, immer wieder. Und wenn man von unten schaut, dann ist man mittendrin. Etwas in ihnen will, dass die Reise ewig so fort geht – und etwas will, dass sie aufhört, sofort. Das steckt beides in diesen Motoren, die uns da durchtragen, so lang sie’s können. Kaum zu glauben, dass sie nicht wissen sollten, wohin …

Wie viele Herzen noch,
mit dem ersten Schlag ganz wach,
sie klopfen und sie hoffen –
wie viele Herzen noch?

Jubilare

Ich höre Geigen und Elefanten,
sie trampeln munter unter meiner Schädeldecke rum,
es gibt millionen Lieder wie Ich lieb dich immer noch,
meines steigt hoch zu dir wie Rauch, leise und krumm,
qualmt durch den Garten aus dem Ruß des alten Feuers,
qualmt durch die Farben wild und mild, das Licht so klar,
mir ist wie allererstes Mal, wie neu geboren,
du Jubilarin nimm den Gruß vom Jubilar.

Ist nicht mehr Halbzeit, ist noch nicht Vollzeit,
man träumt von immer mehr, doch ’ne kleine Menge tuts doch auch,
es sind die dunklen kühlen Stunden vor der Hitze,
wo man sich anschaut, küsst und seiner Wege geht nach altem Brauch,
es sind kleinen Fluchten eines langen Friedens,
heute noch Alltag, einmal Traum von dem, was war,
da führt ein ausgefranster roter Teppich bis an deine Treppe –
komm runter, Jubilarin, komm runter zum Jubilar.

Das Kind der Fünfziger hat’s nicht so einfach,
den ha’m die scharf Gescheitelten zu schwer gedrückt,
dem Kind der Sechsziger war’n sie Geschichte –
doch wenns zu eng wird in der Hölle, kommen die Toten gern zurück.
Ganz oben neuerdings sitzt eine Schwemme Irrer,
die machen fassungslos, die lügen wahr.
Komm, trink diesen Apperitiv mit mir auf den guten alten Fortschrittsglauben.
Du grinst und sagst: Komm selber wieder runter, Jubilar.

Heut ist kein Sonntag,
heut ist ein Schutztag vor der Sonne,
regierungsamtlich – und dass ein Regen kommen soll, ist wunderbar …

Ich weiß, dich interessieren Wurzeln mehr als alte Fronten,
du spürst am Zungenschlag, ob einer weiß, wovon er spricht,
ich denk bei so viel Nachrichten: Ha’m wir das angerichtet,
das, was zu schlimm, um wahr zu sein, ist – wir doch nicht?
Da ist dein Garten um das kleine Haus im Grenzland,
man sagt, wer einfach lebt, kommt besser klar.
Vielleicht ist Liebe ja ein Leitfaden durchs Chaos?
Da grinst die Jubilarin, und da grinst der Jubilar.

Heut wird ein grauer Tag, fruchtbarer Niesel,
klingt nach ’ner Weinsorte und lädt zum Schwelgen ein,
ich hab die Omelettes fertig, du den starken Kaffee,
verkehrte Welt – wann zieht Geduld hier bei uns ein?
Ich hör das Lied, das keiner je gespielt hat,
fahr mit dem Blick über die Stille, wild und rar.
Gönn uns ein allererstes Mal, wie neu geboren,
du Jubilarin, nimm den Gruß vom Jubilar.

Jetzt auf einmal gehts

Kein Auto mehr vor keiner Tür,
kein Billigflug nach Kairo mehr,
im Hauskeller kein Öltank schwer,
die Tiefkühlfächer bleiben leer.
Elektrotandem aufgepumpt im Flur
zur Stadtfahrt jederzeit abfahrbereit für alle stehts –
und jetzt auf einmal gehts.

Hamburg ist schon kaum mehr da,
Seeschwalbennist, wo Rostock war,
ganz Holland Windstromreservoir,
die einzige erlaubte vollverglaste Spielbank Deutschlands, ein Pfahlbau
auf den Landungsbrücken nördlich Preetz –
und jetzt auf einmal gehts.

Der Nahverkehr ein feines Netz,
Erdwärmetaxis, Selbstfahrjets,
Lieferverkehr auf Null gesetzt
durch Drohnen, und im Fernverkehr
Magnetbahnen zieh’n hin und her
aufs Pünktlichste.
Bei der Bundesbahn klappts nicht so ganz,
doch dafür ist sie jetzt umsonst.
Und alle ander’n Energien, die Pläne, Wege, ins Verhältnis und in Schwung gebracht,
ein Uhrwerk, gut durchdacht aufs Gründlichste.
Wer es erlebt hat, will es, will es mehr und mehr und immer und verstehts –
und auf einmal gehts.

Zuhaus sein ist in Mode sehr,
Mobilitätsrechte kriegt kaum noch wer,
Fernreisepunkte aussichtslos,
die Cleversten im Nichtstun groß,
als modest influencer lehr’n sie den Verzicht.
„Da, wo die großen Wasser drohen, da hört das Grundeinkommen auf und auch der Schutz des Einzelnen – willst du da wirklich hin?“ – „Na, so gesehen besser nicht…“
Erlebnishunger, Freiheit – unter’n Hammer einer klug verordnenden Vernunft geräts –
und auf einmal gehts.

Was ist mit denen, die einst sagten: Nie
wird’s mal so kommen? Klimaleugner nannt’ man sie:
In gut gesicherten geschloss’nen Räumen
sind sie bewacht und virtuell vernetzt mit ihren Lebens-Träumen,
gehen dort auf Kreuzfahrt, Raserei im SUV und Großwildsafari,
die Broder, Nuhr, von Storch und Martenstein, das Wirkliche zerschreddern sie,
schreiben ihre alten Glossen heiter in die alten Laptops rein,
im darknet jetzt, nur Leser werden da weiter keine sein.
„Desinformation fällt aus“, im neuen Sozialumbauleitgesetz, da stehts –
und auf einmal gehts.
Wer redet da von Zensur? Die Vernunft setzt sich durch.

Die Pole schmelzen, Menschengeist biegsam und willig,
die Meere steigen, doch das Fleisch bleibt seltsam billig.
Konzerne liefern aus der Ferne sehr viel schmuddelig Altes,
modernen Menschen fragwürdig, doch Heimatchöre singen: Gott erhalt es.
Ahnungen aus den Ritzen in Grenzmauern,
die fremde Art zu leben dort, wo Massen in Gluthitze kauern,
das woll’n wir nicht berühren, die Außenwelt ist kompliziert,
die Grenze hält, es reicht, dass unsereins trotz Klimawandel manchmal friert
vor Schreck. Die Küste schon verlor’n, das Ruder rumgerissen,
woll’n wir die Sorge um das eigne Wohl schließlich nicht gänzlich missen.
Man denkt ans Große Ganze, man verzweifelt daran oder man verräts –
und dann auf einmal gehts. Dann auf einmal gehts –
die paar Tage noch.

Solche Leute brauchen Heimat

Mit dem Adler auf der Brust
und den Runen-Beinen,
Lederhandschuh’n gegen Frust,
Technomädchenchor zum Weinen,
mit dem Jeep in der Garage,
dem Tschetschenen-Schwiegersohn,
Scheidung, Hausverlust, Blamage,
und zum Skat kein dritter Mann –

solche Leute brauchen Heimat,
sonst ist nicht viel da,
solche Leute suchen Führung,
das ist wunderbar.
Schnapp sie dir zur Orientierung,
halt sie fest auf enger Spur,
zwischen ganz brutal und Rührung
sind sie Sprengstoff pur.

Mit dem Schlaganfall-Opa,
der spielgeilen Sonntagsfrau
in diesem Patchwork-Familiensumms,
erzähl’s mir bloß nicht zu genau –
kamen jedenfalls weit unten
wie hunderttausend and’re elend an
in unserer Jeder-seines-Glückes-Schmied – Gesellschaft.
Mach was draus – du bist dran!

Solche Leute brauchen Heimat,
sonst haben sie ja nüscht.
Gib den Leuten eine Führung,
bis die Lunte zischt.
Schnapp sie dir zur Orientierung,
halt sie fest auf enger Spur,
dieser Hass – vergiss die eignen Skrupel -,
das ist Rohstoff, Rohstoff pur.

Im Plenarsaal, in den Gremien,
klimatisiert, heb die gepflegte Hand
als integrierter Teil eines Weltnetzwerks –
dir fehlt bestimmt kein Heimatland.
Doch zuhaus im alten Wahlkreis,
wo kein Weichei nerven kann,
da sag es klar: Was hat er hier zu suchen,
bei uns daheim, der Schwarze Mann?

Deine Leute brauchen Heimat,
im Kreis herum auf enger Spur,
ein freies Leben ohne Führung
überfordert sie doch nur.
Schnapp sie dir zur Orientierung,
nutz den Hass, schür den Frust.
Vergiss es nie: Bist du dir zu fein dafür, mein Freund, die Rechten tun’s –
sag nachher nicht, du hättest nichts davon gewusst …

Gib den Leuten eine Führung,
sonst ist nicht viel da,
sei den Leuten eine Heimat,
du machst das wunderbar.
Nimm sie zur Konsolidierung,
halt sie fest auf enger Spur,
zwischen ganz brutal und Rührung
sind sie Sprengstoff pur.

Für die gerechte Sache.
Für uns.

Puppen

Da liegen Puppen am Strand,
da liegen Puppen am Strand, oder doch echte Menschen?
Mutter mit Kind auf Wrack ausgesetzt,
todesmager und schwarz, kommt so lebensecht rüber,
ich bin nah am Wasser gebaut, voll ins Mitleid gehetzt.

Sind die winzigen Details, die’s zu mehr als Propaganda machen,
der Verzweiflungsschrei auf u-tube, cooler Funkspruch übers Netz,
fast hätt ich angefangen, jemand wie mich selbst dafür zu hassen,
dass er statt auf Hysterie auf Recht und Ordnung setzt,

welche besagen, dass man Länder nicht so wechseln kann wie Kleider,
nicht als Abkömmling aus einem Looserland,
ich mein, die fliehen ihre angebor’ne Heimat,
das ist doch eine Schwemme Wohstandsdiebe da am Strand.

Die noch dazu – auch wenn sie es nicht wussten oder wollten –
in Umlauf gebracht wurden für einen höheren Deal:
die Herkunftsländer schädigen, wo sie bitte funktionieren sollten,
statt die Löhne hier bei uns zu senken bis auf Null.
Von wegen Fachkräftemangel! Von wegen menschliche Tragödien –
Lohndrücker!

Da liegen Puppen am Strand, da liegen Puppen am Strand,
von George Soros inszeniert.
Ja, mir sind die Tränen gekommen, darin bin ich ganz ein Opfer der Verwahrlosung,
redet mit mir, ich habe Angst, ich fühl mich isoliert,
wir sind doch nur der Rumpf von einem Volk, das kollabiert.
Wenn die über die Ostsee kämen,
wir wüssten uns nicht zu helfen, mit Mistgabeln und Messern, so stünden wir da,
einen Witz von Uwe Steimle auf den Lippen –
und wissen nicht einmal, wie so ein Konzentrationslager praktisch funktioniert
im Einzelnen,
die Polen nebenan, die wissen das.
Wir starren auf die Videowand und harren, wer da wieder kommt,
in diesem abscheulich heißen Klima,
diesem Klimawandel, von den Bilderbergern installiert
für diese Schwarzen, dass sie sich gleich zu Haus fühlen können beim Unsern-Platz-Einnehmen –

da,
das hat sich grad bewegt,
das Balg da in dem Wrack
umarmt die Mutter.
Soweit sind sie also schon mit ihrer künstlichen Intelligenz:
So verdammt echt,
mir kommen fast wieder die Tränen.
Und ich stech da jetzt rein,
dann werden wir ja sehen.
Mit meinem Taschenmesser stech auf das Bild,
wenn’s Echte sind, dann müssten die jetzt schreien.
Redet mit mir!
Da liegen Puppen am Strand.
Millionen Puppen am Strand.
Da liegen Puppen am Strand.
Beweist mir mal das Gegenteil!
Hört ihr was?
Nur das Geräusch des Lüfters.
Sag ich doch.
Da liegen Puppen am Strand.
Nichts als Puppen am Strand.
Alles gemacht.
Alles regungslos.
Für uns.

Auf der Fähre nach Thassos

Auf der Fähre nach Thassos,
es sieht verdammt nach Regen aus,
die Abendsonne rutscht unter Wolken,
ich glaub, da kommt sie heut nicht mehr raus.
Ich bin jetzt knapp fünf Tage unterwegs,
seit gestern fühl ich mich allein,
heut hab ich noch mit niemand gesprochen,
trank hastig und stumm meinen Wein.

Das Schiff ist voll mit griechischen Familien,
ich bin der einzige Rucksacktourist,
komm mir so richtig in der Fremde vor,
völlig unnütz, von niemand vermisst,
und es ärgert mich, dass ich an Zuhause denk,
ob der Regen nun fällt oder nicht.
Neben mir räkelt sich ein fieser Typ um Dreissig,
und ich hoff trotzdem, dass der mich anspricht.

’ne Minute später nahm der Typ mich am Arm,
fragte gönnerhaft: Freund, wo willst du hin?
Und obwohl ich so getan hab, als verstünd ich ihn nicht,
gab das dem Ganzen so etwas wie Sinn.
Und grad geht der Mond über’m Festland auf,
ich lehn mich in die Wellen raus
auf der Fähre nach Thassos.
Wenn es regnet, macht das mir doch nichts aus.

Die drei Zigeuner

Drei Zigeuner fand ich einmal
liegen an einer Weide,
als mein Fuhrwerk mit müder Qual
schlich durch sandige Heide.

Hielt der eine für sich allein
in den Händen die Fiedel,
spielt’, umglüht vom Abendschein,
sich ein feuriges Liedel.

Hielt der zweite die Pfeif’ im Mund,
blickte nach seinem Rauche,
froh, als ob er vom Erdenrund
nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der dritte behaglich schlief,
und sein Zymbal am Baum hing;
über die Saiten der Windhauch lief,
über sein Herz ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die Drei
Löcher und bunte Flicken,
aber sie boten trotzig frei
Spott den Erdengeschicken.

Dreifach haben sie mir gezeigt,
wenn das Leben uns nachtet,
wie man’s verraucht, verschläft, vergeigt,
und es dreifach verachtet.

Nach den Zigeunern lange noch schau’n
musst ich im Weiterfahren,
nach den Gesichtern, dunkelbraun,
den schwarzlockigen Haaren.

(Text: Nikolaus Lenau 1838)

Gavotte

Wird getanzt, dann schau ich gerne,
einer, der es selber nicht tut,
aber hier, fort in der Ferne,
an den weiten Ufern des Prut,
hier rauscht jetzt meine Kontrolle dahin,
und ich geb mich zwei Armen mit nichts im Sinn.

Es ist früh, die Musik steif und leise,
die Arme stark, der Rhythmus stabil,
sie tanzt gut, auf meine Weise
genieße ich still, dass ich nicht führen will,
ihre atmende Stimme dicht an meinem Ohr,
wie ein Vorspann zum Film kommt die Szene mir vor.

Ein Spiegel hoch über’m Leuchter,
an der Decke gedoppelt all die Paare hier,
wirbeln wir, unsre Lippen jetzt feuchter
in dem wachsenden Tempo der Gavotte au Plaisier,
meine Partnerin schleudert mich, Schalk im Gesicht,
in die Luft hoch, ich seh mich, doch falle ich nicht.

Jemand fängt, nimmt mich als Bündel,
hält mich hoch über’n Kopf, auf Händen gedreht,
bin kein Tanzpartner mehr, bin ein Mündel,
mit dem Zieheltern spielen: Wir ha’m Spaß zu dritt, seht!
Über den Köpfen ein Stockwerk wie ein Balkon,
darauf Kinder, die rennen und drängen davon.

Ich dabei, ganz ohne Frage,
ein Teil der Bewegung im stockdunk’len Geviert,
kommt jetzt Nacht, war’s nicht grad am Tage?
Ziehn uns Hände hinab, ist das Luft, die verliert?
Plötzlich schwimmen wir, die kalte Flut tut so gut,
nutzen Flossen und Kiemen in den Wassern des Prut.

Schwimmen in fischigen Herden,
fließend spielen wir, doch steh’n zu oft quer,
was uns zufließt ins Maul, woll’n wir werden,
tausendmal leichter noch, einfacher mehr,
einfach Plankton, so leicht, dass nichts weiter es hält,
und ein Tropfen Wasser die riesige Welt.

Fällt auf Stein, platscht in die Schuhe,
läuft einer tanzenden Frau in das Haar,
Weltenfall, in aller Ruhe
rollt den Rücken der Tropfen ab, in dem ich war,
landet dort, wozu die Ausführlichkeit schweigt,
landet, wo die Lust sich iim Grunde zeigt.

Taumelschritt, Tonartwechsel,
Blicke, die strafen, Finger, die droh’n,
wie ich dort auf dem Tanzboden hocke –
bin ich wieder ich selbst oder mein eigener Klon?
Die Dame vertanzt den obszönen Moment,
und jemand fragt, ob sie den Fremden überhaupt kennt?

Es ist früh, die Musik steif und leise,
die Arme stark, der Rhythmus stabil,
sie tanzt gut, auf meine Weise
genieße ich still, dass ich nicht führen will,
ihre atmende Stimme dicht an meinem Ohr,
wie ein Abspann vom Film kommt die Szene mir vor.

Wölfe in Brandenburg

Vielleicht über die Eisschollen der Oder,
vielleicht im Stauraum eines Zigaretten-LKWs,
weit aus Sibirien kommt er herüber,
heult unter’m Mond am Ufer des Scharmützelsees.

Man sieht ihn hinter’m Deich gleich bei den Schafen,
und wenn die Rentner fort sind, an den Mülltonnen beim Edeka,
er war allein, als sie ihn am Friedhof trafen,
allein und frei – es heißt, im Rudel steckt Gefahr.

Willkommen – du wildes graues Tier!
Willkommen – bestimmt gefällts dir hier,
denn Brandenburg ist ja genau
wie Du so wild und grau.

Willkommen – du wildes graues Tier!
Willkommen – bestimmt gefällts dir hier …

Ein Wildschwein lächelt schüchtern zu ihm hin:
„Ich wüsst’ was Besseres, zieh weiter nach Berlin.“

Doch wenn er wirklich in den Moloch schlendert,
kann sein, dass sich die Stimmung ändert,
aus dem naturvertrauten freien Reißer
wird im Gekläff der Vorstädte ein kleiner Beißer,
den man als artfremd nur gefangen will ertragen,
aus Wolf mach Hund, so hör ich sagen.
Bleib lieber hier, wo weites Land sich zieht –
Botschafter eines Wandels, der geschieht.

//: Willkommen – du wildes graues Tier!
Willkommen – bestimmt gefällts dir hier,
denn Brandenburg ist ja genau
wie Du so wild und grau. ://

Aufstehen

Desorientierte Menschen laufen
durcheinander in verschiedenen Haufen,
jede Richtung ist verkehrt,
kaum ein Leben etwas wert,
immer wieder Stress und Druck,
träges Ducken ohne Ruck,
müde schon beim Weckerklingeln,
kein liebes Wort schaffts, durchzudringen,

denn du musst ja aufsteh’n,
du musst ja zuseh’n,
wo du bleibst,
wohin’s dich treibt,
kannst du eh nicht selbst entscheiden
im Kampf ums Vegetier’n,
weil sie dich zerr’n, weil sie dich reiten,
krauchst du schon auf allen Vier’n.

Unkontrolliert tobt der Behördenwahn,
alles durcheinander, leben ohne Plan,
überall fehlt Personal,
überall fehlt der Krawall,
keiner schlägt mehr auf den Tisch,
kann ja sein, die feuern dich
für jedes Mucken, jedes Murr’n,
und dann frisst der Krebs den Zorn.

Du musst ja aufsteh’n,
du musst ja zuseh’n,
wo du bleibst,
wohin’s dich treibt,
kannst du eh nicht selbst entscheiden
im Kampf ums Vegetier’n,
weil sie dich zerr’n, weil sie dich reiten,
krauchst du schon auf allen Vier’n.

Weil das nicht reicht, wird mit Angst gespielt,
klar, weil die Angst sehr gut die Massen drillt,
auch das trägst du mit Geduld,
daran sind ja die andern schuld,
die werden täglich als Sünder präsentiert,
dir als Feindbild vorgeführt,
du ahnst, dass es ’ne Lüge ist,
doch das ist egal, solang du’s frisst –

da musst’e aufsteh’n,
da musst’e zuseh’n,
wo du bleibst,
wohin’s dich treibt,
kannst du eh nicht selbst entscheiden
im Kampf ums Vegetier’n,
weil sie dich zerr’n, weil sie dich reiten,
krauchst du schon auf allen Vier’n.

Ich frage mich, wann ist’s genug,
das Morden der Seele, der Selbstbetrug,
wann erinnert sich der Mensch an sich,
daran, was er wert ist, dass er mehr ist als Pflicht?
Ich denke, heute ist so ein schöner Tag,
in dem schon morgens so ’ne Athmosphäre lag,
so eine Kraft, die uns plötzlich erfüllt,
so ein Ungehorsam, so ein Wille, der brüllt –

ja, wir werden aufsteh’n,
wir werden zuseh’n,
wo wir bleiben,
wohin wir treiben,
das sollten wir schön selbst entscheiden,
Schluß mit stumm parier’n,
wir sind Menschen, dafür gilt es zu streiten,
es ist an der Zeit!

Aufsteh’n,
zuseh’n,
wo wir bleiben,
wohin wir treiben.
Wir sind Menschen, dafür gilt es zu streiten,
es wird Zeit!
Wir werden rebellier’n.

Text: Andreas Hähle, 2016

Der Rest ist Mut

Bauchklatscher ins kalte Nass
kann dich frisch massieren,
„komm mit auf den Sprungturm rauf,
was soll schon passieren?“
Fünf Meter zum Beckenrand,
mir wurde ganz bange,
doppelt so alt war ich grad,
„jetzt zöger nicht so lange –
alles gut,
der Rest ist Mut!“

Wenn es anfängt weh zu tun,
will ich nicht dran denken,
will den Weg woanders hin
und den Schmerz mir schenken.
Schmerz kann etwas Gutes sein,
ihn nicht zu vertreiben,
musst du dem, was wehtut, trau’n,
auf dem Spannseil bleiben –
und alles gut.
Der Rest ist Mut.

Bin in einem Alter, wo
es naheliegt, zu klagen,
Freunde, die viel jünger sind,
tun sich gut im Zagen.
Fragt man mich: „Was siehst du noch?“,
sag ich gerne: „Alles.“
Weiß, dass mein Gesichtsfeld schrumpft
so wie die Zinsen heut – was soll es:
alles gut.
Der Rest ist Mut.

Dreißig Jahre offiziell,
geheim noch etwas länger,
ohne deine Frage damals
kälter wärs und bänger.
Ohne unsre Liebe wär’n
wir beide völlig andere.
Spür dich, hör dich, hab dich, lieb dich,
wo ich auch grad wandere.

Tiefes Herz,
kleiner Schmerz.

Greifen Zahnräder die Haut,
kann das frisch massieren,
kann auch tief und hart und laut
Endpunkte markieren.
So die eigene Zeit durchkraucht
sieben Leben lang,
sechs sind demnächst aufgebraucht,
eins hängt noch im Schrank –
alles gut.
Der Rest ist Mut.
Alles gut,
der Rest ist Mut.
Alles gut,
der Rest ist Mut.

Herbstschnulze

Hab die Sonnenbank in die Garage geschleift,
als der Regen mal nachließ, der Fadenfall,
hab mir Nüsse gesammelt, nass und gereift,
bin im Gras ausgerutscht mit dem Gummiball,
der vom Sommer noch da lag,
so wie ich grad noch selber,
an jenem Sommertag – gestern.
Die Blätter heute sind gelb.

Und sie fallen in Scharen in die Wassertonne,
die so trocken und leer blieb monatelang,
war das eine Dürre, aber wars nicht auch Wonne,
jetzt, wo das Wasser vertreibt die letzte Spinne im Tank,
die vom Sommer noch da blieb,
so wie ich grad noch selber
in dem Sturm brauner Blätter,
die war’n eben noch gelb.

Denk an Züge nach draußen aus zerborst’nen Städten,
Hohlräume aus Schmerz, wenn sich Widerstand regt,
an ein Frühstück im Garten mit all den den Liebsten,
an alles, was war, eh das Wetter umschlägt.
Ich bin nicht der erste und bestimmt nicht der letzte,
dem die Zeit hart wird im harten Herbst.
Wann kommst und fragst du, wie ich es finde,
wenn du dir nochmal dein Haar gelber färbst?

Hab die Sonnenbank in die Garage geschleift,
als der Regen mal nachließ, der Fadenfall,
hab mir Nüsse gesucht, nass und gereift,
bin im Gras ausgerutscht mit dem Gummiball.

 

UNVERÖFFENTLICHT

Der grösste Hobel

Unsern Hauswart hats erwischt. Der hat sich den Virus geholt. Wenn im Hof der Müll mal nicht geräumt wird, sich so ein Haufen aus Knochen, Stoffresten, Plastik und Schimmel bildet, dann sagt der schon mal, er müsste der Hausverwaltung das Mahnmal der Schande jetzt aber melden. Und wenn der neue Fahrstuhl überraschend problemlos funktioniert, ruft er: „Das flutscht wie 33!“ Aber der ist die Ausnahme. Extremisten wird es immer geben, doch die Mehrheit steht in der Mitte. Der Volkskörper insgesamt, der stößt das Radikale von sich ab. Der heilt sich selbst, sag ich immer, auch wenn er noch so verletzt wird, wie 45 zum Beispiel. Das kommt für manche dann als Schock, diese Begegnung mit dem Wirklichen, manche leben heutzutage in einer Art Wunschbla-se. Aline z.B., Tochter unserer Nachbarin, Einzelkind, Klassenbeste, ein ganz ernstes Mädchen mit dem Willen zum Höheren – färbt sich plötzlich die Haare rot, läuft mit zerlöcherten Jeans rum, und trägt den Antifa-Button. Mein Sohn hat mir erstmal erklärt, was Antifa unter den Gleichaltrigen be-deutet: Linksaußen, Querstellung, Kampfansage ans Kollektiv. Da wehrt sich der Volkskörper eben mal. Tja, Aline, sag ich, die gebrochenen Beine, echt furchtbar, aber das wird schon wieder heilen in deinem Alter, nur das Austauschjahr in Neuseeland, 11te Klasse, auf Krücken? So traurig es ist: Schminks dir ab – haste was fürs Leben gelernt …

Extremisten wird es immer geben,
doch der größte Hobel ist das Leben,
einen jeden von uns wird er greifen
und die Ecken und die Kanten uns abschleifen.

Die Mehrheit bei uns ist beinah zu cool und weltoffen. Kein Pegidagejammer. Geduldig stehn sie morgens beim Bäcker und bestellen ihr Zeug in allen möglichen Sprachen, meine Landsleute, von Muckefuck bis Macciato, das erweitert den Horizont, ist gobal und macht Spaß! Aber ginge natür-lich auch anders – wir waren letztens in Breslau, da haben wir keinen einzigen Schwarzen gesehen und kein Kopftuch, das ganze Wochenende durch, muss schön sein für die Polen – leben in einer geliehenen Stadt und dann ganz ohne Ausländer. Wir freuen uns mit, wir sind nicht mehr nachtra-gend. Und schon gar keine Unmenschen. Wenn z.B. so ein Schwarzer, der zu uns geflüchtet ist, in seiner Gefängniszelle verbrennt und dabei noch angekettet war, schrecklich, dann untersuchen wir das, jahrelang, immer wieder und mordsgeduldig – aber wenn das Gericht dann am Ende fest-stellt: der war tatsächlich so geschickt, der hat sich trotz aller Unbillen selbst angesteckt, dann nehmen wir das Urteil auch ernst. Wir glauben nämlich an den Rechtsstaat, Ende der Diskussion. Aline würde natürlich sagen: Gesinnungsjustiz, auf dem rechten Auge blind – aber wer behauptet denn, diese Polizisten da in Dessau, die ja unschuldig sind, auch wenn sie ein bisschen gekokelt hätten, wären rechtsradikal gewesen? Könnten doch auch ganz biedere SPD-Sympatisanten ge-wesen sein, Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, aus der Mitte der Gesellschaft… Demokraten eben, nur die Welt ist kein Streichelzoo, sag ich immer …

Extremisten wird es immer geben,
doch der größte Hobel ist das Leben,
einen jeden von uns wird er irgendewann greifen
und die Ecken und die Kanten uns abschleifen.

Im Innenhof bei uns weht neuerdings eine Fahne: ‚Deutscher von Gottes Gnaden’ steht drauf, na-türlich hat der Hauswart die angebracht. Peinliche Sache. Alle Mieter gehen kopfschüttelnd dran vorbei, nur meinem Sohn gefällt es. Seit diese Aline mit ihm Schluss gemacht hat, durchlebt er eine harte Zeit. Neulich hat er seinen Geschichtslehrer gefragt, ob der Klimawandel eigentlich da-für gemacht worden ist, um den Zuwanderern die Temperaturen zu bieten, die sie brauchen, um uns besser ersetzen zu können. So wie der George Soros und die Rothschilds sich das so vor-stellen. Ich sage: „Halblang, junger Mann. Klingt irgendwie unausgegoren und krampfig, wie du das sagst.“ Aber dass er deshalb antisemitisch drauf wäre, wie die Schule jetzt behauptet, ist lächerlich! Die sollten sich freuen, dass ein junger Mensch so viel nachdenkt. Mein Sohn hat doch nichts gegen Juden in dem Sinn. Er hat was gegen die, die hinter der finanziellen Macht stehen – das ist doch normal in dem Alter. Neulich zeigt er mir ein Buch mit einem Fluss im Titel, in dem keiner 2mal schwimmt, und sagt: „Das ist auch von einem Geschichtslehrer, aber der schreibt die Wahrheit.“ „Den haben sie beim Hitlergruß fotografiert“, sag ich, „und dann hat er behauptet, er habe nur ein paar Leuten den Weg zum Bahnhof gezeigt mit seinem rechten Arm…“ „Gewiesen“, erwidert mein Sohn, „Björn Höcke hat ihnen den Weg gewiesen…“ „Ich weiß nicht“, wende ich ein, „kommt sowas noch aus der Mitte der Gesellschaft?“ “Aus der Mitte der Partei jedenfalls“, ruft der Sohn, „und die Partei wird irgendwann die Gesellschaft sein, das solltest du aus der Ge-schichte doch noch wissen… Übrigens“, sagt er und guckt mich so komisch an, „manchmal scheidet der Volkskörper Leute wie dich auch einfach mal aus, wegen Überflüssigkeit“ – und ich denke: kein Streit jetzt, Blut ist dicker als Wasser, nichts wird so heiß gegessen wie gekocht – zeig ihm einfach, wie gelassen und weltoffen und wie demokratisch wir in unserer Mehrheit immer noch sind – wir Deutschen im Ganzen, wir sind doch immun gegen den Rechtsradikalismus, wer hat das noch gleich gesagt? Kurt Biedenkopf? Uwe Steimle? Marika Rökk?

Extremisten wird es immer geben,
doch der größte Hobel ist das Leben,
spätestens bei der nächsten Katastrophe wird er nach uns greifen
und die Ecken und die Kanten uns abschleifen.

Selbstfahrender Laster

Auf der großen Straße waren wir zuhaus,
kannten jede Leitplanke, das Ende jedes Staus.
Dein voller Akku, Kraft und Mut,
der Neid der Spießer tat uns gut,
du trugst ein Schild mit meinem Namen: KLAUS

Niemand wusste mehr von mir als du,
ich gab ein Ziel ein und dann fuhrst du zu,
hab dir den ganzen Quatsch erzählt,
alles, was mich freut und quält,
jede Fahrt ein Rendezvous.

REFRAIN
Und du bist einfach abgehauen?
Eigentlich unfassbar, dir sowas zuzutrauen.
Ein selbstfahrender Laster, kaum möglich, ihn zu klauen,
doch du fuhrst einfach los,
und ich sah klein und kleiner werdend deine roten Lichter noch im Morgengrauen.

Niemand wusste mehr von dir als ich,
ging’s dir nicht gut, ich kam und pflegte dich,
gab dir den Strom, die Zeit zum Warten,
schön wars, nachher durchzustarten,
in die Welt, da war kein bessres Team für mich.

Hab dir mein Herz und meine Arbeitskraft geschenkt,
doch Autonome Sattelschlepper woll’n wohl keinen, der sie lenkt.
Alle warnten: „Unglücklich
wirst du, mal verlässt er dich!”
Ich weiß noch immer nicht, was hat dich so gekränkt?

REFRAIN
Denn du bist einfach abgehauen…

Jetzt lausch ich an der Straße den Motoren,
dein tiefer Wumms dringt voll in meine Ohren.
Gibts einen Neuen? Und wie isser drauf?
Du rollst vorbei und blendest nicht mal auf.
Woran hab ich dich verloren?


eigentlich unfassbar … vielleicht hätten wir doch heiraten sollen… bitte, lass mich nicht mit diesem Rohbau zurück, wir wollten doch unser gemeinsames Haus … du, die Garage kann natürlich dreimal so groß sein, so groß du willst … und Kinder, ich hab meine Meinung geändert: Kinder, so viele du magst – meinetwegen auch mit Rändern unten dran … Ich weiß, du hast immer das Radio laufen, also: falls du das hörst, gib deinen Aggregaten einen Stoß und kehre um zu mir … und die anderen Leute, weißt du: es ist mir so scheißegal, was diese anderen Leute über uns denken, es geht nur um dich und mich –
du bist mein selbstfahrender Laster, kaum möglich, ihn zu klauen,
doch du fuhrst einfach los,
und ich sah klein und kleiner werdend deine roten Lichter noch im Morgengrauen.

(Text: Maurenbrecher/Bjerg, 2017)

Litfasssäule

Wer dich erfunden hat,
musste gemütlich sein,
rund und verträglich sein,
ein Freund der Nachbarschaft,
dacht ich als Kind.

Schon, dass er Litfaß hieß
und uns dich nutzen ließ,
du dicke Säule, auf der all das stand,
was unsre Neugier stach,
weil wir so sind –

Oma suchte Filme mit Ruth Leuwerik,
Opa fand den Tanztee im Kempinski schick,
für Mama war der Tag der Offnen Gärten da,
Papa traf Carl Orff in der Urania,

und all das hatten wir von den Plakaten,
um deinen runden Leib geklebt, Namen und Daten,
ein bisschen Werbung zwischendrin, leise und bunt,
unsre Litfaßsäule, der dezente Informant …

jedes Ding hat seine Stunde, jede Erfindung auf der Welt dreht ihre Runde.

Lange sah ich dich als Teil Erwachsnenwelt,
nichts wirklich Heißes, nichts, was, wenn es wegfällt, fehlt,
doch irgendwann auf dir war ein Plakat der Kinks,
da dachte ich zum ersten Mal: Das ist auch meins, dies Dings,
dieses runde Etwas, Werbeobelisk getauft,
und dachte gleichzeitig: Die Kinks auf einer Litfaßsäule?
Jetzt ha’m sie sich verkauft.

Irgendwann bei dir gabs einen Vorabendkuss,
Riesenriesenrad im Bauch, dann gleich schon wieder Schluss,
da stand ich neben dir allein, Kassettenspieler laut wie’n Schock,
ne Bravo cool im Hosenbund, Tretroller aufgebockt –
hätte mich damals wer gefragt, was von den Dingen denn noch da wäre in 40 Jahren,
hätt ich gesagt: die Säule und das Deck bestimmt, die Illustrierte höchstwahrscheinlich –
nur so’n Roller: wird später irgendwer sowas noch fahren?

Jedes Ding hat seine Stunde, jede Erfindung auf der Welt dreht ihre Runde.
Manche auch zwei oder drei.
Dann ist etwas weniger Abschiedsschmerz dabei.

Ich wünsch dir gute Zeiten in dem Dingehimmel,
grüß mir die Kutschen und die Gäule, Wählscheibentelefone, Löschblätter und btx-Modems in dem Nostalgiegewimmel,
du alte schlanke oder dicke, aber immer elegante, einst topaktuelle, immer schicke
Litfaßsäule.

Reichsbürger

Ich seh den Lümmel am Bahnhof, spuck gleich vor ihm aus,
schwarze Haut, frecher Blick, niemals hier zuhaus –
tu nicht so scheinheilig friedlich, zeig dein Messer, hols raus –
unser Geld, unsre weißblonden Töchter, das willst du, so siehst du aus!

Und egal, was jetzt hinter mir losbricht,
ich geh mit aufrechtem Gang meinen Weg
durch diese ostdeutsche Kleinstadt,
meine Halbschuh vermeiden den Dreck,
bin einer von zehntausend Besorgten, hab mit dem Pöbel nur von Amts wegen zu tun
als Mitglied einer Staatsanwaltschaft – meine Ideale lass ich auf den Amtswegen ruhn
und tu meine Pflicht,
Demokrat bin ich nicht –
denn in Wirklichkeit leb ich in innerer Emmigration:
in Wirklichkeit bin ich ein Reichsbürger – Reichsbürger mit Beamtenpension.

Für uns gelten keine Gesetze, für uns gilt ein tieferer Staat,
nicht provisorisch und lasch wie der jetzige, ein Staat, der sein Reich wieder hat.

Unser Land ist zerrissen, von Fremden aufgerollt,
manche woll’n es nicht wissen, andre ha’ms so gewollt,
die meisten meiner Landsleute, ich fühl es, wenn ich durch die Straßen zieh,
leben in einer Art von innerem Ausland, und deshalb taumeln sie.
Also Lehrer, Ärzte, Polizisten, Führungskräfte, kommt an Bord, der Ruf ereilt euch schon:
seid Partisanen einer besseren Zukunft – seid Reichsbürger mit Beamtenpension.

Für uns gelten keine Gesetze, für uns gilt ein tieferer Staat,
für den toben wir und geb’n das Letzte, dass unser Staat sein Reich wieder hat.

Manchmal brauch ich etwas Entspannung, z.B. an einem iberischen Strand
mit einer süßen spanischen Sonne auf dem Schoß und dem Ginfizz in der anderen Hand,
und wir plaudern so über die Hippies, ich hab Urlaub und bin total tolerant,
und meine Kleine fragt: Wenn ich mitkomm zu dir, Money Honey, wie lebst du so in deinem Deutschland?
Und ich lach: Du wirst es mir nicht so ansehn, aber erstens hab ich im Staatsdienst gut Lohn,
und zweitens bin ich eigentlich der kompletteste Freak, den du dir vorstellen kannst
auf dem Aussteiger-Thron – in unserm Club, wir ha’m da Panzerfäuste, alte Bunker, Freunde beim Verfassungsschutz, für uns gelten keine Gesetze, weisst du, wir sind sowas wie Glücksritter, sowas wie die deutschen Bluesbrothers …

Aber wenn ich dann aus dem Urlaub zurück bin, 3-Tage-Bart, braungebrannt,
auf dem Amt sag’n sie nur ‚naja, muss ja‘ – draußen übles Gedränge am Straßenrand,
all die armen Würstchen, die ich demnächst verknacken muss, denn die Stadt ist voll mit Presselügenpack,
ich und meine kleine Spanierin plötzlich umzingelt – linker Haken, rechter Haken, zack zack.
Ich schrei: Kameraden, habt ihr denn keine anderen Opfer,
ein bisschen Respekt, den verlang ich schon,
ich bin nicht irgend so’n grünversiffter Globaltourist – ich bin doch euer Reichsbürger …

Irgendwann ist dann der Tag X da, unsere Regierung vom nationalen Widerstand,
mit dem Höcke, dem Söder, der Lengsfeldt, dem Patzelt und den Resten vom alten Gaulandt.
Sie sagen: Hooligans, Nazis, alles Teil der Gemeinschaft, ab jetzt alles ehrbar und treu,
nur dieser alberne Reichsbürgerkram, liebe Leute, damit ist es ab heute vorbei.
Denn natürlich gelten unsere Gesetze, natürlich sind wir jetzt der Staat,
und wir geben und tun das Letzte, dass dieser Anarchokram ein Ende hat!

Und ich ruf mit meinem zitternden Stimmchen:
Ich hab euch immer gedient, was ist der Lohn?
Ihr verspottet meine tiefsten Ideale, – das tut weh, aber meinetwegen,
nur zahlt mir bitte die Beamtenpension,
bitte bitte … Ich hab als Staatsanwalt immer alle laufen lassen, die auf unsrer Seite waren, das ist nicht immer leicht gewesen. Und das war doch eigentlich nur so ein Scherz mit diesem ganzen Reichsbürgerkram, ne Art Hobby, so wie Junggesellenabschied, das könnt ihr mir doch jetzt nicht zum Vorwurf machen – gut, ein paar sind auch durch uns hoppsgegangen, aber Hand aufs Herz: waren das nicht eigentlich genau die Richtigen? Bitte, zahlt mir die Beamtenpension. Ich hab doch nur noch die paar Jahre. Adenauer hätte das übrigens auch gemacht – was gestern Recht war, kann doch heute nicht Unrecht sein …. Überhaupt: hätt ich gewusst, was das für Ärger hier drüben gibt, wär ich doch niemals freiwillig in den Osten gekommen nach meinem Juraexamen, eins minus…
Ich war euer treuer Reichsbürger, also tut eure Pflicht und zahlt!