Rockpoeten-Tour ’89

STATEMENT ZUR ROCKPOETEN – TOUR ’89

Geschichte wird gemacht, und erst von nachher versteht man, was mittendrin wie eine Gunst der Stunde gewirkt hat.

Natürlich glimmte auf den ‘Open – Airs’ im August schon die gleiche Flamme, die im November die Explosion brachte. Wenn eine Ankündigung, z.B. das folgende Lied sei in Südfrankreich entstanden, Beifallsstürme hervorrief… Wenn in der Dresdener Hotellobby von Nachtschwärmern Sprüche wie ‘Bundeswehr ja bitte’ herumgereicht wurden und dann die hohen FDJ-Funktionäre betreten wegschauten – oder in eine Aufzählung der Mängel ihres Systems ausbrachen… Uberhaupt Ausbrüche: selten habe ich in fünf Tagen so viel politisiert und Vertrauen gefaßt zu Leuten, die Teilhaber waren von Macht. Im Nachhinein eine riesige Ratlosigkeit dieser Machthaber, und Entschlossenheit auf der Zuhörerseite, die man verführt ist, ‘das Volk’ zu nennen.

Dieses ‘Volk’, unser Publikum, war so aufmerksam, so hellwach… ich dachte auf der Bühne: Dies also sind die Vorzüge einer Erziehungsdiktatur… Natürlich hätte ich mißtrauischer sein müssen. Der Beifall galt nämlich nur zweitrangig uns – wir waren Botschafter einer Bewegungsfreiheit, die dort demnächst erkämpft werden sollte.

Ich war im August in Leipzig und Dresden beeindruckt von etwas, das Heiner Müller in einem Westberliner Café einmal als die ‘geschichtsbewußte Langsamkeit’ der DDR-Deutschen erläutert hat. Von ihrem Sinn, das private Erlebnis in eine Blue-Box politischer Entwicklungen zu stellen. Ich bilde mir eine, einige hörten meinen Liedern damals dort genau so zu.
Jetzt spricht Müller im Spiegel von Langsamkeit als dem “Grundproblem der DDR” und sagt: “Die Kunst hat vom Mangel gelebt”. Vielleicht konnte eine bestimmte stille, genaue Art Kunst dort nur Gehör haben, so lange sie Gegengift war, und ist dort jetzt genau so passee wie bei uns längst…

Die Häme der Westjournalisten, die uns im August begleitete, hat das natürlich voraus gewußt.’Wer ist Stoppok, wer Maurenbrecher’, fragten sie händereibend und beschrieben uns als eine Art Mangel gegenüber den Top-Acts.
Bald wird vielleicht der Wunsch nach dumpfer Windschnittigkeit, nach fixer Geschichtsvernichtung in der zuende gehenden DDR das größte Ärgernis sein.

 

© M.Maurenbrecher, Dez. 89