Songtexte

((Diesen Kommentar habe ich 2000 angefangen und 2002 beiseite gelegt.Fühlte mich wie der kleine Student, der ich mal war, der den Boden manchmal unter den Füßen verliert. Wurde mir dann peinlich, diese Stimme. Jetzt soll sie – so weit sie reicht – auch mal von andern gehört werden. Laut lesen ist empfehlenswert. Das hier muss ja nicht ewig im Netz stehen. Wird wohl auch mal weitergeschrieben, vielleicht in veränderter Form. Vielleicht auch nicht.))

KOMMENTAR

Die Möglichkeit, im Netz Archive anzulegen, wird für jeden reizvoll sein, der schreibt und sammelt. Ideen kommen dazu und bei mir – Sammler von Texten, zu denen meine eigenen gar nicht in erster Linie gehören – nie ans Ende. Der Tag jedenfalls, wo ich einen begehrten Fund nicht in dem kleinen Spezialladen in Lörrach oder Britz-Süd aufgestöbert habe, wo Intuition und Eingeweihtheit ihn mich vermuten ließen, sondern von einer Suchmaschine geführt online, hat mich traurig gestimmt. So weiß ich jetzt, wo ich sehe, was alles über meine Lieblingsthemen dokumentiert ist, dass ich sie nie im Leben werde ausschöpfen können, während ich vor der Installation des Netzes manchmal – Überheblichkeit und guter Mut! – klar begrenzte Länder vor mir sah, die ich vielleicht einmal ganz durchstreift haben würde. Ein wenig wie Kreta vor zwanzig Jahren. Auch das ist mir fremd geblieben oberhalb 300 Metern – noch ein Grund mehr, auf mindestens ein weiteres Mal zu hoffen.

Schwer beeindruckt hat mich der eine Zeitlang in ein buddhistisches Kloster zurückgezogene Leonhard Cohen, der seine Sehnsucht nach öffentlichem Austausch, ohne den mönchischen Alltag zu unterbrechen, in die Erlaubnis an einen Affecionado ummünzte, ein Archiv mit all solchen Vorfassungen, Umwegfassungen und gesungenen Freierfindungs – Fassungen seiner Lieder und Gedichte auszubreiten, die herkömmliche Verlage nie drucken würden (und wenn, dann umrankt von einem Apparat der Ausdeutung, dem das Werk dann ‘angehört’ – Bspl. ‘Werke in Einzelausgaben’ H.H.Jahnns, organisiert durch Ulrich Bitz). Cohen dagegen stellte, was da war, hin und frei, sich zu bedienen. Manchmal, so heißt es (ich war nie dabei), schrieb er zur Digitalkamera. Archiv im WACHSTUM.

Ich merke aber auch, wie die Freiheit der Bewegung plus Gefahrlosigkeit (Netz und doppelter Boden) umschlägt in Gedankenfaulheit. Von früher her kenn ich es so: Eine Schrift in der Hand, eine zweite auf dem Tisch zwischen Campariglas und Aschenbecher, und für beider Bücher oder Kopien Anwesenheit hab ich heftig gebaggert, Unbequemlichkeiten in Kauf genommen – das schaffte die Muße, jetzt aber wirklich einmal gründlich zu lesen und gefälligst einiges dabei zu begreifen und achtzugeben, das der Campari nicht auf die Seiten schwappt (was natürlich prompt passiert ist und die Erinnerung an eine besonders gründliche Lektüre hergab). Die gleichen Texte, markiert auf einem Internet-Streifzug, wird man – WERDE ICH! – schon bei kleiner Mühseligkeit beiseite tun, werde sie ausdrucken, klar, aber nur überfliegen, dafür anderen Links folgen, Wegweisern rund um die Kugel, also eigentlich in Richtung Nichts, und doch voll in Einkaufslaune, Reisenden-Schnäppchen schlagend, mit Jagdstolz…

Dieses Archiv muss also etwas Altmodisches sein. Es entfaltet seinen Reiz erst dem, der es aushält. Langsam darin wird. Sich umschaut drin. Den Ablenkungen nachzugeh/ben als Niederlage erfährt. Den neuen Schläuchen mit ihrem geschmeidigen Haste-nich-gesehn. Guter alter Wein – aber natürlich sind die Schläuche so wichtig geworden wie die Sache selbst, die es so, also ohne sie gar nicht gäbe. Oder nur für mich, der sich jetzt nicht damit abfinden muss, dass sein Kram in einer Schublade lagert. Oh, das Internet auch ein riesiger Müllplatz, dessen Ausdehnung vielleicht schon manchmal jemand verzweifeln lässt („hätt’ma nicht so weit haben kommen lassen, als ma’damals die Militärtechnologie den paar Freaks überlassen…”). Welche Konsequenzen solche Eigenarchivierung vor den Augen der Öffentlichkeit übrigens auf das Nachlassverwalten hat, das muß ich nicht zuende denken. So ganz streng an der Hand nehmen können uns die Verwalter jetzt ja nicht mehr. Schon das Schreiben auf Hard Disk könnte Vorfassungen, Zwischenfassungen, unredigierte Druckvorlagen aus aller ‘Zielliteratur’ elegant tilgen – all diese Werkschichten, die professionelle Ausdeuter mit der Beharrlichkeit von Restauratoren abzukratzen geübt sind, behauptend, es wäre an einem Endprodukt immer gleich etwas nicht heil, gäbe sofort den Erklärungsbedarf – kann also den Pfadfindern ihre Nachtwanderung ganz schön versauen. Den Gruppenführern die Angst der Pimpfe nehmen. Statt Textgestrüpp: Gelöscht. Ein Gewinn? Es war schön, ein Pimpf gewesen zu sein, und Angst gehabt zu haben auch, soviel weiss ich noch! Jedes Archiv behauptet: Es gibt den Erklärungsbedarf sehr wohl, sofort und immerzu, gibt die verborgenen Brüche noch im poliertesten Kunstobjekt, noch im gelungensten Staatenvertrag, so wie es verborgene Heilszeichen im chaotischsten Ablauf gibt und gröbste materielle Gründe für die edelsten Motive, die natürlich auch. Und Selbstverliebtheit wird wohl zumindest in den Wohngegenden der Kreativen dafür sorgen, dass die Kladden der Künstler dann doch wieder auftauchen, sie sind immer noch aufgetaucht, jetzt im trash zu finden als Daten-Boden-Satz, auf alles mögliche hinweisend wie dies Archiv hier. Also schiebt die neue Technik die ganze Sache nur etwas im Raum herum, aber das Möbel selbst bleibt das gleiche, man kann es stehenlassen an seinem neuen Platz unterm Fenster als ein Schmuckstück oder es nutzen (wie seit je), die Schubladen aufziehen, die Blätter Chaos stiftend herumwirbeln lassen? Innehalten. Das Mehr an Bequemlichkeit wiegt sich aus mit dem Mehr an Masse. Zwei Meere. Wohin? Am anderen Ufer – von Windstößen produktiver Unordnung herangewirbelt – das, was wir unwirsch wegdiskutiert haben manchmal, verlegten, verlachten, weg duzten (gleich werte Mitglieder eines Reisetrupps angeblich, der jeden nach seiner Fasson und die Menschenrechte über die Welt kommen lässt) – auch wenn wir im Tanz den Kopf herumschleuderten und so taten dabei, als lebten wir nur in dem Moment, wo’s geschieht, nirgends sonst: Am anderen Ufer das andere Ufer. Sonst wollten wir da doch wohl gar nicht erst hin. Zu dem Kern, dem verborgenen. Zu der grausamen Wahrheit. Zu dem Eigentlichen (von dem mit so gutem relativen Recht gesagt wird, es gäbe es nicht, ‘eigentlich’). Das Gewicht der Welt: Absolutes. Aus dem Müll zur Erkenntnis. Die einen in der Hoffnung, dort ihr bruchlos poliertes ganz heiles Ur-Dings zu finden. Die andern mit der Expedition zu jenem Ur-Bruch, jenseits dessen sie wieder geheilt sein wollen. Nur wenige wohl gefasst darauf, nur von einer Stube zur nächsten gekommen zu sein, nicht weiter, aber doch rundherum, über wilde Meere, die rückblickend kleine Seen gewesen sind… Mit unsern komischen Mitteln – wie es vor Glück heulend einmal Emmylou Harris sang: “Searching for some truth – dancing with no shoes” – auf dieser komischen Suche: ‘Was muss ich wisssen, was darf ich hoffen, was soll ich tun?’ – oder gleich a la A.J.Weberman, der direkt aus dem Stinkekübel im Hausgarten fischte – und die größere Selbstverliebtheit schuf sich den ’Shelter from the Storm’:

Als ich mit Zwanzig meine Liedtexte zu sammeln anfing, gab es schon etwa 60, die ich nicht einheftete (gelogen: Ich heftete sie WOANDERS ein und hab diesen roten Hefter seitdem noch zwei – dreimal durchgesehen). Noch eins genauer: Ich habe alle Liedtexte, die immer in losen Heftern abgelegt wurden, erst mit 27 angefangen zu ordnen, zu nummerieren, manche sogar nochmal abzutippen und mich damals dazu entschlossen, dies ab dem Sommer 1970 so zu tun, also ab dem Urlaub nach dem Abi, und die Nummer eins sollte unbedingt sein: Die Kuh macht Muh, ein Stück, das in Bayern entstanden war auf dem Bauernhof meiner Jugendferien, von dem ich sofort wusste, als es fertig war (wie 1977, als die Ordnung entstand, so wie auch jetzt noch), dass Text und Musik gelungen sind. Junger Verwandter vom Uralten zerrissenen Hemd (mit bezeichnend weniger Worten). Warum 1977? Weil da eine Krise überwunden war, in deren Zuspitzung ich glaubte, weder als Deuter von etwas noch als einer mit Einfällen irgendwas leisten zu können, geschweige als Liebhaber, Alltagskumpel oder überhaupt als ein kalkulierbarer Zeitgenosse. Als Reisender noch am ehesten, In ein leichteres Leben. 1977, dank der Arbeit mit den Freunden von ‘Trotz & Träume’, war das vorbei: Ich hatte wieder Ideen, spürte mich in dem Maße – ich funktioniere so. Bin dann einspannbar bis zur Erschöpfung. Bekam sogar die besondere Freude zurück, die mich z.B. alte Sachen archivieren, mich in mich und damit in andere verlieben lässt, all das ZEUG, das voran will, drüber weg und weiter, bis -: Wiederholung, Abnutzung, Verschleiß, und ginge es etwas aufrichtiger zu, also jünger, weniger handwerklich, müsste einen solch eine Krise sofort wieder holen…
Es gibt also für die Zeit, die hier ‘uralt’ genannt wird, noch gut hundert andere Lieder, deren Musiken ich zum großen Teil nicht mehr weiß (ich schreibe sie nicht auf, und wenn Gedächtnisverlust einmal richtig zuschlagen wird, kann ich den Laden sowieso dichtmachen. Ich lauere auf den Tag, wo mir die Musik zu einem oft gespielten Stück auf offener Bühne einmal nicht mehr einfallen wird. Dann aber Hallo! Ich könnte natürlich mein altes Vier-Spur-Tonbandgerät reparieren lassen, am besten, solang noch jemand lebt, der es reparieren kann. Wahrscheinlich ist nur der Tonkopf verdreckt.) Von vielen Liedern der hundert zusätzlichen uralten mag ich (wie bei den hier gezeigten) die Worte, von den meisten sind sie mir trotzdem peinlich, und Rio Reiser mit TSS sind, wenn man ein Einzelkind, Erstsemester, unerfahren und auch noch ein klein wenig bildungsbürgerlich heimtückisch (weil unterlegen) gewesen ist, kein so eindrucksvoller Ratgeber gewesen. “Botschaften unter die Leute” war nie mein Ding. Ich war auch nie ein Diskotyp. Beides hätte ich mir so gewünscht!

Es steckt also eine bestimmte Rachsucht in vielen der Lieder damals, aber ich hab vielleicht deshalb ein paar Dinge auch deutlich gesehen. Schönheit, Macht und Erlösungssehnsucht (Ich sah dich auf dem Marktplatz mit Gitarre, der schöne Junge, der das Unrecht als gottgegeben feiert – widerwärtigste Form von Herrenmenschentum, ich spüre Hass darauf sofort wieder aufsteigen, nach 30 Jahren – muß aber jetzt denken: Mag er Recht haben!). Es steckt auch eine Lebensverehrung drin, die vielleicht meine Form von Glauben gewesen ist: Dass ich mit jedem Atemzug eine Essenz aufnehme, die gesättigt ist und mich jederzeit ändern, wegholen kann ganz woanders hin, wo es eben anders (=mindestens so toll wie jetzt hier) ist (Bob). Ein Geschenk, das ich immer noch annehmen kann. Daran zu glauben, ist anstrengend geworden. Aber Glauben bewährt sich erst dann, oder?

Chaos einzutauschen für ein paar ordentliche Einsichten in den Lauf der Dinge ist vielleicht lebensnötig, aber immer ein Verlust. Er schmerzt fast unmerklich, deshalb macht er krank. Viel Arbeit am Ausdruck hatte mit dem Versuch zu tun, mir diesen Schmerz lebendig zu halten. Ihn anderen vorzuführen (“Das wollen die nicht, und das Publikum hat immer recht”). Ihn aus anderen rauszuholen (“Das schon eher, kann man lachen dabei?”). Ihn aus mir zu bringen zum Spaß. Das hat mir öfter mal den Vorwurf eingebracht, das alles ja ‘nur zu meiner eigenen Therapie’ zu veranstalten, und abgesehen von der Unhöflichkeit, die dem Wort Therapie anhaftet, ist das auch nicht so falsch. Nur das ‘nur’ ist falsch, denn wenn ich es laut mit mir spiele, dann doch auch mit den andern? Und natürlich wechseln solche Verfassungen ab mit Phasen, in denen ich nicht groß nachgedacht habe (worüber auch) und einfach meine Arbeit getan (=Routine: früher fraglicher, jetzt oft die besseren Sachen (Sie ist berühmt, Gysi ist busy). In jenen 70gern galt lautes Nachdenken übrigens mehr als heutzutage. Und komisch sein war eher verpönt. Ich erinnere mich, wie ich nach einem langen Gespräch mit Hans Marquardt, der mir Jahre Berufserfahrung voraus hat (noch vor den ‘Gebrüdern Blattschuss’ übrigens) einen höhnischen Gesang auf den ‘Unterhaltungswert’ anstimmte. Eine Vokabel, die er gebraucht hatte und die mir widerwärtig gewesen war. So selbstgerecht dann doch. Trotzdem wurde die Zeit, die mit einer Annonce in einem kleinen Spontiblatt anfing (in dem ziemlich gleichzeitig auch die klammheimliche Freude über des Gen.st.anwalt Bubacks Tod geäußert worden ist), in der junge agitierende Spontimusiker einander zwecks Gründung einer Liedermacher-Band suchten, die erste außerhalb meines eigenbrodelnden Chaos – man könnte sagen (hätte ich damals natürlich nie): Ab jetzt war ich Profi. Bei der Polit-Folk-Band ‘Trotz & Träume’. Zum ersten Mal zielgerichtet gereimt, Schilder gemalt, an denen entlang definiert werden konnte (‘sich geöffnet’), die innere Hysterie in eine äußere überführt (Schweinebotschaft und Bundesrepublikanischer Albtraum), aufs Publikum geschaut (Lieber Hartmut), die Entkommensträume festgehalten (Abhaun ist leichter als Bleiben, Ausgeklinkt), zum Durchschauer (Die Spinne) geworden statt zum Durchtriebenen (Bis hier is nich soweit). Geld spielte nicht die Rolle, ich hatte immer ein bißchen was, und meine Freude war es, einem Typ vom WDR Dortmund, der uns Straßenmusik machen hörte, ins Mikro zu knurren, all die Medien-Scheiße ginge uns am Arsch vorbei und er solle sich verpissen. So hätte das auch gut weiter gehen können, viele Leute gingen dran vorbei und dann weiter, viele Kolegen gingen nie weiter, nur voran, bis heute ‘fortschrittlich’ (die zähe Wurzel der meisten Kabarettisten, die noch mit 15.000 netto im Monat ähnlichen Hochverdienern spaßig erklären, wie die bösen Mächtigen den Kleinen Mann abzocken. Wurzel in jener Zeit des ‘Fortschritts von der Straße’. ‘Damit hätten Sie rechnen können’. Selbst ein Es-allen-Rechtmacher wie nuhr.de wurzelt in diesem ‘Fortschritt’, ganz ausgedünnt, politisch so korrekt wie abgebrüht, daß man gut bis zum Erbrechen dazu sagen kann – martin-buchholz’sch wie Erbrecht geschrieben. Brecht-Erben sind noch was anderes).

Was kam bei mir dazwischen? Freundschaft. Glück, dass sich leider immer etwas sperrte. Dass mir die Straße wichtig war, nicht der Fortschritt darauf (Die Straße – ein Rückerinnerungslied von viel später). Wir hatten damals einen alten Opel-Kapitän gekauft, jeder 20 Mark eingesteckt, waren zu fünft losgefahren bis Duisburg, wo ein Termin abgemacht war im Eschhaus, dann probierten wirs mit Straßen- und Kneipenmusik und waren so immerhin, auf Spenden und gastliche Matratzen angewiesen, sechs Wochen unterwegs geblieben (Morgen isn neuer Tag). (Traf damals im Eschhaus den Liedermacher Frank Bayer, hab ihn seitdem kaum mehr gesehn, aber freu mich jedesmal, wenn ich ein Foto von ihm entdecke oder was lese über ihn – ’auch noch da’, denk ich). Dass ich es auch leicht nehmen konnte, denn mit meiner andern Hälfte fühlte ich mich ja ‘verwurzelt in der akademischen Welt’, ich kam mir so sicher darin vor, bis ich völlig den Anschluss verloren hatte. Es war wie eine Explosion, die ersten Stücke für Trotz &Träume. Tat gut. Tat gut, dran herumzubohren, bis wir anders wurden als Nachahmer der ‘Drei Tornados’ (die wir eh nie eingeholt hätten, oder von ‘Teller Bunte Knete’, Bandnamen waren das damals…). Wir verdarben auch mal die Laune, das fand ich Klasse. Auch historisch notwendig. Denn: Die Revolution im Reich der Töne und Worte angesichts explodierender Produktivkräfte einfach ignorieren?, unmöglich, jedenfalls: Ohne mich. Ja, ich muss anstrengend gewesen sein. Hatte schon mit 15 die erste Degenhardt-LP gemocht und Gustav Mahlers ’Lied von der Erde.’ Und immer gedacht: Das machst du beides mal besser.

Als Kind (“In diesem Leben?” – “Versprochen.”) war ich zwar viel allein, aber immer sofort bereit, mir für die Erwachsenen einen Schabernak, eine Vorführung schnell mal auszudenken, wobei ich ja wußte, daß sie es sowieso nett finden würden, schon deshalb, weil es so hübsch war, wie der Kleine sich kreativ abrackerte. Das änderte sich mit meinen ersten richtig pubertären Gedichten, denn diese Mischung aus Sexsehnsucht, Klemmigkeit und Pathos war einfach nicht mehr nett. Ich auch nicht. Obwohl es mir schwer fiel, mich für die sorgfältig überlegten Elaborate zu schämen. Man musste sich schon häufig ganz angewidert räuspern, auf Sitzgelegenheiten hinundher rutschen, auch mal das Zimmer verlassen, bis ich Rampensau begriff, daß da was schieflief. Der Schock saß dann aber. Ab jetzt war ich schüchtern. Ich konnte auch nicht mehr albern sein. Brauchte die Dunkelheit meines Zimmers, Nacht und die eigene Stimme. Ich nahm sie auf. Dann spielte ich dazu. Mein Klavierlehrer ermutigte mich, obwohl er an Auftritte gar nicht dachte, eher an eine Ablenkungstherapie und einen Komponisten, der vielleicht irgendwann ernsthaft würde zu arbeiten beginnen, wenn er dies unausgegorene Pubertätszeugs hinter sich gebracht hätte. Diese ewig drei bedeutungsschweren wiederholten Akkorde, dies Cohen, Dylan, Rolf Dieter Brinkmann…

Mein Klavierlehrer Ludwig Schütze sagte mir auch, daß wir Menschen uns mit dem Großen Nichts jenseits abfinden müssten. Er war so heiter dabei. Und was er mir zu der Musik beibrachte, die ich mein Leben lang nicht selbst gemacht habe (geschriebene Musik): Dass sie ein tönendes Spiel der Ideen ist, das schweigend konstruiert werde, aber erst erklungen stimme, ablaufende Aktion, immer vorläufige Synthese, ewiges Verweisen (Die Wahrheit geschieht) – dem bin ich nur manchmal, als Hörer, gewachsen. Mein Germanistikprofessor Wilhelm Emrich hat später Ähnliches von der Kraft der geschriebenen Kunst behauptet, zwischen den Zigarettenpausen seiner Vorlesungen. Die paar zeitgenössischen Komponisten und Schriftsteller, die ich beobachten durfte, konnten mir nicht vorleben, daß sie solchem Ausdeuten wenigstens ansatzweise gerecht würden. Vielleicht sind diese Aktien ja überzeichnet. In jener Richtung eine Menge Spieltrieb hochgesteigert, während auf der anderen Seite die angebliche Einfachheit allzu schwer ist. Was würde Frank Hutchinson dazu sagen? Oder Roberto Blanco? (Ich hab nie begriffen, warum Goetheinstitute und Spiegelkulturredaktionen zwei Jahrzehnte lang alle Fürze von Blixa Bargeld zum ‘Werk’ stilisiert haben, aber Hannes Wader für eine veraltete Gestalt hielten. Warum Tom Waits ein Kunst-Künstler (geworden) ist, Lucio Dalla aber ein Lieder-Sänger blieb? Und Lou Reed, der sich so schrecklich darum bemüht, auch ‘Kunst-Künstler’ sein zu dürfen (fast wie Biermann)? Und dann Niedecken, mit Wim Wenders (dem Filmkunst-Filmmacher) drum herum? So Fragen. Da bin ich froh, von dem Höckerchen fix wieder weggeschoben worden zu sein, auf dem ich ein winziges Weilchen ausharrte: ‘Künstler-Künstler-Höckerchen’!)

Ich war damals – viel früher, ich springe grad wieder zurück -, eingeschüchtert aber gut gelaunt, zunächst überhaupt nicht mehr scharf aufs Auftreten. Schrieb und schrieb, sang und sang auch mit stets verfeinerten Eigenbau-Mikrofontechniken aus mir heraus, manchmal pingpongte es so heftig zwischen den Zimmerwänden, daß die Klopfgeräusche der entsetzten Nachbarn auf den alten Tonbändern mit erhalten sind (Die Liebe ist so schwer). Ich durfte in einem Club namens ‘Waldborke’ draußen im Grunewald die Gäste unterhalten, lud mir 50 Freunde ein für das erste Mal, ihr sehr übertriebener Beifall war dann das Kapital, das mir die Gage auf 50 DM pro weiterem Abend erhöhte, aber nach noch dreimal Spiel ohne Freunde = ohne Resonanz gabs den Rausschmiss. Natürlich war ich erschrocken, als dieser gleichgültige Unwille auf mich zuprallte, wo letzte Woche noch gelacht und mitgelitten worden war – aber es führte überhaupt nicht dazu, meine Sachen – mit einem auch damals beliebten Wort – infragezustellen. Ich trat nicht mehr auf. Das war alles.

Das war 72, und 73 wiederholte es sich im ‘Folk Pub’, Charlottenburg, ein arrivierter Laden, wo sie immer sagten: Gut gut, aber viel zu lang dein Zeug, und irgendwann, weil es prima ankam, dimmte der Tonmann zur besseren Wirkung bei meinem Set das Licht, ich konnte nichts auswendig (bis heute nicht, deshalb kann ich den Gedächtnisverlust auf der Wort-Seite auch nicht testen), war aber zu feige, es zuzugeben – ich stolperte weiter, versank und verschwand. Blieb aus diesem Club weg bis Mitte 82, wo es dort eine hochdotierte Liedermachersoiree gab mit Hans Hartz und Heinz-Rudolf-Kunze, bei der ich – zu eher ratlosem Beifall mal wieder – meine Debut-LP vorstellen durfte. Lernte Kathrin Brigl und Siegfried Schmift-Joos kennen an jenem Abend. Und den unnachahmlichen Barry Graves (mit seinem seltsamen Freund Waldemar Overkämping – oh Namen!). Blieb von jeder Bühne weg bis zur Trotz&Träume-Premiere am 28. Januar 1977 im ‘Rumpelstilzchen’, Berlin-Moabit. Das war ein ganz anderer Abend.

Ich habe mir immer gewünscht, von diesem Konzert mal eine Life-CD zu machen, historisches Dokument. Wir hatten uns so gut vorbereitet, ein Thema gabs auch, nämlich ‘Kleiner Mann, was nun? Wenn Männer aus den Rollen fallen (wollen)…’ Yeah! Es gab Solos, Duos, Chorlieder, fünf junge Herren stellten dar und infrage, sich und den Rest, und nach jedem Lied war das Publikum dran. Es wurde schwer diskutiert, freundlich, hart in der Sache, immer wieder hinter Kulissen geschaut (unsre psychischen, nicht die bühnenhandwerklichen, die interessierten kaum), zugespitzt… Das Ganze dauerte 6 Stunden, und wir spielten, glaube ich, in der Zeit 15 Nummern. Ich war so betrunken (auch vor Glück), daß ich täuschende Erinnerungen daran haben muss, sagte aber unter Zeugen: “Wenn es nur das war, dann hat es sich schon gelohnt!”

War drei Jahre später (meine Doktorarbeit lag dazwischen und der Winter auf Kreta) so routiniert mit meinen beiden Partnern (Henner Reitmeier und Burkhard Schulze-Darup, wir drei bildeten die End-Fomation von T&T, nachdem der Durchlauferhitzer eine Zeitlang sogar Michael Stein umgespült hatte, aber da fälschte ich grad Fußnoten), dass ich mich beim Hören der Abschiedskassette schäme. Nein, es gefällt mir auch, ich klinge grausam routiniert, charmant und fies. Gestresste Freaks, Faule Zähne. Wusste: Gleich anschließend mach ich allein weiter – wusste noch nicht, daß ich zwei Monate später Herwig Mitteregger, dem Spliffer, begegnen würde. Ihn fing Beutevogel, und als wir eine Nacht durchgetrunken hatten (Juli 81, Pizzeria in Neukölln, der durchgebrannte Hubert Skolud war auch dabei gewesen und ein sozialdemokratischer Schwatz-mich-voll-Lehrer, den ich nur wegen der beiden andern nie vergessen habe), war klar, dass mein Leben sich ändern würde. War mir nur nicht sicher, ob zum Guten. Am nächsten Tag mit den Eltern ein Ausflug in den Spreewald, unwillkürlich dachte ich, als ein Mitreisender die ganze Gruppe im offenen Kahn knippste: Vielleicht hast du jetzt einen Star auf dem Bild. Ein viertel Jahr später war abgekartet, dass ich eine Stelle als wissenschaftlicher Bibliothekar kriegen sollte – mein Vater war in dem Betrieb bekannt, sie hatten es mir, bei vier Bewerbern nicht so ganz korrupt, sogar signalisiert – und exakt am Abend vor dem Einstellungsgespräch rief mich Herwig an, unsre Probeaufnahmen hätten bei der CBS zum Vertragsangebot geführt, Glückwunsch, jetzt müsse ich dann aber auch voll zur Verfügung stehen. Dass ich mich für ein Leben entschied, als ich in der Stabi am nächsten Tag ’Danke nein’ sagte, wusste ich gottseidank nicht.

In den Monaten vor und nach meiner ersten ’amtlichen’ Platte konnte ich nichts schreiben. Natürlich versuchte ichs trotzdem. Ulli Dornieden, mein Freund, der mich damals vielleicht am besten kannte und in den Siebzigern manchmal gedacht hat, jetzt könnte es ja vielleicht losgehen mit einer Art von Bekanntwerden bei mir, meinte damals, wie gut es sei, dass ich einigen Vorrat hätte, aber auch tragisch, dass die öffentliche Aufmerksamkeit mit meiner endgültigen Ausgebranntheit zusammen fiele. Mein Vorrat war vor allem der Winter auf Kreta, wo ich mir vorgenommen hatte, mit jedem Lied mich selbst zu überraschen. Die Stücke von dort, alle über vier Monate weg getextet und beharrlich überarbeitet, aber nach der Heimkehr in zwei Tagen vertont, strahlen aus von der Trotz&Träume-LP (Das Messer, Psycho-Western), über das CBS-Debut (Sie läuft dir nach, Wenn wir über Dämme klettern, meine Hommage an Klaus Theweleit, dessen ‘Männerphantasien’ ich verschlang), die nächste LP (Die linke Hand) bis hin zum idyllischen Teil von Schneller leben (Manchmal), wo ich eine neue Verliebtheit in diesem Bekenntnis zu einer älteren Liebe durch ein paar veränderte Worte präsentiert und doch noch versteckt gehalten hab. Der teuerste Drink ist beim Warten auf eine Fähre in Piräus passiert, von Strophe zu Strophe, mein erster gesungener Charakter-Krimi ohne eine Idee davon vorher, und die Musik kam wie selbstverständlich an dem verstimmten Klavier in der Nostitzstraße, das ich damals hatte – irgendwann werd ich das Stück aufnehmen.

Nie mehr erfinden, ausgebrannt? Kurz sah es so aus, aber dann erschien ’Shot of Love’, ich hörte ’Every Grain of Sand’, dachte ergriffen: Das kann ich aber auch, und hatte zwei Stunden später Es tut mir gut fertig (H.R. Kunze wollte zweimal wissen, was die Zeilen mit dem fremden Leib in der Mitte bedeuten, ich musste zweimal passen). Friedensfestivals? Ein Moment zum Überlegen, fertig. Mein Debutkonzert als SoloCBSartist im Quartier Latin unter Werbewogen von Jim Rakete? Ich kanns verstehn und als Intro dies Spring…, das ich schon damals ein bißchen verräterisch fand – fertig in letzter Minute. Aber eben auch: Noch’n bißchen mehr Tiefsinn ins Programm? Kein Problem: Fuß in der Tür, fertig – und einmal, nie wieder gespielt.

Es stellte sich schnell heraus, dass es nicht sooo viele Leute waren, die mit dem Zeug was anfangen konnten. Jenseits von Medien und Werbung unterm Strich. Wo ich es am wenigsten erwartet hatte, kam noch am meisten rüber – bei Bingerbrück, mit dem der WDR 2 mir eine Weile große Freude machte. Für die Frau, der er galt, war er einer von so einigen Songs gewesen, jenes Manchmal, oder das Regenlied, Kleine Kette und Ohne dich – man kann nicht sagen, sie hätte zu wenig abgekriegt, jedenfalls, was die Musik anging, mit der wir beide lebten. Meg. Die Frau, die zu mittelalterlicher Volksmusik tanzte, was ja Ende der Siebziger Mode gewesen war. Die das Spur-nach-Spur-aufnehmen im Spliff-Studio pervers fand, aber die leidenschaftliche Leichtigkeit, mit der Herwig trommelte, toll. Ich kann mich an Diskussionen über jedes Stück auf Feueralarm und Viel zu schön erinnern, mit Ulli, mit dem ich noch wohnte (In Frankfurt vor der Bank von Tokyo), mit Meg und mit Herwig. Drei Welten, die sich eigentlich ausschlossen. Ich schloss die Augen. Hafencafe entstand in einem Kurzurlaub auf Kreta und war eine Art von Seitensprung schon gewesen, das zweite Lied, das viele gleich mochten, z.B. Ulla Meinecke, die mir mal sagte: “Und wenn es nur dafür war…” – aber den Satz kannte ich schon.

Schneller leben ist die erste Liedersammlung von mir, die ganz in der Jetztzeit von damals spielt. Alles zielgerecht hingemacht für die Aufnahmen, wie sie erwartet wurden. Die Weiße Glut später ist ganz ähnlich entstanden, nur dass da alles vom Mittwochsfazit her schon probiert war (sonst erwartete niemand was), nur das Ende Was kommt und das kleine Stück Das sind in einer verlängerten Nacht für das bereits aufgenommene Ganze zusammengesetzt worden. Aus ein paar Melodieteilen und Gedichtfetzen, die es von hinterher nur darauf angelegt haben, einmal so genommen und mit den andern Bruchstücken vereint zu werden (Teile und Fetzen übrigens aus Nächten am Mittelmeer. Meine Wahlheimat.) Manchmal schreit das Material. Es liegt so bereitwillig da. Ich frage mich aber, was es tut, wenn man da nicht hinhört – die Vorstellung, dass jederzeit solche möglichen neuen Verbindungen sich anbieten würden, vielleicht sogar auf einen hin eingerichtet worden sind, macht mich fertig. Es würde jene dauernde kribblig-begeisterte Anspannung verlangen, die ganz leicht in Erschöpfung umkippt, in der ich mich befinden müsste, wenn ich das immer wahrnehmen wollte und ausarbeiten. Denn das Niederschmetternde: Wenn es so schnell einmal nicht geht, geht es gar nicht. Dann wartet auch nichts! (Randy Newman auf die Frage, warum er so wenig schaffe: Es sei die Tortur des Tätigseins, die er fürchte. Eine gute Idee, eine kurze Freude darüber, dann aber gleich der Schreck – wieviel Arbeit das wieder erfordert. Dieser Schreck sei so stark, dass er die Idee dann sofort freiwillig wieder verlasse. So flieht ein Liebender das Objekt der Begierde. Von dem gelassenen Täglich-Vier-Stunden-Arbeitsrhythmus eines Reinhard Mey oder Thomas Mann träumt so jemand – ich auch). Ein Gefühl für Verliebtheit verbindet Weiße Glut und Schneller leben, auch dass sie mit einer festen Band eingespielt worden sind – die Weiße Glut primitiver, spielfreudiger, also besser. Auch die Art der Satiren – Blasmusik und Dickes Ding sind ein Geist, nur 13 Jahre dazwischen. Bei der früheren Platte fehlte aber ein Partner, Toningenieur Hubert Henle oder die hochdotierten Bandmusiker konnten mir Herwig Mitteregger nicht ersetzen. Ich bin zwar Eigenbrödler, aber einen Partner brauche ich immer. War auch nie schwer, ihn zu finden. In der zweiten 80ger-Hälfte und weit drüber raus wurde es Richard Wester für mich, und natürlich hat sich unser gemeinsames Bühnenspiel auch auf das Texten ausgewirkt (Komm spiel mit mir, Heimat). Während die Produzenten Udo Arndt und Ulla M. mir anderthalb Jahre lang ein tiefes, ruhiges Erzähl-Singen beibringen wollten (irgendwie das Pendant zum geregelten Vormittags-Erfinden am Schreibtisch, also nüscht für mich, Was für ein Tag), brachten Richard und ich die gleichen Stücke ziemlich wild oder versenkt auf die Bühnen und waren sowas wie die erste Rückzugsformation aus dem Deutsch-Rock, d.h. damals weit voraus. In Richtung sich rechnender Konzerte zumindest. Über Unsichtbare Wand, Augen, Engel, Schau in die Nacht raus (das ‘Hochzeitslied’) und Durch die Wand (immerhin noch im August 02 als persönliche Empfehlung eines Juroren der Liederbestenliste veredelt) ist die Verbindung mit Kristjane dokumentiert, und manchmal fände ich es schön, dies wären nicht Splitter aus verschiedensten Produktionen, sondern ein chronologisches Ganzes geworden, Anfang einer Liebe (der echte Anfang festgehalten im kalten Januar 87 in jenem Text zu Richards Instrumental Lady of the Lake. Thommie Bayer, der uns damals begleitete, konnte seine Herablassung gegenüber dieser Eins-zu-eins-Impression nur schlecht verbergen. Ins Zentrum der späteren Verbindung – Therapeuten sagen wohl ‘Reife’ dazu – gehört das kleine Schrumpfköpfe, eins der mir nächsten Stücke.). Abschied passierte gleichzeitig, Brennende Boote, Das Dunkel von mir, Da die da du-Horror. Umbruchszeit, dann auch noch Offene Grenze, und schließlich Du bist da.

Es kam eine Routine ins Erfinden, eine Art Gesellenruhe (also jene 90% Handwerk, die es unbedingt braucht, um die Inspiration als Beruf zu erhalten). Auftragsarbeiten für die Jugendfernsehsendung Moskito, Richard Wester Musik, ich die Texte, je nach Thema witzig, sentimental – vielleicht meine gelungensten Sachen (meinte Kristjane mal), Spiele wie Sammlerglück, Genrebilder wie Onkel Hein, Balladen wie Schirin (was Udo Lindenberg z.B. als zu traurig ablehnte, er hatte was über Ausländer und-so-irgendwie-verstehste-ist-doch-grad-aktuell-glaub-ich gewollt von mir, nichts so lang Erzähltes). Es steht immer noch aus, das wilde Ria und der Talismann einmal unpädagogisch (die Moskito-Redaktion bestand auf vernünftig-belehrenden Schlüssen) zuende zu bringen, ins Dunkle. Dein Typ ist dran ist mein Lieblingsstück dieser Serie, einmal hab ichs selbst live gemacht – wie das Blut, den Drogensong, den sie ablehnten. Oder Texte für Veronika Fischer: Das schnellstens hingeworfene Mit dir ist alles da brachte es bis auf die Ausflugsdampfer, in Manchmal fällt man tief war ein bißchen die eigene Kindheit. Das beides, dazu junge Ehe und Baby, verlorener Plattenvertrag, aber Zugang zu gutbezahlten WDR-Sendungen als Moderator und die Auftritte mit Richard (Kleinkunspreis 91), ließen mich, was die Lieder anging, ein wenig fauler, überlegter, meistersingerhafter werden. Wenn ich mich einschloss für’n paar Tage, kamen auch schräge Stücke raus, Der Zug oder Was wird aus der Wohnung und Peter und Guy. Ich traf den Produzenten Detlef Petersen (mein nächster Partner), und wir nahmen Dinge für eine CD auf, die eigentlich schnell hätten erscheinen sollen (Der Dicke hat Geburtstag z.B., ein Deutschlandhymnus, der 1990 spielt). Aber Detlef wollte den Hit. Der nicht kam. Bot mir Melodien an. Ich textete. Wieder nichts. Noch’ne Melodie. Wir trafen uns im Gras hinter dem umgebauten Schweinestall und nahmen und nahmen auf. Noch’n bißchen mehr Chor. Radierten. Schimpften auf die Branche. Rotwein und etwas mehr Höhen in den Gesamtklang, was meinst du? David Kemper, Detlefs Freund und Bob Dylans späterer Drummer, kam vorbei, surrte Meine Fee ist da und Günther (nur darum) fest. Haut ab! wurde erst richtig gut. Dann süßlicher. Ich saß – erschreckt fiel es mir auf, während Jahre vergingen – im stillen Auge eines Popmusik-Taifuns und hatte dort bald nichts mehr zu suchen. Außer, diese CD loszueisen, wie es dann endlich auch geschah, Ende 95 unter finanziell bescheidenen (realistischen) Bedingungen – Diether Dehm half die Platte unterzubringen; für ihn steht, glaub ich, Magdeburg 92 ganz im Zentrum meiner Arbeit. Eine Freundschaft, die allmählich zum Tragen kam.

Zwischen 90 und 92 war so viel entstanden, dass ich es mir erlaubt habe, in der Phantasie ein ’verlorenes Album’ zusammenzustellen, hier nur Textsammlung, eine Kollektion, die ganz persönlich beginnen könnte (mit der Wirkung eines großen Unglücks) und über politische Betrachtungen ins siffig Allgemeine und von dort ins klug durchschaute private Glück zurück driften würde. Mit’n bisschen Händchen wär das wohl eine hübsche Platte geworden (und hätte, 1991 erschienen, mit dem Dicken zusätzlich vielleicht noch ihren Radiomotor gehabt).

Tod war jetzt ein Thema (Da wo du hin bist), Zurückgezogenheit hätte eins sein können (Wo Adler schrein). Zwei Mit-Texter hielten mich frisch (denn ich neigte dazu, in Familien-Freundlichkeit und uckermärkischen Landfrieden einzutauchen – außerdem mussten Nachlässe geordnet, Wohnungen renoviert werden): Achim Ballert und Gerulf Pannach. Sehr anders beide. Mit Gerulf legten wir die Biere, die wir nach Stophe und Refrain trinken würden, schon jedesmal in Sichtweite, das erhöhte das Arbeitstempo. Liebe und Leid. Jahre später der Abschied mit Da ist noch ein Traum, das ich hier nicht aufgenommen habe, weil die Hauptsachen an diesem Fortgeh-Hymnus von ihm, dem Fortgeher, gewesen sind. Mein Lied vom Weggehen, das ältere Gegenstück, eine Voraussage, lang vorher schon laut geschrien und dann immer leiser (dass übrigens Ulla dies neuerdings singt: Danke!). Achim anders schon wegen der Überlegungen vor und nach unsern Zeilen – mit Gerulf kam oder ging es, aber eben vorbei -: Der Dreh ist, nach ein paar eher kabarettistischen Nutzstückchen auf fremde Melodien (Kleiner Fidschi, Socke in Rot) wohl unser Prüfstein gewesen – so lange, nämlich unterbrochen zwei Monate, hatte ich noch nie an was Gesungenem gearbeitet. Die Melodie kam dafür in fünf Minuten – so wie später die zu Die Liebe kommt, wo die Refrains von Achim sind – (die Musik dann, wie das Gerüst der Strophen, meins, in dem Fall besonders). Der höchst skeptische, gern gründlich ernüchterte A.B., ganz schnell irgendwelche Kollegen von der Mattscheibe weg parodierend, voll Überdruss, bei seinem heimlichen Lieblingsthema: Verschenkte Leidenschaft. Nacht der Welt. Unser Gemeinschaftswerk zieht sich über die Kakerlaken – CD (Anerkennung vor allem, das in so vielen Fassungen auftaucht wie es sie eben gibt – dort als Techno, was mir bis heute nicht leid tut) bis jetzt, zu einem Nekrolog auf einen Lebensbegleiter, die Kleine Dose. Meine unproduzierten, zusammengesammelten LieblingsSpiele sind von Achim mitgeprägt. Ich wollte außerdem auf dieser Sammlung einiges unterbringen, was ich selbst Jahre vorher am Musikcomputer ausgetüfftelt hatte (Warum kommt ihr erst jetzt, Jüngstes Gericht), wollte das Mittwochsfazit vorstellen (Ein Glas für Harry) und PULS (Noch ne Nacht). Eine Sommer-Tagebuch-CD ist das geworden, phasenweise Lieblingsplatte, und ein bißchen ist darauf das Glück über eine neue Zuhörer-Heimat mitzuspüren, die ich gefunden hatte (Wessi live im alten Schlot am 26.3.97) – Wärme, die mich dahin begleitet hat. Aber mein bestes Stück ist das damals schon alte Heut bin ich da, einst für V.Fischer getextet, die gar nichts damit anfangen konnte. Ich erklär mir selbst was darin – was auch immer – auf eine verkürzende Art, die manchmal ein Fluch ist, aber es offen hält und mich anschließend leichter weiterleben lässt (und langsamer auch). Ganz sicher ein Lied, in dem ich Dinger so ‘sehe’, wie sie da gar nicht drin stehen (das Mädchen im Faltenrock) – und? – wo das makellos Polierte und das Zerbrochene ganz kurz einmal eins sind.

Es war Druck zu schreiben aufgekommen im Jahr 97, das Mittwochsfazit wechselte monatlich seinen Titel, ich musste oft mal zwei Lieder an einem Tag schreiben, immer Dienstags vor dem 1.Mittwoch des neuen Monats. War den Druck gewohnt. Denn in Köln, bei der Unterhaltung am Wochenende samstagnachmittags beim WDR, die ich Jahre vorher regelmäßig moderiert hatte, war es eine meiner Routinen gewesen, morgens im Bahnhofsrestaurant noch einen Sketch für das Intro zu schreiben und nachher möglichst ein neues Lied ungeprobt aufzuführen. Das Furchtbare an solchen Routinen (wenn einmal gut gegangen): Ich werde todunglücklich, wenn ich sie nur einmal meiner Faulheitt opfern will. Herzrasen, Hektik, absichtliches Zuspätkommen, Gedankenflucht bis in die letzte Sekunde: Alles Vorspiel vor dem hingeschmierten Gedankenblitz, der sich irgendwie immer noch eingestellt hat. (Wie ich auch immer gerade noch pünktlich war – auch in Gütersloh bei einem Gemeinschaftsauftritt mit dem Freund Wendelin Haverkamp, der völlig bleich wurde, als er hörte, ich würde bis 18 Uhr in Köln moderieren. Ob ich wüsste, wo Gütersloh läge? Jedenfalls würde er keine Minute warten. Das Taxi fuhr durch Regen, durch Nacht, an Orten wie Dortmund und Reda-Wiedenbrück vorbei – ich hatte mir Gütersoh tatsächlich ganz woanders, bei Düsseldorf nämlich, vorgestellt -, aber um neunzehn Uhr siebenundfünfzig betrat ich die Garderobe, die Taxifahrerin hatte es vorher noch für unmöglich erklärt, mein Herz raste, aber da war ich, ging an meinen Platz…)

Manchmal war ich dankbar, den Zettel mit dem spontanen Einfall um 18 Uhr für immer wegwerfen zu dürfen – wie später, dieses bestimmte Lied beim Fazit nie wieder singen, geschweige jemals noch proben zu müssen. Es war aber auch ein Gefühl aufgekommen für Dinge, die zu dritt in einem Club mit jungem Publikum funktionierten. Noch zwei Jahre vorher war ich da ganz unschlüssig gewesen: Hier im mittleren Westen z.B. ist eins meiner Lieblingsstücke, aber gespielt hab ich dies Lied nur einmal, im Radio – wusste nicht, wie es ankommen würde, wollte es nicht aussetzen).

Jetzt, wo sich ein sanftes Auslaufen der Form unsres Mittwochsfazits andeutet für die mittlere Zukunft, beginn ich, ihm noch mal zärtlich anzuhängen. Eine Zeitlang, im neuen Schlot mit dem ’Mitte-Publikum’, das sich so laut amüsiert und selbst feiert in seinem Lachen (wie unsre frühere Stammbesucherin Kathrin mir mal sagte), hab ichs abgelehnt und gedacht, nur Horst Evers hätte von uns dreien da noch eine Chance. Auf Dauer wird das vielleicht stimmen. Aber was wir zu dritt seit 96 abgezogen haben, war ein ziemlich buntes Ding. Buch für sich, und noch nicht: gewesen. Allein die Stücke für uns drei (inklusive denen von Horst und Bov natürlich) könnten drei CDs füllen. Fast alle Titel von Weiße Glut und Gegengift sind fürs Fazit geschrieben und dort ausprobiert. Ohne den Druck, zum nächsten Thema was beizutragen, hätt ich z.B. Kleine Forscher nie gemacht– ich weiß es genau! Übrigens: die Weiße Glut wäre auch nicht entstanden ohne PULS, also Andreas Albrecht. Ohne die vorbereitenden, schlecht besuchten, mich Meilen lostreibenden Konzerte im Tränenpalast, Herbst 98. Viel zu schön bekam da die (poststrophische Austob-) Form, die es auch für die Aufnahmen mit Richard Wester behalten hat (und immer unsre letzte Zugabe hergibt, jedesmal anders= neu). Während dann Gegengift mit Andreas wie im Vorbeigehn fertig wurde. Und Ende der Nacht pärchenweise. So albern und gründlich war keiner von meinen Partnern. Gegengift und Ende der Nacht sind schon nicht mehr im Schlot zuhause. Diese Stücke kämpften sich dem Publikum da schon ab. Sie passten noch in die Programme, aber auch die machten einen viel weiteren Spagat als fünf Jahre vorher. Und so windet der Weg sich, Splitter von Bildern, Rhythmen gleiten darüber weg.

(MM, Mai 2000 – Herbst 02 – Sept. 04, wird vielleicht fortgesetzt))