Reiter zieh vorbei

REITER ZIEH VORBEI

DER ‘BELFAST COWBOY’ VAN MORRISON

 

Mr. Thomas

Irland um 1900, 1950 oder gerade jetzt – ein Pub, trinkende Männer, an der Bar eine dickbusig ältere Dame, und jemand singt aus dem Hintergrund. Irgendwelche Käuze geraten in Streit, man lacht an den Nebentischen und feuert sie an, und der eine sagt zum anderen: “Oh, Mr. Thomas, warum fühlen wir eigentlich nicht, was wir fühlen?”

Mystic Eyes

Van Morrison in einem seiner Elemente. Er kommt aus Belfast, und die unbekümmert vorpreschenden Züge eines Mannes mit Wurzeln, eines Volkssängers aus einem Land, wo noch jedermann singt, sind aus seinen Stücken nicht wegzudenken – Spuren aus einer ländlichen Zeit, ohne Kabel und weltweiten Gleichklang.
‘Belfast Cowboy’ haben ihn seine Kollegen in den Siebzigern genannt.
Ein zweites seiner Elemente ist die Extase. Van Morrison wird als extrem schüchtern geschildert, und wurde trotzdem ein Rocker und Bühnenmensch. Zwischen routinierten Mitmusikern hat er immer wie ein Fremdkörper gewirkt, und seine Körperhaltung drückt schmerzhaft aus, daß da ein Druck ist, von dem er nicht sprechen kann, etwas, das ihn belastet. “Minderwertigkeitskomplex oder Verfolgungswahn, nichts sehr Angenehmes jedenfalls”, so hat es ein Freund von ihm einmal indiskret beschrieben.
Das löst sich erst durch das Singen. Morrison wirft sich in Textzeilen, wiederholt sie, als wären sie Zauberformeln, als könne er einiges umkrempeln damit. Und manchmal gelingt der Zauber – er schaffte das schon mit siebzehn, als er mit seiner Kultgruppe ‘Them’ das Hotel Maritime in Belfast unsicher machte in langen, wild tobenden Sessions und Worte skandierte, die nichts und alles bedeuteten –

“Eines Sonntagmorgens
ging ich spazieren am Friedhof
und schaute
in diese mystischen Augen.”

Van Morrison hat Musik mit der ersten Milch in sich aufgesogen. Er wurde 45 geboren, im gleichen Jahr wie Pete Townshend, Rod Stewart und Eric Clapton. Sein Vater ein Ingenieur und fanatischer Bluesplattensammler, der sein Leben lang davon träumte, nach USA auszuwandern, die Mutter eine gescheiterte Jazzsängerin, soll der kleine George Ivan angeblich schon mit zwei, während die Eltern ins Kino gingen, am Draht der ‘Stimme Amerikas’ gehangen und sich weggeträumt haben.

Er hörte Hank Williams, Ray Charles, Lettbelly und tausend andere und spielte mit zwölf in seiner ersten Band – er hat nichts sonst gelernt. Schlug sich eine Zeitlang als Fensterputzer durch… Angeblich mit dreizehn gab ihm der legendäre John Lee Hooker, mit dem er bis heute gern musiziert, den Rat, nicht nur ihm, dem erfahrenen Schwarzen nachzueifern, sondern auch seinen eigenen jungen Impulsen und der Musik seiner Heimat Irland. “Wir träumten damals alle von Amerika”, hat Morrison später erzählt, “aber wir kannten ja nichts als dieses Belfast.”

Eine Gier nach Veränderung ist das dritte Element in Van Morrisons Musik. Seine Lieder beschwören oft einen neuen Anfang jenseits der Halbherzigkeit und sehnen sich nach einem Wunder. Er liebt es, Grenzen zu überschreiten, mischt Jazz mit Folk, rhythm & blues mit hymnischem Wohlklang, Poprefrains mit philosophischen Floskeln. Mit den schmusigen Lovesongs seiner Altersgenossen, dem Beat, hat er schon als Jugendlicher wenig angefangen, und er flog manchmal aus den Bands, weil er zu exzessiv war mit seinem Gesang, zu brüsk.
“Ich versuche einfach nur, ganz real zu sein”, hat er dazu bemerkt, und an anderer Stelle: “Ich kann mich nicht um neun ans Piano setzen und einen Song aus dem Armel schütteln.” Trotzdem ist er ein hochqualifizierter Handwerker, spielt Gitarre, Klavier, Saxophon, beherrscht die Aufnahmetechnik und hat mit der Zeit auch die geschäftlichen Aspekte seiner Arbeit in die eigenen Hände genommen.
Überhaupt Arbeit: “Wir machen hier unseren Job, und ihr dürft uns zuschaun dabei”, so hat er das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum einmal definiert.
“Wo geht mein Weg lang? Ich putze Fenster…”

Cleaning Windows

Die brüske Betonung des Handwerklichen schützt diesen Sänger, denn wenn er frei wird, in Trance gerät, dann tritt seine Stimme eine Lawine von Gefühlen los – und wenn es gut geht, gerät sie ins Stammeln und landet irgendwo kurz vor dem Schweigen – in einer Gegend, von der Morrison selbst gesagt hat: “Ich weiß nicht, ob ich wissen muß, was dort passiert.” Und an anderer Stelle: “Ich brauche einen Ansporn aus dem Unterbewußtsein. Manche Lieder dauern sechs, sieben Minuten, und für diese Zeit versuche ich, völlig da zu sein.”

Seine interessantesten Stücke dauern allerdings noch um einiges länger und wenden sich an Eingeweihte – oder, wie Morrison jetzt mit der Aussicht, sich vielleicht aus dem Popgeschäft ganz zurückzuziehen, zugegeben hat, “nur an mich selber”.
Das Singen mit all seinen Konsequenzen ist ihm letztlich wichtiger gewesen sein als die Erfolge auf Bühnen, und deshalb gibt es auch herzzerreissende Geschichten von ehemaligen Betreuern des Künstlers, die gerne aufrechnen, wie und warum sich Morrison, den man anfangs mit Jagger verglich, den ganz großen Erfolg versaut hat.

Trotzdem: er kommt immer wieder – legt eine Platte vor, geht auf Tournee und verschwindet; singt von der Bergeinsamkeit, von Männern in Rüstungen, erzählt ein paar Geschichten von Mystik und ewigen Werten, verspricht uns den Gral – und behauptet dann, das sei weiter alles ohne Belang.
“Haben Sie denn irgendeine Vison”, fragt der Interviewer. “Ja, ganz recht. Irgendeine Vision.”

“Auf dem Weg mit dem Schwert
und mit dem Schild in der Hand,
press ich mich in einen neuen Tag.
Diese Liebe dauert ewig.
In dem Tal, das ich seh,
ziehen Reiter vorbei,
sie wollen nicht, daß diese Liebe dauert.
Da ist ein Kampf um den Thron… “

Here Comes the Knight

“Angeklagt wegen Wahrheit und Alchemie,
angeklagt wegen des Wunsches nach Freiheit.
Ich gab eine Vorführung vor der Menge,
und ein Mann sah meine Hände sich bewegen
und schrie auf.
Hier kommen Reiter durch den Paß,
die sagen: wirf ein kaltes Auge auf das Leben und den Tod,
denn es gibt einen Kampf um die Wahrheit…”

Siegt die Liebe, siegt die Kälte? Siegt die Alltäglichkeit oder das Wunder? Siegt die Zersetzungskraft unseres technologischen Wissens oder setzt sich am Ende doch die Geheimlehre durch, der zärtliche Umgang mit der Natur, von Meister zu Schüler seit der Antike tradiert, die Alchemie?
Fragen, die in diesem Lied angedeutet, aber beileibe nicht diskutiert werden, auch nicht durchdacht, nur entworfen – denn Van Morrison ist vielleicht ein Gelehrter, aber kein Dispuntant. Die Verse: ‘Wirf ein kaltes Auge auf das Leben, auf den Tod – Reiter, zieht vorbei’, sind jedenfalls von dem irischen Dichter William Butler Yeats und stehen auf dessen Grabstein. Welche Beziehungen gibt es? Ist das nur ein Flirt mit der angelsächsischen Romantik, Mr. Morrison? Oder sind Sie gar Freimaurer? Was halten Sie von den Rosenkreuzlern, die Sie mitunter erwähnen?

Der derart von Journalisten Befragte hat eine Zeitlang vorgefertigte Bögen verteilen lassen, in denen alles gedruckt stand, worauf er antworten mochte… Oder sehr ungnädig geknurrt:
“Sie müssen verrückt sein, wenn Sie glauben, ich würde Ihnen hier etwas von meinen persönlichen Interessen erzählen… ” Oder voll Autorität eines Könners mit einem der alten Hits geantwortet, dessen Refrain bei aller Verliebtheit auch ein wenig nach ‘Leckt mich am Arsch’ klingt, G-l-o-r…

Gloria

Madame George

Die erste Langspielplatte, die Van Morrison nach seinen Erfolgen mit der Gruppe ‘Them’ ganz in eigener Verantwortung aufnahm, hieß ‘Astral Weeks’ und erschien 1968. Astralwochen – Fetzen aus Träumen und Erlebtem, das mit der Musik zurückgeboren wird. Er nahm sie in New York auf, aber alle acht Stücke dieses Konzeptalbums spielen in Irland. Es sind innere Monologe, zu einer jazzigen, vorsichtig schwebenden Kammermusik gesungen. Die Worte manchmal detailfreudig, manchmal sehr grob, manchmal vage ins Allgemeine gezielt. – Flöten, Streicher, akkustische Gitarre – auf dieses Ensemble hat Morrison bis heute gerne zurückgegriffen, wenn es ihm um Lieder ging, die rätselhaft und intim klingen sollten. In den Staaten etablierte er sich als literarischer Kultsänger mit ‘Astral Weeks’.

Ein Junge von hundert anderen, sie schlendern nachts durch die Avenuen, nach Abenteuern und Spaß. Da ist das Haus von Madame George, Bordelldame oder Transvestit, der die Halbwüchsigen um sich sammelt und manchmal einen vernascht. Der Junge schleicht sich da hin, und andere Typen, die Kronkorken von Bierflaschen für ein paar Groschen sammeln, sind auch da. Er geht am Badezimmer dieser Dame vorbei: das ist der Moment, wo du fällst. Madame George mit einem Rekruten, im Hof stehn schon Polizisten, der Junge will weg, und Madame läuft ihm nach und sagt: “Du hast deinen Handschuh vergessen, Liebster.” Handschuh heißt glove und reimt sich auf love. Die Tür fällt ins Schloß. Er steht da mit dem Handschuh, denkt an andere Jungs, die ganz cool aus der Liebeshölle herausgekommen sind, läuft durch Regen und Hagel zu seinem Zug. “Ich muß gehn, ich muß gehn.”
Er ist nicht so recht froh, aber auch nicht recht traurig. Er singt dieses Wortspiel mit glove und love und versichert sich, daß er gehen mußte. Die gleichförmige Musik hat seine Erregung verborgen und schützt ihn jetzt vor der Trauer. Er singt und stapft davon. Er weiß nicht: ist er geflohen vor etwas oder hat er sich gerade gerettet. Während die Geschichte zu Ende geht, fangen Musik und Gesang erst an: eine fünf Minuten lange Blende ins Schweigen, in einen Abschied von Unschuld und Jungsein.

“Die Plattenfirma sagte: mach Singles, also machte ich welche, und als ich rauskam damit, da sagten sie: mach doch lieber Alben …”

Bis Mitte der Siebziger hat Van Morrison sich fast strebsam als amerikanischer Singer – Songwriter hervorgetan. Während bei seinen ersten Konzerten in New York eher Kollegen wie Jimi Hendrix selbstvergessen seinem Vortrag, begleitet von Flöte und Cello, gelauscht hatten, kamen dann bald die Studenten und Ideologen der Subkultur, die in ihm einen esoterischen Neffen solcher Bekennergestalten wie Dylan oder Neil Young erkannten – Morrison legte sich eine richtige Band zu, machte einprägsame Melodien und zog in die Künstlerkolonie Woodstock – später weiter zur Westküste, heiratete eine Schauspielerin namens Janet Planet, etablierte seine Musik in den Rundfunkstationen, baute ein Studio – der Traum des Vaters erfüllt sich im Sohn – und schrieb ein paar klassische Liebes- und Tanzlieder, ‘Into the Mystic’, ‘Tupelo Honey’, auch jenen zauberhaften Sommernachtstanz, der jedem besseren Barcrooner gut angestanden hätte, selbst einem Frank Sinatra…

Moondance

Jackie Wilson Said

1973 verkündete Morrisons damaliger Manager, bald habe man wohl David Bowie überflügelt… tatsächlich, die Anhängerschaft beiderseits des Atlantiks wuchs, und Morrisons Caledonia Soul Orchestra, aus Rockband, Chor und Streichensemble zusammengesetzt, führte ihn auf eine Triumphtour rund um die halbe Welt.
‘Caledonia’, das schottische Sagenreich, war zu jener Zeit Morrisons Chiffre für das Verschwinden, die Traumwelt…
Seine eigenen Ecken und Kanten gingen nicht weg, er hielt es in keiner Position lange aus … Seine Hymne ‘Into the Mystic’, ließ er z.B. wissen, das habe eigentlich ‘misty’, ins Neblige, heißen sollen, ein Transkriptionsfehler auf Wunsch der Plattenfirma… “Was soll ich in Irland, Gemüse züchten? Ich bin keiner, der auf dem Berg sitzt und Platten für zwanzig Leutchen macht”, hat er geknurrt; aber vor Interviewterminen floh er so beständig, daß einer seiner Organisatoren ihm vorschlug, sich einen Papagei zu engagieren, der ‘Nein’ sagt am Telefon…
Irgendwann entließ er sein kaledonisches Orchester und zog plötzlich wieder durch kleine Clubs mit einem Pianisten und einem Schlagzeuger – übrigens Peter van Hooke, dem späteren Produzenten von Tanita Tikaram. Irgendwann ließ er sich scheiden, löste sein Studio auf – und 74 brachte er eine LP heraus, die mit Meditationen zurückschlug: ‘Veedon Fleece’. Kein Star mehr, ein erschöpfter grübelnder Mann singt mit belegter Stimme von Feen und Indianern, von William Blake, und verschwindet in einer den romantischen Dichtern nachempfundenen Natur.

Hören wir ein Stück aus dem Hymnus ,Into the Mystic’, live, und dann jene Ballade von Linden Arden, dem Emigranten, einem Mörder, Gejagten und Trinker, der das Gesetz in die eigenen Hände nahm und Kinder so liebte wie sich selbst – Aussatz und Heiliger. “Man sagt, es sei einsam um ihn geworden – nun, er lebt noch, lebt mit einem Gewehr.”

Into the Mystic

Linden Arden

Zwischen 1975 und 77 hat sich Van Morrison aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen: “Ich war zu einem Punkt gekommen, wo mir Musik nichts mehr brachte (…) Nichts war spontan, es war kein Jazz mehr.”
Als er wiederkam, war einiges, das ihn attraktiv für ein sensibles Publikum gemacht hatte, ausgemerzt: keine belesenen Worte mehr, keine Details und Klugheiten im Text, dafür viele konventionelle Floskeln. In den Arrangements moderner, im Singen besessener denn je, hatte der Sänger erschreckend wenig zu erzählen – aber das wenige wiederholte er bis zum Exzess.
“Ich stellte mir meinen Act zusammen”, hat Morrison zu den Veränderungen gesagt, und: “Irgendwann um die Dreißig fiel mir auf, daß die Wünsche eines Knaben andere sind als die des Mannes, und mich verließ ein gewisser Ehrgeiz.”

Ich denke, er ist sich damals ein wenig klarer über das Eigentümliche seines Gesangsstils geworden. Er hatte mittlerweile Nachahmer – Bob Seger, Al Jarreau, auch Bruce Springsteen – sie bedienten sich seiner Technik, aber gingen nicht mit auf die gleiche Suche wie er. Ihm muß deutlich geworden sein, daß es für diese Suche kein passendes Wort gab, er fand es jedenfalls nicht. “Van ist phantastisch”, hat Bob Dylan gesagt, während Morrison immer dagegenhielt: “Aber Bob ist der Dichter.” Er selbst war das nämlich, in seinen eigenen Augen, jetzt nicht mehr; er würde nie mehr so unverwechselbare Texte wie über die Tage seiner Kindheit schreiben. Warum dann nicht gleich in Floskeln das sagen, was auf der Hand lag?

“Sehen Sie hier irgendwas Mystisches”, hat er kurz nach seinem Comeback in einem Rundfunkstudio gefragt und wütend gegen die Wände geschlagen, “ich sehe einen Reporter, ein Mikrophon, ein paar Knöpfe…”

Aber trotzdem war, was Van Morrison das Mystische nennt, für ihn immer noch da – die Verwandlung der Elemente, das Traumland, der andere Zustand… Es ist überall, wenn man daran glaubt, auch wenn die anderen es für peinlich oder verlogen halten… Eine banale Zeile stiftet schon dazu an, dort hinüberzukommen; alles, jede Tätigkeit, die man mit Leidenschaft tut, führt dort hinüber, man muß nur eingeweiht sein…
“Nimm’s, wo du’s findest…”

Take it where you find it

Ich will das mit einer kleinen Geschichte verdeutlichen; sie ist von dem Argentinier Jorge Luis Borges. Ein junger Mann besucht den Alchemisten Paracelsus und will von ihm die Kunst Gold zu machen erlernen. Paracelsus aber hat schon lange aufgehört, mit Metallen zu experimentieren. Er erklärt: es sei alles eine Frage der Anschauung. Nimm die Welt für ein Paradies, und sie ist es. Der Junge will einen Beweis: Ich werfe diese Rose ins Feuer, und du machst sie aus der Asche wieder neu, sagt er. Paracelsus weigert sich. Die Rose verbrennt, da liegt die Asche. Enttäuscht und peinlich berührt verläßt der Junge den Hochstapler, für den er Paracelsus jetzt hält, aber als er gegangen ist, nimmt der Meister das Aschehäufchen, und: “Die Rose entstand aufs Neue.”

Für das Wunder also braucht es nichts als die Überzeugung davon: Van Morrison führt das vor – sich, den Kollegen und seinen Zuhörern. Er macht die alltäglichen Worte lebendig – dazu braucht er kein Dichter zu sein – in diesem Hymnus von 78 z.B. mit seinem Lieblingswort ‘Change’ darin, Veränderung – ‘Cange, come over’, eine banale Phrase, aber plötzlich ist das kein Begriff mehr, sondern ein Mensch, den er ansingt, etwas Lebendiges – “komm doch rüber…”

Sie kam dann auch rüber, die große Veränderung. In dem Jahrzehnt zwischen 1980 und 90 hat Van Morrison erst seinen Wohnsitz und allmählich auch die Produktionsumgebung nach England verlegt. Spätestens mit der Platte ‘Beautiful Vision’ hat er seinen vielleicht endgültigen Stil gefunden, seine Art musikalischer Alchemie. “Hier sucht einer ganz für sich allein”, schrieb die Presse und zeichnet, nach einer Periode von Spott und flotter Ablehnung, seither jedes seiner Alben mit Preisen aus. Ein mit ihm gealtertes Publikum begleitet seine Tourneen und freut sich über jedes Lebenszeichen des Meisters. Dem macht es nichts, daß die thematischen und kompositorischen Wiederholungen mit der Zeit unüberhörbar geworden sind. Und auch die spirituellen Wanderungen des Sängers, von Scientologie über keltische Historie zu einem laut hinausposaunten Christentum in der letzten Zeit sind nur noch wenigen Anhängern Anlaß zur Spekulation. Das wird beiden Seiten so recht sein. “Popmusik ist zur Massenverdummung geworden”, sagt Morrison, “ich betrachte das ganze mit Abstand.”

Haunts of Ancient Peace

Avalon, der Ort, an dem der Sage nach König Artus sich aufhalten soll, bis er sein neues Reich errichtet, ist für ihn seit langem die Chiffre für seine Traumwelt geworden. In seiner Phantasie treffen sich hier alle guten Geister, um zu erneuern und Frieden zu haben – die Wissenden, Dichter, die inspirierenden Frauen und Magier, Jungs von der Straße und Sänger seit alters her. Hier ist das Paradies, hier und jetzt.

‘Haunts of Ancient Peace’, in Begleitung uralten Friedens, heißt dieses Stück von der Platte ‘Common One’. Sie wurde in nur neun Tagen 1980 in Südfrankreich aufgenommen mit wagemutigen Mitstreitern wie dem Saxophonisten Pee Wee Ellis, dem Schlagzeuger van Hooke und dem Trompeter Mark Isham. Weiter hat sich Van Morrison nie vorgewagt – jenseits aller politischen Bezüge ist hier ein Stück Musik entstanden, das aus Erschöpfung Erleuchtung macht, Freude aus Ratlosigkeit, Schönheit aus Schrott. Nichts wird behauptet, es lebt und atmet und mündet in dem uralten, erst spät formulierten Satz, daß, worüber man nicht reden kann, man eben schweigen muß …
Schweigen ist hier Frieden, ein mögliches anderes Leben.

Irish Heartbeat

Van Morrison, gecovert von den ‘Waterboys’, befreundet mit Bono von U2, zitiert von Sinead O’Connor, verehrt von den Pogues, von einer ganzen Generation neuer Pup- und Folkbands, ist mit Ehren in seine Heimat zurückgekehrt. Wer ihn gälisch singen hören will, dem sei eine Platte mit den Chieftains empfohlen, von der auch das Stück eben stammt. Auf Fotos, Videos und in Konzerten gedrungener, unbekömmlicher in seinem Körper als je, wird seine Musik zum schieren schönen Schein. Der Cowboy reitet. Schon mit Zweiundzwanzig hat er den Abschied von einer tuberkulosekranken Freundin in einem zwölfminütigen Lied zum Triumph des Überlebenden gemacht – wie gesagt, Morrisons interessantesten Lieder sind überlang und würden den Rahmen solch einer Sendung sprengen -, und daran hat sich nichts geändert: er singt und feiert das Geheimnis des Überlebens. Schönheit aus Schrott.
“Aber die Welt ist so kalt, sie kümmert sich gar nicht um deine Seele” –
Kälte ist eine Rüstung.
“Warum fühlen wir nicht, was wir fühlen?”
“Horsemen, pass by!”

Vielleicht steht er irgendwann ganz gelöst in einer irischen Bar und die Leute fragen: wer singt da, das klingt wie eine große Nummer von früher, wie hieß der gleich?
Ich jedenfalls möchte aufhören mit einem Stück, als seine Stimme noch heller war; nur ein Buchstabe fehlt in der Schrift, und es hätte schon damals geheißen: hier kommt der Ritter. Wenn man es singt, ist das eh alles eins.

‘Here Comes the Night’

© Manfred Maurenbrecher 1991