Die Leipziger Liedertour – zum 25. Geburtstag
Im Jahr 2002 gab es ein paar heiße Junitage. An einem davon traf ich mich nachmittags auf Einladung von Frank Oberhof mit ihm und den Musikern Johannes Kirchberg und Andreas Siegmund am Leipziger Hauptbahnhof. Ich kannte sie damals kaum. Frank fuhr uns in einem Transporter nach Zwickau, wo es im Gasometer ein gemeinsames Konzert geben sollte im Rahmen der LIEDERTOUR. In der Stadt waren knapp 40 Grad. Wir spielten uns vor drei Zuhörern in einer Art Garderobe gegenseitig Lieder vor. Der örtliche Veranstalter war gerührt. Zurück in Leipzig, nachts im kühlen Garten des Bundesgerichtshofs erzählte mir Frank dann, was das eigentlich ist: Die LIEDERTOUR. Damals gab es sie seit 12 Jahren – fast genau eine Halbzeit zum diesjährigen Jubiläum.
Kurz zusammengefasst ist die Liedertour eine freiwillige, profitfreie, auf Wechselseitigkeit basierende Ermöglichung von Konzerten und Festivals für LiedermacherInnen, Liedermacher-Bands, Singer-Songwriter – alles, was mit Musik nicht nur groovt, sondern auch was zu erzählen hat. Anders gesagt ist die Liedertour eine Erfindung des einzigartigen Frank Oberhof, die er mit großem Idealismus und wechselnden Partnern seit 25 Jahren am Leben erhält – wobei (wie bei einem echten Menschen) dies Leben immer noch zugenommen hat und der Eindruck entsteht, die Liedertour sei zwar jetzt in der Blüte ihrer Jahre, aber eigentlich noch gar nicht richtig erwachsen – gottseidank!
Begonnen hatte es in Leipzig 1991 mit einer Sommerfestivaltournee einer Gruppe namens ‚Kaktus‘ – Kleinkunst, Folklore und die Übereinkunft, endlich die DDR mit ihren Auftrittsverboten hinter sich gelassen zu haben, waren der gemeinsame Nenner der Akteure. Als die Gruppe sich auflöste, exponierte sich einer von ihnen bei der CDU, und Frank Oberhof fand eine Anstellung in der Justizbehörde, die es ihm ermöglichte, gleichwohl so viel für seinen Traum vom immer wachsenden Sommermusikfestival zu tun, dass der wahr werden konnte.
So entstand mit den Jahren ein echtes Netzwerk aus Musikern, Veranstaltern, Technikern, Medienleuten und Unterstützern, die bei den stets vielfältigeren Vorhaben dabei sein wollten, zu Hilfe kamen, die Aktivitäten genossen. Dabei sein hieß hier: Sehr viele Ähnlich-Gesinnte treffen, künstlerisch aufeinander zugehen, ausprobieren, Neues testen, Umkrempeln, aber auch das spezifische Tourleben kosten, eine Mischung aus Ferienlager-Gastfreundschaft, Psychocrashkurs und Rock’nRoll-laissez-faire. Leipzig als Zentrum vom Netz, drum herum die kleinen Festivalorte, mit den Jahren immer weiter greifende Außenposten (Lindow in der Mark oder sogar Heilbronn), kontinuierlich weiter wuchernde Veranstaltungsreihen – so z.B. die bei vielen Kolleg/inn/en (auch mir) begehrte ‚Burgen-und Küchentour‘, wo man ein Stundenprogramm auf mittlerweile 8 Schlössern, Burgen, Gesindeküchen Thüringens und Sachsen-Anhalts spielen darf -, und prächtig wachsende Zuschauerzahlen.
Das alles aufzuzählen und schon gar die Namen der Beteiligten aus 25 Jahren würde mich in diesem Artikel ruckzuck zum Ende der 5000 Zeichen bringen, die ich schreiben darf. Das liest man besser auf der Netzseite selber nach. Wichtig: Neben Frank Oberhof als dem Kopf des Ganzen (und Akkordeonspieler und als ‚Arm‘, denn die mobile Anlage wird transportiert von ihm am Steuer und aufgebaut von allen mit ihm als dem, der am Ende weiß, wie’s geht) ist die Liedertour seit Jahren undenkbar ohne den Bassisten und Mitorganisator Marcel Winkler und ohne Claudia, Franks Frau. Das weiß er auch sehr gut – der immense Stress, der manchmal aufbricht, mündet trotzdem bei keinem in diesem engsten Kreis in überflüssigem Aggress. Ich staune da manchmal, bewundernd.
Das ist nicht ganz so, was die Frontleute betrifft. Denn immer ein exponierter Bühnenmensch steht bei der Liedertour vorn, um ihn gruppieren sich die Projekte. Das war (wie ich dem Info entnehme) anfangs der jetzige MdB Thomas Feist (ich habe Phantasie, aber hier versagt sie), später jahrelang der große Gitarrist und Rockarrangeur Thoralf Pötsch, dann für eine Zeit der poetische Liedermacher und Musikant Christian Trautmann, der abgelöst wurde durch den charismatischen, Dylan-orientierten Song-and-Dance-Man Francis D.D.String. Natürlich machte die Liedertour-Band, die das Kommen und Gehen vieler Spieler erlebte, mit diesen Frontleuten stilistische Wandel durch – und immer kam es nach einer Zeit zum Bruch. Zwischen der Band plus Frank und dem Frontmann. Manchmal hochdramatisch, manchmal eher wortlos. Jetzt aber sieht es nach einer dauerhaft liebevollen, kontrollierten Zusammenarbeit aus, denn seit drei Jahren steht Ralph Schüller vorn. Er schreibt wunderbare Lieder, ist ein integrativer Geist und malt und zeichnet außerdem, das macht gelassen.
Als künstlerische Meisterleistung der Liedertour (bisher, das Kind ist ja kaum erwachsen) kann die ‚Albrecht-Haushofer-Hommage‘ gelten. Haushofer, ein deutscher Diplomat konservativer Prägung und spät im Widerstand gegen den Faschismus, schrieb kurz vor seiner Hinrichtung im Gefängnis Sonette, die seine Weltsicht summieren. Diese wundersam geretteten Verse vertonte String mit der Liedertour-Band, sie werden bei den Aufführungen performt, andere werden vorgelesen, und ein das Leben Haushofers streifender Vortrag ist eingebettet. Diesen Abend kann man allen Schulen, Initiativen, Vereinen empfehlen, die der modisch-aggressiven Deutsch-Jammerei etwas Substantielles entegensetzen wollen. Auf der entsprechenden CD beteiligen sich u.a. Dirk Zöllner und Jörg ‚Ko‘ Kokott, zwei namhafte Freunde, die der Liedertour eng verbunden sind.
Immer kamen Musikantinnen in diesem Haufen ein wenig kurz. Mit Nadine Maria Schmidt, Merle, Sarah Lesch sind spätestens in den letzten Jahren auch die dringend vermissten höheren Stimmlagen hier mehr zuhaus, ich hoffe, dass sie noch lauter werden. Zum 25. gibt es ab Mitte August eine Tournee der Liedertour, die sich ‚Schwarz Rot Gold‘ nennt, nein – Frauke Petry und Sarah Wagenknecht sind nicht dabei, sondern mit großer Band Ralph Schüller, Bastian Band und ich. Wir spielen uns unsere Lieder vor (wie weiland in Zwickau) und sollen zwischendurch halbwegs unterhaltsam plaudern. Mal sehen, was wird – eins ist sicher: Frank Oberhof wird seine sehr genaue Vorstellung davon haben.
Gäbe es LIEDERTOUREN auch an anderen Ecken Deutschlands, wäre dieses Genre selbstbewusster. Die Liedertour buhlt nicht um Medien – sie schafft sich ihre Auftritte und lädt dazu ein. Das ist einzigartig, und ich freue mich, dabei zu sein!
www.liedertour.de
www.maurenbrecher.com
©MM, 12.7.15