Das Duo
Offene Grenze (1990)
Komm, spiel mit mir (1989)
Nachwuchs (1988)
Heimat (1985)
Morgenwecker (1988)
Das Duo – Unveröffentlichtes und Auftragstexte
Das Spiel (Wechsel im Wetter) (1989)
Ganz Auge, ganz Ohr (1989)
Dieter der Pfarrer (1989)
Ria und der Talisman (1989)
Herzlich willkommen (1989)
Onkel Hein (1990)
Das war sein Glück (1990)
Wenn du jetzt gehst (1990)
Dein Typ ist dran (1990)
Der Zug (1990)
OFFENE GRENZE
Der Vopo steht da wie immer,
kein Fleck auf seiner Uniform,
sein Blick auf die Papiere –
alles ganz in der Norm.
Er macht das seit zwanzig Jahren,
geredet hat er kaum,
und daß jetzt alles so frei sein soll,
kommt auch ihm vor wie ein Traum.
Er sagt: “Gehn Sie nur,
wir haben offene Grenze.”
Auf dem Pflaster sind noch die Spuren
aus dieser Nacht, wo die Druckwelle kam
und mit den Lügen und dem Stacheldraht
auch eine Hemmung mit nach unten nahm.
Und Menschen, die sich nicht kannten,
waren so dicht aneinander dran,
daß es aussah, als finge diese wunde Stadt
noch einmal ganz von vorne an.
In einem Meer aus Licht und Sekt
an der offenen Grenze.
Freiheit ist ein Augenblick,
seltsam und schön,
die Luft ist plötzlich anders,
alles kann geschehn.
Aber Freiheit ist ein Augenblick,
der bleibt nicht stehn,
und nachher kommt die Angst zurück:
wie wird es weitergehn?
Jetzt fährt ein Herr aus dem Grunewald
mal eben in den Osten schaun
auf der Suche nach nem properen Grundstück –
er will ja nicht klaun.
Und die schmalen Jungs aus Weißensee
ziehn auf Westjagd nach Pulver und Scheinen,
und die schmalen Jungs aus Reinickendorf
ziehn auf die Gegenjagd nach billigen Kleinen.
Und überall ist Fete,
die drei Polenmädchen da an der Wand,
irgendwer aus der Clique lehrt sie ‘Deutschland einig Vaterland’.
Und bitte zügig jetzt,
hier an der offenen Grenze.
Freiheit ist ein Augenblick …
Im Wachhäuschen läuft das Fernsehen,
ein Politiker verspricht die Nation,
ob aus Leipzig oder Frankfurt am Main –
wer weiß das heute schon.
Und der Vopo sagt: “Gehn Sie weiter” –
ich schau ihn mir noch einmal an:
er sieht müde aus, er will nach Haus,
er hat ja auch nur seine Pflicht getan.
1990 ©Text: Maurenbrecher ° Musik: Maurenbrecher / Wester
KOMM, SPIEL MIT MIR
Komm, spiel mit mir!
Ein Mann rennt durch den Regen,
sehr schnell, den Kragen hoch,
er will den Bus noch kriegen
und keucht: das schaff ich doch.
Er denkt an die Geschäfte,
sein Kopf ist voller Geld,
er meint, er muß der Schnellste sein –
so ist es auf der Welt.
Komm, spiel mit mir!
Kurz vor der Haltestelle,
er rennt und rennt und rennt,
da sieht er einen kleinen Zwerg,
der schwenkt ein Instrument.
Der Mann stolpert und bückt sich,
da kann er doch nichts für –
der Zwerg, der grinst und sagt:
‘Hallo, komm runter, spiel mit mir’ .
Komm, spiel mit mir!
Der Tag ist längst zuende,
die lange Nacht fängt an,
nur an der Haltestelle,
da steht ein kleiner Mann.
Der sieht wie ein Geschäftsmann aus,
sein Blick ist etwas wirr,
macht Musik auf einer Flöte
und ruft: ‘Komm, spiel mit mir’.
Komm, spiel mit mir!
Und die Moral von der Geschichte:
wenn dir mal wirklich was gefällt,
geh weiter, falls du’s eilig hast –
so ist es auf der Welt.
1989 ©Wester / Maurenbrecher
NACHWUCHS
Jetzt schau ihn dir doch an: ist das normal? Seit er Ferien hat, macht er das jeden Abend – spielt Bankkaufmann oder so, oder baut sich ‘n Computer aus meiner Reiseschreibmaschine – Terminal, oder wie das heißt.
Kann der Junge sich nicht anständig anzieh’n? Immer dies Haarfärben, Gel und Zeugs. Der wäscht ja sogar seine Hemden selbst, weil ich’s ihm zu schlecht mach … Ich mein, ‘n Junge hat auch mal Löcher, der haut auch mal ab für ‘ne Nacht. Ich in dessen Alter … aber der heult ja, wenn er ne Fünf bringt nachhaus … neulich kommt er an und sagt: Vati, bei der Polizei hätt ich mit sechszehn schon vierzehnhundert netto … Ich mein, es kommt soweit, und der Bulle, der dich nachts auf’s Revier schleppt, ist dein eigener Sohn.
Keine Ahnung, von wem er das hat. Moni – die war ‘n echtes Zigeunerblut, hat mich damals regelrecht überredet zu dem Kind. Wir war’n fünfmal mit ihm in Marokko, im Caravan, bis er drei wurde, also von daher … Lisa später schon eher. Da gab’s ‘ne Einbauküche, Teppichboden und so, schrieb an ihrer Doktorarbeit, andauernd. Ich hab das Zeug ja getippt, und er hat Schiffchen gebaut aus dem Abfall. Die hat drauf geachtet, daß er alleine schläft nachts und seinen Namen richtig ausspricht, so Kram. Aber das waren fünf Monate, hielt ja nicht länger …
Jetzt guck mal, jetzt ordnet der die Bierpullen im Flur, exakt in Sechserreihen, sieht aus wie ne Armee … der grüßt die, der legt die Hand an die Stirn. Irgendwie rührend. Ich mein, ich hab wirklich versucht, ihm zu vermitteln, was Freiheit heißt, damals auf dem Schloß in Franken. Hab ihm gesagt: dein Vati, der könnte längst Professor sein, aber der will das gar nicht, der repariert lieber Autos, liegt lieber im Dreck hier, weil, das heißt Freiheit, Nein sagen, Weggehen … – “Will aber nicht weggehen”, hat er gesagt, da war er fünf. Und rannte sofort wieder runter ins Dorf zu den andern, Frühjahrsputz spielen, Autokauf und so Kram … Komische Leute da unten.
Das Blöde an Kindern ist, daß sie einen unentwegt brauchen. Haß ich. Und daß man nie wissen kann, was aus ihnen wird. Ich mein, ‘n Kumpel wär wirklich nicht schlecht jetzt für mich, einer, der drauf ist, wie ich war mit zwölf. Was meinst du, was ich losziehen würde mit dem! Aber er hier – hockt den ganzen Tag rum, hört diese komische Maschinenmusik und liest Elektronikzeitschriften. Immer Tür zu – kann den Geruch der Joints nicht ertragen, sagt er.
Aber ich rede und red hier, und wir wollten ja los. Müßtest mir bißchen was pumpen, Montag bin ich dann flüssig. – Also … Junior? Daddy zieht heut noch mal um die Häuser … Frühstück im Kühlschrank, müßt noch was drin sein. Und mach dir bloß keinen Streß mit dem Aufstehen … die kommen schon ohne dich klar in der dämlichen Schule. Okay?
1988 ©Text: Maurenbrecher ° Musik: Wester
HEIMAT
Ey, die alte Brücke steht noch, links, da ging es runter zum Kanal. Und wir, als Kinder, ha’m da Arzt gespielt, und manchmal ha’m wir auch gestrippt – für den Kioskmann.
Kiosk, sagt dir das noch was?
Die stehn schon lang nicht mehr, die alten Häuser, die war’n fest und kühl, und da war’n Autos vor, da träumt ihr heut nur von. Und die war’n auch nicht glücklich, die Leute damals, hatten zuviel vor, aber gingen da spazieren, Hand in Hand am Samstagnachmittag, und Freitagnacht ins Kino, zu James Dean und Ingrid Bergmann.
Kino – sag mal, nerv ich dich?
Da vorn stand eine Villa, und da wohnte Valerie, die Sängerin, die Russin, abgehauen vor den Bolschewiki, kokste, sprach den ganzen Tag lang mit sich selbst. Und zeigte uns die Tätowierungen auf ihrer linken Brust. Deren Brust war schlaff, und Achims Mutter hatte geile Brüste, das wußten alle Jungs, und daß sein Alter ihn und seine Schwester immer schlug. Der war ein Stadtrat für die SPD, erst Maurer, später Bauherr, und am Schluß noch für die Grünen – aber immer: gib ihm!
Ah, du verstehst das alles nicht, den Volkspark nicht, die Trinkhalle, den Fußballplatz, die öffentliche Bücherei. Für dich ist das ne Fahrt wie durch Honkong.
Und da, am Ufer des Kanals, der jetzt schon Jahre trockenliegt, da wurde Achim eines Nachmittags mein bester Freund. Wir lagen einfach da, und es passierte.
Schläfst du? – Gut. Wir fahren Schrittempo, ich red bloß vor mich hin, und auf der alten Brücke steig ich kurz mal aus und werf ‘n Groschen auf die Erde.
Und morgen – morgen fliegen wir zurück.
1985 © Text: M. Maurenbrecher, Musik: R. Wester
DER MORGENWECKER
2 Spieler. A= Moderator, B=Anrufer
A: Klappt eure Bettdecken hoch, Nachbarn, ihr seid auf der richtigen Welle, bei Radio 2000/00, und hier kommt der Morgenwecker. Es ist 4 Uhr 15, noch dunkel draußen, aber wir sind die ersten, wie immer. Wir pusten uns jetzt den Kopf frei. Wir sind die schnellsten und wissen: der Tag wird ein Knaller! Wie jeder!
Achtung, Raucher: jetzt abhusten. Achtung, Geisterfahrer: noch ist die Bahn frei! Achtung, Verliebte: Nicht nochmal ranrücken, nein, jetzt aufhören, loslassen, raus aus den Federn!
Na also.
Rufen Sie uns ruhig an, nach dem Motto: Hörer wecken Hörer! Wer wünscht sich die grellste Musik? Wer hat den Rausschmeisserwitz des Tages? Wir sind die ersten, die besten, die Schnellsten! Und hier ist auch schon unser erster Hörer an der Strippe. Hallöchen – gut aufgewacht?
B: Ich hab sie jetzt alle in der Küche.
A: Was? Na, sehn Sie mal an, in der Küche, die ganze Familie, ich gratuliere … prächtig, so früh auf den Beinen …
B: … ich glaub, sie haben’s allmählich begriffen. Jetzt sagt nämlich keiner mehr was. Sie sind jetzt alle ganz still …
A: Tja, so ein stilles gemeinsames Frühstück, während der Morgen graut … nicht jedermanns Sache … aber eigentlich sind wir doch zu beneiden, wir Frühaufsteher, und deshalb, lieber Nachbar, rufen Sie sicher auch an!
B: Die Kinder, die Frau, die zwei Neffen, das Mädel aus erster Ehe, die Schwiegermutter…
A: Scheint ja ziemlich bevölkert zu sein, Ihre Küche …
B: .. hab ihnen tausendmal gesagt: ich kann das Generve nicht mehr ertragen. Kann keinen mehr sehen! Ich mach’s nicht mehr mit! Aber jetzt haben sie es kapiert…
A: Nun, manchmal muß so ein Machtwort gesprochen sein … Wir wollen jetzt aber bloß keine miese Laune verbreiten, wir beide, nicht wahr, Sie rufen doch an, um sich etwas zu wünschen an diesem prachtvollen Morgen …
B: Die tun keinen Mucks, echt. Der Mann von der Sparkasse auch nicht, und der Finanzamtsheini …
A: Na, sagen Sie: eine Menge Besuch, Herr Nachbar, und gleich schon Geschäfte, am Frühstückstisch, alle Achtung …
B: Ich bin nicht der Clown für die. Ich hab mich lang genug abgestrampelt, das ist ein Faß ohne Boden. Schulden und all der Kram … Ich hab die gewarnt!
A: Na, jetzt wollen wir aber doch endlich auf Ihren Musikwunsch zurückkommen, schließlich, die Albträume sind vorbei, es wird hell draußen, und im Tageslicht sieht alles anders aus, oder?
B: Stimmt. Es war eigentlich ganz einfach. Sogar der Ortspolizist sitzt mit drin da. Alles in meiner Küche. Jetzt lachen die nicht mehr.
A: Ach was.
B: Mal muß Schluß sein. Entweder die oder ich. Und ich hab den Schlüssel …
A: Na. Dann sind Sie ja Herr der Lage, nicht wahr? Ich würde mich sicher noch prima weiter mit Ihnen unterhalten, toi toi toi, aber Sie sagen ja selbst: mal muß Schluß sein …
B: Ich frag mich nur, ob ich die Katze nicht doch noch freilass – die kann doch kaum was dafür …
A: Also, nur nichts überstürzen. Und denken Sie dran, was immer Sie tun heut: wir sind die ersten, die besten, die schnellsten, wir vom Morgenwecker auf 2000/00. Toll, daß Sie mitgemacht haben! Und jetzt Ihr Musikwunsch!?
B: Ich weiß nicht recht …
A: Nur raus mit der Sprache …
B: Also, in zehn Minuten, wenn ich das Benzin hier oben hab, die Kanister, dann…
A: Na!?
B: ‘Come on Baby, light my fire’. Von den Doors. Wenn das ginge …
1988 © M. Maurenbrecher
DAS SPIEL (Wechsel im Wetter)
Es kommt wie ein Wechsel im Wetter,
jemand sagt vielleicht: “Ist die doof”,
und du weißt, es ist nur ein blöder Spruch,
aber in dir, da hört er nicht auf.
Deine Arme werden schwer wie zwei Steine,
jeder einzelne Blick tut dir weh,
am liebsten wärst du alleine
und lächelst noch: “Ich bin okay”.
Du spürst, wie die Dinge verschwinden,
wie es leerer wird um dich herum,
und obwohl du dir gar nichts groß anmerken läßt,
geht dieser Spruch in dir um:
Das Leben ist ein Spiel,
man kriegt dafür nicht viel –
am besten, wenn man gar nichts will.
Das kam wie ein Wechsel im Wetter,
du hast dich im Zimmer versteckt,
und obwohl du die offene Tür siehst,
ist sie ein Lichtjahr weg.
Manchmal ein Lachen von draußen,
du findest bloß, daß es stört,
und du schreist nichts raus, du rastest nicht aus,
du weißt ja, wohin das führt.
Das Leben ist ein Spiel,
man kriegt dafür nicht viel –
am besten, wenn man gar nichts will.
Dann kommt wieder ein Wechsel im Wetter,
vielleicht durch die offene Tür,
ein Windstoß, der dich ans Fenster holt
und dich rufen lässt: “Ey – ich bin hier!”
Und alle erkennen dich wieder,
jemand sagt: “Dieses Shirt steht dir gut” –
und du weißt, es ist nur ein blöder Spruch,
aber diesmal macht er dir Mut.
Denn das Leben ist ein Spiel,
mal kriegt man wenig und mal viel –
aber es klappt nicht, wenn man gar nichts will.
© M. Maurenbrecher 1989 für die tv-Serie Moskito
GANZ AUGE, GANZ OHR
Du sagst, der Tag könnte grün sein,
ich sag, dieser Tag wird ein Knall –
und das heißt: wir sind beide gut drauf heut
und fühlen uns beide wie toll.
Denn du kennst ja gar keine Farben,
und in mir drin ist es still,
ich hör nur das, was du mir erzählst,
du siehst nur das, was ich will.
Mein Arm ist dein Auge,
deine Hand ist mein Ohr,
unsre Finger sind Worte,
und die Haut liest sie vor.
Komm, wir gehn durch Geschäfte –
das Armband da find ich schick –
ich weiß, du mußt lachen, wenn ich irgendwas rufe,
weil sich dann jeder erschrickt.
Und der Typ da, neben der Kasse,
was will der, ich glaub, der macht Krach?
Wir sollten uns nicht in seinem Laden befummeln,
hat der das wirklich gesagt?
Mein Arm ist dein Auge,
deine Hand ist mein Ohr,
unsre Finger sind Worte,
und die Haut liest sie vor.
Hey, die zwei Jungs da am Brunnen,
die schaun uns schon längre Zeit zu,
der eine so’n Starker, der andere sanfter –
ja, ich weiß, den willst du.
Und er schaut dir auch schon in die Augen,
ehrlich, ich mach dir nichts vor.
Aber der andre – jetzt muß ich dir glauben,
denn der flüstert mir grad was ins Ohr.
Mein Arm ist dein Auge,
deine Hand ist mein Ohr,
unsre Finger sind Worte,
und die Haut liest sie vor.
© 1989 für die tv – Sendung Moskito
DIETER DER PFARRER
Mit den Babies spielt er ‘Reise nach Ägypten’,
mit den Omis macht er samstags Kaffeefahrt,
bei den Diskos mimt er gern mal den Verrückten,
er kühlt jeden Streß auf seine sanfte Art.
Wenn er sonntags auf der Kanzel im Talar steht,
faßt er meistens ein paar heiße Eisen an.
Manche finden, daß er nervt oder zu weit geht,
doch ich glaub ihm, was er sagt – er glaubt daran.
Er heißt Dieter, er ist Pfarrer,
und sein Leben ist ne offne Tür.
Wenn jemand down ist
und spätnachts noch bei ihm klingelt,
dann sagt er: “Komm doch rein,
denn dafür bin ich hier.”
Er hat ein paar von uns ganz gut verteidigt
gegen die Ämter oder Eltern und im Heim.
Als in der Clique mit den Polen dieser Zoff lief,
da blieb er ruhig und lud alle zu sich ein.
In der Gemeinde war’n sie froh, wie er sich aufrieb,
sie meinten: der ist engagiert, und fanden’s cool.
Bis letzten Sonntag, seine Predigt über Liebe,
da hat er nebenbei gesagt: “Ich selbst bin schwul.”
Er heißt Dieter, er ist Pfarrer,
und sein Leben ist ne viel zu offne Tür.
Manchen ging der Hut hoch, riefen: “Sünde” –
wir dachten: “Wenn schon. Was kann er dafür?”
Paar Tage später stand es in der Zeitung,
der Bischof sprach von einer ernsten Situation.
‘Kleine Jungs im Bett von einem Pfaffen?’
Sie drohten Dieter gleich mit der Pension.
Jetzt schleicht ein Typ rum von der Kirchenleitung,
der fragt uns leise: “Hat er nichts mit euch gemacht?”
Wir grinsen bloß und sagen: “Doch. Ne Menge –
bloß, was ihr glaubt von ihm, habt ihr euch selber ausgedacht.”
Er heißt Dieter, er ist Pfarrer,
und sein Leben ist ‘ne wirklich offne Tür.
Wenn ihr die zusperr’n wollt, ihr Kirchenbosse,
dann klopft woanders an, versucht’s nicht hier.
© 1989 für die TV-Serie Moskito
RIA UND DER TALISMANN
Letztes Jahr war ich ziemlich einsam,
zog mit den Eltern in eine neue Stadt,
hatte Angst vor so vielen Fremden
und bekam auch die Schule bald satt.
Da war ein Mädchen, hieß Ria,
saß vor mir, sah oft zu mir hin.
Ich dachte manchmal, die ist auch so allein,
und daß ich ganz gern mit ihr bin.
Ich machte ein Spiel mit den Augen,
ließ sie weit auseinander gehn
und konnte dann Rias Kopf verschwommen
gleich doppelt vor mir sehn.
Am Fahrradstand, eines Morgens,
da stand sie und fing mich ab.
Sie sagte: “Ich wette bei der Art, wie du schaust,
daß du etwas suchst, was ich hab.”
Ich dachte zuerst nur: “Schade,
die gibt an wie ein kleines Kind.”
Sie sagte: “Bitte, versteh mich nicht falsch,
ich weiß, daß wir zwei anders sind.”
Ich fand mich bald bei ihr zu Hause,
oben, direkt unter’m Dach,
und wenn mir vorher noch langweilig war,
wurde ich jetzt hellwach.
Da lagen Knochen und Kugeln mit Zahlen,
und Puppen mit Stecknadeln drin,
und Ria lachte: “Die Kunst einer Hexe
ist es, tief in die Zukunft zu sehn.
Schau mal her, da, unser Direktor,
den hab ich letzte Woche durchbohrt,
und daß er seit heute krank ist und fehlt,
das hast du doch sicher gehört.
Und da, diese zwei weißen Kugeln,
das sind Jungs aus dem Sportunterricht,
ich hab mir hierher ihre Geister beschworen,
und seitdem tun sie mir nichts.
Man muß einsam sein,” sagte Ria,
“und ich weiß ja, du bist wie ich.
Wenn du mitmachst, dann verstärkt sich der Zauber,
wenn du Nein sagst, verfolgt er dich.”
Ich fand keine richtigen Worte,
ich war ruhig und kalt vor Schreck,
dann packte ich mir die kleinste der Puppen
und rannte schnell damit weg.
Dieser Puppe gab ich ein Zuhause
mit Kissen und Blumen und Heu
und sprach mit ihr, Woche um Woche,
und dachte an Ria dabei.
Jetzt ist dieses Jahr vergangen,
der Direktor wurde wieder gesund,
und mit den Jungs aus dem Sportunterricht
gehen Ria und ich Hand in Hand.
Sie sagt manchmal: “Ist wirklich irre,
noch vor kurzem war ich schlecht drauf,
aber irgendwann kam dieser Schub in mich rein
und die Angst und der Haß hörten auf.”
Und ich lache: “Nie mehr fauler Zauber –
mit Freunden fängt alles neu an.”
Und dann mach ich das Spiel mit den Augen
und denk an unsern Talismann.
© 1989 für die TV-Serie Moskito
HERZLICH WILLKOMMEN
Mit dem Hochzeitsanzug
und dem Ehrentagshemd
und dem Gesangbuch der Eltern,
und der Frau, die sich schämt
am Gepäckband vom Airport,
fünf Kinder an der Hand,
unter blanken Riesenbrüsten
mit dem Rücken zur Wand.
Herzlich willkommen,
am andern Ende der Welt.
Herzlich willkommen,
hier im Magen aus Geld.
Mit einem Herrn vom Ministerium
und einer Dame vom Wohlfahrtsamt
und den Geschenken für ferne Verwandte,
von denen heut keiner kommt,
in einem Redeschwall aus Fremdheit:
‘Tagespauschale’, ‘Übergangsheim’ –
Auf dem Boden der Väter
und mutterseelenallein.
Herzlich willkommen
am andern Ende der Welt.
Herzlich willkommen,
hier im Magen aus Geld.
Da vorn, der Flüchtling aus Pakistan
und der, mit den Wunden aus Kurdistan,
die schickt man mit eurem Flugzeug zurück –
aber fühlt euch zuhaus hier – euch winkt das Glück!
Herzlich willkommen
am andern Ende der Welt.
Herzlich willkommen,
ihr seid aufgenommen
hier im Magen aus Geld.
Die Kinder träumen im Stehen
von einem Pferdchen im warmen Stall.
Als sie es streichelten vorgestern nacht,
war das zum letzten Mal.
Denn hier ist das Land ihrer Väter,
die Heimat – dort, wo man wohnt
in den Märchen seit Großmutters Zeiten -.
Kalt und fremd wie der Mond.
Herzlich willkommen …
© Herbst 89
ONKEL HEIN
Vati kämpft mit seinen letzten Haaren,
Mutti sagt: “Jetzt mach schon, höchste Zeit.
Ach”, seufzt sie, “der Tod, so schnell, die Jahre…”,
und ich weiß, sie tut sich selber leid.
Sie gehn beide schwarz und hektisch in den Garten,
ich hab meine engsten gelben Hosen an.
Vati ruft mich: “Vogelscheuche, komm, wir warten!”,
und ich hab noch etwas Rouge dazugetan.
Wir fahren auf den Friedhof,
denn Onkel Hein ist tot,
und ich glaub nicht, daß er uns hier sieht
in dem Abendrot.
Er kam jedes Jahr zu Weihnachten vier Tage,
schlief oft noch beim Fernsehen ein,
roch schlecht, hatte nichts und stellte keine Frage,
wenn was fehlte, hieß es: ‘Das war Onkel Hein’.
Er war jahrelang auf See herumgefahren,
hat den Absprung nachher nicht so recht gepackt.
“Wenn ich sein muß wie die andern, werd ich traurig”,
hat er irgendwann zu uns gesagt.
Und jetzt kommen wir zum Friedhof,
denn Onkel Hein ist tot,
und ich frag mich, ob er all das will,
hier in dem Abendrot.
Um das Grab stehn aufgemotzt ein paar Verwandte,
steif und unsicher und die Gesichter hart,
alle mustern mich, besonders eine Tante,
von der es heißt, daß sie mir monatlich was spart.
Ich muß lachen, denn ich weiß, was Onkel Hein gedacht hat:
“Menschen heucheln gern, da ist nichts bei” –
hat mir Mut gemacht, wenn’s Stunk und Krach gab,
einfach, wie er sagte: “Du bist frei.”
Jetzt steh ich mit auf dem Friedhof,
denn Onkel Hein ist tot,
und ich weiß nicht, ob er an irgendwen denkt
von all den schwarzen Krähen hier
unterm Abendrot.
Höchstens doch an mich,
die Vogelscheuche –
oder spinn ich total?
Ey, siehst du mich?
© Januar 90, für die Tv-Serie Moskito
DAS WAR SEIN GLÜCK
Das Glück stand an der Autobahn
bei irgendeinem Städtchen,
mit Shorts und weitem t-shirt an
wie tausend andre Mädchen.
Der Mann im schwarzen Jaguar
ging langsam vom Gas,
wahrscheinlich, weil er hungrig war,
aus Müdigkeit und Haß.
Das war sein Glück.
Sie fuhren in die Dunkelheit
und fielen in ein Schweigen,
das Land so zäh und hart und weit –
was soll man sich da zeigen?
Manchmal, wenn er herübersah,
ging ihr Blick durch ihn durch,
er träumte, was unmöglich war
ganz ohne Furcht.
Das war sein Glück.
Was es mit uns vorhat, es läßt uns kein Zurück.
“Was denkst du, und wie fährst du denn,
wieso bremst du, warum ziehst du rechts ran?
Hör auf damit, so bist du nicht!”
Und als er wieder zu sich kam,
das war das Land so weich, so kann es nicht sein –
und jemand saß in seinem Jaguar
und sagte: ‘Kleine, steig doch ein …”
Das war sein Glück –
was es mit uns vorhat, es läßt uns kein Zurück…
© Frühjahr 1990
WENN DU JETZT GEHST
Wer sagt, Architekten ha’m ne Klatsche?
Ich doch nicht. Aber dieses cracksüchtige Monster da hinten, das mit den Legosteinen spielt, das hat grad behauptet, Kinderkriegen sei eine postmoderne Obszönität. Ich meine, ich wußte nicht, daß der überhaupt Architekt ist – aber stell dir bloß mal dessen Häuser vor. Okay, es ist deine Party. Aber komm nachher nicht wieder keuchend mit deinem Atemtherapeuten vorbei und erzähl mir was von krankhaftem Imponiergehabe … Ich bin hier nicht der Spielverderber, ist das klar!? Hast ja recht …
Wenn du jetzt gehst, gehn alle
und die Party ist versaut.
Ich weiß, hier werden ne Menge
Kontakte aufgebaut.
Und ich sitz in der Falle
und will ganz freundlich sein.
Wenn du jetzt gehst, gehn alle,
und ich bin so allein.
Ein Heilpraktiker, ein Staatsschauspieler und eine Rockröhre diskutieren über die islamische Invasion. Okay, die Rockröhre hat ihre beste Zeit hinter sich, das sagen alle, nur nicht ihr selbst, aber muß man deshalb gleich rassistisch werden? Was heilt Magenkrämpfe besser, koreanische Fernheilmethode oder peruanischer Kräutersud? Hallo, Chantal, was macht deine Talkshow auf RTL? Schon wieder abgesetzt, ist aber schade! Hallo, Chantal, wie geht’s dem Landsitz in Masuren? Das war nicht provozierend gemeint, ehrlich, reg dich nicht auf, nur so – informationshalber, perestroikamäßig, wenn du dich noch erinnerst …
Wenn du jetzt gehst …
Ich bin so stolz auf all die tollen Frau’n,
die ihre Muskeln bau’n, sie bau’n und bau’n…
Es boomt und bommt, echot der Rechtsanwalt aus der linken Ecke, 20 Grundstücksummeldungen allein letzte Woche – und schau mal da, der arme kleine Defa-Regisseur von vorher: wird schon werden, mein Lieber, wir haben deine Akte gereinigt, dann kriegen wir eure Ökologie auf Dauer auch in den Griff …
Oh Mann, irgendwann heut nacht knall ich diesen Führungskräften voll mit der Stirn auf den Tisch, und zwar mehrmals, als meine Art von Gesprächsbeitrag, aus rein dramaturgischen Gesichtspunkten sozusagen …
Und was ist hier eigentlich mit der Musik los? Schau dir das an:
Da sitzt dieser Abgeordnete auf deinem Hi-Fi – Turm und will – jodeln!? Ey, bitte bleib doch!
Wenn du jetzt gehst …
© Frühjahr 1990
DEIN TYP IST DRAN
Bei dem war eigentlich nichts zu holen,
bastelte ständig an Motorrädern rum
und kam immer in den gleichen grauen Klamotten zur Schule.
Mein Bruder fand ihn echt ätzend.
Er hat nie viel geredet,
manchmal gefragt, ob wir mit schwimmen gehen würden am Nachmittag, aber er hatte dann immer diesen stotternden Kumpel dabei, und das mochten wir nicht.
Manchmal blieb er einfach vor mir stehen,
und ich mußte aus dem Weg gehen.
Zweimal rief er abends bei uns an,
und mein Bruder sagte: Dein Typ ist dran.
Seine Eltern waren von irgendwo hinter der Walachei,
und die Lehrer meinten: Na ja, mit etwas gutem Willen –
aber mein Bruder und ich, wir stehen mehr auf Telekommunikation,
für uns war das ein Typ aus der Zeitlupenzeit
mit seinen Motorrädern und diesem: “Ey Baby, willst’n Eis?”
Einmal hat er mir ein Feuerzeug gezeigt,
wo ein Kamel immer mit den Beinen drauf eingeknickt ist.
Wollt er mir schenken …
Als die Nachricht kam, war ich dann doch etwas betreten,
nachts voll gegen einen geparkten LKW.
Es stand sogar in der Zeitung, aber wir wußten es natürlich schon vorher – der Vertrauenslehrer kam in die Klasse, echt schonend. Schade, dieses Kamel – ich hab gar nicht so mitgekriegt, wie so was eigentlich funktioniert – aber hätt ich ihn fragen soll’n?
Vor ein paar Tagen hat er noch zu mir gesagt:
“Im Sommer, da geht’s dann der Sonne entgegen mit meiner Mühle!” Schon komisch …
Manchmal blieb er einfach vor mir stehen,
und ich mußte aus dem Weg gehen.
Zweimal rief er abends bei uns an,
und mein Bruder sagte: Dein Typ ist dran.
‘Dein Typ ist dran …’
© Frühjahr 1990, ursprünglich für Moskito TV
DER ZUG
Früher war die Welt eine Scheibe,
und ich wollte Lockführer werden.
Jetzt, wo sich das alles gekrümmt hat,
ist mein Wunsch nur noch heftiger geworden.
Ich wäre so gerne ein Zug,
ein Zug, der fährt hin und her,
kein Ort, den ein Zug so sehr mag
wie das Fahren und den Verkehr.
Von der köllnischen Heide in die märkische Schweiz,
von der sächsischen Schweiz in die fränkische Schweiz,
über Weichen und Schwellen, ein Zug ist nicht frei,
doch sieht Fenster für Fenster die Städte vorbei,
und das Land, wenn es dunkel wird, das ist der Reiz.
Ich wäre so gerne ein Zug,
ich glaub, ein Zug wär genug,
denn sein Gleis, das ist das, was er mag,
und wer mag, was ihn trägt, der ist klug.
Zwischen Schloten und Domen und Oder und Rhein
mit den fliehenden Kindern und dem Fahndungsverein,
er fährt jeden und bringt sie und läßt sie in Ruh,
sieht die Massen Gepäck und den Abschieden zu
und den Schwarzfahrer auch, komm doch rein.
Ich wäre am liebsten ein Zug,
wenn er losfährt, dann macht’s einen Ruck,
und dann stopp einmal seine Fahrt,
leg dich drunter: es ist ziemlich hart.
Es gibt Orte, da würd er gern länger sein,
und er denkt vielleicht: steigt doch langsamer ein,
und vielleicht kommt sein Herz dann in Wut –
doch dem Fahrplan nach: alles ist gut.
Ich wäre am liebsten ein Zug,
ich glaub, ein Zug wär genug …
Ich weiß nicht, ob du das verstehst –
ich hab dir im Schlaf zugeguckt
und dachte dann: falls du mal gehst,
dann wär ich am liebsten dein Zug.
© Frühjahr 1990