Das verlorene Album

Unveröffentlichtes und Auftragstexte für das ‘verlorene Album’ (1991-93)

Da wo du hin bist (1991)

Durch die Wand (1991)

Mauern gehn (1991)

Ich war noch nie in Moskau (1991)

Zukunftskinder (Duo) (1991)

Niemals mehr (1991)

Kakerlaken live (1991)

Was wird aus der Wohnung? (1992)

Ich komme / Ich warte (1. Fassung) (1992)

Wenn ich ein König wär (1991)

Peter & Guy (1992)

 

DA WO DU HIN BIST

Ich bin jetzt hier in der Kammer,
da liegt noch dein Buch –
ich hab nur kurz drin geblättert -,
und dein grünes Tuch
hängt vor dem Spiegel vom Kleiderschrank –
ich kann dich gut dort sehn,
so kurz vor dem Abschied -,
hör dich immer noch dort gehn.
Ist das wahr, sind das Bilder –
da liegt der angefangne Brief –
war da ein Engel, der geschubst hat,
war da ein Teufel, der rief?
Irgendwann kam diese Frage:
wie ist es, wenn man fliegt,
ist es der Anfang einer Reise in den Glanz
oder schläft man ganz, wenn man dort liegt?

Da, wo du hin bist,
irgendwo muß das sein.
Da, wo du hin bist,
hörst du uns, wenn wir schrein?
Bist du jetzt überall, im freien Fall
und sagst: so soll es sein?
Ist alles ganz?
Bist du nie mehr allein?

Was weiß ich, was ich glaube,
wenn so hart ist, was ich weiß?
In der täglichen Schraube
ist das Vergessen ein Preis.
Da war ein Weg, der kam an eine Brücke,
du gingst ihn einfach fort,
und da fehlte was, jemand, der rief: bleib stehn –
es war nicht mein Weg, und ich war nicht dort.
Der knappe Gruß zum langen Abschied,
wir ha’m das tausendmal gespielt.
Wenn alles kommt, wie’s kommen mußte:
schwer zu sagen, was man fühlt.
In einem Märchen, daß du mochtest,
da sitzt ein Vogel auf dem Baum,
und der Prinz weiß: es ist die Prinzessin –
dann ist es leicht, mal rüberzuschaun –

nach da, wo du hin bist.
Irgendwo muß das sein.
Da, wo du hin bist,
hörst du uns, wenn wir schrein?
Seid ihr dort ahnungslos, hemmungslos
und jubelt nur: so soll es sein,
oder ist alles ganz?
Bist du nie mehr allein?

Manche glauben an die Hölle – ich nicht.
Ich seh nur plötzlich etwas fallen und ein uraltes Gesicht.
Und ich bin sicher, daß du da bist,
und ich bin sicher, das ist Illusion,
und ich bin sicher, daß nichts wahr ist –
da ist ein Loch, das jagt davon.

In dem Märchen, das du mochtest,
sieht der verwunsch’ne Königssohn
ein grünes Blatt auf seinem Kissen,
nur so als Gruß, das weiß er schon,

von da, wo du hin bist.
Irgendwo muß das sein.
Da, wo du hin bist,
hörst du uns, wenn wir schrein?
Bist du jetzt überall, im freien Fall
und sagst: so soll es sein?
Ist alles ganz?
Bist du nie mehr allein?

© Frühjahr 91

 

DURCH DIE WAND

Spürst du den Fahrtwind?
Die Straße ist frei,
und der Druck, den wir los sind,
der tobt da draußen vorbei.

Hellhöriger Morgen,
so grau und so früh.
Da war ein Buckliger, im Hausflur verborgen,
als wir grad abfuhren, der sagte:
“Jetzt oder nie!”

Das Leben wird schneller von Jahr zu Jahr,
und Stunden, so Stunden sind wunderbar,
sie fliegen vorbei, wollen raus aus der Zeit,
und wenn sie am schnellsten sind, ist es soweit.

Schau, da im Fluß die drei Schwäne –
sie üben Flügelschlag, sie reisen wohl auch.
Dort, wo ihr Schilf war, stehn jetzt die Kräne –
wo gestern Feuer war, ist heute Rauch.

Und da am Wald, die verrückten Gestalten
trampen zur Stadt zurück nach einer wilden Nacht.
Weißt du noch? Es wollte keiner halten –
‘die falsche Richtung’, das ha’m wir zu oft gedacht.

Das Leben wird schneller von Jahr zu Jahr,
und Stunden, so Stunden sind wunderbar,
sie fliegen vorbei, wollen raus aus der Zeit,
und wenn sie am schnellsten sind, ist es soweit.

Deshalb gib mir die Hand, komm wir gehn durch die Wand,
wo es Sternschnuppen schneit, wo das Löwenkind schreit.
Vielleicht schon zu lange her, es erreicht uns nicht mehr,
doch wir werden zusammen gewesen sein.

Jemand ruft: “Fahrt bloß weiter”
in einem Bergdorf, wo man gut wenden kann,
und unser kleiner Reisebegleiter
macht grad die Augen auf und lacht uns an.

Und das Leben wird schneller von Jahr zu Jahr,
nur Stunden, so Stunden sind wunderbar,
sie fliegen vorbei, wollen raus aus der Zeit,
und wenn sie am schnellsten sind, ist es soweit.

Deshalb gib mir die Hand, komm wir gehn durch die Wand,
wo es Sternschnuppen schneit, wo das Löwenkind schreit.
Vielleicht träum ich das nur und verliere die Spur,
doch wir werden zusammen gewesen sein.

© Frühjahr 91

MAUERN GEHN

Bunte Stände,
grell und laut,
schnelles Geld am Rathausmarkt.
Das Bonzendenkmal abgebaut,
krumme Wege aufgeharkt.
Die kleine Stadt liegt auf dem Sprung hier,
glitzernd und wie neu,
doch bei den Männern da auf der Parkbank
da gehst du vorbei.

Bleib doch stehn
bei unserm Wiedersehn,
ich wink dir zu: Hey, wie kamst du
von Jahr zu Jahr?
Mauern gehn,
wir ha’m sie fallen sehn,
wir war’n dabei, und da wächst Gras,
wo’s steinhart war.

Du sagst, du schämst dich,
das Tempo lähmt dich,
jeder für sich allein.
Ich sag: mein Lieber,
komm, wir gehn rüber
heut lad ich dich ein.
Du zeigst auf einen mit einer Glatze und in Stiefeln,
sagst, das ist dein Sohn.
Und ich frag: glaubst du – glaubst du, er haßt dich?
Du murmelst: Manchmal schon.

Bleib doch stehn
für unser Wiedersehn,
ich wink dir zu, hey, wie kamst du
von Jahr zu Jahr?
Mauern gehn,
wir ha’m sie fallen sehn,
wir war’n dabei, und da wächst Gras,
wo’s steinhart war.

… Mauern gehn,
wir ha’m sie fallen sehn.
Da, wo sie jetzt noch stehn,
wächst Gras im nächsten Jahr.

© Sommer 1991, für Veronika Fischer

ICH WAR NOCH NIE IN MOSKAU

Berliner Ring und Regengischt,
zum Überholen fehlt der letzte Schwung,
die Tramperin am Rastplatz: weggewischt –
schon ein Punkt in der Erinnerung.

Ein Mann kommt übers Radio,
ich hör kaum, was er sagt,
weil mich ein Laster links geschnitten hat.
Ich bremse, und sie reden über Moskau:
die grauen Männer fliehen aus der Stadt.

Warnung vor dem Vollcrash, Einfahrt in den Stau,
ich blinke auf, oh Mann, was mach ich hier?
Ein Grinsen über Spuren weg, ich weiß genau:
was du von mir denkst, das denk ich von dir.

Ich sah die Barrikaden
auf dem Bildschirm letzte Nacht,
so hilflos und verlor’n kam es mir vor.
Ich war noch nie in Moskau, doch ich freu mich:
die Panzer fahr’n mit Blumen aus dem Tor.

Ich war noch nie in Moskau, doch ich freu
mich einen Moment lang, der es in sich hat:
die Macht hat einmal keine Menschen,
die grauen Männer werden fortgejagt.

Nach ‘ner Weile komm’ sie wieder,
mit andern Namen, ist doch klar,
und den Mund voll neuen Worten –
ah, der Schreibtisch ist noch da.
Stehn im Schatten der Tribüne,
wenn der Tribun das Volk bewegt –
Geht’s hier eigentlich mal weiter?
Jetzt fahr doch, soll’n wir warten,
bis dein Schlitten Wurzeln schlägt?

Vorbei am Kloster Lehnin, in den Wäldern linkerhand,
wir war’n da mal im Garten, weißt du’s noch?
Ah, hätt ich dich jetzt bei mir,
wir könnten lachen auf der Fahrt,
du würdest sagen: Ras nicht so, und ich sag: Doch.

Das war so ein Moment, glaub ich,
wo alles aussieht wie ein Spuk,
und das einzige, was man denkt, ist: Bitte nicht!
Ich war noch nie in Moskau, doch ich freu mich,
weil in dem Moment die Kraft so oft zerbricht.

Ich fahr hier lang wie hunderttausend andre,
ich hör die Nachricht, spür den Schwung –
von nachher, aus dem Sturm heraus, der aufbricht,
ein kleiner Punkt in der Erinnerung.

© Sommer 1991

ZUKUNFTSKINDER (Duo)

Kinder sind glücklich, wenn sie spielen,
weiß ich von mir, ich glaub, es stimmt.
Mir tun sie leid. Sind längst wie Fische,
denen man das Wasser nimmt.
Glaubst du, die freun sich, wenn sie da sind,
auf Hektik, Gift und Fernsehkrieg?
Doch sag mir: wer soll das je ändern,
wenn es mal keine Kinder gibt?

Sie: Kinder kommen in die Zukunft, schauen zu und fassen an,
Er: stellen Fragen, bis sie groß sind:
woher, wohin, weshalb, warum?

Da, die zwei Dötze auf der Straße
toben so elegant umher
und wär’n grad fast daran gestorben:
schlimmer als Dschungel, der Verkehr.
Die Welt ist wild, ein Abenteuer,
schon in den Märchen war das so,
nur heute dreht die geile Hexe
von Hänsel gleich ihr Video.
Hör auf: mit Kindern kann man’s machen,
weil sie die Tricks noch nicht verstehn.
Ich denk, die Regeln werd’n sich ändern,
die Kinder werden weitergehn.

Kinder kommen in die Zukunft …

Ich weiß nicht recht, weshalb wir reden,
was gehn die Kleinen uns denn an?
Jetzt täusch dich nicht: vor ein paar Wochen,
die Nacht am See, denk da mal dran.
Du meinst den Absturz unterm Vollmond??
Ich hab gedacht, es könnte sein.
Dann red schon, mach hier keine Folter!
Seit gestern weiß ich: diesmal Nein.
Und sag mal, wolltest du’s denn haben?
Wo wir erst so kurz zusammen sind?
Irgendwann später. Jetzt bestimmt nicht,
ein Teil von mir bleibt lieber Kind.

Kinder kommen in die Zukunft …

Glaub mir’s: wie Fische auf dem Trocknen –
die Welt ein einziger Kinderschreck.
Kann sein. Doch jedes Kind, das ankommt,
hat noch die Welt ganz neu entdeckt.

©Herbst 1991, für die TV Serie Moskito

NIEMALS MEHR

Javonka, ich denk an dich,
ich kam im Sommer zu Besuch
und wir tanzten durch die Gassen.
Du sagtest: Täusch dich nicht,
auf dieser Stadt hier liegt ein Fluch,
jedes Kind übt sich im Hassen.

Hör doch her,
niemals mehr
sind sie klug genug
und frei genug wie Freunde.
Niemals mehr,
der Druck ist schwer,
und es wird schrecklich sein,
wenn sie vor sich stehn als Feinde.

Javonka, hier mein Brief,
möglich, daß du ihn nie liest,
denn eure Stadt wurde belagert.
Das Schlachten war plötzlich da,
so brutal, unfaßbar nah,
die Politik nichts als Gelaber.

Hör doch her,
niemals mehr
sind sie klug genug
und frei wie unter Freunden.
Niemals mehr,
so schön es wär –
wenn sie doch Nachbarn war’n,
was machte sie zu Feinden?

Leere Gesichter,
die Besiegten ziehn davon,
und auf dem leeren Platz ein altes Grammophon –

Hört doch her:
niemals mehr!
Wann sind wir klug genug
und frei genug wie Freunde?
Niemals mehr,
nicht ein Gewehr,
denn es wird schrecklich sein,
wenn wir erst vor uns stehn als Feinde.

© Winter 91, für Veronika Fischer

KAKERLAKEN LIVE

Das Märchen, das ich erzählen will, fing an in Bogota – in einer elenden Wellblechsiedlung am Stadtrand. Die kleinen Lebewesen, die in dem Märchen die Hauptrolle spielen, hatten dort alles erobert, da war kein Widerstand mehr. Sie waren so viele, was sie sich vornahmen, ging so leicht. Es geschah nicht aus Not, eher aus Wanderlust – jedenfalls: ‘Raus’, dachten die Zähesten unter ihnen – ich behaupte mal, daß es Denken war -, und wie auf Kommando zogen sie los, nordöstlich.

Durch den Asphalt ging die Reise,
durch den Stahl und das Glas,
der Sand der Wüsten war Speise,
der Müll der Städte war Spaß.
Spürten nicht Kälte noch Hitze,
fuhren per Flugzeug und Bahn
und machten andauernd Witze,
nichts hielt sie an:

Kakerlaken
durchfressen die Welt,
Kakerlaken,
bis alles zerfällt.
Kakerlaken,
auch wenn sie’s selbst nicht verstehen,
haben uns längst in der Tasche,
ihre Welt ist so schön.

Man weiß, was mit Mexico-City passiert ist – und L.A., San Francisco? Na gut, es lief einiges grundsätzlich schief, und die Menschheit hat weißgott keinen Mangel an Plagen und Schrecken. Aber meine Cousine in New York City, die schwört, sie sei fünfzehnmal umgezogen, von Loft zu Loft, und: “Jedesmal mach ich den Müllschlucker auf oder den Schlafanzug meines Lovers, und man kommt einfach nicht mehr an gegen diese … Tierchen…”

Kakerlaken
durchfressen die Welt,
Kakerlaken,
bis alles zerfällt.
Kakerlaken,
auch wenn sie’s selbst nicht verstehen,
haben uns längst in der Tasche,
ihre Welt wird sich drehen.

Wenn du sie teilst, sind sie doppelt,
wenn du sie brätst, bleibt ein Rest,
mit tausend Giften gemoppelt,
für die ist Starkstrom ein Fest,
und laues Wasser am Kühlturm,
das finden die einfach nur feucht,
spül’n sich ab und gehn weiter –
tja, dann wird die Welt leicht …

Reden wir nicht von siffigen Rastafarivierteln in London oder von Anschwemmlagern frierender Flüchtlinge in Rostock oder Bari – nein, gehn wir direkt ins Zentrum der Festung Europa, in das stocktrockene Brüssel, wo die Erwählten zu Gast sind, eine Creme unterm Kuppeldach, wo eben der Präsident einer führenden Industrienation eine Pause gestaltet in seiner Rede, einen Schluck Wasser nimmt – alle Simultanübersetzer tun es ihm gleich -, sein Manuskriptblatt wendet, zurückschreckt, stottert …

Kakerlaken
durchfressen die Welt,
Kakerlaken,
wer hat die hierher bestellt?
Kakerlaken,
auch wenn sie’s selbst nicht verstehn …

Obwohl: weiß man das so genau?
Denn momentan tagt gerade ein Zentralrat in Bogota. “Wir verdanken den Menschen so viel”, spricht der weiseste der Kakerlaken zu seinem Volk, “unsere Verkehrsmittel, unsere Nahrungsmittel und die Genußmittel. Ich weiß nicht, was für Probleme sie haben, diese Menschen, aber sie haben sie – doch wir dürfen nicht übermütig werden, wir dürfen nie vergessen: Sie haben ein Paradies vorbereitet für uns – und noch heißt es lernen von ihnen: wir sind noch so reizlos, so stumpf … Stellt euch einmal vor:

Wir werden lesen und faxen,
träumen und aufrecht gehn,
wir werden wachsen und wachsen
und uns im Tanze drehn … “

Also, während ich hier auf der Bühne bin und Ihr gemütlich auf euren Stühlen sitzt, nachher noch was essen geht oder sonstwohin – alles ist möglich zu dieser Zeit an diesem Ort, wie überall -, kann es durchaus sein, daß im Holz dieses Klaviers hier, im Federkern eurer Matratzen zu Hause, im Sud eines Sondermülls gerade jetzt ein junger Kakerlak seiner Liebsten zuflüstert:
“Am Anfang war das Wort …” oder
“Und sie bewegt sich doch” –
oder einfach nur: “Shubiduba …”

Kakerlaken
durchfressen die Welt.
Kakerlaken,
bis alles zerfällt.
Kakerlaken,
auch wenn sie’s selbst nicht verstehen,
haben uns längst in der Tasche
mit ihrer heimlichen Masche –
für die ist alles so praktisch,
unsre Welt macht die glücklich
und soll sich lange noch drehen.

© Februar 92 (für ‘Unterhaltung am Wochenende’, WDR)

WAS WIRD AUS DER WOHNUNG?

Jetzt ist sie also weg – auf und davon. Sieht schon irre aus, so’ne leere Wohnung …
Und du hast keine Ahnung, wohin? Oder mit wem, ich mein, irgendwer muß doch mit ihr …
Ich kann das noch gar nicht packen – ich mein, Tina, du und Tina, ihr wart doch das Paar … Was ha’m wir euch alle beneidet, schon damals in der Soli-Gruppe – erst um die Leidenschaft, später dann um den Aufstieg …
Natürlich ist das ein Mordsstreß für dich jetzt … Natürlich fordert eigentlich schon dein Beruf einen Achtundzwanzig-Stunden-Tag, wem sagst du das …
Ich weiß nicht, ob der Umgang mit Gerichtsakten auf die Dauer enterotisierend wirkt, keine Ahnung – besprich sowas lieber mit deinem Analytiker …
Ich bin hier, um dir zu helfen, verstehste, der Freund in der Not. Und du mußt wirklich gut aufpassen auf dich jetzt, ich kenn mich da aus …

Erzähls mir,
wie gehts dir?
Nimm dir was Tolles vor jetzt,
bleib bei dir,
bist du in Ordnung?
Geh los jetzt,
sag ‘nie mehr’
und mach es zu deiner Entscheidung,
nur du zählst.
Und was wird aus der Wohnung?

Alles mitgenommen, unglaublich. Wie: ‘Ob Sie das darf’ – das mußt doch du wissen, du bist doch hier der Rechtsanwalt.
Ich meine, sie hatte schon immer mal ihre Ausraster … Oh ja, damals in Jugoslawien, Tina mit ihrem albanischen Lover …
Apropos: hätt man das damals gedacht, was da abgeht jetzt … Serben und Bosnier … war doch’n wunderbares Land, dieses Jugoslawien, man kriegte, was man wollte, und war trotzdem irgendwie sozialistisch …
Furchtbar! Tschetscheken, Kirgisen, Kalmüken – hat man doch gar nicht geahnt – und keiner mag keinen andern – was soll denn da noch alles kommen … Garnelen, okay, das war, warte mal, in diesem Fischerdorf bei Barcelona, mit unsrer endlosen Diskussion über die Baskenfrage …
Ein Herz für die unterdrückten Völker ha’m wir gehabt, so übersichtlich das damals noch war in den Jahren …
Übrigens, weißt du noch, Tina trug diese bezaubernde Baskenmütze den Sommer über in Spanien – oh, entschuldige …

Erzähls mir,
wie gehts dir?
Nimm dir was Tolles vor jetzt,
bleib bei dir.
Bist du in Ordnung?
Geh los jetzt,
sag ‘nie mehr’
und mach es zu deiner Entscheidung,
nur du zählst.
Und was wird aus der Wohnung?

Ja ja, du würdest gerne wissen, wohin diese Welt sich abdreht … Das ist die richtige Frage zur falschen Zeit, mein Lieber, du mußt jetzt nach vorne powern, eine Scheidung kann teuer sein, das weiß doch keiner so gut wie du …
Ich mein, wenn dir das alles mal zu streßig sein sollte, dein Anwaltskollektivgedöns, dann verteidige doch ne Weile mal nur Vergewaltiger, Faschos und Bullen, dann erledigt doch der Staatsanwalt deine Arbeit gleich mit, wenn ich recht orientiert bin … Na, Spaß beiseite, ich weiß, es ist ‘komplizierter’ – ist das auch dein Lieblingswort geworden? Es ist so kompliziert, daß ich manchmal denk, solche wie ich und du, wir sollten unser eigenes autonomes Gebiet aufmachen, Niederlausitz z.B., hab ich grad ein paar Anleger hin vermittelt, phantastisch, sag ich dir … Wir war’n doch immer ‘ne Minderheit, immer so was wie eine eigene ethnische Volksgruppe … Mit ner eigenen Sprache, na aber Hallo! Ich lese übrigens neuerdings morgens manchmal wieder Marcuse, ‘Triebstruktur und Gesellschaft’, rührend, sag ich dir, rührend …
Komm, Alter, wird wieder werden …
Ich mein, Tina hat irgendwann mal gesagt: Solche wie ihr, die fallen immer nach oben – zwar voll mit der Schnauze, aber dann trotzdem komischerweise immer nach oben …

Ich weiß, ich soll diesen Namen nicht mehr erwähnen …

Wie gehts dir?
Erzähls mir,
nimm dir was ganz Tolles vor jetzt,
bleib bei dir.
Bist du in Ordnung?
Geh los jetzt,
sag ‘nie mehr’
und mach es zu deiner Entscheidung,
nur du zählst,
und was wird aus der …

A propos: Diese prachtvolle leere Wohnung hier, die muß doch jetzt ‘ne Goldgrube wert sein …!??

© Sommer 1992

ICH KOMME / ICH WARTE

(1. Fassung)

In zwei Stunden wird sie landen,
sie hat ein Telegramm geschickt,
unser erstes richtiges Rendezvous,
und ich freu mich wie verrückt.

Ich kenn den Typ erst seit paar Tagen,
wir haben uns noch nie besucht,
doch ich will es einfach wagen,
hab mir einen Flug gebucht.

Ich komme.

Ich warte.
Ich komme.

Ich warte.

Du, ich ruf dich an vom Flugplatz,
es verschiebt sich leider noch,
hier herrscht fürchterliches Chaos –
ich glaube fest, sie fliegen doch.

Schon mal toll, daß du mich anrufst,
hab gedacht, du wärst längst hier,
gedeckter Tisch, das Bett, die Kerzen,
alles wartet hier mit mir.

Kannst du hören, was ich sage,
bitte krieg jetzt keinen Schreck:
Ich steh in einem Intercity,
und mein letztes Geld ist weg.

Wieso, weshalb, was soll das heißen,
kommst du nicht mehr heute nacht?!
Oh, ich wünschte, ich hätt Flügel …

Was? Was hast du grad gesagt?

Ich warte.
Ich komme.

Ich warte.
Ich komme.

So, das ist jetzt meine letzte Mark.

Weißt du eigentlich, wie spät es mittlerweile ist? Drei Uhr nachts.

Der Intercity steht.

Reizend.

In Göttingen.

Ja, und jetzt?

Streik.

Aber was hab eigentlich ich damit zu tun? Mach mich hier verrückt
mit dir. Du wolltest mich schließlich besuchen …

War ja nur’n Vorschlag. Ich mein, ich kann morgen früh
wieder umkehren.

Das wär vielleicht nicht das Verkehrteste.

Bitte, das war’s dann wohl.

Ja, das war’s dann.

Sie war ‘ne Frau, die ich gleich toll fand,
schien zu wissen, was sie will,
doch ich mußte sehr schnell lernen: sie war unstet, ohne Ziel.
Er war ein Typ, auf den ich abfuhr,
doch es hat sich bald gezeigt:
er reagiert ganz unsensibel bei jeder Kleinigkeit – wie Streik.

Na Kleiner, gut aufgewacht?

Ach, damit hätt ich jetzt aber nicht gerechnet …

Wie hast denn du die Nacht verbracht?

Ich bekam noch Besuch von meiner Nachbarin, deren Mann
hängt in Hamburg fest. Und wo bist du?

Immer noch Göttingen. Ich hatte einen reizenden Schlafwagen-
schaffner. Der hat mir auch die fünf Mark geborgt, mit denen
ich dich grad anruf, eh ich zurückfahre.

Fährt denn überhaupt was?

Manchmal ja, manchmal nein.

Du – ruf doch gelegentlich mal wieder an.

Ja, warum eigentlich nicht?

Er war ein Typ, von dem ich dachte,
daß endlich einmal alles stimmt.

Sie war ne Frau, von der ich hoffte,
daß sie mich ganz einfach nimmt.

Doch durch den Streik konnten wir lernen,
was man sonst erst spät kapiert:
die wahre Liebe ist am schönsten,
wenn man nur telefoniert!

Ich komme.

Ich warte.
Ich komme.

Ich warte.

Sag mal, Schatz, wie lange geht das jetzt eigentlich zwischen uns?

Drei Jahre oder so.

Und, Schatz, ist es dir jemals langweilig geworden?

Nein, mein Liebling, eigentlich nie.

Na also. Dann sag bitte auch nicht immer, die ÖTV sei schuld
daran gewesen, okay?

Okay, Liebling. Aber was wird passieren, wenn demnächst
die Telekom streikt?

© Mai 1992

WENN ICH EIN KÖNIG WÄR

Wenn ich ein König wär
auf zinnernem Schloß,
und dem Wink meines Auges
gehorchte der Troß,
wenn ich alles im Reiche erführ,
meine Reiter hemmt nichts,
was freiläuft, das brächten sie mir,
und ich wär das Gericht –

dann müßt ich trotzdem, so wie du hier vor mir stehst,
bekennen, ich bin machtlos, hilflos vor dir,
die Sonne sinkt. Ich will, daß du sie fortküßt.

Wenn ich ein schmaler Dieb wär
und stiege vom Dach
in das Haus eines Reichen
an der Schwelle der Nacht,
und jemand packt mich und hielt mich,
risse mir hoch das Gesicht,
und dort im Gang kämmtest du dich
in einem prächtigen Licht,

du müßtest trotzdem, wie du mich so liegen siehst,
bekennen, du bist machtlos, hilflos vor mir,
die Sonne sinkt. Du willst, daß ich sie fortküß.

Draußen sind Nachtwind und Regen,
zwischen uns bleibt es still,
keiner mag sich bewegen,
jedes Wort eins zuviel.
Komm, laß uns sein wie die Fremden
auf der gesprungenen Welt,
laß uns jetzt sein wie dies Märchen –
daß es von uns erzählt!

© Herbst 91

PETER & GUY

Das Lieben ist ein Himmelswerk,
der Mensch aber ein Erdenzwerg,
und wünscht doch, daß es ihn triebe
in die unendliche Liebe.
Na gut, wir ahnen alle, davon wird man verrückt,
es heißt ja immer wieder: Dazu fehlt das Glück,
doch stellt euch einmal vor, das Glück käm selbst vorbei
und machte ein paar von uns zum Lieben frei…

Z.B. Peter und Guy fanden’s wunderschön,
sie sagten: “Nie mehr woll’n wir auseinandergehn.”
“Für alle Zeit?”, haben sie sich gefragt,
und Peter und Guy haben Ja gesagt.
Es folgen Küsse unter’m Altar,
ein uraltes Märchen wird wahr,
und die Hochzeitsreise geht nach Hiddensee,
ach, unser Herz im Sand, wenn ich das wiederseh…
Selbst die süßen Jungs im Irokesenschnitt
tun ihre Knüppel weg und fahren mit.

Peter und Guy ha’m nicht nur sich verführt,
auch die Nachbarn sind ganz schrecklich angerührt,
nur der Opa fragt: “Wer ist hier Mann, wer Frau?”,
und alle gröhlen: “Wissen’mer nich genau”,
und sie lieben sich unter’m Altar,
das uralte Märchen wird wahr.
Die Hochzeitsreise geht nach Hiddensee,
das ist ein Schiff am Horizont, das ich ganz rosa seh,
und alle brechen auf, lassen die Jobs im Stich
und zagen nicht und lieben sich.

Die Liebe ist eine Zauberkraft,
doch normal ist, daß sie irgendwann einmal erschlafft.
Aber hast du das Glück selbst dabei,
bleibt alles locker und frei.

Wie bei Peter und Guy, da fängt’s erst richtig an,
der Papst hat sehr bedauert, daß er nicht persönlich kommen kann,
doch die Ministerin aus dem Bundestag, die ruft:
“Ich hab mir freigenommen, weil ich euch zwei Jungs so mag!”
Und sie lieben sich nun hin und her
auf ihrem Schiff nur immer noch viel mehr.

Denn Peter und Guy haben Ja gesagt
in einer Zeit, wo jeder jeden sonst zum Teufel jagt,
haben nur nach ihrem Glück gefragt,
Peter und Guy haben Ja gesagt.
Wer dabei war, der dachte:
“Toll. So ist es, wie man leben soll!”

Doch eines Nachts auf hoher See,
da dachte sich das Glück: “Wird Zeit, ich geh”,
und sprang ganz leise von Bord,
schwang an einen sicheren Ort.
Und die Liebenden standen am nächsten Tag,
an den sich keiner mehr so recht erinnern mag,
auf ihrem Schiff, mit Peter und Guy in der Mitte,
und fragten sich: “Was machen wir hier eigentlich –
könnt es sein, daß das Ganze ziemlich albern ist –
‘n bißchen langweilig auf jeden Fall –
und was machen wir jetzt –
sag mir eins:
wat soll’n ditte??”

© Herbst 92