Gegengift

Gegengift

Lied entstanden beim Singen (2000)

Ich bin dir egal (2000)

unterwegs (1999)

Gib nicht gleich auf (1999)

Sie ist berühmt (2000)

Ein Film (2001)

Der Weg ist lang (1998)

Mit dem Roller (1981)

Haut ab! (1993)

Solang es geht (2001)

Vegetarische Küsse (2000)

Spann den Wagen an (2000)

tilt (1981)

Das verlernt man nicht (2001)

Uraltes zerrissenes Hemd (2000)

 

Gegengift – Auftragstexte und Unveröffentlichtes

Sex auf Baustellen (1999)

Im letzten Jahrhundert (2000)

Das Engagement (2000)

Der Chor (2000)

Auf Wiedersehen D-Mark (2000)

Nachtbus (2000, mit Horst Evers)

Stein im Schuh (2000)

Rinder wehn im Sommerwind (1992)

Bessere Welt (2001)

Der Truppenführer vom Kosovo (2001)

LIED BEIM SINGEN ENTSTANDEN

Nie ein Zögern vor dem nächsten Moment,
keine Angst vor’m Mißlingen,
wie ein Springer, der die Höhe nicht kennt,
so entsteht ein Lied beim Singen.
Man sagt, nichts auf der Welt sei so frei und heiß,
nichts könne tiefer eindringen
als ein Gesang, der sein Ende noch nicht weiß
und entsteht beim Singen.

Wir sind nur Menschen, und wir grübeln jeden Tag:
Was mag der nächste Tag bringen?
Die alten Lieder, soll sie hören, wer sie mag –
sie entstehn nicht beim Singen!

Traf einen Weisen im verlass’nen Bergwerk,
tat mit dem Gewicht der Welt ringen,
er sagte: “Eins noch, eins, worauf ich merk,
dann geh ich, wohin alle gingen.
Rate, was ist das: Glaubt selbst, es sei ein Zwerg
und kann nichts erzwingen,
aber läßt man es wachsen, wird es riesig wie ein Berg?
Ein Lied, entstanden beim Singen!”

Wir sind nur Menschen, und wir grübeln jeden Tag:
Was wird der nächste Tag bringen?
Wenn es uns mies geht, vielleicht daran liegen mag,
daß wir nichtmal im Schlaf singen.

Ich saß alleine in der lauten Muschelbar,
von Gläsern hört’ ich’s klingen,
ein Mann sprang auf und sang so hell und klar
immerzu nur vom Singen.
Ich sah ihm zu und fragte, wer das war,
an Tönen hoch hört’ ich ihn springen,
verstand kein Wort, und war doch wunderbar –
die andern Leute fortgingen.

Bis er und ich, sonst war niemand mehr da,
allein Arm in Arm hingen:
Wir ritten los auf einem Lied, so rein und rar,
und es entstand beim Singen!

Wir sind nur Menschen, und wir grübeln jeden Tag:
Was wird der nächste Tag bringen?
Die alten Lieder, soll‘n sie trösten, wer sie mag,
sie entstehn nicht beim Singen!
Wir sind nur Menschen, und wir grübeln jeden Tag,
wie wir denn eigentlich klingen?
Vielleicht wie dies hier, bitte glaubt mir, wenn ich sag:
Dies Lied entstand beim Singen!

Februar 2000 © M. Maurenbrecher

ICH BIN DIR EGAL

Aus einer Nacht mit guten Freunden hab ich mir nie was gemacht,
an unser schönes verbotenes Spiel hab ich kaum mal gedacht,
der Vollmond, wenn‘s ihn je gab, war mir immer zu fahl,
und du – wenn ich dich je bemerkt hab -, ich war dir egal.

In eine Stadt wie Solingen-Oligs würd ich gerne ziehn,
einen Menschen wie Wladimir Putin gern immer um mich sehn.
Schenk mir ein Handy, gib die Nummer raus, jedem zur Wahl,
aber ruf mich nie selbst an, denn ich bin dir egal.

Ich hab die Welt von ganz weit oben sich träge drehen sehn,
und es war nicht so verlockend, nachher von dort zurückzugehn,
doch ich flog meine Flügel aus, hielt mich fest an meinem eigenen Schal

ich könnt dir zeigen, wie‘s geht, aber ich bin dir egal.

Wenn ich das nächste Mal komme, bin ich ein anderer,
ich vergesse mich selbst, ich werd zum Wanderer,
und die Sonne, die heut früh aufgeht, tut das zum ersten Mal:
So hast du mich nie geliebt, und so bin ich dir egal.

Wenn die Sonne, die auf uns draufscheint, da oben ist zum
ersten Mal,
dann hab ich dich nie geliebt, und dann bin ich dir egal.

April 2000 © M. Maurenbrecher

unterwegs

Wenn ich dich gleich nicht mehr sehe,
dann bin ich ein’ Moment schwach,
und ich vermiß deine Nähe,
ich weiß, du winkst mir nicht nach.
Doch dann kuschle ich mich in den Sitz rein,
meinen Fensterplatz, mich trägt ein Gleis
und mich zieht eine schwere Maschine,
bis ich von dir nichts mehr weiß.

Ich hab den Zug noch bekommen,
wir wollten es beide nicht sehr,
aber sportlicher Ehrgeiz, Pflichtgefühl und natürliche Sturheit

was auf der Welt erreicht mehr?
Das soll nichts sagen über unsere Liebe,
ich weiß nur: Ich muß manchmal fort,
und die Dörfer, die Hügel, all dies getönte Getriebe,
erst das läßt mir mein eigenes Wort.

Es ist toll, so gezogen zu werden,
frühmorgens, der Zug ist noch leer,
und zu denken: Da hinten, da führst du jetzt dein Leben,
und ich meins hier, und kein Herz wird schwer.
Ich glaub, daß du dich jetzt noch mal hinlegst,
ich weiß, ich wär gerne dabei –
doch so korrekt hingesetzt, so in einem Fahrplan drin,
erst so fühl ich mich richtig frei.

Das soll natürlich nichts sagen über unsere Liebe,
ich glaub nur: Ich muß manchmal fort,
und jedem Hügel, jedem Baumarkt da draußen in dem Getriebe
flüstre ich für dich ein zärtliches Wort.

Juni 98, zum Thema ‘Bahn’

GIB NICHT GLEICH AUF

Wenn du Lotto spielst seit fünfzehn Jahren,
jeden Freitag, und jedesmal die gleiche Kombination,
und bist jetzt einmal eine Woche einfach weggefahren
und hast natürlich nicht gespielt – was kommt, du ahnst es schon…
Jetzt mußt du tapfer sein, du wolltest die Millionen,
aber auf deine Art, denn nur die bringt dich rauf:
Gib nicht gleich auf,
gib nicht gleich auf,
du hast es doch drauf,
gib nicht gleich auf.

Wenn du an einem Buch geschrieben hast seit etwa 20 Jahren,
du hast es nie jemandem gezeigt, nie ausgedruckt, war dein geheimes Spiel,
jetzt sitzt du am Computer vor den allerletzten Korrekturen,
und plötzlich macht ein Blitz dein kleines Zimmer überhell

oh, wie schön alles brennt, auch die Diskette mit den Sicherheitskopien
steckt grade mit im Laufwerk, die Reste sind wie tausend Seiten Rauch:
Gib nicht gleich auf…

Nein, es ist nie zu spät,
die Zukunft kommt und geht,
und das, was dir zusteht,
glaub mir, es reicht.
Da ist ein Weg für dich,
oh bitte, wehr dich nicht,
denn dieser Weg ist nur für dich –
geh ihn ganz leicht!

Wenn dir ein Mensch begegnet ist vor vielen, vielen Jahren,
ihr wart zusammen und getrennt, habt mal gefunden und dann wieder versäumt,
und jetzt nach einer langen Schweigezeit weht wieder Frühlingswind in euren Haaren,
ihr geht an einem Fluß entlang, der wie verliebt an euer Ufer schäumt –
doch plötzlich kommt ein Motorrad von hinter euch gefahren,
dir passiert gar nichts – nur sonst nimmt alles seinen Lauf:
Gib nicht gleich auf…

Wenn du dann etwas müde wirst nach soviel tollen Jahren,
du denkst: Das könnt’s vielleicht gewesen sein, dein Puls geht ziemlich schnell,
steigst nachts auf einen Kirchturm, siehst dich alte Strecken noch mal fahren,
schwingst leise auf die Brüstung, und am Horizont wird’s grade wieder hell.
Ganz friedlich springst du los, aber am Markt ist heut ein Kinderfest:
Wasserbecken, Hüpfburgen, sogar ein großes Trampolin taucht auf –
Gib nicht gleich auf,
gib nicht gleich auf,
du hast es doch drauf,
gib nicht gleich auf.

T & M: MM, September 99, Uraufführung Raststätte
Aachen, MF

SIE IST BERÜHMT

Na klar ist das für dich jetzt nicht unbedingt das Einfachste,
sie war ja nicht nur deine Freundin, sondern auch so wie ‘ne kleine
Schwester, mit ihren Schminktöpfen in allen deinen Zimmern, mit
dieser Sonnenblumenkern-Macke, dem leeren Blick, der Sehnsucht nach
was gnz Anderem, für das sie dann doch meistens nichts getan hat
– du hast schon ziemlich oft gedacht: ‘Ich schmeiß sie demnächst
raus’.
Sie konnte stundenlang herumliegen und nölen, aber es war auch
Liebe zwischen euch – das weiß ich, sie war jung, schon das gab
dir Schwung, und du hattest was für sie, das hat sie manchmal sogar
gemocht, so Sprüche von der Sorte: ‘Das Beste ist immer auch das
Schlimmste, Mädel’ – Sprüche, gegen die keiner richtig was
sagen kann, aber auch keiner richtig was dafür.
Und dies Gespräch, in dem sie dann den Entschluß gefaßt hat, das siehst du vor dir so, als wär’s gewesen grad erst gestern

du sagtest: “Mach doch, dann bewirb dich doch, in einem Wohncontainer mit zwölf anderen, für’n Vierteljahr oder sogar länger, und dann auch noch gefilmt von so’nem Scheiß-Privatsender – hör mal, ich finds ja Klasse, daß du überhaupt mal was unternimmst, daß du mal was an dich ranläßt, aber – wenn du mich fragst, sowas hältst du keine vierundzwanzig Stunden aus…”

Und jetzt ist sie berühmt, richtig berühmt!
Sie hat ne Single auf Platz zwei und kriegt ne Fernsehshow mit Ingo Appelt,
für ihn ist das die zweite Chance, doch für sie kann es der Durchbruch sein.
Sie ist berühmt, richtig berühmt, mach einen Sender deiner Wahl an, sie ist da, und schon spürst du, wie die Kiste rappelt.
Da hängt ihr alter Anorak in deinem Flur – du gehst nur traurig dran vorbei, fühlst dich zum ersten Mal in deinem Leben so wie abgehängt und sehr allein.

Trotzdem, ich find es zu hart, wenn du jetzt sagst: “Sie verdient
es gar nicht, so erfolgreich zu sein, sie kann ja eigentlich gar nichts.”
Sie konnte uns z.B. immer wunderschön zum Lachen bringen – schon
mal mehr, als Jenny Elvers kann. Oder sie konnte ganz ernsthaft sagen:
“Das find ich jetzt aber gar nicht so komisch”, und sofort war’n wir alle wieder auf Null. Du mußt auch mal bedenken, wie klasse sie all die Hürden genommen hat: Erst ihre Container-Grufties, dann den Schmidt, den Raab, die ganze Meute, das ganze Menuett, wo man keinen bei auslassen darf, wenn man oben wieder rauskommen will – sie tanzt sich da so durch, das ist ihre irre Natürlichkeit. Die ist uns vorher gar nicht so aufgefallen, da hast du schon Recht, dabei sind wir ja nach Natürlichkeit alle andauernd auf Jagd angeblich. Es gibt ja Medien-Stars, die verlieren ihre Quoten, weil sie irgendwann’n
paar handwerkliche Fähigkeiten dazubekommen, n’bißchen was
Ausgefalleneres ausprobieren, dann denken die Zuschauer: Scheiße,
der macht sich plötzlich so wichtig, der hält sich wohl für was Besseres, Scheiße, den schau ich mir nicht mehr an. Das könnt ich ja gar nicht mehr selbst, was der da macht, wenn ich nur die Zeit dafür hätte. Dann schon lieber den Anton aus Tirol, oder Zlatko.
Oder eben sie. Aber weißt du, ihre Idee mit den Sonnenblumenkernen
bei Kerner, das fand sogar ich echt süß, hast du’s gesehen?, wie sie die plötzlich aus ihrem T-shirt gezaubert hat, ‘ne Handvoll Sonnenblumenkerne, so ganz mädchenhaft, bißchen frech, hat dann immer ihm einen in den Mund gesteckt, dann wieder sich selbst, dann wieder ihm einen, wieder sich selbst… Ach, komm, du hast es auch gesehn, gibs zu… Der Kerner hat gar nicht gewußt, was er tun soll – fragen, wofür das gut wär und so… “Du, für gar nichts”, hat sie geantwortet, “ich mag eben Sonnenblumenkerne”, bißchen trotzig auch. Da hab ich sie richtig vor mir gesehn in deinem Wohnzimmer, du hältst ihr wieder einen deiner Vorträge.
Ich war hingerissen. Alle waren hingerissen. Jetzt guck doch nicht so
bedrückt, die Nummer mit den Sonnenblumenkernen, die hat sie schließlich
von dir – du hattest die Dinger immer, wegen deiner Blasenschwäche, sonst würd’ sie die doch vielleicht gar nicht kennen… Hör mal: Hast du nicht’n klein bißchen auch das Gefühl, daß du da jetzt mit hochgehoben wirst, daß du eigentlich ‘ne Art von Entdecker bist? – Na komm, sei nicht so bescheiden, Alter…Sie ist berühmt, richtig berühmt! Sie hat ne Single auf Platz zwei und kriegt ne Fernsehshow mit Ingo Appelt, für ihn ist das vielleicht der Abschied, doch für sie kann es der Durchbruch sein.

Sie ist berühmt, richtig berühmt,
mach einen Sender deiner Wahl an, sie ist da, und schon spürst du, wie die Kiste rappelt.
Da hängt ihr alter Anorak in deinem Flur – wie in ‘nem Film aus Frankreich in Schwarzweiß gehst du nur müde dran vorbei, seufzt und fühlst dich zu allein und viel zu wenig heiß.

Und du hast gar keine Verbindung mehr mit ihr? Aus
dem Container ist sie ja ‘ne Weile raus, grad im richtigen Moment, wird
die neue Staffel eigentlich ewig da drin bleiben? Keine Ahnung, ich
weiß es auch nicht. Mußt nicht so düster sein, wirklich
nicht, du mußt jetzt nicht denken: ‘Sie geht nach oben hin ab
wie ‘ne Rakete, während ich nach unten hin eingeh wie ‘ne Primel,
und die Welt dazwischen ist die Oberfläche’ – ich weiß, daß
du so denkst, deine Sorte von Sprüchen. Wart’s einfach ab. Berühmt,
das ist heut nichts so Dolles, ‘ne Art Ferienreise, ‘die is grad mal
im Urlaub’, das könnt man genauso dazu sagen. Wenn du klug bist,
dann machst du jetzt ne ‘Sunflower Advertising and Friends’ – Firma
auf, verwaltest ihre Rechte, knallhart. Und in zwei Jahren, wenn Ingo
Appelt schon wieder auf bescheidenen Kleinkunstbrettern Gewerkschaftswitze
reißt wie früher, schaut sie vielleicht mal bei dir vorbei,
und wird n’bißchen durch den Wind aussehen. Paar Fotografen sind
noch hinter ihr her und woll’n dich wegschubbsen und säuseln immer
noch: “Sie ist berühmt, richtig berühmt” – aber
es stimmt nicht mehr, und sie weiß das auch.
Du machst die Tür zu deiner Wohnung auf – sie sucht nach ihrem
alten Anorak in deinem Flur – und wenn du klug bist, dann hast du jetzt
vorgesorgt, du grinst sie an und sagst nur:
“Das Schlimmste ist immer auch das Beste, Mädel”.
Und dann macht ihr alles dicht, was dichtzumachen geht. Ich glaub, das
kann dann sehr schön sein für euch beide, oder?

Dezember 2000, fürs Jahresendprogramm, uraufgeführt in der
Arhöna

EIN FILM

Komm, wir stören mal die Dreharbeiten,
da wird ein Film gemacht aus ein paar Teilen der Welt,
da sieht man eine Stewardess durch eine Halle gleiten
an einem Reisenden mit einem Stift vorbei, der ein Glas Saft bestellt.
Läuft ein Computer heiß in einem kleinen Landhaus,
ein Ehepaar hat macht einen Witz, sie starr’n sich böse schweigend
an,
ein junges Mädchen betet ganz woanders leise, dass ein Sturm kommt,
der Reisende malt mit dem Stift auf ein Papier die Worte: ‘Du bist dran’.
Und das wird ein Film,
und es wird ein Land,
die Nachtschicht drüben im Schnittraum
kann schon die nächsten Szenen sehn.
Da ist auch dein Bild
am Rand der Leinwand,
man erkennt nur leider nicht so richtig:
Willst du kommen, oder mußt du schon gehn?
Das junge Mädchen schreit im Traum, hält sich den Mund zu,
hat seine Schwester, die geflohn ist, vor der Mündung einer Flinte
knien sehn,
die Frau im Landhaus schwenkt ein Foto und verlangt heut nacht noch
die Entscheidung:
“Fahr oder bleib”, ruft sie, “ich werd ins Kinderzimmer
schlafen gehn!”
So rollt ein Auto über’s Land auf eine Riesenstadt zu,
die Stewardess am Gate nennt ihren Passagieren grad die Abflugzeit,
einem von ihnen rutscht, als er den Boarding-Pass bekommt, ein Blatt
Papier weg,
“Ich glaub, Sie ha’m da was verlor’n” – “Ist nicht mehr
meins” – “Dann guten Flug, wir sind soweit” –
Und das wird ein Film,
und es wird ein Land,
die Nachtschicht drüben im Schnittraum
hat schon die nächsten paar Szenen gesehn.
Manchmal ist plötzlich kein Bild
kurz auf der Leinwand,
und man erkennt dann leider nicht so richtig:
Was wird kommen, und was wird gehn?
Da ist der Blick aus dem Büro auf Wolken oben,
da ist der knappe Kampf im Flugzeug, das den Kurs verläßt,
da ist die Stewardess mit einem Lied in ihren Ohren,
das einmal ihre kleine Schwester sang: ‘Du machst mich einsam, wenn
du gehst’.
Da kommt ins Landhaus vom Büro ein letzter Anruf:
Daß er sie liebt – ich glaub, mit der Idee fangen die Drehbuchschreiber
gerne an.
Das junge Mädchen sieht in dem Moment vor’m Gitter ihres Schleiers
einen Vogel,
wie in dem Sturm, der kommt, der flüstert: ‘Du bist dran’.
Und das wird ein Film,
und es wird ein Land,
drüben im Schnittraum die zähe Nachtschicht
will, daß wir einmal alles sehn.
Und da ist dann natürlich auch mein Bild
kurz auf der Leinwand…

Sept./Oktober 2001

DER WEG IST LANG

Wann werd ich dich wieder sehen,
seit wann traf ich dich nicht mehr?
Wird’s vielleicht nie mehr geschehen,
kommt doch der Wunsch vom Herzen her.

Wie verbringst du jetzt dein Leben,
ist die Entscheidung schon gefällt?
Eine Antwort sollst du geben,
daß mich jetzt nichts Falsches hält.

Denn der Weg ist lang,
und der Aufstieg schwer,
seit ich auf diesen Weg kam,
ist schon so lange her,
ja, der Weg ist lang,
und er windet sich sehr,
und dem Glück, das verging,
schau ich hinterher.

Bitte rede nicht von morgen,
morgen geht mich gar nichts an.
Diese Welt ist so voll Sorgen,
daß kein Herz sie fassen kann.

Mach aus Rosen mir ein Lager,
deck mich ruhig damit zu.
Von allen, die ich hatte, war nie
eine näher mir als du.

Und der Weg ist lang…

Bitte gib mir noch ein Zeichen,
dreh dich um und sprich mit mir,
wie ein Fluß kann ich nicht weichen,
meine Liebe fließt zu dir.

Und der Weg ist lang,
und der Aufstieg schwer,
seit ich auf diesen Weg kam,
ist schon so lange her,
ja, der Weg ist lang,
und er windet sich sehr,
und dem Glück, das begann,
schau ich hinterher.

Ende Mai 1998

SOLANG ES GEHT

Solang es geht,
schenkt sie ihm ihren schönsten Blick,
schiebt ihn zur Brüstung noch ein Stück,
und ihr ist heiß und schwindlig.
Solang es geht,
schaut er über die Dächer fort
und sagt es nicht, das letzte Wort,
die Nacht so weich und windig.

Verschwinden, wenn’s am schönsten ist,
sie fanden’s eine kluge List,
um zu vermeiden, irgendwann
so ein Paar zu sein, das nicht mehr lieben kann.

Solang es geht,
steht er mit ihr auf dem Balkon,
ein Blaulicht rast der Nacht davon,
ein Penner dreht die Runde.
Solang es geht,
hält sie sich fest an seinem Haar
und fragt nicht nach, was gestern war,
denkt nur: Jetzt wär die Stunde.

Verschwinden, wenn’s am schönsten ist,
sie fanden’s eine kluge List,
um zu vermeiden, irgendwann
so ein Paar zu sein, das sich nur trennen kann.

Aber solang es geht,
ha’m sie im Sturmwind dieser Nacht
sich gegenseitig gut bewacht,
sehr treu und beinah ängstlich.
Solang es geht,
schenkt sie ihm diesen stillen Blick,
führt er sie dann ins Haus zurück:
“Komm, draußen ist zu windig…”

Verschwinden, wenns am schönsten ist,
das Klügste daran ist vielleicht die List,
daß man es rausschiebt (lange rausschiebt), irgendwann
nur so ein Paar zu sein, das nichts mehr erleben kann.

T & M :MM, Juni 2001

VEGETARISCHE KÜSSE

Niemand weiß genau,
wann es das erste Mal aufkam,
wer – Mann oder Frau,
und aus welchem Anlaß da draufkam.
Irgendwann war es im Umlauf,
jeder Mund hat es einmal gesagt,
es tauchte Verliebten im Traum auf,
behauptet und nie hinterfragt:
Hat denn irgendwer jemals erlebt, was das ist –
für die einen von zärtlicher Süße
und für andere nichts als ein aufgeblasener Mist –
vegetarische Küsse?

Er kam durch den Regen nachhaus,
trug Hab und Gut auf dem Rücken,
sah zerzaust wie ein Jagdfalke aus,
einer zum Im-Vorbei-Gehn – Entzücken.
Er trat auf den Stufen des Hauses
seiner Liebsten einen Glimmstengel aus
und schwor, daß er nicht mehr der Mensch sei
für Lug und Betrug und für Rausch.
„Alles Alte, erwart es von mir nicht mehr“,
so sprach er, „schau her, wie ich büße.
Ein Neues, das bringe ich dir:
Vegetarische Küsse.“

Sie ließ etwas Sand durch die Hand
grub nach Wurzeln in ihrem Garten,
im Kopf das Lied vom Spatz in der Hand
und vom Glück als nichts-weiter-erwarten,
sie sah im Schein der Lampions an der Wand
das Haus an mit seinen Rissen,
sah die Schatten an, wie sie tanzten an der Wand,
und die Nachbarn, die freundlich grüßten,
und sie wußte: Fast alles, was hier nutzlos rumstand,
würde sie nachher vermissen,
aber nichts war so nutzlos und so ohne Verstand
wie dies vegetarische Küssen.

Man kann es lernen in einer keltischen Bucht,
in einem Rückführungs-Kanu,
oder am Fuß einer Himalaya-Schlucht
mit einem Major Tom aus Kadmandu,
man kann es üben luxuriös auf einem Schloß im Tessin
mit einer Mademoiselle Labiche De Winter,
während die Frauenbeauftragte der Regierung in Berlin dem Kanzler
mailt,
dies sei doch genau das Einsatzgebiet für zu importierende Inder.
Auf allen Treffen in der wichtigen Welt
will man es können und auch genießen,
der nächste kleine Kriegseinsatz bestimmt sein Siegel erhält
bei vegetarischen Küssen.

Also nimm meine Jacke und nimm meinen Ring,
es weht ein nasser Wind aus dem Osten,
unser Wohnmobil und das Überlebenstraining,
die könn‘ uns ruhig was kosten.
Und die Stunden auch, wo ich schweigen üb,
schweigen bis an das Glück,
ich weiß, ich hab dich immer wieder geliebt
und kam immer wieder davon zurück.
Laß uns sehn, wo der Weg entlang führt,
wir wer‘n vieles neu probieren müssen,
bis uns dies flaue Gefühl nicht mehr rührt
von vegetarischen Küssen.
Bis uns dies flaue Gefühl nicht mehr rührt
bei vegetarischen Küssen.

T & M: MM, Juni 2000

SPANN DEN WAGEN AN

Die Schatten, die ich sehe
im Kreis, so nah bei dir,
entzieh sie deiner Nähe
und schick sie her zu mir.

Ich fass nicht, was du fürchtest,
doch fürchte ich den Schreck,
der, wo du Freiheit bräuchtest,
dir lähmend liegt im Weg.

Du solltest einfach gehen,
mach nur den nächsten Schritt,
soll‘n mich die Schatten drehen,
und auf den Schrecken tritt.

Warum du so lang zauderst,
ist dir das Fortgehn fremd?
Man kommt nicht durch als Zaungast,
welchen Weg man auch nimmt.

Ich kenns. Ich würd so gerne
zuschauend abseits stehn
und immer in der Ferne –
seh dich dann auch dort gehn.

Wirf mir die Schatten rüber,
kein kleiner Gruß, ich weiß,
du selbst steig endlich drüber weg,
tritt endlich aus dem Kreis!

Die Zeichen, die wir tauschen,
soll‘n ungebrochen sein,
die Stimme, der wir lauschen
ein warmer Sonnenschein.

Jetzt spann den Wagen an.

Februar 2000

DAS VERLERNT MAN NICHT

So – komm mal her,
ich will dir jetzt mal in den Mantel helfen,
wir war‘n schließlich auf nem Ball hier,
und ich weiß immer noch, was sich gehört.
Sowas verlernt man nicht, klar?
Na also, geht doch.

Wo steht’n mein Auto?
Ach komm, gib schon her, wir nehmen deins, steig ein,
ich fahr dich jetzt nachhaus.
Keine Angst, ich fahr dich glatt in deinen Vorgarten,
haste nur noch’n paar Schritte zu laufen…

War‘n schönes Klassentreffen, oder?
Ehrlich gesagt – ehrlich gesagt, Du siehst so aus, als wär das
schon 40 Jahre her, daß wir unser Abi gemacht haben, tschuldige.
Ja, war’n blöder Witz, ich weiß.
Das verlernt man nicht.

Uups – ich achte schon auf den Weg,
aber da war grad ne Mücke, voll auf deiner Nase,
hätt ich die jetzt nicht erwischt, dann…

Sag mal, diesmal kommt dein Bruder aber nicht wieder, wenn wir hier
noch im Auto sitzen, oder?
Ach, der… ja, das tut mir leid, wie? Oh, an Krebs ist der schon…oh
Mann ey…
Zeit vergeht.

Ey komm, das ist überhaupt nicht schlimm, bei mir gab’s auch Jahre,
wo ich absolut allein und sozusagen ohne irgendwas, da lief aber sowas
von nichts, eh –
aber, du erlebst es doch gerade:
Das verlernt man nicht. Oder?

Komm, jetzt lach nicht so.
Weißt du, ich hab mir in diesen 40 Jahren, oder wie lang es nun
her ist mit unserm Abi und der Zeit davor, ich hab mir so oft vorgestellt,
irgendwann würd ich dich gerne mal so erschrocken und enttäuscht
sehn, wie ich damals geguckt haben muss, als dein dämlicher Bruder…

Ah, da ist ja schon euer Haus.
Nee nee nee, noch’n Glas Wein, ich weiß nicht. Andermal vielleicht.
Ey du, es war toll, dich wiederzusehen! Bis in 25 Jahren oder so.
Weißt du, was ich dir noch sagen wollte? Wir beide, Du und ich,
ja, wir beide, wir – ach komm, vergiss es.
Sag mal, lebt deine Mutter eigentlich noch?
Das verlernt man nicht.
Tschüss.
Fall nicht!

am 19.3. 2001, nach einer Vorlage vom Juni 2000

URALTES ZERRISSENES HEMD

Manchem hilft schon ein frisch rasiertes Gesicht,
manchem andern ein gut gewichster Schuh,
einer braucht Gel im Haar, sonst mag er sich nicht,
und wieder einer findet ohne Hut im Genick keine Ruh.
Jeder von uns braucht wohl so ein Zeichen gegen den Schreck,
egal, wie es aussieht, wenn der Zauber nur stimmt –
ich z.B. nehme gern etwas auf meine Spaziergänge mit,
dafür hab ich mich noch nie geschämt:

Mein uraltes zerrissenes Hemd,
das hat all die Zeiten gesehn,
mit den Löchern aus Schweiß und der Naht, die gleich reißt

was kann mir darin geschehn?
Schickt das Gestern zum Teufel,
macht das Morgen mir fremd,
aber laßt mir mein uraltes Hemd.

Man sagt, es ist gut, seine Dinge zu pflegen,
jedenfalls, wenn man vermeiden will, daß man so ein Ex-und-hopp-Leben
führt,
man sagt aber auch, es sei gut, nicht zu sehr an den Dingen zu kleben,
und ist ja auch wieder wahr – wahrscheinlich gilt: Wie mans macht, ist
verkehrt.
Also nimm die alten Schuhe, nimm die Stapel beschriebenes Papier,
meinetwegen auch das Klavier, das nicht mehr stimmt,
schmeiß alles weg, ja, auch die Fotos von mir – aber jetzt laß
mich raus aus der Tür,
guck nicht so entsetzt – da ist niemand, der mir das nimmt:

Mein uraltes zerrissenes Hemd,
das hat all meine Zeiten gesehn,
mit den Ölwechselflecken und dem Grün frischer Hecken –
was ist mir darin geschehn?
Schickt die Zukunft zum Teufel,
macht die Heimat mir fremd,
aber laßt mir mein uraltes Hemd.

Ich fühl mich wohl in dieser Meute aus gut ausstaffierten Leuten,
sie danken Gott per Handy, daß sie so erfolgreich sind,
während sie in Nullkommanichts irgendwelche Rolltreppen rauf –
und runterjagen,
halt ich mein Gesicht kurz in den letzten Sommerwind
ich laß die Sonne ran, und noch jemand andres,
ja, da ist noch jemand, der sich hier dem Fluss des Gegebenen entgegenstemmt

und es macht Spaß zusammen – bißchen auruhn, bißchen
Inline – Skater ausbremsen,
vor allem, weil das, was du anhast, zu dem was ich trag, so wunderbar
stimmt…

Ein uraltes zerrissenes Hemd,
was kann dir darin geschehn
mit den verblichenen Farben und den ganz frischen Narben –
hat so vieles hautnah gesehn.
So wird das Morgen zum Gestern,
die eigne Handschrift uns fremd,
und zurück bleibt ein uraltes Hemd –
ach, schickt die Zukunft zum Teufel,
macht die Heimat mir fremd,
aber laßt mir mein uraltes Hemd!

SEX AUF BAUSTELLEN

Der gleiche Weg wie jeden andern Abend,
vom Bahnhof durch den Park, über die Kreuzung geradeaus,
der gleiche Blick, der gleiche Schritt, fast trabend,
nichts denkend, nichts erwartend auf dem letzten Stück nachhaus.
Du weißt schon nicht mehr, wie groß diese Stadt ist,
das Klima in ihr nimmst du nicht mehr wahr,
fühlst dich wie jemand, der zu satt und deshalb matt ist –
du denkst, wenn du jetzt stolperst, gar nichts, oder höchstens:

diese Angst ist wunderbar!
Und jetzt fällst du
über viele Schwellen,
tief hinab
in einen Krater voller Menschen,
in ein buntes Loch, und jemand flüstert: Willkommen zum Pilotprojekt
‚Sex auf Baustellen‘!

Es wir vom Arbeitsamt gefeatured, von der Architekturakademie,
von der Handelskammer, dem Sektenbeauftragten beider Kirchen und der
Mehrheit des Beirats der Humboldt-Uni,
natürlich von der Tourismusbörse, natürlich von allen
im Abgeordne-tenhaus vertretenen Parteien. Es ist sowas wie die lange
Nacht der Museen, aber täglich, und gleichzeitig wie New York vor
der Political Correctness, abern bißchen mehr erträglich,
sehn-se-das-is-Berlin-mäßiger, sowas soll es sein.
Für alle, die so sind wie du, die nicht mehr wissen, wo hinten
und vorn ist: ab in die Innenstadt und runter zu den Quellen,
willkommen im Pilotprojekt ‚Sex auf Baustellen‘.

Ich hab dich das erste Mal gesehn, da verkauftest du Abonnements für
die Berliner Zeitung,
und beim nächsten Mal die viel günstigeren Abonnements für
die Süddeutsche Zeitung,
ich sagte Nein, aber ich konnt dich schon nicht mehr vergessen,
auch als du das nächste Mal kamst mit einem Abonnement für
die bil-ligste Internet-Zuleitung,
und eine Woche später mit dem Angebot einer kostenlosen Zwei-Wochen-gelber-Strom-Begleitung

ey, die Jobs wechseln, und der Boden unter uns vibriert,
ich wollt dich sowieso ansprechen, denn ich kenn vielleicht den Weg,
der in die helle Zukunft führt,
wir könnten uns kennenlernen, wir könnten auf uns zukommen
und uns küssen und alles andere, wir werden gefilmt dabei, vielleicht
sogar entdeckt, wir lassen andere darüber ihr Urteil fällen

gib mir die Hand, unterschreib da unten rechts, es ist ganz unverbindlich,
es ist nur eine Woche lang umsonst bei

T & M: MM, Oktober 99

IM LETZTEN JAHRHUNDERT

Manche Dinge gehn nicht schnell vorbei,
manche Dinge sind nicht gleich tot,
n‘dickes Portemonnaie und Glück sind zweierlei,
Diätsaft ist nicht so wie Blut rot.
Bei dir, mein Schatz, hatt‘ ich es immer gern,
wenn du dich mal richtig erschrickst,
deine Hände ziellos in der Luft rumfahr‘n
und du den Blick entsetzt in Richtung Himmel schickst.

Oh ja, auch wenn es dich wundert:
Manche Dinge soll‘n so bleiben wie im letzten Jahrhundert.

Da drüben, in dem Neunzehn-Sterne-Hotel,
tagt ne Gruppe Jungs, die machen alles richtig,
die Kameras surr’n, ey, komm schnell,
nur vom Zuschauen wirst du selber wichtig.
Der politische Berater sieht es hyperrealistisch,
total charmant ist seine Reaktion,
mit dem Daumen auf dem Atlas spricht er über Entwaffnung,
aber Vorsicht, da trifft ihn die eig’ne Bombe schon.

Oh ja, auch wenn es dich wundert:
Manche Dinge soll’n so bleiben wie im letzten Jahrhundert.

Einen Fuß in der Scheiße, eine Hand im Müll,
diese feuchte Wand, die grad noch halten will,
wirf’n Kreuz auf’n Boden, geh davon aus,
ich werf’n Blick hinterher und find allein wieder raus.
Kommt mir vor, als wär ich hier schon mal gewesen
und würde nur davon in ner alten Zeitung lesen.
Halt dich fest, denn die Fahrt wird schon wieder sausend,
nur die Idee dazu stammt noch aus dem letzten Jahrtausend.

Aber manche Dinge gehn nicht schnell vorbei,
manche Dinge sind auch nicht gleich tot,
ne frischgestrichne Wand und Glück sind zweierlei,
und deine Wangen sind nicht allzu oft vor Freude so rot.
Trotzdem sitz ich in der Küche, morgens um vier,
keine Kippe, kein Bier,
ich will längst ins Bett – aber: Hiergeblieben,
erst wird dieses Lied zuende geschrieben!
Oh ja, auch wenn es dich wundert…

DAS ENGAGEMENT

Ich bin‘n uralter Fan von euch,
Vorlesekabarett und so,
und ich ruf an, ich hab da was, das könnte für euch interessant
sein:
der Börsengang von unserm Ökonetbüro.
Nee – nicht als Käufer, unsre Aktien sind sowieso schon überzeichnet,
ich mein als Auftrittsmöglichkeit, wir ha‘m bisher n offenes
Bufett, ne Harfinistin und n DJ, aber möglicherweise reicht das
nicht,
ich stell mir vor, bei so’ner Börsenparty müßte auch
was Scharfes mit rein,
sowas wie Schlagerparodie, das fällt den meisten dann als erstes
dazu ein,
aber ich hab an euch gedacht: Pointen, die man oft nicht sofort kapiert,
wir werden allerdings 2/300 Leute sein, sind im letzten Jahr ziemlich
expandiert…

Macht ihr sowas überhaupt?
Liegt das irgendwie in eurem Bereich?
Könnte das ne übrigens auch finanziell reizvolle Sache für
euch sein,
oder schwimmt ihr nur im eignen Saft? Dann sagt’s gleich!

Also nicht so hildebrand-mäßig mit Rollkragenpulli, die uralten
Klischees,
ich weiß, das mögt ihr selber nicht – es soll schon abgehn,
wär ja auch‘n Test,
ob euer Kram bei Leuten rüberkommt, die völlig anders ticken,
ey komm, ihr könnt natürlich so bleiben wie ihr seid, könnt
euern Kram weiter vorlesen und Worte benutzen wie poppen oder ficken,
ist doch kein Problem, aber es sollte schon nach vorne gehn, wir feiern
an dem Abend schließlich unsern Eintritt in die Zukunft!
Was soll‘n annem Aktienpaket problematisch sein? Annem ökologischen
Internet-Aktienpaket? Da kann nichts schiefgehn.
Was ich an euch schon immer so gemocht hab, das ist genau der coole,
unbestechlich wirre Blick von ganz tief unten auf die Welt,
genauso, wie‘s im Spiegel stand: Gut, daß die Jungs noch
alles aufschreiben, daß der Pulk nicht alte Omas überfällt…

Erreicht euch, was ich sage, überhaupt?
Liegt das irgendwie in eurem Bereich?
Könnte das ne übrigens auch finanziell reizvolle Sache für
euch sein,
oder schwimmt ihr nur im eignen Saft? Dann sagt’s gleich!

Ich find das nicht gut, wie ihr mich so hängen laßt. Kein
Ja, kein Nein. Natürlich wird das Ganze was von nem Betriebfest
haben, n paar Grüne wer‘n kommen, die sich totlachen wollen
über jemand wie Gunda Röstel, n paar Veganer wer‘n kommen
– okay, worüber die lachen, das müßt ihr selber rausfinden
– n paar Börsianer natürlich auch – aber wenn ihr euch Mühe
gebt, könnt ihr die alle bedienen. Es muß nur nach vorne
gehen, mit allen zusammen nach vorne, das ist übrigens auch unsere
Firmenvision, Aktien und Fortschritt für alle, Demokratie auf höchstem
Niveau sozusagen – ich find das so Scheiße, daß ihr mir
nicht antwortet. Ich bin ’n uralter Fan von euch, während
des Studiums hab ich euch mindestens einmal im Monat gehört. Ich
krieg Helge Schneider, wenn ich will, ich krieg Stefan Raab. Für
den nächsten Grünen-Parteitag hol ich mir ich Stefan Raab,
jede Wette. Laßt euch nicht so hängen, was soll‘n das
bringen? Okay, keine Antwort ist auch ne Antwort: Dann hol ich mir eben
n Haider-Parodisten für die Veranstaltung, dem Firmenvorstand wär
das sowieso viel lieber – schon vom Dialekt her: saukomisch, und dann
politisch dermaßen korrekt mit dem bösen Faschismus von Österreich
her – so unproblematisch kann es sein. Wenn man sich nicht so wichtig
nimmt wie ihr. Miesmacher. Europagegner. Elitäre Werteverächter.
Humorlose Sozialstaatsverherrlicher. Nationalstaatsromantiker. Ach,
sucht euch doch selber aus, was ihr sein wollt…

Erreicht euch, was ich sage, überhaupt?
Liegt das irgendwie in eurem Bereich?
Könnte das ne übrigens auch finanziell reizvolle Sache für
euch sein,
oder schwimmt ihr nur im eignen Saft? Sagt’s doch gleich!

T & M: MM, März 2000

DER CHOR

Sie stammen aus verschiedensten Verhältnissen,
manche sehn traurig aus, manche sind voller Lust,
sie kommen an mit unterschiedlichsten Behältnissen,
sind da mit Autos und mit Fahrrädern, mit Rollschuhn und zufuß,
sie sammeln sich und warten mit ganz individuell gefärbten Haltungen,
der eine redselig, die andre völlig regungslos,
und sie sind anwesend aus sehr verschiedenen Bedürfnissen,
die Skala reicht von ‚Elternwunsch‘ bis ‚Sonst ist eh
nix los‘.

Die meisten würden sich, wenn sie sich sonst begegneten, gar nichts
bedeuten,
sie sind kein Fanclub, keine Kirche und auch keine Partei,
es sind ganz arme und auch ziemlich reiche und von jeder Sorte Leuten,
von linken, rechten, braven, Querulanten, eigentlich von allen welche
bei.
Es gibt natürlich Freundschaften, und es gibt Feinde,
es gibt die Wortführer und sowas wie interne Polizei,
es gibt die Angeber und Notengeber, und die Etikettenkleber,
und natürlich sind auch Romeo und Julia dabei.

Sie würden aufeinander, wenn sie sich sonst träfen, vielleicht
einprügeln,
ein falscher Blick, sofort sind Aggressionen frei,
oder sie würden absolut und gar nichts miteinander klarkriegen,
die Schwermut käme und mit ihr das große Einerlei.
So sehn sie eigentlich jetzt auch aus, wo sie grad im Saale Platz nehmen,
ein bißchen abgedreht – man fragt sich: sind die Wärter denn
auch mit dabei?
Der eine grunzt, die andre keucht, ein dicker Junger sieht so aus, als
würd er abheben,
er tritt nach vorn, die Münder öffnen sich und lassen dann
die schönsten Töne frei:

Und aus dem Chaos, da wird ein Chor:
Feinsliebchen, ich scheide,
ja stellt euch vor, da singt ein Chor,
und grün ist die Heide.
Aus dem Chaos wird ein Chor:
Feinsliebchen, ich scheide. Sah ein Knab ein Röslein stehn. Wir
sind die Moorsoldaten. Mich brennts in meinen Reiseschuhn. Kuckuck,
rufts aus dem Wald. Die Tiroler sind lustig. Ich bin der Anton aus Tirol…

Und wo eben noch ein langweiliger Vorabend war,
singen Stimmen glockenhell und klar:
Der schönste Platz, den ich auf Erden hab,
das ist die Rasenbank am Elterngrab.

Sommer 2000, fürs Mittwochsfazit
(“Wo man singt…”)

DM-SONG

Wir kennen uns seit Jahren,
der Weg zu dir war weit,
wenn wir zusammen waren,
wurd’s eine gute Zeit.

Mein erstes Mal im Kino,
mein erstes Rendezvous,
mein erster Rausch vom Vino,
dabei warst immer du.

Ich hab dir nie gesagt, daß ich dich eigentlich mag,
sondern mich noch beklagt, und du bliebst immer stark,
doch deine Zeit läuft ab, was ich zu sagen hab,
ruf ich dir jetzt noch nach – ins offne Grab:

Auf Wiedersehen D-Mark,
bald schon kommt der Tag,
wo du für immer gehn wirst,
dann endet unsre Jagd.

Wir warn zwei Königskinder,
fanden einander kaum,
daß auch du daran gelitten hast,
das glaub ich nur im Traum.

Auf Wiedersehen D-Mark,
für viele warst du Kult,
daß ich oft Müll mit dir gekauft hab,
war an sich nicht deine Schuld.

Uns war die Zeit zu knapp, ich war noch viel zu schlapp
und es hat kaum geklappt, wenn ich mir Mühe gab.
Jetzt bin ich anders drauf, komm in die Stimmung rauf,
daß ich dir entgegenlauf – jetzt ausgerechnet hörst du auf!
Dabei würd ich uns eine feste Beziehung wirklich mal gönnen

doch zu spät!

Auf Wiedersehen D-Mark,
bald schon kommt der Tag,
wo du für immer gehn wirst,
dann endet unsre Jagd.

(Gesprochen):
Auf Wiedersehen D-Mark,
bald werden wir für immer scheiden,
ohne je zu erfahren, wie es ist, wenn Du und ich uns z.B. das gleiche
Badezimmer teilen, Morgen für Morgen, Abend für Abend…
Da ist noch so viel, was ich dir gerne sagen würde, z.B.: Kannst
du mir bis Anfang nächsten Monats was von dir leihen!?
Ich hätte nie gedacht, daß ich dich überleben würde.
Wir hätten viel mehr Zeit miteinander verbringen müssen, ich
war zu jung, du warst schon zu arriviert – und die Gesellschaft hat
es uns auch nicht gerade leicht gemacht…

Auf Wiedersehen D-Mark,
noch eine schöne Zeit
und grüß mir deine Freunde,
für sie ists auch soweit.

Arrividerci Lira,
au revoir le franc,
adios los pesetos,
hey Gulden, nü totsins.

Kalinichta drachmes,
bye bye the Irish pound,
Servus Prof. Schilling,
escudos, bon dia.

Auf Wiedersehen D-Mark,
bald schon kommt der Tag,
wo du für immer gehn wirst,
dann endet unsre Jagd.

…Und übrigens: Erzählt doch mal eurem Nachfolger Euro, was
ich fürn fitter und netter Kerl bin, okay?

© T&M: Horst Evers und Manfred Maurenbrecher,
September 2000

NACHTBUS

Den Nachtbus,
wir nehm‘ den Nachtbus,
bitte bleib hier, trink noch‘n Bier,
und nachher, da kommst du dann mit zu mir,
wir nehm den Nachtbus,
der durch die Nacht muss,
der hat viel Platz, macht einen Satz,
und gleich schon sind wir woanders, Schatz,
wir nehm‘ den Nachtbus
mit Gute-Nacht-Kuss.
Es wird bestimmt noch nett,
der bringt uns dann ins Bett,
der gute Nachtbus.
Der Nachtbusfahrer ist auch nicht gern allein,
er sagt: „Ein verliebtes Pärchen kann schon um mich sein,
denn sowas macht Lust,
sonst krieg ich Nachtfrust.“

— (Instr.) —

Bitte bleib hier, nimm noch‘n Bier
und red ruhig über letzten Sonntag mit mir,
red du ruhig die ganze Nacht Stuss
(ich weiß ja, wenn du‘s machen willst, machst du‘s).
Hauptsache, du bleibst da,
so wie‘s letzten Sonntag eben nicht war,
wo ich dich im Taxi wegfahr‘n sah
und sang den ‚zu-Fuß-allein-nachhaus-morgens-um-acht-Blues‘.

Deshalb der Nachtbus,
wir nehm‘ den Nachtbus,
wie schon so oft, noch trinkst du‘n Bier,
aber nachher, da kommst du dann hoffentlich zu mir,
jetzt hol aber erst mal dein dope raus,
riecht gut, ich sprech dir‘n Lob aus,
riecht echt gut, sieht wie‘n Biotop aus.

— (Instr.) —

Aber schade, langsam wird es draußen wieder hell,
die Zeit ist einfach immer außen und zu schnell,
sogar der Nachtbusfahrer schlüpft jetzt in sein dickes Fell,
er stellt den Motor ab, steigt aus und macht Schluß,
er ist ein Bergmann, der in seinen Schacht muß,
auch du schlaffst weg ohne Gut-Nacht-Gruss
dann bis zum nächsten Mal, im nächsten Nachtbus.

Oktober 2000, nach einer Vorlage von Horst Evers

STEIN IM SCHUH

MM: Ich hab‘n Stein im Schuh,
und der tut ganz schön weh.
Ich hab‘n Stein im Schuh,
direkt unter‘m großen Zeh.
Ich hab‘n Stein im Schuh,
kann man von außen nicht sehn,
ich hab‘n Stein im Schuh,
kann man nur schlecht mit gehn.

B&H: Er hat‘n Stein im Schuh,
und das ist echt nicht schön.

MM: Ich hab‘n Stein im Schuh,
da läßt sich nichts dran drehn,
ich hab‘n Stein im Schuh,
der drückt sogar beim Stehn.

B&H: Er hat‘n Stein im Schuh,
der ist wahrscheinlich klein,
doch dieser Stein im Schuh
will nicht woanders sein,

MM: ja, dieser Stein im Schuh
schmerzt trotzdem so gemein.

HE: Er hat‘n Stein im Schuh
und kann ihn nicht raustun,

BB: ist viel zu kalt dazu,
man friert mit ohne Schuh‘n.

HE: Er hat‘n Stein im Schuh,
und das ist eigentlich nichtig…

MM: doch dieser Stein im Schuh,
der ist doch da nicht richtig!

BB: Ja, dieser Stein im Schuh
macht vieles sonst unwichtig.

MM (Textimpro über bridge):
Es ist nur ein kleiner Stein im Schuh. Und plötzlich sieht die
Welt ganz anders aus. Dies nur als Tip, falls euch mal der Himmel auf
den Kopf fällt oder so… All diese Leute, die sich eben noch ganz
verzweifelt aneinander gekuschelt haben – hey hey hey, es gibt ein einfaches
Mittel, konzentriert euch, jeder für sich selbst, denkt an nichts
anderes, fühlt mit den Zehen – und laßt ihn kommen, den kleinen,
gemeinen Schmerz, laßt ihn richtig kommen – alles andere wird
zu einer Art von Paralell-Universum, ganz gleichgültig gemessen
an dem, was hier wirklich abgeht, was ich das echte, das eigentliche,
das Leben selbst in seiner brutalen Härte nenne – genießt
diesen Augenblick…

B&H: Er hat‘n Stein im Schuh, und der tut ganz schön weh,
er hat‘n Stein im Schuh, direkt unter‘m großen Zeh.
Er hat‘n Stein im Schuh, kann man von außen nicht sehn…

MM: …ich hab‘n Stein im Schuh, und das ist echt nicht schön…

alle: …da isn Stein im Schuh, doch es heißt Weitergehn…
…auch mit dem Stein im Schuh müssen wir weitergehn…
…auch mit dem Stein im Schuh, denn es muß weiter gehn.

Nov.00, nach einer Vorlage von Horst Evers

Rinder wehn im Sommerwind

(Melodie: Where have all the flowers gone)

Sag mir, wo die Rinder sind,
wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die frischen prallen Rinder sind,
was ist geschehn?
Sag mir, wo die flinken, frischen, knackig prallen Rinder sind,
Dosen stehn im Küchenspind,
wann wird man je verstehn, wann wird man je verstehn?
Sag mir, wo die Dosen sind,
wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die guten alten Dosen sind,
was ist geschehn?
Sag mir, wo die guten alten frischegarantierten Dosen sind,
Fleischwurst steckt in jedem Kind,
wann wird man je verstehn, wann wird man je verstehn?
Sag mir, wo die Kinder sind,
wo sind sie geblieben,
sag mir, wo die bis zur Halskrause vollgefressnen Kinder sind,
was ist geschehn?
Sag mir, wo die picklig aufgedunsenen, bis zur Halskrause vollgefressnen
Kinder sind?
Brechen schlecht gekautes Rind.
Wo soll man essen gehn, wo soll man essen gehn?
Sag mir, wo die Kindermünder sind,
wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die ausgekotzten Brocken aus den Kindermündern sind,
was ist geschehen?
Sag mir, wo die zu Mehlstaub zertret’nen ausgekotzten Brocken aus den
Kinder-
mündern sind? Aufgeleckt von jungem Rind.
Jetzt laßt uns melken gehn, jetzt laßt uns melken gehn.
Und sag mir, wo die Rinder sind,
wo sind sie geblieben?
Wo die aufgedrehten jungen Rinder sind,
was ist geschehn?
Wo die aufgedrehten, zapplig dürren jungen Rinder sind?
Wehn frisch vermehlt im Sommerwind.
Wer’n wir sie bald verstehn, wer’n wir sie bald verstehn?

Melodie: Where have all the flowers gone
Text 1992 W.Haverkamp & M.Maurenbrecher,
erweitert f. d. Jahresrückblick 2000 – Maurenbrecher, Evers, Bjerg

FÜR EINE BESSERE WELT

Es gibt Leute, die lieben sich aus Langeweile,
oder weil ihnen in dieser Lebensphase die Liebe in den Schoß fällt,
manche lieben langsam, andre lieben mehr in Eile,
oder weil sie’s früher mal nicht durften – das ist ein Band, das
hält.
Die meisten lieben sich aus reiner Lebensfreude,
manche allein, andre zu mehr als zwein, und andre nur, wenn ein bestimmter
Partner nicht dabei fehlt,
viele ha’m Ticks dabei, die meisten tun’s wegen des Glücks dabei,
aber hier – meine Damen und Herren – hier kommt jemand, der liebt für
eine bessere Welt!

Es gibt Leute, die sind gerne nett bei sich zuhause,
holen an Kindern und an Enkeln alles glücklich zu sich rein
und sind vor allem dankbar, daß ihnen keiner etwas Ausgefallenes
vorsetzt in den eigenen vier Wänden,
und wenn es Streit gibt, lang’n sie auch mal zu und krieg’n sich nachher
wieder ein.
Kann sein, als Kind von solchen Leuten, daß man lieber an die
frische Luft geht
und draußen rumstänkert, und wo ist der Vater, der dann immer
die Nerven behält?
Ein Kind läuft weg aus Frust, ein anderes aus Lebenslust,
aber hier – meine Damen und Herren – hier kommt ein Kind, das rumstänkert
für eine bessere Welt!

Man kann Gefängniswärter sein für siebzehn fünfzig
in der Stunde brutto
aus reinem Laufbahn-Zufall, oder aus dem primitiven Grund, daß
man ganz gerne Leute quält,
oder im Gegenteil: Durch eignes Zutun Schlimmeres verhindern,
dann ist man freundlich, weil man’s ohne Freundlichkeit selbst nicht
gut aushält.
Es gibt ne Menge Gründe, stolz zu sein auf den Beruf, den einer
hat, z.B. sogar Lehrer,
oder auch Zahnarzt, Taxifahrer, Stadtrat – was immer einer tut, wo er
sich Mühe gibt, das zählt,
aber hier kommt ein lausiger, korrupter Aufpasser aus einem runtergekommenen
Knast, aber – trotzdem – er ist Gefängniswärter für eine
bessere Welt!

Ja, meine Damen und Herren:
Diese Tagung gibt Ihnen die Gelegenheit, sich über die Chancen
des modernen Idealismus einmal gründlich zu informieren,
wir ha’m Eliten hier und verschiedene Trainingsgruppen zu dem Thema
aufgelegt.
Die Einführung macht der Kollege Joscha Schmierer, ehemals KBW,
jetzt Auswärtiges Amt, jemand mit einer immensen Erfahrung im Ausbeuten
idealistischer Energien, ein Mann des Hintergrunds und heute dementsprechend
aufgeregt.
Ein herzliches Warm up, please!
Und direkt neben ihm der Mitarbeiter einer Reinigungsfirma aus Pristina.
Sein umittelbarer Nachbar wird gerade einem UN-Friedenstribunal überstellt
– die beiden haben exakt die gleichen Grausamkeiten hinter sich, aber
während man den Nachbarn rankriegt, war er hier als gestandener
Freiheitskämpfer rastlos tätig im Bemühen um eine bessere
Welt!
Wir woll’n Sie jetzt nicht lange auf die Folter spannen (das können
andere besser), lernen Sie jetzt erst einmal Ihre ureigensten Interessen
als die einer großen, menschlichen Gemeinschaft zu tarnen, damit
ist der Trick schon fast erzählt –
und diese meine Eingangsworte, vielleicht erreichen sie nicht jeden,
vielleicht fand man sie ja peinlich:
völlig egal – denn dieses Lied hier ist kein Selbstzweck, es kann
ihm nichts passieren, es steht voll und ganz im Dienst für eine
bessere Welt!

MM März 2001

TRUPPENFÜHRER VOM KOSOVO

Auf dem Markt von Kumanovo,
in ein fahles Licht getaucht,
prüft ein Mann antike Waffen,
die neu’ren werden noch gebraucht.

Kameraden auf Patrouille
gehn durch Jubel und durch Haß,
und er schreibt an seine Liebste:
Auf die Menschen ist Verlaß.

Der Truppenführer vom Kosovo
war gestern ängstlich und heute froh,
die Leute nett und der Job okay,
Mazedoniens Felder im ersten Schnee,
ein jeder kennt ihn schon, und man sieht ihn gern,
viele bringen von nah und fern
Weihnachtskerzen in sein Depot,
dem Truppenführer vom Kosovo.

In den Wäldern an der Schneise
zeigt er Kindern Tannengrün,
solln’s nach alter Väter Weise
im Schlitten zum Kasino ziehn.

Auf dem Rückweg liegt ein Teller,
unter Moos nur schlecht zu sehn,
für Sekunden wird er greller,
und man bleibt betroffen stehn.

Der Truppenführer vom Kosovo
ist heut so traurig wie gestern froh,
dort, wo sein Fuß war, ist nun ein Schmerz,
und manchmal geht der bis ans Herz,
ein jeder kennt ihn hier, und man sieht ihn gern,
die Leute senden von nah und fern
Genesungswünsche durchs Radio
dem Truppenführer vom Kosovo.

Der Truppenführer vom Kosovo,
der ahnt: Es bleibt nicht immer so,
was grad noch weiß war, ist morgen grau,
was grad noch feige, ist heut schon schlau –
Ein jeder kennt ihn hier, und man sieht ihn gern,
noch teilen die Leute von nah und fern
das Leid, die Mark und das Risiko / mit dem Truppenführer vom Kosovo.”

Sommer 01 mit Achim Ballert (Nach ‘Puppenspieler von Mexiko’), Oktober 01 erweitert mit Bov Bjerg und Horst Evers