Hoffnung für alle

Hoffnung für alle

Manchmal (Dein Kreis) (2009)

Links und rechts am Ufer (2009)

Hoffnung für alle (2007)

Offroader (2008)

Bad Bank (2009)

Stein im Schuh (2002)

Sonntag (2006)

Ewiger Kreislauf (2008)

Neutrales Terrain (2007)

Es wirkt alles auf alles (2008)

Agitprop 08 (2008)

Komm, wir helfen dem Klima (2007)

Neopädagogik (2007)

Ich geh zurück (2008)

Schwarze Katze (2005)

Offene Grenze (1989/2009)

Bald (2009)

Viel zu früh erschöpft (2008)

MANCHMAL (Dein Kreis)

Manchmal tut ein Kreis wie ne Richtung,
manchmal tut ein Sumpf wie ne Lichtung,
manchmal ist zuviel sprechen verschweigen,
und manchmal ist sich verstecken sich zeigen.

Manchmal ist ein Wiedersehn Trennung,
manchmal sich-fremd-sein Erkennung,
manchmal ist Warten das Schnellste,
manchmal Dämmern das Hellste.

Manchmal wird aus dem Stottern ne Predigt,
und was sich so aufgedrängt hat, hat sich schon damit erledigt.
Manchmal liegt im Vergessen das Wissen.
Manchmal stopft diesen Mund besser ein Kissen –
und unterdrückt damit den Brei toller Sprüche,
von denen dies Lied hier voll ist wie für die Schabe die Küche.
Manchmal ist eine Kälte zum Brennen,
manchmal Dableiben Wegrennen.

Dreh dich nicht um, da is’n Schatten bei dir,
der ahmt all deine Bewegungen nach und ähnelt dir sehr,
der wird wahrscheinlich behaupten, er will aus deinen Fehlern nur lernen,
aber schafft er es jemals, sich von dir zu entfernen?

Manchmal geht’s steil hoch auf ’ner Liege,
manchmal liegt, was sich eben erhängt hat, schon wieder frisch in der Wiege.
Manchmal ist ein Fasten ein Gierfrass,
und manchmal ist Ausrasten das Einzige, das bleibt an Spass.

Manchmal ist alles so wie schon gewesen,
so wie längst aufgeschrieben, nur noch immer nicht gelesen.
Manchmal schneidet ein Kuss wie’n Messer.
Manchmal ist nichts sagen besser.

Da is’n Schatten unterwegs, der hat deine Gerüche,
reist mit deinen Gesten und reisst deine Sprüche,
will dir immerzu nah sein, kommt dir immer entgegen –
manchmal ist starr sein sich ganz schnell weg bewegen.

Also nimm deinen Kreis und nenn’s eine Richtung,
leg dich in dein Moor und nutz es als Lichtung,
du hast ein Leuchten im Gesicht, das du unwillkürlich verbirgst –
manchmal, wenn du’s noch nicht einmal merkst.

T&M © Maurenbrecher 2/08

LINKS UND RECHTS AM UFER

Das Licht ist das gleiche,
die Sonne im Wind,
weisse Wolke, die leichte,
mit der ein Regen beginnt.
Will grad sagen: Komm her, komm doch noch etwas näher –
doch wir stehen links und rechts am Ufer.

Der Blick ist der gleiche
in die Richtung vom Meer,
die Hand, die ich reiche,
vom Hinhalten schwer.

Wenn ich dich bitte: Komm her, seit wann hörst du‘s nicht mehr?
Ach, wir stehn links und rechts am Ufer.

Zwischen uns dieser Fluss,
hast du davon gewusst?
War doch grad noch’ne Strasse,
kleiner Graben am Weg,
Balancierbrettchen drübergelegt –
seit wann kam diese Masse Wasser da rein,
gilt das jetzt für alle – oder für uns allein?

Das Band ist das Gleiche
in deinem Haar,
machst du es grad lose,
so wie es früher mal war?
Hinterm Abendrot treibt auf uns zu ein Boot,
und wir stehn links und rechts am Ufer.

Das Licht ist das gleiche,
in die Richtung vom Meer,
weisse Wolke, die leichte,
vor dem Abregnen her.

Und durch das Traumabendrot treibt auf uns zu dies Boot,
leer und schön –
und wir stehn links und rechts am Ufer.

Wir stehn genau richtig.
Komm steig ein – du von deiner, ich von meiner Seite.
Links und rechts am Ufer.

© Musik: Maurenbrecher/Albrecht, T: MM 2/09

HOFFNUNG FÜR ALLE

Privat geht er kaum noch raus,
die Welt sieht so trübe aus,
den ganzen Tag Schweiss, Menschenstaus,
Blödheit kommt gross raus.

Da bleibt er lieber drin,
nervt die Nachbarin,
indem er elektronische Klänge an die Wände knallt
und ruft: .Man steckt nicht drin!’

Beruflich geht er andere Wege entlang,
adrett geputzt ins Glasbüro,
viermal in der Woche, Aufpolierkampagnen eines Energiekonzerns – und so,
wie der aus Kohle Strom macht,
macht er aus Scheisse Sprüche,
das Wirkliche ist viel zu roh,
er malt ein Bild, das glitzert auf Millionen Wurfbroschüren,
leider macht es ihn nicht froh,
denn wenn er nachts nachhaus kommt und die Glotze andreht,
fühlt er sich wie in ’ner Falle,
er sieht die Spots mit seinen eignen Slogans,
und da liest er:

Hoffnung für alle.
Hoffnung für alle.

Er knallt es gegen die Wand.
Hoffnung für alle.

Sie lebt gleich nebenan,
rückt an die Wand heran:
Dieser abgedrehte Nachbar hat genau die Schwingung,
die sie nicht mehr finden kann.

Sie legt noch eine Pacience,
das Glück kriegt noch eine Chance –
aber wieder sackt es ab, und sie fühlt sich so schlapp
und kommt gegen gar nichts an.

Beruflich macht sie eine andere Figur,
hochdotiert im Internet,
auf einem exklusiven Forum für Gestalt und Menschenführung,
Fern-Universität,
da schreibt sie Expertisen, leiht der Psyche Flügel,
legt Shakren frei für Energien,
lässt verstauchte Seelen über Trümmer fliegen
und verjüngt nach vorne fliehn.

Hunderttausend Schüler schicken ihr mit e-mails
ihren Dank zurück ins Haus,
und sie liest es schaudernd, starr wie heute abend
und hält sich selber kaum noch aus.

Da kommt wieder der Satz, der zupackt
hart wie eine Kralle:
“Ihr Werk und ihre Lehre, verehrte Meisterin, das ist
Hoffnung für alle.”
Hoffnung für alle.

Was für rührende Schäfchen.

Hoffnung für alle.
Hoffnung für alle.

Die Wohnungen sind teuer, das Haus hat etwas Schnickschnack,
zum Beispiel eine Chill-Lounge auf dem Dach,
möglich, dass die beiden
einsam mal dort sitzen
und halten sich die ganze Nacht lang wach,
möglich, dass sie schweigen
und den Blick vermeiden,
bis dann doch einmal ein Funke fliegt.

Er will ihn zertreten,
sie will ihn auspusten,
aber die Verliebtheit siegt.

Und dann ist Sylvester,
sie lehnen an der Brüstung,
küssen sich im Feuerflug.

“Es hat keine Bedeutung, ausser für uns beide”,
sagt sie zärtlich und sehr klug,
“es hat nur die Bedeutung, dass wir’s selbst bestimmen”,
sagt er und schaut runter in die Nacht,
wo jetzt alle feiern, keiner auf sie wartet,
und jemand ihre Jobs viel besser macht.
“Wenn wir beide springen, Liebster, weil wir’s wollen,
gleich fliegen wir über das Geknalle” –

da wird es plötzlich taghell,
ein Scheinwerfer, eine Kamera,
ein Reporter jubelt:

“Hier zeigen wir Ihnen das Liebespaar des Jahres, wunderschönes Sinnbild all unsrer Träume in dieser Sylvesternacht, präsentiert von Ihrem Nachrichtensender, unsre

Hoffnung für alle…”
Hoffnung für alle.

“Lasst uns über die Brüstung!”
Hoffnung für alle.
“Okay.”
Hoffnung für alle.
“Hoffnung für alle ausser für Fernsehteams auf Dächern.”
Hoffnung für alle.

“Und alle, die darauf warten, dass wir jetzt springen. Und alle, die darauf warten, dass wir nicht springen.
Das heisst doch praktisch: Hoffnung für alle – ausser für fast alle -”

© Musik: Albrecht/Maurenbrecher, Text: MM 10/07

OFF-ROADER

Ich sitz hier oben,
bin grad im Stau,
schau auf die Dächer der andern,
es geht nicht voran,
soviel scheiss-kleine Autos unterwegs,
ich muss mich immer wieder wundern.
Hab‘n Antrieb unter jedem Rad,
‘n Stossfänger, der mit keiner Masse Mühe hat,
und trotzdem häng ich hier,
wie hoch muss die Arbeitslosenquote eigentlich noch wandern?

Fühl mich sanft wie‘n Grüner
hinter dem dunklen Glas, gesundes Klima,
alles, was das Leben hier in dieser Kapsel nachhaltig und nett macht,
und trotzdem hart wie‘n LKW,
mit fast genau dem toten Winkel, der das Rechtsabbiegen jedesmal zum russischen Roulette macht –
für die Radfahrer, nicht für mich,

und flink wie‘n Wiesel,
mit ’nem Bremssystem, das den Zusammenbruch
von allem hinter mir komplett macht –
alle Räder stehen still,
wenn mein starker Arm es will:

Ich fahr ‘n Off-Roader,
Range Rover,
sports utility vehicle, s-u-v Hummer.
Ich fahr ‘n Range Rover,
Pathfinder,
Freizeitpanzer, oder auch genannt
Todeskammer.

Ich bin für‘s Risiko,
der Adac nennt mein Gefährt neuerdings
gefährlich wie ’ne rasende Mauer –
mein Gott, was ist bloss aus dem Adac geworden? –
für Freiheit bin ich sowieso,

ich brauch den Staatsschutz für’n paar Lackschäden,
für sonst nichts,
und dafür zahl ich gerne meine Kraftfahrzeugsteuer,

und im Herzen bin ich immer noch links,
gebt mir die linke Spur,
das ist mein Beitrag zum Sozialstaat,
meine Streetfightingman-Power.

Ich fahr ‘n Off-Roader…

Ich sitz hier oben,
endloser Stau, ich stör die Navis der andern,
so viel Unvernunft:
Wär doch viel gesünder für die kleinen Leute da unten,
wenn die alle mal‘n bisschen wandern.

Ich hab‘n Antrieb unter jedem Rad,
‘nen Stossfänger, der mit keiner Barrikade Mühe hat,
und trotzdem häng ich hier:
Wie lang darf diese amorphe Masse mich
am Durchstarten denn eigentlich noch hindern?

Mit meinem Off-Roader,
Range Rover,
sports utility vehicle, s-u-v Hummer,
Pathfinder,
City-Cruiser,
Freizeitpanzer, oder auch genannt
Todeskammer.

© T&M: MM, 5/08

BAD BANK

Du fühlst dich abgesaugt,
bedrängt und ausgelaugt,
und deine Schuldenlast
wie’n Mühlstein an dir hängt.
Früher hätt’st du vielleicht Schluss gemacht,
doch heutzutage gibt‘s für dich und deine Lage diese Bad Bank.

Das achte Wunder auf der Welt nach sieben andern alten
ist die Bad Bank,
die nimmt dir einfach alles Miese ab und macht‘s für jemand andern
auf der schönen weiten Welt zum Geschenk.

Du hast ein Spiel verbockt,
hast richtig abgezockt,
das Spiel hört nicht auf,
und jemand geht bei drauf.
Früher hätt’st du dich vor Scham erhängt,
doch heutzutage gibt’s für dich und deine Lage diese Bad Bank.

Das achte Wunder auf der Welt nach sieben andern alten
ist die Bad Bank,
die nimmt dir einfach alles Miese ab und macht‘s für jemand andern
auf der schönen weiten Welt zum Geschenk.

Sei besser skrupellos,
werd deine Skrupel los,
sei jemand, der nur denkt,
wie er sich selbst beschenkt,
denn wenn dir das nicht glückt,
dann fällst du krass zurück,
fällst in die Riesenmasse, die Geschenke kriegt und nickt:
Danke, Bad Bank.

Das neueste Wunder auf der Welt nach sieben andern alten
ist die Bad Bank,
die macht die Miesen von den Reichen allen andern Menschen
auf der schönen weiten Welt zum Geschenk.

Wir leben alle in der Bad Bank.

© T&M: MM 2/09

STEIN IM SCHUH

Ich hab ‘n Stein im Schuh,
und der tut ganz schön weh.
Ich hab ‘n Stein im Schuh,
direkt unter‘m grossen Zeh.
Ich hab ‘n Stein im Schuh,
kann man von aussen nicht sehn,
ich hab ‘n Stein im Schuh,
kann man nur schlecht mit gehn.

Er hat ‘n Stein im Schuh,
und das ist echt nicht schön.

Ich hab ‘n Stein im Schuh,
da lässt sich nichts dran drehn,
ich hab ‘n Stein im Schuh,
der drückt sogar beim Stehn.

Er hat ‘n Stein im Schuh,
der ist wahrscheinlich klein,
doch dieser Stein im Schuh
will nicht woanders sein,
ja, dieser Stein im Schuh
schmerzt trotzdem so gemein.

Er hat ‘n Stein im Schuh
und kann ihn nicht raustun,
ist viel zu kalt dazu,
man friert mit ohne Schuh‘n.

Er hat ‘n Stein im Schuh,
und das ist eigentlich nichtig…
doch dieser Stein im Schuh,
der ist doch dort nicht richtig!

Ja, dieser Stein im Schuh
macht vieles sonst unwichtig.

Es ist nur ein kleiner Stein im Schuh. Und plötzlich sieht die Welt ganz anders aus. Dies nur als Tip, falls euch mal der Himmel auf den Kopf fällt – all die Leute, die sich eben noch ganz verzweifelt aneinander gekuschelt haben in der Krise – ey ey ey, es gibt ein uraltes einfaches Mittel, über die Jahrhunderte anempfohlen: Konzentriert euch, jeder für sich selbst, denkt an nichts anderes, fühlt mit den Zehen – und dann lasst ihn kommen, den kleinen, gemeinen Schmerz, lasst ihn wachsen und kommen, und alles andere wird zu einer
Art von Parallel-Universum werden, ganz gleichgültig gemessen an dem, was hier wirklich abgeht, was ich das echte, das eigentliche, das Leben selbst in seiner grossen brutalen,diamantenen Härte nenne – geniesst den
Augenblick…

Er hat ‘n Stein im Schuh, und der tut ganz schön weh,
er hat ‘n Stein im Schuh, direkt unter‘m grossen Zeh.
Er hat ‘n Stein im Schuh, kann man von aussen nicht sehn…

Ich hab ‘n Stein im Schuh,
und das ist echt nicht schön…

Da is ‘n Stein im Schuh,
doch es heisst Weitergehn…

Auch mit dem Stein im Schuh
müssen wir weitergehn…
Auch mit dem Stein im Schuh, denn es muss weiter gehn.

© T: Evers/Maurenbrecher, Musik: MM, Nov.02

SONNTAG

Ich brauchte neue Akkus, und der Kühlschrank war auch nicht mehr ganz so voll,
als klar war, ich fahr ins Center, ging ’ne Liste rum, was noch gekauft wer’n soll,
“jetzt am Sonntag könnt es leer sein, tausch die Harddisk um, die tut’s nicht mehr”, na toll.
Ich wäre besser gleich gelaufen, denn die Parkhäuser am Schloss war’n beide voll.

Kam in ein Weekend-Special, trank zwei Latte und testete, was die taugen,
sah zwei Einkaufstüten weiter eine alte Freudin schön und ferne in den Menschentrauben,
bei den DSL-Anwerbern fragt ich einen Alten: “Kann ich denn deine Preise glauben?”
Doch der schaute, statt zu antworten, am Lärm vorbei mir traurig in die Augen
und sagte:

“Ich will den guten alten Sonntag, mit dem Braten auf dem Herd,
mit der Blasmusik im Radio und dem Bus, der heut nicht fährt,
mit dem Glockenschlag vom Kirchturm, der den Freidenker verstört,
und dem Pärchen hinterm Sportplatz, das sich vor Sehnsucht verzehrt.”

Er sagte: “Ich bin ein Technikfreak, aber auch ein Kind von Bauern,
hörte schon früh eine extreme Musik hinter meinen Kindheitsmauern
und träumte, dass einmal alles offen ist, würd’ es auch lange dauern,
ich schwor, ich käme in die Welt und würde nie versauern

an ’nem verdammten Sonntag mit dem Braten auf dem Herd,
mit dieser Blasmusik im Radio und dem Bus, der niemals fährt,
mit dem Gebimmel von der Kirche, das den Freidenker empört,
und dem verklemmten Pärchen, das sich im Gebüsch verzehrt.”

Ich sagte: So wie dir geht es doch vielen, wir empfinden das ganz stark,
die Entfesselung der Gegenwart, Wahlfreiheit bis ins Mark,
und doch den Wunsch nach Gestern, vergangen, streng und karg.
Warum bewahrt das keiner für uns auf und baut z.B. einen Erlebnispark?

Da spiel’n wir dann den
guten alten Sonntag mit dem Braten auf dem Herd,
mit der Blasmusik im Radio und dem Bus, der niemals fährt,
mit dem Glockenschlag vom Kirchturm, der den Freidenker verstört,
und dem Pärchen hinter’m Sportplatz, das sich vor Sehnsucht verzehrt –

– mit dem gebroch’nen Arm des Küsters, vom Freidenker geschient,
und dem Pärchen in der Pfütze – wir ha’m es uns verdient.

© T&M: MM 12/06

EWIGER KREISLAUF

Ich sang das Lied langsam,
sie stand im Schatten,
kam unter’s Licht
beim ersten Klang,
ihr Augenblick
zu der Musik, die ich machte,
doch das Lied, es war lang
und fing grad erst an.

Hinter Kugeln aus Licht
war ihr Gesicht wie ein Spiegel
für den Wortschwall,
der von der Zunge mir sprang,
fern und sehr klar
ihre Augen wie zwei Feuer,
doch war noch nicht viel getan
und das Lied noch so lang.

Mein Blick tanzte Kreise
um ihre Erscheinung,
den Kopf schräg gelegt
rief sie was, wie ich sah,
und in dem leiseren Teil
hört’ ich sie sogar atmen,
doch das Lied, es war lang
und ein Ende nicht nah.

Meine Finger wurden schnell
und erklärten mir spielend:
Von all dem da draussen
konnt‘ ich doch eigentlich nichts sehn –
da kamen ihre Gedanken
wie auf Spitzen von Pfeilen
quer durch die Musik
direkt zu mir hin.

Als das Lied schliesslich aus war,
hatte ich freie Hände
und sah nach ihr,
die da gewartet so lang.
Doch ihr Umriss fehlte,
so sehr ich auch suchte,
also holt’ ich nur Luft
und fing das nächste Lied an.

© T&M: Bob Dylan 62, dt. Fassung: MM 3/08

NEUTRALES TERRAIN

Patchworkmieter in ’ner Grossstadtwohnung,
Kinder toben über’n Flur und spielen Peng Peng Peng,
ein Zimmer bleibt tabu: Da herrscht die Schonung,
da sind sie alle gleich und auf neutralem Terrain.

Das ist zuhaus für dich,
so sieht’s aus für dich,
keinem ein Vorrecht auf dem neutralen Terrain.
Manchmal fängst du dir einen Wahn,
steck besser niemand damit an,
sondern behalt ihn,
halt es aus damit.

Du kannst dir Puppen bau’n und sie mit Nadeln stechen,
kannst einen Stromkreis ziehn, in dem du leuchtend glühst,
kannst dich verschleiern und dann die Traditionen wieder brechen,
kannst Regeln gelten lassen, in deren Zwang du erst erblühst.
Oder du ziehst mit hunderttausend andern über grüne Hänge,
betest zu Buddha, Mohammed, dem Mann am Kreuz oder dem Mann aus Rom,
wirf dich da drunter, aber nie jemanden bedrängen,
keinem auch nur ein Haar gekrümmt für einen Jenseitstraum.

Sonst ist es aus damit,
trau dich nicht raus damit,
wo du auf andere triffst – sofort neutrales Terrain.
Ich weiss, der Drang ist riesengross
in einen absoluten Schoss,
aber behalt ihn,
halt es aus damit.

Da sind zwei junge Killer zu zwei verschiednen Zeiten,
schiessen mit zwei Pumpguns in zwei Menschenmengen rein,
und die Musik, die beide hör’n auf ihren ipods:
Genau das gleiche Menuett von Haydn, soll das jetzt verboten sein?

Die Nacht ist klar, der Himmel weit, zehntausend Sterne,
ich seh die Schuppen fall’n und bin so einsam, so dicht dran
wie die Milliarden andern auch, gleiche Sekunde,
und in den Herzen sowas wie ein gleicher grosser Plan.

Doch ich geh nicht raus damit,
halt es nur aus damit,
geh nur ganz vorsichtig über neutrales Terrain.
Denn das ist ja ein Geschenk,
an dem die Zukunft vielleicht hängt –

© T: MM 2/07, M: MM, Albrecht, Fleischer, Ponce Kärgel, Schwarz 2/09

ES WIRKT ALLES AUF ALLES

Wenn du suchst, was du findest,
findest du, was du suchst,
denkst du oft an den Absturz,
tausch den Flug, den du buchst.
Wenn du glaubst, dass du arm wirst,
gib dem Schnorrer das Geld,
das du grad auf die Bank bringst,
freu dich, wenn er’s behält.

Glaubst du denn, deine Sehnsucht
wirst du durch Strenge los?
Du glaubst vielleicht nur, dass du streng bist und stur,
danach sehnst du dich bloss.

Es wirkt alles auf alles,
das Stille will Krach,
aus den Resten des Abendrots
wird der Morgen gemacht.

Nimm ein Problem total wichtig,
lass dich beschweren mit Blei,
wenn dir irgendwas weiterhilft,
dann garantiert nebenbei.
Fühlst du dich danach erleichtert,
glaubst, jetzt hast du’s kapiert,
dann kann es geschehn,
du wirst voll übersehn,
als wärst du selbst nie passiert.

Es wirkt alles auf alles,
die Luft auf den Schlag,
aus den Scherben der Dämmerung
krabbelt der Tag.

Der Selbstmörder fand sich
unglücklich am Ziel,
nicht sein Flugzeug stürzte grad ab,
das getauschte fiel.
Der Zocker beim Casino
beugt sich runter zu dir
und sagt: “Hey Träumer, hier dein Einsatz zurück –
hoch zehn mal vier.”

Und du glaubst doch nicht, dass dein Misstrau’n
sich in Luft auflöst,
wenn du diese Luft nicht mehr gern atmest,
nicht gern selbst in ihr stehst?

Es wirkt alles auf alles,
der Anfang macht Schluss
und sagt zu dem Ende:
Man tut, was man muss.
Es wirkt alles auf alles,
das Ende fängt an
und sagt zu dem Anfang:
Man tut, was man kann.

© T&M: MM 9/08

AGIT-PROP 08

“Wir tragen dich und halten dich,
egal, was kommt, wir schützen dich.”

Ist eine seltsame Sitte in einem seltsamen Land,
Menschen, die eigentlich gar nichts können
und wirken doch hart und gewandt,
holen den Gewinn aus der Arbeit, nehmen ihn leise weg,
und die arbeiten, wissen: Das hat immer so funktioniert,
und sich zu wehren, kein’ Zweck.
Die den Gewinn jetzt haben,
die leihen, spielen und wetten damit auf irgendwas,
bis der Riesenreichtum zu einer Riesenphantasie wird,
und es macht Riesenspass,
und die noch arbeiten, staunen, stehen betreten dabei:
Ist es nicht das, fragen sie,
was einen Menschen eigentlich ausmacht – Spieler sein, ungezügelt und frei?
Deshalb nerven vor allem die Armen,
bei denen immerzu gar nichts klappt:
Keine Jobs, immer auf Pump,
nur auf Stütze, immer knapp,
denen rechnet man besser
jeden Pfennig vor schon vor dem Ausgeben,
denn wer in diesem seltsamen Land
so verkrampft verliert wie die,
was braucht so eine graue Maus zum Leben?

Doch wenn die göttlichen Spieler
verblüfft von ihrer Himmelfahrt
mit einem tapferen Verlust in die Heimat zurückkehren,
dann bleibt kein Herz hart:

“Wir tragen dich und halten dich,
egal, was kommt, wir schützen dich.”

Ist eine seltsame Sitte in diesem seltsamen Land,
das mittlerweile von dem einen Ende der Welt
zum andern diese Kugel umspannt:
Eine Wirtschaftskrise vorher, da hingen die Banker sich noch freiwillig auf,
diesmal stellt man ihnen Psychologen an die Seite
und schüttet halbe Staatshaushalte auf sie drauf,
und Kohorten von Politikern erklären uns,
so wär das halt, das wär wie Natur und müsste uns ewig gefallen:
Die Gewinne privat abgefeiert, und die Verluste getragen von allen.

Dies hier ist übrigens die Rückkehr des Agitpropsongs.
Von zwei Generationen Journalisten für total tot erklärt und mordspeinlich – die jetzt alle wahrscheinlich bald ihr bisschen clever angelegtes Geld verlieren werden und deshalb wahrscheinlich bald viel radikaler reden werden als ich gerade.
Denn das Sein bestimmt immer noch das Bewusstsein.

Statt: “Wir tragen dich und halten dich” –
“Hackfleisch. Das wars, Banker.”
Oder wie ein guter Freund von mir gerne sagt:
“Ab ins Bergwerk, Finanzmakler – lass doch dein Geld für dich arbeiten…”

Wir müssten das alle einfach nur mal wollen.
Die schönsten Dinge gibt’s eh nur umsonst.

© T&M: MM © 9/08

KOMM, WIR HELFEN DEM KLIMA

Eigenarten von Algenarten:
Sie teilen und vermehren sich dauernd
und binden CO≤.
Man kann sie aus dem Wasser rausfischen,
dann mit Ölen auffrischen,
und irgendwann sind sie Treibstoff
und setzen Energie frei.

Ist wie ein Geschenk von den Algen:
liegen im Wasser wie’n Teppich,
wir empfanden sie immer als eklig,
doch sagen sie seit Jahrtausenden eigentlich:
Wenn ihr mit der Athmosphäre mal ein Problem kriegt –
wir ha’m da was dabei.

Und daran siehst du: Es gibt Hoffnung,
es gibt immer noch Hoffnung,
die Polschmelze ist kein Witz,
sie fordert Scharfsinn und Mut.
Wo du‘s nie glaubtest, gibt es Hoffnung –
z.B. dieser Blick, den du mir gerade zuwirfst,
wenn der vielleicht ’nem kleinen Gletscher etwas Kälte zurückbringt,
dann macht der damit was gut.

Nachrichten von Staubschichten,
die ja eigentlich immer nur Staub auf Staub auf Staub aufschichten,
ein Labor füllt sie jetzt ab in Kapseln
und schiesst sie bis zum Himmel hoch,
und da, am Rand der Strathosphäre,
wo sonst die Sonne ungebremst heiss wäre,
da dämpfen sie wie eine Decke
und flicken das Ozonloch
(wenn ich das mal richtig verstanden habe).

Auch das bedeutet: Es gibt Hoffnung,
immer noch Hoffnung,
die Erderwärmung ist ein schwerer Schlag,
doch sie spornt uns auch an,
wo du’s nie glaubtest, gibt es Hoffnung,
und im ganz Kleinen liegt manchmal die Rettung,
und dieser Streit, den du jetzt gerne mit mir hättest,
in einer Staubnacht fingest du den niemals an.

Komm, wir helfen dem Klima,
soll so sein, wie’s noch nie war,
vergiss Computer und Beamer,
wir schalten all den Kram aus.
Lass uns jeden Aufwand sparen,
wir müssen nicht ins Umland fahren,
ich mag dich auch mit fetten Haaren,
brauch keine Lichter um’s Haus.

Abarten von Affenarten,
verschmust, debil, meistens müde und furchtbar verlaust,
eine Sorte, die im miesesten ÷dland der Savanne
auf ausgetrockneten Bananenschalen haust.
Und wenn sie gähnen, stinkt es furchtbar,
und sie tun das ziemlich oft,
und dass irgendwer sie trotz ihres Gähnens mal vernichtet,
ha’m die ander’n Tiere in der Gegend sehr gehofft.
Jetzt hat ein Forscherteam herausgefunden:
Gähnen diese Affen nur so in die Luft hinein,
wird sie unmittelbar ganz kühl und sauber in Sekunden,
und wir müssten alle so wie diese Affen sein.

Komm, wir helfen dem Klima,
Hand in Hand geht das prima,
wir werden wieder intimer,
der alte Plunder fliegt raus.
Sind 1000 Nebensächlichkeiten,
die von uns auf dem Weg abgleiten,
ökologisch und bescheiden –
wir halten’s gut aus.

Und all der Ärger, all die Fragen,
was soll’n wir noch darüber sagen,
das war in unsern Luxustagen,
da sind wir evolutionär darüber raus.

Und dieser Wärmepilz im Garten –
ich weiss, du willst mich immer gerne dort erwarten,
und es wird arg kühl sein ohne ihn im Schatten –
aber bei allem, was wir uns grad geschworen haben,
wenn wir überhaupt zusammen bleiben wollen:
Dann mach den jetzt bitte ein für alle Mal und endgültig aus!

Komm, wir helfen dem Klima,
ganz im Finstern sag ich: Sieh mal,
wir werden wieder intime dreamer,
und wir halten’s gut aus.

© T&M: MM, 12/07

NEO-PÄDAGOGIK

Komm weiter voran, Wissen schafft Vorrang,
ich teil zwei Zahlen, merk dir den Vorgang,
wie weit du vorn bist, entscheidet Leistung,
wenn du hier fit bist, lebenslang Vorsprung.
Die andern Menschen sind dann irgendwann der Rest,
komm, du verstehst mich schon: Be the best!

Wir tun das für dich, du kriegst ein prima
ganz auf dich eingepegeltes Lernklima.
Darfst nie zurückfall’n in so kindische Momente,
weil das die Hoffnung auf dich töten könnte.

Jetzt werd doch wieder ruhig, schau bitte wieder her:
Eine Dreijährige braucht wirklich keinen Schnuller mehr.

Die Welt ist Lernen. Lernen im Kreise,
Lernen mit Kopfhörer, lernen für Preise,
Lernen mit Aktivleinwand und mit Vibrator,
Lernen für’s Lernen, sagt der Lernmediator.

Was willst du jetzt, was kann ich grad nicht sehen?
Du, das sind keine Monster, Monster gibt es nicht, das sind doch nur wir beide, deine Eltern,
die hier vor dir stehn.

Komm, die eine Aufgabe noch, ich will nicht nerven,
aber du bist erst auf Platz 11 von 17 – und wir wissen beide, du hast Reserven.

Leben ist Kämpfen, Schwäche ausmerzen,
aus der Masse hervorgehen mit entschlossenem Herzen.
Auf den Märkten da draussen in den giftigen Winden,
da konkurrierst du mit der ganzen weiten Welt und allen andern Kindern –
stell dir das mal vor: Allen andern Kindern,
du, das kann toll sein – vielleicht liegt dir mal die Welt zu Füssen –
davon haben deine armen Eltern immer nur geträumt…

Morgen der Schulrat, der kommt euch testen,
für eine Sonderklasse der Vierjährigen sucht er die Besten.
Du kannst Trigonometrie, kannst englisch reden
und schwimmst tagtäglich gegen die Rückenschäden.
Warum guckst du jetzt so ernst und nachdenklich?
Weisst du was: Sei morgen ruhig mal ein Kind – sei morgen ruhig mal’n bisschen frech,.
Ich glaub, das gefällt der Kommission.

Angst? Ja, wenn du schon so fragst: Deine Eltern haben Angst, vor der Zukunft, ja… Richtig: Keiner weiss, was die Zukunft einem bringt – stimmt, aber schon komisch, so was aus dem Munde eines Kindes…

Was lächerlich auf englisch heisst?: Ridicoulous. Ridicoulous heisst lächerlich auf englisch. Schön, dass du von selber sowas fragst, aber wieso?
Was? Du, ich find das ziemlich ungerecht, was du da jetzt grade sagst – wirklich! Wir tun das alles nur für dich, für dichallein… und ich glaub, du hast keine Vorstellung, was wir dafür opfern. Was das schon mal alles kostet, der Scout, die Gruppen, alles für dich … Wieso lachst du jetzt so schäbig? Hab ich noch nie gehört, solch ein Lachen – hör sofort auf damit!! Hör auf damit. Lach doch nicht so –

© T&M: MM 10/07

ICH GEH ZURÜCK (‘Indian Queens’)

Ich geh zurück nach Dithmarschen,
bin fort so lang, und mir war bang
an jedem Ort, wo ich gewesen bin,
war so vergügt in Dithmarschen,
also geh ich zurück und hoff, ich find nochmal Glück
in Dithmarschen.

Nach Altona mit meinem Handballteam,
ein Ausflug zu den Hafendocks,
ein reiches Paar auf einem Segelschiff,
sie lehrte mich die Leinen ziehn.
Wir waren hinter Gibraltar,
der Streit an Bord wurde mörderisch,
ich blieb korrekt, was auch geschah,
doch er bat mich, an Land zu gehn.

Jetzt geh ich zurück
nach Dithmarschen,
bin fort so lang, und mir war bang
an jedem Ort, wo ich gewesen bin,
war so vergnügt in Dithmarschen,
also geh ich zurück und hoff, ich find nochmal Glück
in Dithmarschen.

Per Anhalter nach Lybien,
wo ich beim Installieren half
von einem 5.1-System
für die Wachen vor’m Präsidentenzelt.
Im Meer ein Taucher verlor ein Bein,
ich vertrieb den Hai und zog den Mann,
er flüsterte, ich soll sein Erbe sein.
Doch ohne Zeugen starb er dann.

Jetzt geh ich zurück
nach Dithmarschen,
bin fort so lang, und mir war bang
an jedem Ort, wo ich gewesen bin,
war so vergnügt in Dithmarschen,
also geh ich zurück und hoff, ich find nochmal Glück
in Dithmarschen.

Europa hinter’m Horizont,
die Fähre nach Italien,
ich hätt’ nicht Nein sagen gekonnt,
bei dieser Hochzeit in der Nacht.
In Brindisi liess sie mich stehn
für einen Botschaftsangehörigen.

Jetzt will ich nur nach Dithmarschen,
ich glaub, ich hab die Welt gesehn.

Ich geh zurück nach Dithmarschen,
bin fort so lang, und mir war bang
an jedem Ort, wo ich gewesen bin,
war so vergnügt in Dithmarschen,
also geh ich zurück und hoff, ich find nochmal Glück
in Dithmarschen.

© T&M: Nick Lowe, dt. Fassung: MM 2/08

SCHWARZE KATZE

Kleines Haus am Wiesengrund
weit in einer Winterwelt,
Mädchen vor dem off’nen Herd
träumt, dass ihr ein Prinz gefällt.
Das ist lange, lange her,
und die Zeiten waren schwer,
und Krieg war.

Junger Mann in Uniform
hat Befehl zum grossen Brand,
springt mit Stiefeln durch die Tür,
hinter der das Mädchen stand.
Da zerbrach ihm sein Gewehr,
sprach: “Ich kenn mich selbst nicht mehr,
seit Krieg war …”

Oben auf dem Dach die schwarze Katze
blieb die Nacht lang wach und schaute zu,
wie die Liebe kam, mit sanfter Tatze
schnurrt sie ihren Frieden noch dazu.

Im kleinen Haus am Wiesengrund
lebt ein alter Mann bis heut,
Dame aus der bess’ren Welt
reist in die Vergangenheit.
Vor der Türe bleibt sie stehn,
hat zwei Augen nicht gesehn,
seit Krieg war.

Und oben auf dem Dach die schwarze Katze
bleibt die Nacht lang wach und schaut zu,
wie die Liebe kommt, mit sanfter Tatze
schnurrt sie ihren Frieden noch dazu.
Sieben Leben lang mit sanfter Tatze
schnurrt sie ihren Frieden noch dazu.

© T: MM 11/94, M: Corinne Douarre 11/05

OFFENE GRENZE (29.12.89)

Der Vopo steht da wie immer,
kein Fleck auf seiner Uniform,
sein Blick auf die Papiere –
alles ganz in der Norm.
Er macht das seit 20 Jahren,
geredet hat er kaum,
und dass jetzt alles so frei sein soll,
kommt auch ihm vor wie ein Traum.
Er sagt: “Gehn Sie nur,
wir haben offene Grenze.”

Auf dem Pflaster sind noch die Spuren
aus der Nacht, wo die Druckwelle kam
und mit den Lügen und dem Stacheldraht
auch eine Hemmung mit nach unten nahm.
Und Menschen, die sich nicht kannten,
waren so dicht aneinander dran,
dass es aussah, als finge diese wunde Stadt
noch einmal ganz von vorne an.
In einem Meer aus Licht und Sekt
an der offenen Grenze.

Freiheit ist ein Augenblick,
seltsam und schön,
die Luft ist plötzlich anders,
alles kann geschehn.
Aber Freiheit ist ein Augenblick,
der bleibt nicht stehn.
Nachher kommt die Angst zurück:
Wie wird es weitergehn?

Jetzt fährt ein Herr aus dem Grunewald
mal eben in den Osten schau’n
auf der Suche nach nem properen Grundstück –
er will ja nicht klau’n.
Und die schmalen Jungs aus Weissensee
ziehn auf Westjagd nach Pulver und Scheinen,
und die schmalen Jungs aus Reinickendorf
ziehn auf die Gegenjagd nach billigen Kleinen.
Und überall ist Fete,
die drei Polenmädchen an der Wand,
irgendwer aus der Clique lehrt sie ‘Deutschland einig Vaterland’,
und bitte zügig jetzt,
hier an der offenen Grenze.

Freiheit ist ein Augenblick …

Im Wachhäuschen läuft das Fernsehen,
ein Politiker verspricht die Nation,
ob aus Leipzig oder Frankfurt am Main –
wer weiss das heute schon?

Und der Vopo sagt: “Gehn Sie weiter” –
ich schau ihn mir noch einmal an:
Er sieht müde aus, er will nachhaus,
er hat ja auch bloss seine Pflicht getan.
Und das ist 20 Jahre her,
und man sieht davon nichts mehr.

Freiheit ist ein Augenblick,
seltsam und schön.
Freiheit ist ein Augenblick.

© T: MM 12/89,2/09, M: Maurenbrecher, Wester 1/90

BALD

Jemand sagt: Die Menschen ändern sich.
Bleibt ihnen gar nichts übrig. Wirst sehn, sie ändern sich.
Ich nicht.
Ich aber nicht.

Und wir warten, dass ein Zug kommt.
Ist doch wohl nicht schon wieder was passiert.
Eine schmale Frau begleitet ihre Tochter zum Assessment-Center.
Was es heute alles gibt.
Nach über einer Stunde lässt sich eine von den Bahnern blicken, man stürzt sich auf sie, schreit: Wann kommt denn nun der Zug?
Sie schliddert drunter weg und murmelt: Bald.

Und wir wissen, dass der Kurs fällt.

Ersatzzug hält, wir steigen ein, fahren ein paar Meter,
und dann stehn wir, werden nicht mehr transportiert.
Wie eine Ladung abgefüllte Fussballfans nach dem verlor’nen Spiel.
Wir warten. Warten lang. Wir warten heiss und stickig, eng und still.
So sind wir nicht gemacht.
Die Fahrt hier braucht was anderes.
Und dann sagt jemand: Schau, die Menschen ändern sich.
Wir ändern uns.

Ich nicht.
Und wann bereust du’s?
Bald.

© M: MM, Albrecht, Fleischer, Ponce Kärgel, Schwarz 2/09, T: MM 4/09

VIEL ZU FRÜH ERSCHÖPFT

Die Rebe am Asbestdach wächst jedes Frühjahr mehr,
kein Messer, das sie schneidet, keine Hand reicht so hoch her,
die Leiter ist zu wacklig, das Sägeblatt geköpft,
der Mensch, der dieses Haus hier führt, viel zu früh erschöpft.

Ich renn mit dir den Berg hoch im frühen Sonnenstrahl,
war fix und fit und aufgewacht, als wär’s zum ersten Mal,
auch du musst kräftig pusten, hast dir alles aufgeknöpft,
selbst in dem Traum vom Marathon sind wir viel zu früh erschöpft.

Die Frage, die sich stellte,
ganz ernst und nicht geblufft,
bekam sehr knappe Antwort
und war dann gleich erschöpft.

Man sagt, wir sind wie Länder, in Aufschwung oder Not,
was dem einen seine Datenautobahn, ist dem anderen ’ne Ladung Brot,
also nenn deine Bedingungen, du hast mich 1000mal geschröpft,
aber nenn es nicht humanitäre Hilfe, der Trick hat sich erschöpft.

Alles ha’m wir bei uns, freien Tag und freies Geld,
Freunde zum Vergnügen, jetzt mal tun, was uns gefällt,
sind mit ’ner Flasche Champus mehrmals in den Pool gehüpft,
und so voll schlechter Laune, so viel zu früh erschöpft.

Die Antwort, die sich bildete,
ausführlich wie ein Strang,
vergass schon bald die Frage,
die erschöpfend sie verschlang.

Die Rebe am Asbestdach hat keinen echten Feind,
der Schutt, das Gift, die Trockenheit, alle haben’s gut gemeint,
jetzt bleibt ihr nur zu wachsen, zu umarmen das Gehöft,
bis sie an eigener Riesigkeit vielleicht doch einmal erschöpft.

Auch ich geh den Weg weiter, paar Schritte sind markiert,
und dieses schräge Grinsen tut, als hätt ich was kapiert,
wollte die Welt umfangen mit einem Bild, das alles trifft –
doch jetzt ist es ausgereizt und viel zu früh erschöpft.

© T&M: MM 5/08