Nichts wird sein wie vorher

Nichts wird sein wie vorher

Einstiegsdroge (1981)

Kleine Geschenke (1988)

Die kleine Schwester (1987)

Blut (1988)

Schau in die Nacht raus (1987)

Federleicht (1988)

Rotes Tuch (1988)

Da die da du (1987)

Was für ein Tag (1988)

Brennende Boote (1987)

Der Bote (1982)

 

Nichts wird sein wie vorher – Unveröffentlichtes und Auftragstexte

Stadt aus Glas (1986)

(Lady of the Lake) – Text (1987)

Schirin (1987)

Manchmal fällt man tief (1988)

Sammlerglück (1988)

Karussell (1988)

Das Dunkel von mir (1988)

Mit dir ist alles da (Hey du) 1988

Ich will den Sommer (1988)

Zu nah dran (1988)

 

EINSTIEGSDROGE

Wenn mal nichts kommt,
auch kein Blick mehr,
auch kein Nicken,
nicht das kleinste Wort mehr.

Seh dich schon im Mantel stehn
und grußlos weggehen –
Denken werd ich: was’n glatter Abgang.
Stundenlang im Bett dann.
Traurig? Endlich mal allein, Mann.
So’n Zucken um den Mund dann:

Stolz! Ich hab doch allen Grund, Mann.
Nichts wird sein wie vorher,
du warst die Einstiegsdroge,
ich brauch jetzt ne Entzugskur
quer durch Betten, Bühnen, Strände.

Jeden, der mir glaubt,
werd ich betrügen und werd’s wissen,
und noch, wenn ich ehrlich sein will,
werd ich lügen müssen.

An irgend einer Bar mit Freunden:
jenseits der Gespräche
warten so süße Körper,
die federleicht zerbrechen.

Ich werd kommen und mich rächen
und werd tragen,
was ich mich nie tragen traute.

Und nichts wird sein wie vorher:
du warst die Einstiegsdroge.

1981 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

KLEINE GESCHENKE

Kleine Geschenke verzaubern den Alltag

Schau mal, das Ding sieht wie ein Ohrring aus
mit nem kleinen Glöckchen zum dran ziehn,
du langweilst dich, und du spielst damit,
und dann hörst du kleine Melodien.

Die kommen aus dem eingebauten Radio von dem Teil,
ein kleiner Button ist da auch mit bei,
du hast nicht viel zu tun, und du drückst darauf rum,
und eine Zwergenstimme zählt schon: eins zwei drei!
Und auf einmal steht ein Feuerzeug mit Monitor vor dir,
und das Farbenspekteum ist ganz echt,
komm doch rein in das Programm,
benutz die Tastatur:
spiel damit, du machst es nicht schlecht!

Na gut, du wunderst dich ein bißchen über so ein Geschenk,
doch jetzt bist du heiß und willst noch mehr,
und dann ziehst du und siehst du:
das Ding wird immer länger,
und auf einmal sind es ein Paar Langlaufskier.

Und die Skier sausen den Berg hinab,
und du spürst, wie du dich in der Kurve wiegst,
du hattest keinen Schimmer, doch du wolltest sowas immer
und bist sicher, daß du demnächst noch mehr Tempo kriegst.

Na klar; denn unter dir ist jetzt die rollende Kugel,
und über dir ist die Nacht,
und du denkst: wie kann ein Traum so toll sein,
wer hat sich das bloß alles ausgedacht?

Und dann blitzen am Globus die Lichter auf,
und die Zwergenstimme sagt: hab mich lieb,
und du vermißt nichts mehr, du bist gar nicht mehr hier –
du fragst dich höchstens, wo dein Ohrring blieb…

Kleine Geschenke verzaubern den Alltag

Und irgendwo, in einem Film von früher,
an den man heute kaum noch denkt,
da kannst du sehn, wie ein guter alter Freund
dir grad ein Schmuckstück schenkt –
und er sagt:

Schau mal, das Ding sieht wie ein Ohrring aus…

Kleine Geschenke verzaubern den Alltag.

1988 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

DIE KLEINE SCHWESTER FLIEGT ZUM MOND

Vati schläft n Rausch aus,
Mutti ist gar nichts mehr recht,
der Bruder baut sich wieder seine Nase,
und dem Baby ist wie immer schlecht.
Aber hört mal, was ne Nachricht,
morgen weiß es wohl die ganze Welt:
war nur ‘n Versuchsballon vom Sozialamt,
und irgend jemand gab ne Menge Geld –
und es hat sich gelohnt!

Die kleine Schwester fliegt zum Mond.
Die kleine Schwester fliegt zum Mond.
Sie sagt: die Schwerelosigkeit,
die hab ich schnell gekonnt.
Und sie wünscht sich, daß dort oben jemand wohnt.

Ein Kuß von Thomas Gottschalk,
und ein Klaps von Kanzler Kohl.
Wo der hinfaßt, rieselt nachher wirklich etwas Kalk,
doch was er sagt, ist gar nicht so hohl.
Er sagt: Flieg, Vögelchen, flieg.

Die kleine Schwester fliegt zum Mond.
Der Astronautenlehrgang hat sich also doch gelohnt!
Die kleine Schwester fliegt zum Mond.
Und sie hofft so sehr, daß oben jemand wohnt.

Flieg, Vögelchen, flieg,
das ist der Trick,
schau von oben zurück.
Hey, Vogel, flieg,
das ist der Trick:
schau auf uns zurück.

Die kleine Schwester fliegt zum Mond.
Sie sagt: das Fliegen bin ich doch
von Anfang an gewohnt.
Die kleine Schwester fliegt zum Mond.
Sie findet schon, es hat sich dann gelohnt.

Die kleine Schwester fliegt zum Mond.
Und sie ist sicher, daß dort oben jemand für sie wohnt.

1987 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

BLUT

Auf dich muß ich nicht warten,
du willst ja bei mir sein
auf allen meinen Fahrten –
ich steck dich einfach ein.
Ich muß dich nicht verführen,
ein wenig Feuer bloß,
ganz nah an meinen Lippen,
und sofort geht es los.

Du küßt mein Blut,
und das tut gut.

Du stellst mir keine Fragen,
kommst einfach zu mir rein.
Wie hab ich’s je ertragen,
so ohne dich, allein?
Du hast die Welt gesehen
und machst sie für mich frei.
Seh dich mit andern gehen
und weiß doch, du bist treu.

Du küßt mein Blut,
und das tut gut.

Und niemand soll mich warnen:
mein bißchen Geld ist dein.
Brauchst dich bei mir nicht tarnen,
leb dich nur ruhig ein.

Na gut, ich kenn die Bilder,
weiß, was du mit mir machst.
Nachts lieg ich wach und atme
und höre, wie du lachst.

Du küßt mein Blut,
und das tut gut.

1988 ©Text: M. Maurenbrecher / Musik: R. Wester

SCHAU IN DIE NACHT RAUS

Ey Kleine,
hörst du mich,
unten vor dem Haus?
Ey Kleine
wirf doch mal’n Groschen raus!
Hier ist Musik für dich,
hast du bitte mal’n Blick für mich,
ich sah dein helles Fenster,
hätt’st du das bloß nicht aufgemacht.
Ich war gemein zu dir
du läßt mich nicht mehr rein zu dir,
und deine Leute woll’n mich weg,
die laden jede Menge Schund vor deine Tür.
Ich bin ja auf dem Weg,
hab dir nur noch was mitgebracht…

Schau in die Nacht raus:
diese Nacht ist von mir.
Der kleine Mond, die Sterne, die zwei Wolken –
alles wegen dir.

Schau in die Nacht raus,
hier fehlst du sehr.
Du weißt genau, wie alles anfing,
also komm schon her!

Da fällt ein falsches Wort,
und gleich gehn ein paar Träume fort.
Du hast gedacht, ich will dein Geld,
ich hab gesagt, du wärst mein Hobbysport.
Ich war nicht schnell genug und klar,
als ich mit Susan auf deiner Mammutparty war
und deinen Ring im Portemonnaie fand,
und die es wußten, ha’m so fein gelacht…

Und jetzt schau in die Nacht raus,
diese Nacht ist von mir.
Der kleine Mond, die Sterne, die zwei Wolken –
ich schenk alles dir!

Ey Kleine, was denkst du,
mit dem Stapel Zeitschriften auf dem Fenstersims?

Ich weiß nicht, was wird-
keine Ahnung, was dein Mann sagt,
ich weiß nur eins:
mein Wagen ist vollgetankt,
und ich will nichts als dich
in dieser Glühwürmchennacht
mit der Musik von weit weg
für ne lange, lange Fahrt…

Schau in die Nacht raus –
diese Nacht ist von mir…

1987 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

 

FEDERLEICHT

Wie eine Feder leicht
liegst du überm Meer,
wie eine Feder leicht –
als wenn es gar nichts wär.

Mond,
wie eine Feder leicht
mit der Krümmung überm Meer,
siehst mich wohl nicht,
siehst mich vielleicht –
so kalt, und von wo her?

Wie eine Feder leicht
möcht ich singen,
sing für dich.
Hätt ich sonst nichts erreicht,
es wär schon gut für sich.

Wie eine Flugzeugspur
weht der Wind uns aus dem Weg.
Das, was ich gestern fuhr,
das ist morgen unentdeckt.

1988 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

ROTES TUCH

Die Dame dort im Flur war “My Fair Lady”,
sang in den Varietes von Genf bis Flensburg rauf.
Und der Herr da neben ihr heißt Badura,
spielte Klavier für sie von Jugend auf.
Komm rein! Die zwei sind meine Gäste,
und manchmal kommt Musik aus ihrer Tür…

Komm und lies mich wie ein aufgeschlagnes Buch,
trag mich wie ein rotes Tuch.
Komm, wir tanzen, tanzen für den Stier –
deshalb sind wir hier.

Er war der Gigolo, sie war Scheherazade,
er war der Doktor, vor Lolita auf den Knien,
und als ich einzog hier, machte ich alles weiß und gerade
und hab geglaubt, daß mit dem Staub
auch die Gespenster fliehn.
Aber hörst du?

Nachts, wenn es ganz still ist,
sind sie wieder da,
das Girl aus Ipanema
für den Jungen mit der Mundharmonika…

Komm und lies mich wie ein aufgeschlagnes Buch,
trag mich wie ein rotes Tuch.
Komm und tanz mich weiter für den Stier –
deshalb sind wir hier.

Komm, lies du mich wie dein aufgeschlagnes Buch,
lies mich, lies mich auf, wir sind hier auf Besuch.
Ah, das Leben ist kein Zauber und kein Fluch –
das Leben ist ein rotes Tuch.

Und dann tanz mich, tanz mich vor den Stier –

1988 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

DA DIE DA DU

Da die, da du, dazwischen ich,
entscheiden kann ich nicht,
ich gebe zu, leicht ist es nicht,
ich liebe euch beide – warum nicht?

Telefon Samstagabend,
ich hab so lang darauf gewartet,
ich geh nach nebenan –
nee, ist für mich, ist nur’n alter Freund.
Du, ich kann jetzt nicht so reden,
ich weiß, ich kling verlegen,
ich ruf dich morgen an –
hey, ich hab von dir geträumt.

Ist die alte Geschichte,
dumme alte Geschichte:
ein Mann zwischen zwei Frau’n.
Immer etwas außer Atem,
nie ganz ausgeschlafen,
sein Lieblingswort: du kannst mir trau’n.

Da du, da die,
da die, da du:

Wenn du soviel verstehst, dann versteh auch mich.
Hätt ich geschwiegen, wär’s wie vorher,
wir war’n uns nie so nah wie nachher,
und der Krug geht an den Brunnen, bis er bricht.

Ewig unterwegs für einen Sonnenbrand,
ewig unterwegs in das Erwachsenenland.
Du weißt doch:
Kinder woll’n spielen und fühlen und spielen…

Da die, da du,
alle schau’n uns zu,
da die, da du,
dazwischen er.
Ein Neuer zum gut leiden,
sehr treu und sehr bescheiden –
was will der denn,
wo hast du den jetzt her?

Ist die alte Geschichte:
kein Jongleur schafft mehr
als ein Mann zwischen zwei Frau’n.
Ich will dich nicht vergessen,
ist soviel gewesen –
schau zurück: du weißt, du kannst mir trau’n.

Da die, da du, dazwischen ich,
da du, da die, ich lieb euch beide,
warum nicht?

1987 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

WAS FÜR EIN TAG
(Ich war der Märchenprinz)

Er war noch jung und oft allein
und wollte jemand andres sein,
er dachte: wer liebt mich,
und was wird von mir bleiben?
An diesem Morgen war es kalt,
die Stadt wie immer schwer und alt,
aber die Luft roch gut –
er ließ sich einfach treiben.

Als er dann auf den Marktplatz kam,
war da Musik und Mordsalarm,
man ließ ihn durch die Menge durch,
ganz ohne, daß er fragte.
Und ein paar Leute hinter ihm
winkten ihm zu, so wie ihm schien,
und dann hörte er, wie irgend jemand sagte:

Was für ein Tag,
alles wird neu –
ein Märchenprinz kam grad vorbei.

Er dachte noch: den möcht ich sehn,
da fand er sich auf fremden Schultern stehn,
und magere Männer flehten:
komm, verrat uns, was wir bräuchten.
Und da, die Frau’n am Straßenrand
mit kleinen Fähnchen in der Hand –
und alle hatten was,
so’n ganz besondres Leuchten…

Was für ein Tag,
alles wird neu –
ein Märchenprinz kam grad vorbei.

Von nachher wirkt es wie ein Traum,
doch die Erinnerung stört das kaum!

Was für ein Tag…

1988 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

BRENNENDE BOOTE

Ich hab’n Teddybär gewonnen beim Pressefest,
hätt ihn lieber gleich verschenkt,
doch er hing sich an mir fest,
da hin ich weg mit ihm,
ohne mich umzudrehn –
was zum Halten auf den alten Straßen.

Die Jungs vor den Terminals,
denen geht die Welt jetzt ab,
und ich lerne deren Sprache,
obwohl ich da nichts verloren hab,
höchstens mein Lächeln –
ich hab im Spiegel nachgeschaut,
und es geht ab,
es ist nicht das,
was Du gekannt hast.

Riecht nach Alarm, riecht nach ner Ladung Polizei
ah, wer wär nicht wild auf Hitze unter diesem Schnee im Mai?
So,wie der Mann am Kiosk, eine Hand bereit zum Schlag.
“Leben”, sagt er, “das checkst du erst,
wenn du’s verbrannt hast”.

Brennende Boote auf offenem Meer,
Brennende Boote,
Ich vermiß Dich so sehr.

Musik im Stadion, Musik für eine Voodoonacht,
war geplant als Friedensfest und wird ein Feuerwerk der Macht.
Und der Typ, der grad den Junk tritt,
weiß sicher nicht, daß er als nächster fällt –
du findest immer etwas drunter,
für das Gleichgewicht der Welt.
Ich bin nur sowas wie ein Zeuge,
und mein Lieblingswort heißt ‘noch’.
Ich weiß eins, wenn der Rhythmus hart wird,
dann steigt die Flamme hoch.
Du wirst jetzt sagen, das klingt feige,
und Du hast recht von da, wo du jetzt wohnst,
aber verrat mir, ich seh so schlecht:
gibt es irgendetwas sonst,
als brennende Boote auf offenem Meer?
Brennende Boote.

In dieser endlosen Kette Daten bist Du nicht mehr dabei.
Wer soll es mir verraten: bist Du verloren oder frei?
Ich kann nicht sagen, ich wär lieber draußen,
so wie die Alte vor dem Wasserwerk,
die sah mich, sprach mich an und sagte:
Weißt du noch in Königsberg?
Und das Mädchen an der Böschung
mit dem Blick getauter Schnee
fragt mich jedesmal nach Feuer
und lächelt immer, wenn ich geh.
Sie hat auch jemand unterm Pflaster,
jemand, den sie nie vergißt. –
Ich möchte einfach glauben,
daß da noch was anders ist
als brennende Boote
auf offenem Meer,
Brennende Boote. Ich vermiß Dich so sehr…

1987 ©Text & Musik: M. Maurenbrecher

DER BOTE

Der Meister rief mich, und ich trat vor,
ganz langsam sprach er ein Wort in mein Ohr.

Er nannte den Empfänger und zeigte mir den Ort –
in den Gelenken federnd, so stand ich dort.
Ich wiederholte ihm die Silben
wie den Rhythmus eines Gedichts.
Ich war nur ein Bote,
ich fragte nach nichts.

Laßt mich durch, laßt mich durch.
Ich kenne meinen Auftrag
und ich habe keine Furcht.

Draußen war Hitze, die Stadt riesengroß.
Ich sprang über Zäune und riß Steine los.
Da stolperten die Kinder, die Eltern hinterher –
ich war wie eine Schlange, sie fielen hinter mir.
Um mich war ein Raunen über Gott und Teufel –
ich begriff von nichts etwas, ich kannte keinen Zweifel.

Laßt mich durch, laßt mich durch.
Ich kenne meinen Auftrag
und ich habe keine Furcht.

Die Alte an der Brücke, die mir weinend winkt,
und der Griff des Jungen, den die Welt verschenkt.
Ich seh, daß ihr es schwer habt, ich glaub, ihr habt es satt,
doch mein Ziel ist ein Einziger im Zentrum der Stadt.
Todmüde Generäle boten mir Geld
und drohten dann mit Waffen – mir, den keiner hält.

Laßt mich durch, laßt mich durch. Laßt mich.
Ich kenne meinen Auftrag
und ich habe keine Furcht.

In mir stand die Richtung, und ich mied den Kreis,
mein Zauber war die Schnelligkeit, mein Glück, daß ich nichts weiß.
Sanfthäutige Schöne, was willst du von mir?
Drei Schritte rückwärts – ich geb nichts her!
Dann sah ich dich hocken mitten im Gebrüll,
und dort, wo ich herkomm, ist es immer kühl.
Ich bin ja nur ein Bote und will wieder fort,
nur eine Minute – für dich ist das Wort…
Du zogst mich zu dir, ich wollte es nicht,
und preßtest mir deine wunden Hände auf mein unberührtes Gesicht.

Laß mich los, laß mich los.
Ich weiß von keinem Auftrag mehr,
und die Furcht wird groß.

1982 ©Text: M. Maurenbrecher/Musik: M. Maurenbrecher, Th. Glanz

STADT AUS GLAS

Ey, die alte Trasse steht noch, links, da geht es runter zum Kanal. Und wir, als Kinder, ha’m da Arzt gespielt und war’n weit weg. Im Dickicht hinter der Trinkhalle.

Komm mit in die Stadt aus Glas,
du bist zuhaus, du weit, so war’s.
Nur faß nichts an, berühr das nicht,
weil Glas so leicht zerbricht.

Da vorne wohnte Valerie, die Sängerin, die Russin, abgehauen vor den Bolschewisten, kokste, sprach den ganzen Tag lang mit sich selbst, und zeigte uns die Tätowierungen auf ihrer linken Brust. Deren Brust war schlaff, und Achims Mutter hatte geile Brüste, das wußten alle Jungs, und daß sein Alter ihn und seine Schwester immer schlug. Der war ein Stadtrat für die SPD, erst Maurer, später Bauherr, und am Schluß noch für die Grünen. Aber immer – gib ihm…

Komm mit in die Stadt aus Glas,
du bist zuhaus, du weißt, so war s.
Nur faß nichts an, berühr das nicht,
weil Glas so leicht zerbricht.

Ah, man konnte noch schwimmen im Kanal. Und wir jagten dem Präsidenten hinterher auf unseren Rädern und hielten Amerikaner noch für Helden oder ein Gebäck. Und wir belauschten die älteren Jungs mit ihren Mädchen in dem Dickicht und versuchten, mit unsern langen Haaren in ihren Jazzkeller reinzukommen. Es müssen die gleichen Jungs gewesen sein, die später die Autobahntrasse hier bauen ließen. Und Valerie sagte immer: Die Stadt ist ein Kessel, ich weiß nur nicht, was da kocht…

Komm mit in die Stadt aus Glas…

Diese Autobahntrasse ist natürlich nie zuende gebaut worden. Und die beste der vielen Parolen da drauf hieß: Solang du auch trödelst, es wird nicht früher. Achims Schwester mit dem Stein vor dem Springer-Hochhaus, dies lachende Mädchen, moderiert heut die Hits aus dem Jugendradio. Und als wir aus diesem Jazzkeller unser Plüschcafe gemacht hatten, kam schon der erste Punk rein und nannte uns Scheiß-Hippies.
Ja, die Typen, die heut die Stadt mit ihren Schmiergeldern überziehen, waren unsere älteren Brüder. Wir hatten das gleiche Dickicht. Und Valerie sagte immer: Aus festen Häusern werden feuchte Häuser, so wie aus feuchten Händen stocktrockene werden. Ich weiß nicht, wie alles zusammenhängt. Aber egal, was sie daraus machen, einen Videoshop oder Vermögensberatung, halten wird sich das eh nicht. Und wir gehn da jetzt rein. Kann sein, die Stadt ist ein Kessel, aber wir blicken da durch. Wir sehn durch die Mauern und gehn nicht weg. Da können die schmieren und das Ganze zum Museum erklären – wir sehn das durchsichtig, wie ein Manöver…

Komm mit in die Stadt aus Glas,
du bist zuhaus, du weißt, so war s.
Nur faß nichts an, berühr das nicht,
weil Glas so leicht zerbricht.

© Dezember 86, für SFB-Kultur tv

LADY OF THE LAKE – TEXT

Ich hab nichts vergessen. Nicht den Wind vor dem Fenster, nicht das Rollen der Wellen, und nicht unser kleines Zimmer in Frankokastello mit den zwei Betten gegenüber. Wir kannten uns kaum, aber ich wußte, ich war immer auf dem Weg zu dir gewesen und grad erst angekommen. Ich sah dir zu beim Packen, und du hast aufgeschaut – es war das erste Mal, daß wir uns berührten -, und hast gefragt: “Glaubst du, wir sehn uns noch mal?” Und ich sagte: “Wenn du es willst – bestimmt!”

Ich hab nichts vergessen. Ich sitz hier in diesem kalten Pensionszimmer mit lauter Eis vor den Scheiben. Ich hab alles abgeschaltet bis auf die Heizung. Ich bin allein genug, um zu träumen. Vielleicht täusch ich mich, aber das Licht ist das gleiche, der Wind ist der gleiche wie damals… Ich will warten, bis der Wind warm wird. Hörst du mich träumen? Wenn ich dich frag jetzt, frag, ob wir uns wiedersehen – dann sag was, dann tu was – komm rüber. Wo immer du bist!

© Januar 87 für ‘Drei Männer im Schnee’ – Tournee

SCHIRIN

Sie wohnte gegenüber, und sie hieß Schirin,
ihr Lieblingslied war Roxanne von Police.
Sie trug manchmal ein Kopftuch mit Sternen drin,
wie ihre Augen, schwarz, wild und süß.

War so alt wie mein Bruder, wollte ganz groß raus,
ich glaub, sie ist eine, die das nicht nur so sagt,
sie kam oft zu uns, schlich sich weg von zu Haus,
und unser Alter grinste: Zigeunerpack.

Dabei war sie fast hier geboren,
sie kannte das kaum noch, dies Kurdistan.
Sie schrieb ihren Leuten alle Formulare
und legte sich dauernd mit ihnen an.

Irgrendwann hatte sie grüne Haare
und blieb mit meinem Bruder ziemlich lang in die Nacht.
Danach bekam sie drüben jede Menge Ärger,
und er sagte: Wir ha’m ‘n Fehler gemacht.

Ich steckte ihr paarmal seine Briefe durchs Fenster,
ich glaub, er wollte wirklich abhaun mit ihr.
Nur unser Alter grinste: Das sind Asylanten,
Junge, die machens nicht mehr lange hier.

Irgendwann mittags kam ich von der Schule,
da standen Möbel auf der Straße rum,
ich rannte hoch: Da war die leere Wohnung,
und da lag ihr Kopftuch – sonst war alles stumm.

Mein Bruder ist ziemlich fertig gewesen,
auf seinem Bett das Tuch mit den Sternen drin,
und als dieser Film kam über die Jagd auf die Kurden,
nahm er den walkman und hörte tagelang Roxanne.

Aber ich weiß nicht – ich glaub, sie kommt wieder,
mein Bruder hat neulich gesagt: Bald gehts los,
und daß er was vorhat, was Großes, sieht jeder,
nur nicht unser Alter – der grinst immer bloß.

© Dezember 87, für die TV-Sendung Moskito

MANCHMAL FÄLLT MAN TIEF

Spuren im Schnee,
zwei Kinder am See,
tanzen auf Eis,
spielen sich heiß.
Sacht kommt die Nacht,
sie geben nicht acht,
und die Lichter zuhaus
sind längst angemacht.

Er lockte: bleib hier,
ich wärm dich dafür,
und ich kenn ein Versteck,
das hat noch kein Mensch entdeckt.
Der Schnee unser Fell,
und die Lippen war’n schnell,
und auf dem Nachhausweg
wurde es hell.

Manchmal fällt man tief,
vor der Zeit.
Wir beide, wir fiel’n weich und weit.
Manchmal fällt man tief,
fällt bis vor die Zeit.
Morgen – war ‘ne Ewigkeit.

Und wo bist du jetzt?
Hab dich bald versetzt,
warst erst noch ein Foto
und ein Traum zuletzt.

Spuren im Schnee,
die beiden am See
spielen mit Blicken,
die ich sehr gut versteh.
ch wink und ich lach:
Kinder, gebt acht,
und wenn ihr zurück wollt,
– hab euch Licht angemacht.

Manchmal fällt man tief,
vor der Zeit.
Wir beide, wir fiel’n weich und weit.
Manchmal fällt man tief,
fällt bis vor die Zeit.
Und morgen is ‘ne Ewigkeit.
(Eine kleine Ewigkeit)

Ah, wo bist du jetzt?
Ein schöner Traum zuletzt …

Text: © Maurenbrecher 88 für Veronika Fischer

SAMMLERGLÜCK

Moni sammelt Bilder von Madonna,
vierzigmal der gleiche Kußmund an der Wand.
Jonni sammelt kleine weiße Ratten,
und ich ekel mich vor seiner kleinen weißen Hand.
Mutti hat ne Sammlung Heimatfilme,
was die da wegträumt, das kapier ich nie.
Und der Nachbar zeigt mir seine Tropenhelme –
ich glaub, ich muß jetzt gehn, okay, ich flieh.

Ich mach gar nichts.
Alles ist öde.
Und was die andern hochbringt,
find ich doppelt blöde.

Mein Banknachbar sammelt die besten Noten,
Vati sammelt Tricks gegen den Bauch.
Das Zimmer meines Bruders ist verboten,
er kriegt n roten Kopf und sagt: ich sammle auch.

Alle um mich rum machen dauernd irgendwas
und sammeln, bis sie platzen – mir macht es keinen Spaß!

Ich mach gar nichts.
Alles ist öde.
Und was die andern hochbringt,
find ich doppelt blöde.

Aber gestern kam ein Typ aus meiner Klasse,
so ein Stiller, lud mich zu sich ein.
Er grinste nur: ‘Ich hab zu Haus ‘ne Sammlung’,
und ich dachte noch: das wird was sein.

Als ich in seinem Zimmer stand, kam ich mir komisch vor –
alles Leute so wie ich da, und sie sangen mir ins Ohr:

Wir machen gar nichts.
Alles ist öde.
Und was die andern hochbringt,
das ist doppelt blöde.

Ich dachte erst, ich spinne, und ich wollte schnell zurück, aber irgendwie gefällt’s mir hier – als ein Stück Sammlerglück.

Text:© Maurenbrecher 88 für die TV-Sendung Moskito

KARUSSELL

Menschen auf dem Rummel,
ich so mittendrin,
schnell und klein.

Irgendjemand rief mich,
jemand stieß mich an,
so gemein.

Zwischen all den Blicken
war ein alter Mann.
Ganz allein.

Und er stand vor den Leuten und sang,
und sie hörten nicht zu.
Und er ging an den Ständen entlang,
da kam Blut aus seinem Schuh.
Und ich wollte bei ihm sein.

Er sah mich aus der Ferne,
und ich kam ganz nah.
Das bist du.

Er sagte: “Kleine Träumerin,
was du siehst, ist wahr,
hörst du zu?

Hey, hier sind so viele Menschen da,
und hier fährt das Karussell!”

Ich sah, wie er sich drehte,
wie er plötzlich fiel
und zerbrach.

Und ich blieb da stehen
und schaute geradeaus
die ganze Nacht.

Und am Ende war kein Mensch mehr da,
und das Karussell stand still.

© Frühjahr 88, für die TV-Sendung Moskito

DAS DUNKEL VON MIR

Da ist ein Ort, wo alles gut tut,
keiner sagt: Wohin woher,
kein Idiotenwort, das weh tut,
niemand fragt: Wozu wofür?
Dafür gibt es keine Gründe,
keinen Schlüssel und für keine Tür:
Das ist dort, wo ich verschwinde,
das Dunkel von mir.

Da fliegt der Adler mir der Taube,
da steigen Hexen aus dem Feuer auf,
was wir dann sehn von uns, das ist das, was ich glaube,
auf allen Dächern sitzen Feuerfunken drauf.
Wir haben mal davon gesprochen,
ich stand im Regen neben dir
und sagte: So viel schöne Sachen
bringst du ins Dunkel von mir.

Ich such hier nichts –
der Regen ging zuende,
und auch der leere Platz,
auf dem ich stand mit dir…

…ich such nach nichts,
solang ich es noch finde
im Dunkel von mir.

© Maurenbrecher Herbst 88

MIT DIR IST ALLES DA (HEY DU)

Such jetzt bloß nicht deine Karte,
ich les heut früh nicht gern,
und wo wir gestern war’n,
ist lange her.

Glaub nicht, ich erwarte,
daß du den Fremden spielst –
ich seh doch, was du fühlst,
mach dir nichts vor.

Sag jetzt nicht, daß du es eilig hast.
Was ist schlimm, wenn du den Tag verpaßt?
Komm doch her und zeig mir, was dich quält.
Bist du sicher, daß mir etwas fehlt …

Hey du,
mit dir ist alles da,
und wo ich vorher war,
gehn jetzt die Lichter aus.
Hey du,
mit dir ist alles da,
und wie es grad noch war,
stürzt du die Welt ins Chaos.

Ich will dir nicht widersprechen:
wir kamen von weit her
und wollten nicht viel mehr
als eine Nacht.

Ah, das muß sich rächen –
wir rannten auf uns los,
die Liebe fragt nicht groß,
wofür sie’s macht.

Komm, ich weiß, daß du’s nicht eilig hast.
Was ist so schlimm, wenn du den Zug verpaßt?
Wenn du deshalb deinen Job verlierst,
weißt du diesmal wenigstens, wofür …

Hey du,
mit dir ist alles da,
und wo ich vorher war,
gehn jetzt die Lichter aus.
Hey du,
mit dir ist alles da,
so, wie es grad noch war,
stürzt du die Welt ins Chaos.

Wenn du wirklich meinst, uns fehlt noch was,
dann denk an letzte Nacht, denn vielleicht war es das …

© 1988 für Veronika Fischer

ICH WILL DEN SOMMER

Es wird jeden Meter kälter,
und die Tropfen fall’n auf’s Autodach.
Kann das sein, es macht mich älter?
Ich fahr und fahr,
nur in der falschen Richtung …

Ich will den Sommer.
Wo die Nächte mild und wild sind, will ich sein.
Ich will den Sommer,
in das Regenzeug hier paß ich nicht mehr rein.

Heißes Herz und kalte Füsse,
und mein Auto steht schon längst im Stau,
und mein Kopf sagt, was ich müßte,
doch ich fahr und fahr
zurück ins Blaue …

Ich will den Sommer …

Gib mir den Sommer …

( Ramon … Manon … )

Ich will den Sommer …

© Herbst 1988 für Veronika Fischer

ZU NAH DRAN

Zu nah dran.
Zu nah,
daß ich noch abhaun kann.
Zu nah dran.
Nur ein Blick, schon
zu nah dran.

Ich bin zurück hier im Dschungel,
zwischen den langen Schatten,
unter den Glücksspielpiraten,
die irgendwann alles hatten.
Ich bin zurück in der Wildnis,
hier, wo es damals begann,
und ich wußte, du würdest da sein.
Da stehst du und schaust mich an.

Zu nah dran.
Zu nah,
daß ich noch abhaun kann.
Zu nah dran.
Nur ein Wink mit deinen Augen –
zu nah dran.

Ich will dir alles erklären,
will sagen: ich lief über’s Eis
allein und mit bloßen Füssen,
ich wußte, das ist der Preis.
Ich rannte, um dich zu holen,
ich will dich, will dich hier raus.
Draußen tau’n jetzt die Flüsse,
und ich hab da was wie ein Zuhaus.

Zu nah dran.
Zu nah,
daß ich noch abhaun kann.
Zu nah dran.
Nur der Blitz aus deinen Augen –
zu nah dran.

Rund um uns taumeln Gesichter,
verformen sich weich wie Schaum.
Rund um uns ist ein Dschungel,
und der Boden geht auf wie im Traum.
Und du sagst: gibt ne Zeit, wo man sprechen lernt,
und ne Zeit, wo man viel verspricht.
Irgendwann ist gesagt, was gesagt ist,
und weiter geht es nicht.

Zu nah dran.
Zu nah,
daß ich noch abhaun kann.
Zu nah dran.
Da ist ein Flackern in den Augen,
das ich nicht mehr wegtun kann.

© Dez. 1988 für Renan Demirkan