MaurenBrecher

MaurenBrecher

Beutevogel (1979)

Sie läuft dir nach (1979)

Das Bekenntnis (1981)

Herolds Blues (1980)

Die Stimme kommt aus dem Radio (1977)

Kleiner Mann (1982)

Wenn wir über Dämme klettern (1979)

Da bin ich (1980)

Lied vom Weggehen (1980)

Zwei Jungs am Hafen (1981)

Begegnung (1982)

 

MaurenBrecher – Unveröffentlichtes

Wie ein Kind (1980)

Faule Zähne (1980)

Der Sonnenseher (1980)

Tilt (1981)

Von Samarkand (1981)

Ohne dich (1981)

Mit dem Roller (1981)

Nachschub (1982)

Der Dissident (1982)

Spring (1982)

 

BEUTEVOGEL

In Leder bin ich
wie einer von den Tubes.
Und in Zartrosa
wie’n Engel aus ‘nem Vorstadtclub.

Aber im Landwams
mit Bauernkriegshemd und roots
riech’ ich gleich nach Erde.
Jedes Kostüm tut’s.

Beutevogel
werd’ ich genannt,
zieh’ meine Kreise
überm Niemandsland.

Ich seh’, wie diese Frau grinst
beim Fools-Festival.
Wie ‘ne traurige Krähe,
Gesicht rot wie’n Knall.
Ich schlag’ ihr’n Salto
und lande federleicht,
und sie sagt: “Das war toll, du”.
Und ihr Freund wird bleich.

Beutevogel,
wo kommst du her?
Die hier rumsteh’n und warten,
die brauchen dich so sehr.

Ach, so ausländische Namen
wie Andraklos und Raphael
gaben mir die Herrn und Damen
vom Operncafé.
Und die Klassenkameraden
vom Arbeitskreis Wilhelm Reich
schwammen rüber auf den Texten,
und gleich war alles feucht.

Beutevogel
ist’n langsames Lied
mit ‘ner trocknen Träne drin,
die keiner sieht.

Hey, die Jahre sind vergangen,
manchmal bin ich wie ein Grab.
Doch dann hilft mir, daß ich Sehnsucht
nach meinen eig’nen Händen hab.
Ihr wißt gar nicht, ihr da unten,
was ich euch damit sagen will.
Trotzdem kommt manch einer nachher
weil er Lust hat auf ein Spiel.

Beutevogel
werd’ ich genannt,
zieh’ meine Kreise
überm Niemandsland.

(1979)

 

SIE LÄUFT DIR NACH

Mal ist sie hier,
mal ist sie dort.
Mal auf ein Bier,
mal auf ein Wort.
G’rad, wenn du meinst: klar sie vermißt dich,
ruft sie rüber: tipota.
Sie dabei gar nicht promisk,
sie läuft dir nach, das ist dir klar.

Sie geht zum Wirt
für einen Schnaps,
zum Ziegenhirt
für einen Klaps.
Plaudert mit Flippies übers Drücken,
beim Landfreak über reinen Mist,
mit den Soldaten übers Ficken
und mit paar Frauen, wie schlimm das ist.

Der Grafiktyp
mit grauem Bart
und Campingbus
allein auf Fahrt,
der sagt: “Sie ist im Alter meiner Tochter,
ich würd’ so gern” – und was du davon hältst.
Du sagst ihm: “Hör mal, ich bin nicht dein Berater,
sie kommt g’rad her, frag sie gefälligst selbst!”

Sie hängt im Arm
vom roten Jim,
der ist meist blau,
dann wird er schlimm.
Hat Krach im Dorf wegen dem Lager in der Höhle,
schwärmt ihr vom Mondlicht und vom Stroh
und sagt: “Ich geb’ dir noch’n Schnaps aus, wenn du mitkommst.”
Sie schubst ihn weg. Da bist du froh.

Jetzt hängt sie rum,
ihr fällt nichts ein.
Sie sagt: “Allein
kann ich nicht sein.”
Als wenn sie weint, fährt sie sich durch die Wangen,
du siehst die Einstiche am Arm
und denkst: Vor’m Vierteljahr wär sie fast hoppsgegangen –
bitte bleib da -. Und dir wird warm.

Sie tanzt schon wieder.
Du schaust zu.
Sie sagt: “Mein Typ.”
Der Typ bist du.
Du weißt genau, sie kann dich nicht verlasssen,
aber du füllst auch nicht das Loch.
Wenn du das denkst, willst du sie manchmal hassen.
Sie kommt und sagt: ,,Ich brauch dich doch.”

(1979)

 

DAS BEKENNTNIS

In einer Badewanne
an einem Sommertag
auf einer grünen Wiese,
wir waren beide nackt.

Ich griff ihm in die Schenkel,
er hatte so süße Knie.
Ich war fünf, er ‘n bißchen älter
Den Augenblick vergeß’ ich nie.

Später im Pfadfinderlager
du hast das ja auch g’rad mitgemacht:
Hähnchen kämpfe auf dem Fußballplatz.
Ich weinte manchmal nachts.

Einer hat mich da so lieb getröstet,
schlief in meinen Armen ein.
Wir warn dreizehn und sehr schüchtern
und fragten: Kann das Sünde sein?
(Das warn Kämpfe. Aber schön.)

Traf einen Typ kurz vorm Abi,
von dem hieß es, daß er’s macht.
Nahm ihn mit in ein Konzert von Lou Reed.
Der hat mich ausgelacht.

Später schrieb ich ‘ne Kontaktanzeige,
was ganz Dummes: Wo bleibt mein Prinz.
Ein Lederkerl stand vor meiner Tür,
ich hab’ nur durch den Briefschlitz gelinst.

Ging kaum in Bars oder Saunas,
ich seh nicht gut aus, ist auch teuer und laut.
Einmal traf ich dort den Lehrling aus der Firma,
das wurde dann mein Coming-Out
(und seins auch).

Glaub mir, mit den Jahren lernst du Kniffe,
und die Sehnsucht pendelt sich ein.
Erinnerst du dich noch an Onkel Alfred?
Der hat gespielt mit dir, du warst noch klein.

Nein, deine Mutter hatte eigentlich nie was dagegen,
später war sie vielleicht sogar froh.
Sei doch jetzt nicht so verlegen, mein Junge,
du siehst toll aus. Du bist halt so.

(1981)

 

HEROLDS BLUES

Bahnhofslümmel in Rollschuh’n,
Wermutsweiber mit fünf Tüten Müll.
Auf dem Weg zur einer french connection?
Keine Kamera zuviel.
Was lagert in dem Schuppen auf dem Grundstück des Gleiswarts,
was hat die Gelbsucht seiner Tochter mit zu tun?
Ihr Freund mit den Verbindungen zur libyschen Botschaft
war letztes Jahr in Moskau und benutzt ein falsches Telefon?

Die Menschen sind Bestien.
Tun, als wär’n sie zu Haus’.
Laß keinen aus den Augen,
laß keinen raus.

Verein zur Förderung von Witwen und Waisen:
Ein Vorstand, der aus KPD-Zeit stammt.
Gesellschaft zur Verbreitung von kulturellem Schwachsinn:
Verbindungen zum Häuserkampf.
Der Obdachlosenpfarrer mit dem abgeleg’nen Garten
studierte 65 mit Gudrun Ensslin
der abgefang’ne Brief an seine Frau, Mai 77,
weist auf Verbindungen zu Rechtsanwalt Schily hin!

Die Menschen sind Ratten.
Pflanz sie in Beton,
und die bepinkeln dir glatt die Wände.
Fehlkonstruktion.

Überfall auf einen Supermarkt,
die Täter kommen unerkannt nach Nicaragua.
Hätten wir Leute und connections dort,
dann wären sie in einer Woche sicher wieder da.

Neulich traf ich den Teufel,
der sagte: “Du hast es fein.
Ich krieg ihre Seelen nachher,
du legst sie schon im Leben rein.”
“Na gut,” sagte ich,
“aber bedenk auch die unzähligen Querelen,
bis ich dieses Netz gehäkelt hab’.
Was glaubst du, wieviel Mühe es zum Beispiel brauchte,
bis es für uns alle diese Stammheimer Endlösung gab?”

Die Menschen sind Bazillen –
ein tödliches Gift – …

(1980)

 

DIE STIMME KOMMT AUS DEM RADIO

Wir sind die Nacht geflogen wie zwei Vögel ohne Nest.
Liebten uns wie Kinder die man noch nackt spielen läßt.

Und plötzlich ist die Stimme da
und sagt: “Du bleibst allein.
So’n Glück ist nicht für dich gemacht,
der tägliche Schutt holt dich ein.”

Wir hocken in der Küche, suchen Worte für den Abschied.
Warten wie in einem Haus, das man in einer Stunde abreißt.

Die Stimme kommt aus dem Radio
und teilt mit: Die Welt funktioniert,
solang man die Menschen voreinander schützt,
daß alles sich stößt und friert.

Noch sind wir umarmt und bunt, bloß die Hausflurwand ist kahl,
wach und klug, wir leben noch. Du sagst mir: “Meld dich mal.”

Dann weht der Wind die Straße lang,
die Leute laufen auf ihre Posten.
Ich bin nicht fremd, das hat jeder schon erlebt
und vergessen aus Angst vor den Kosten.

Trotzdem mischt sich die Stimme ein:
Du bleibst allein.
Ich will ihr nicht glauben, kann dir doch trau’n.
Trotzdem mischt sie sich ein.

Komm, laß uns wieder fliegen, wir sind tief im Schutt versteckt.
Kurz, eh wir ganz verschütt’ geh’n, haben wir uns drin entdeckt.

(1977)

 

KLEINER MANN

Kleiner Mann,
langte nirgends dran,
war vom Wunsch nach Macht durchglüht.
Ging in die Politik,
hatte lang kein Glück,
zappelte im zweiten Glied.

Gepflegte Hand am Schreibtisch
klatscht den Schmetterling kaputt.
Verzerrter Mund vorm Mikro
spricht von Ordnung und meint Schutt.

Die gemeinsten Sprüche sind die beste promotion:
Todesstrafe, Beugehaft und Bürgerwehr.

Die Chance kommt schon.

Kleiner Mann
fängt jetzt richtig an,
zieht ganz groß in ein geräumtes Haus.
Damit man ihm nichts tut,
gibt es draußen Blut,
und der kleine Mann, der atmet aus.

Die gemeinsten Taten sind der größte Spaß:
Alle armen Schlucker werden geil auf den Haß.

Kleiner Mann
wohnt fast nebenan,
fährt mit Blaulicht ins Büro.
Und wartet auf den Schuß,
der mal kommen muß,
und wär am Ende darüber froh.

(1982)

 

WENN WIR ÜBER DÄMME KLETTERN

Die Hose preßt den Arsch fest,
das Hemd ist steif genormt.
Ein Stoff, der keine Luft läßt,
der Körper wird geformt.

Wenn wir über Dämme klettern, um im Meer zu schwimmen,
knurr’n im Bauch die scharfen Hunde, haben uns’re Stimmen.
Muß mich auf die Lippen beißen, will nicht nach dir schauen,
müßte dir die Brust aufreißen, um dir zu vertrauen.

Aus zwanzig Meter Höhe
Mutsprung in den Fels.
Die Gemse läuft durch Dornen,
bricht sich nicht den Hals.

Wenn wir an den Waffen üben, wärmen sich die Glieder,
Prickeln zwischen Arsch und Lenden kommt wie Regen wieder.
Wenn ich dir den Feind markiere, dich im Nahkampf reiße,
spür’ ich Kerzen in mir flimmern, und ich sing ganz leise.

Politische Belehrung,
Vortrag und Gespräch.
Ein Herr von der Regierung
erläutert unser Recht.

Wenn wir Wertobjekte schützen, Demonstranten schießen,
in den Matsch die laschen Körper, deren Glieder fließen,
wenn wir übers Rollfeld robben, scharf wie Messer schneiden
und in Millimeterarbeit unser Spiel entscheiden.

Leeres Gesicht im Spiegel,
betoniert und nackt.
Auf der Haut das Siegel:
Werkzeug für den Staat.

Wenn wir uns am Strand entspannen und im Wasser schwimmen,
tauch’ ich dich und stopp’ die Züge, daß die Werte stimmen.
Wenn wir uns’re Kleider auszieh’n bei den geilen Frauen,
wett ich mit dir um die Stöße, denn du darfst nicht tauen.

(1979)

 

DA BIN ICH

Ich hab’ geglaubt, ich sollte warten.
Die laue Luft wartete auch.
Vor deinem Fenster, das war dunkel,
stand ich mir die Beine in den Bauch.
Ich hätt’ geschwor’n’ du wärst spazieren,
kämst auf mich zu – wie du dich freust.
Doch in dem grellen Licht, das wurde
in deinem Zimmer, stand ein fremder Typ.
Groß und fest, der tut dir was,
du daneben klein und blaß.
Da bin ich.

“Nanu, daß du wieder da bist?
Ist doch schon paar Jahre her oder?
Du, mit dem leb’ ich jetzt zusammen.
Erzähl mal, bist du besser drauf,
paßt jetzt jemand auf dich auf?
Du kannst nicht bleiben, sieh’s doch ein.
Bitte, fang nicht an zu schrei’n!”

Sah dich vor mir auf allen Wegen,
ging geradeaus und wurde doch ein Kreis.
Wollte keinem Menschen passen.
Haben mich ganz abgemessen,
schweigend bin ich dagesessen.
Glatte Wände, kalkig weiß.

Für kurze Zeit war es wie damals,
ich ging nach Wasser für den Tee.
Sah durch den Spiegel überm Abguß
sein Höschen und dein Negligé.
Und danach wart ihr verschwunden.
Der Kessel pfiff ‘ne Stunde lang.
Solang ich meine Runde drehte
in deinem Zimmer war’s mir gar nicht bang.
Ich seh’, ihr kommt die Straße lang
und bleibt vor dem Fenster steh’n.
Du wirst mir dein Gesicht zudreh’n!
Da bin ich.

(1980)

 

LIED VOM WEGGEHEN

Wenn du sagst, du willst geh’n –
nichts hören und seh’n.
Ich kann dir nicht im Weg steh’n’
ich will mich nicht bloß wegdreh’n’
wenn du sagst, du willst geh’n.

Wenn du sagst, du bist’s leid,
es sei höchste Zeit.
Hätt’ dich keine Nacht bewacht,
hätte dazu keine Macht,
wenn du sagst, du bist’s leid.

Aber wissen sollst du, daß ich da bleib.
Nenn’ es das sinkende Schiff.
Das Letzte, das du hörst, wenn du in die Stille fährst,
wär meine Stimme, die dich rief!

Vielleicht gab’s helle Zeiten,
vielleicht gab’s Lachen umsonst.
Dem Kind auf freiem Feld
war der Himmel noch ein Zelt
und der Regen Zauberkunst.

Da kam Kraft aus dem Glauben,
daß wir Söhne und Töchter sind.
Da war eine ungeheure Freude auf das Neue –
in Wäldern, die längst Bücher sind.

Sonne kann sengen.
Wasser kann zäh sein wie Blei.
Schau von den eroberten Sternen auf die Erde:
Zur Verwüstung frei.

Aber wissen sollst du, daß ich Ja sag’,
weil ich nichts Bess’res kenn’.
Dunkel, wenn ich Angst hab.
Hell, wenn ich meinen Tag hab.
Von Milliarden einer der
doch glaubt, er sei wie keiner.
Daß ich um mein Leben renn’!

Wenn du sagst, du willst geh’n:
Mag nicht um dich fleh’n.
Doch wir sind wahrscheinlich blind,
wenn wir erst gegangen sind,
und ich will dich seh’n!

(1980)

 

ZWEI JUNGS AM HAFEN

 

Zwei Jungs am Hafen
woll’n noch nicht schlafen,
spielen die Gitarre und die Geige
wie Zigeuner.
Ich sitz’ am Kai
und seh’ die Möwen um die Kräne
immer kreisen,
bis ich weine.

Kapitän, nimm uns mit.

Vielleicht im Osten,
vielleicht im Süden.
Ein kleiner Fleck,
nicht angefaßt von weißen Händen.

Zwei Jungs am Hafen.
Hoff’, daß sie’s schaffen.
Zu jung zum Tricksen,
alt genug,
um zu verschwinden.
Ich geh’ weg vom Kai
in eins der schäbigen Lokale,
um den tiefen faulen Blick
der alten Männer
zu ergründen.

(1981)

 

BEGEGNUNG

Ich habe nie auf ihn gewartet, aber einmal kam er ganz dicht an mir vorbei. Eine lang hingezogene Melodie summend, bog er vom Hallenschwimmbad nach rechts zum Parkplatz. Das Badebündel schlug er sich um die Beine, daß es wehtun mußte. Man roch das Prickeln einer Juninacht, die alles mit Samt umschließen würde, und als die ersten Lichter in den Fenstern gegenüber aufleuchteten, verkümmerten sie gegen das Abendrot. Die Stadt war süchtig nach Ferne. Er sah aus wie zwölf und für sein Alter zu klein, mit Augen, die zum Abfall schielen, aber dort noch die Fährte von Wölfen und Zauberern suchen. Er ging zum Fahrradstand, schob die linke Hand aus der Hosentasche und holte einen kleinen Schlüssel heraus. Als er das dritte Mal unruhig auf und ab gerannt war, begriff ich, sie hatten ihm etwas gestohlen. Ich saß wie gewöhnlich auf meiner Bank und blieb ganz still. Deshalb hörte ich, was er nicht bemerkte oder nicht wahrhaben wollte: Das Kichern der anderen in den Büschen. Ja, dort hockten sie, Jungen und Mädchen seines Alters, stießen sich erregt an und schauten zu, wie er stolpernd begreifen mußte, sein Fahrrad war verschwunden. Hätte er besser ins Freibad mit ihnen gehen sollen? Wie lächerlich er gegen die Tränen kämpfte: Wiedermal wird ein einsamer Held verlangt, und der kleine Körper stellt die große Frage: Warum? Einen Augenblick verängstigt, zog er dann stapfend los, nach Haus wahrscheinlich, noch in Richtung Trost. Und während man deutlich aus den geöffneten Fenstern die Stimme des Tagesschausprechers hörte, sah ich, wie seine kleine linke Hand sich zur Faust ballte. Ist sie erst nach innen gewandert, dachte ich, schmiert sie das Hirn besser als jede Droge. Dann lehnte ich mich zurück und versuchte, die heimlichen Geräusche aus den Gebüschen ringsherum aufzunehmen. Deshalb saß ich ja hier.

(1982)

 

WIE EIN KIND

Er war wie ein Kind,
fast noch ein Kind.
Einer aus der Clique sagte manchmal:
Der ist leicht wie der Wind.

Er lebte im Heim,
da war vieles gemein.
“Wenn du raus bist”, sagten sie,
“steigst du bei uns ein.”

Eines Tags stand er da,
niemand schrie Hurra,
da gibts Bessres zum Schrein.
Und sie machten ihm klar:

“Wenn du zu uns willst,
woll’n wir wissen, wie du fühlst,
du mußt zeigen, du bist einer,
der’s versteht.
Der Apotheker hier am Ort
hat ‘ne Menge Zeug an Bord.
Mach den fertig, du weißt ja,
wie das geht.”

Er wartete lang
und schlug den Typ übern Damm.
Doch dann fing er an zu weinen,
denn er war kein Schwein:

“Weil ich zu euch will,
sollt ihr wissen,
ich fühl mich dreckig wegen euch.
Wenn ihr zu mir wollt,
warum foltert ihr mich dann?
Gibt es denn nur kaltes Zeug?”

Er hatte nichts als sein Fell.
Die Stadt war scheinwerferhell,
er rannte in die Nacht raus,
denn die Bullen sind schnell.

Er war wie ein Kind,
fast noch ein Kind.
Einer aus der Clique sagte manchmal:
Der war leicht, so leicht wie der Wind.

(Februar 1980)

 

FAULE ZÄHNE

Vielleicht bist du nicht besonders clever,
vielleicht bist du nicht so richtig drin,
wenn du kommst, schaut keiner zu dir rüber,
wenn du gehst, fragt dich keiner, wohin.
Wenn du tanzt, dann stoßen dich die Hüften
und die Ellenbogen ab wie ne Last.
Wenn du dableibst, hast du Zeit vergeudet,
wenn du weggehst, fragt dich jemand, was du hast.

Jeder hat ‘ne Nummer,
deine ist der Kummer.
Aber irgendwie hat doch jeder auch Grund,
auf sich stolz zu sein, oder?

Erster Preis für die Trümmerfrau,
Spuren von Lötkolben im Gesicht.
Dahinter kommt der Balladier vom Öko-Dorf
mit der Stimme, die vor Wehmut bricht.
In der Pause hoppsen die drei Opas
mit den Witzen, deren Witz ist, daß es Witz ist.
Im Foyer herrscht eine stundenlange Dankbarkeit
für die Gewißheit, daß die Welt für Dich & Mich ist.

Schau, der süße Clown,
will deine Träume bau’n.
Irgendwie ist überhaupt alles
unheimlich beschissen, oder?

Nächte in der Oase
vom Volkskulturcafé.
Die sind wahnsinnig gut drauf,
mit Tieren und mit Kindern auch.
Du trinkst ihren Tee.
Als du beim Gruppenmarathon geweint hast,
schielten die Trainierten nach der Tür.
Wenn es wehtut, wenn ein Kopf gegen Steine knallt,
was können die Steine dafür?

Das Leben is ‘n Renner.
Sender und Empfänger.
Das Leben is ‘n Fresser.
Manche packens besser.

FJS wär ‘ne Abwechslung,
die Grünen hinter Chrom,
die Orangenen und das lila Pack
schunkeln: home sweet home.
Wenn in den Nischen noch geil getanzt wird,
macht schon ein Feuer die Erde bunt,
kontinentgroßes Ölfeld.
Faule Zähne fallen aus dem Mund.

Statt Gesichter Fratzen.
Träume, die wie Därme platzen.
Bitte, hör ich jetzt auf,
ich bin heut nicht so drauf.

Vielleicht, wenn du eines Morgens aufwachst:
Die Glocken läuten Sturm,
wenn du die Augen aufmachst,
bist du wie ein Turm.
Da schreitest du ganz ruhig,
wer noch Arme hat, der winkt dir zu,
wer noch Worte hat, will sie dir geben.
Du sagst: GEBT ENDLICH RUH!

Aber noch bist du nicht besonders clever,
noch bist du nicht so richtig drin…

(Oktober 1980)

 

DER SONNENSEHER

Er war früh aufgestanden, um die Sonne zu seh’n.
Eltern riefen: Such dir Arbeit – Junge will auf Dächern stehn.
Weit die Arme ausgebreitet und die Brust vom Hemd befreit
wollt er ruhig lächelnd warten, zu nichts nutz und ganz bereit.

Die Sonne blieb im Nebel, der Lärm war grob und dumpf.
Er dachte sich: Es macht nichts, ich bin noch lang nicht stumpf.

Später blieb er länger liegen mit dem Wünschelrad im Kopf.
Durch die Nächte tanzt und jagt er, morgens macht es klopf klopf klopf.
Um das Bett rum kluge Bücher, deren Botschaft er vergaß,
manchmal auch ein zweiter Mensch mit einer Anmut für den Spaß.

Geschichten geh’n zuende, die Lust ist ein Erguß.
Wo aber bleibt die Sonne? Ist erstickt am Ruß?

Er besprach’s mit andern Leuten, die die geraden Wege scheuten
und sich trotzig nur an kleinen selbstgemachten Dingen freuten.
Er ging oft in ihre Zentren, wollte sich endlich was trau’n.
“Die Sonne braucht ‘ne bessre Welt”, rief er, “und die wollen wir ihr bauen!”

Sie begannen, ihre Wünsche zu zerlegen, sachlich-cool,
den Frau’n war er nicht hold genug, den Schwulen nicht so schwul.

Ach, es nimmt ein böses Ende, dachte er und hing den Kopf,
eine Rinnsteinratte, bettelnd, griff er Knaben in den Schopf.
Und er sah den Winter kommen, roch den Schnaps, erkroch das Raufen,
sah die neuen Kinder laufen und sich dunkle Brillen kaufen.

Und als der Wind im Januar als Freund der Polizei
die Straßen keimfrei fegte, da lachte er dabei.
Und als der Wind im Februar aus Haß nur Steinschlag machte,
wo jeder jedem auflauert, stand er noch da und lachte.
Im März gab’s eine Stille, die war erschöpfend öd,
er sah den fahlen Himmel an, der grausam war, wie blöd.
Er sah die Kaufhausburgen und sprach: Jetzt will ich gehn.
Und hat, wie nebenbei, ganz früh die Sonne aufgehn sehn.

(Winter 1980)

 

TILT

Wir zogen gestern los, wir zwei,
weit weg vom Feriendorf,
Sonne und Wind war’n mit dabei,
wir legten uns ins Torf.

Als Schatten auf die Wiese kam
und mitnahm in die Nacht
Büsche, Berge, Moos und Tal,
da hat’s uns angefacht.

Ein Widderkopf in deinem Schoß,
ein Reh wollt an mir weiden,
und Ameisen bissen uns wund,
das war ein tolles Leiden.

Als ich dann in dich überfloß,
griffen mich Tigerpranken,
und prächtig nahmst du dir das Schaf,
das sterben wollt und danken.

Es ist längst hell, ich will hier weg,
mich quält diese Einöde.
Was duckst du dich denn wie zum Sprung?
Jetzt morgens find ich’s blöde.

(Mai 1981)

 

VON SAMARKAND

Die Tür schnappt zu, da bist du fort.
Geh nur! Du gingst ohne ein Wort.
Zwei Katzen jagen über den Müll.
Liebst du ihn denn? Die Nacht wird schwül.

Ich halt mich fest am Fenstergriff,
das Haus treibt los und wird ein Schiff.

Musik kommt an von jenseits des Meers,
von Samarkand, von so weit her.
Ich lehn am Sims, faul und allein
und will so schwer sein wie ein Stein.

Ist schlank und braun, stell ich mir vor,
der andre. Sagt dir was ins Ohr?

Da liegt ein runder Stein am Strand.
Ein Junge wiegt ihn in der Hand,
legt ihn der Liebsten auf den Bauch,
der Bauch bebt, und der Stein bebt auch.

Was tu ich morgen, wenn wir uns seh’n?
Ich werd wohl fragen: Na, war’s schön?

(Mai 1981, 1988 von Hermann van Veen übernommen)

 

OHNE DICH

Und der Wind fährt mir durchs Haar
auch ohne dich.
Jeden Morgen kommt das Licht
und rüttelt mich.
Die Hitze und die Kälte, beide
finden mich.

Nachher holt mich ein Freund ab,
wir gehn ein paar Schritte zu zweit
bis zu der Bank am Stadtpark,
unters Abendgeläut.
Auch wir zwei saßen oft dort,
freundlich oder im Streit.
Immer, wenn ich nur zuschau,
ist mir wie außer der Zeit.
Auch ohne dich.

Jeden Tag öffnen sich Blüten
auch ohne dich.
Leben und lassen sich töten
und sagen nichts.
Sind nur da für die eine Stunde,
versprechen nichts.

Manchmal, wenn ich was lese,
begreif ich erst: Du bist fort.
Für deine Suche nach Liebe
war hier kein sicherer Ort.
Kennst du ,noch dieses Zimmer?
Mir ist, als käme von dort
aus der Ecke jetzt deine Stimme,
vom Sofa, von neben dem Bord.
Auch ohne dich.

Früher wollt ich ein Baum sein,
verstehst du mich?
Doch die Wälder gehn von der Erde,
man pflegt sie nicht.
Im Traum seh ich uns klein, als Herde
in einem Wüstenstrich.

Ach, ich weiß, daß ich klarkomm.
Nächstes Jahr lach ich wie neu,
irgendwer wird mich jagen,
am liebsten hab ich es scheu.
Und ich werd’ mich ergeben,
bleibe dem Ablauf treu.
Der macht aus einer Wiese im Frühling
ein Feld von trockenem Heu.
Auch ohne dich.

(August 1981)

 

MIT DEM ROLLER

Ich war klein, viel allein,
heulte, hielt nichts aus.
Kleine Kinder können so gemein sein.
Ich bat sie und trat sie und rannte nach Haus.

Und dann fuhr ich mit dem Roller kreuz und quer durch die halbe Stadt,
immer weiter, es war toll, und ich sah mich nicht satt.
Was kam, war schön. Ich war schön. Und ich sang im Stehn:
Es wird alles gut gehen.

Manchmal geht was ganz groß los,
und ich glaub, ich kann fliegen.
Doch dann trau ich mich nicht aus dem Zimmer raus,
will nur schlafen und die Zeit abliegen.

Oh, ich fuhr doch mit dem Roller ganz allein durch die halbe Stadt.
immer weiter, es war toll, und ich sah mich nicht satt.
Was kam, war schön. Die Gemüsefrau sagte:
“Du wirst mal ‘n richtiger Mann, Kleiner!”
Und ich sang im Stehn: Es wird alles gut gehen.

Häufig hab ich einen Traum.
Ein Herr in Uniform flüstert in mein Ohr:
“Für Vögel wie dich gibts ‘ne Dusche hier,
geh schon mal vor!”

Aber ich fuhr doch mit dem Roller kreuz und quer durch die halbe Stadt.
Kann schon sein, daß jedes Einzelkind ‘ne Macke mitbekommen hat.
Ich fand es schön. Der Polizist lachte: “Na, kleiner Cowboy…”,
und ich sang im Stehn: Es wird alles gut gehen.

Möglich, daß ich dich enttäuscht hab,
insgeheim wußt ich das immer.
Während du mich böse anschaust,
hol ich mir ‘n Bier und vergess dieses Zimmer –

und dann fahr ich mit dem Roller kreuz und quer durch die halbe Stadt.
Da war ‘n Schutzengel bei, der hatte mich noch nicht satt.
Was kam, war schön. Ich war schön.
Und ich sang im Stehn: Es wird alles gut gehen!

(September 1981)

 

NACHSCHUB

Manchmal sieht er sich im Traum,
einen Kerl, stark wie ein Baum.
Und dann springt er aus dem Bett,
rote Augen, weich und fett.

Das Zimmer stinkt nach Schimmel,
grau steht der Morgenhimmel.
Er braucht Nachschub.
Er geht zum Nahverkehrszug.

Die Leute schüchtern ihn nur ein,
er läßt das Geradeausgeh’n sein,
dann grüßt er einen Polizist,
weil ihm nach Uniformen ist.

Der Zug fährt sechs Uhr zehn,
ein Mädchen schläft im Stehen.
Nachschub.
Jetzt kommt der Nahverkehrszug.

Die Sonne springt über den Wald,
das rote Licht ist wach und kalt.
Da sitzt das Mädchen im Abteil
und schaut so unschuldig und heil.

Er krümmt die Fingerspitze,
die Leute machen Witze.
Nachschub.
Komm her und Nachschub.
Nachschub im Nahverkehrszug.

Los, aufs Klo, den Riegel vor,
und ich sag es dir ins Ohr:
Ob dick, ob dünn, ob arm, ob reich,
wir Männer sind uns alle gleich!

Der Schaffner will die Karte,
Moment noch – warte warte:
Nachschub.
Ich bin im Nahverkehrszug.

Dann kommt der Zug zum Hauptbahnhof,
der Wein mit Drehverschluß geht auf.
Er haut sich auf die nächste Bank,
da stört ihn keiner, gottseidank.

Und träumt nochmal den Traum:
Ein Kerl sein wie ein Baum.

(Mai 1982)

 

DER DISSIDENT

Ich seh mich
in der Garderobe und dreh mich,
ja ich erschreck mich ein wenig:
Ich sehe durchsichtig aus
(wie ein Manöver).
Ich formuliere
eiskalt, daß ich friere,
ich rebelliere. Geschmackvoll
tritt Zorn aus mir raus.

Sie erwarten mich schon.
Ich bin Galle und Hohn
für die Kulturklientel.
Das sensibelste Fell.
Ein Sprachrohr gutdotierter Dissidenten,
mit nichts einverstanden.

Ich offerier mich
unbestechlich und manierlich,
ich operiere am poetischen Seziertisch –
der Schmerz ist ja stumm
(deshalb läßt sich so gut von ihm sprechen).
Ich schweige nicht
vor einem napalmgetränkten Gesicht,
ich mach den Schrecken zum Gedicht
(endlich kann ich mich rächen).

Sie erwarten mich schon
aus meiner inneren Emigration
und geben mir Preise.
Ich bedanke mich leise.
Umgeben von Ministern, Professoren, Produzenten
mit nichts einverstanden.

Aber dies Lied hier
ist eine schwere Geburt.
Mit Armen und Beinen
wurde ich festgezurrt,
und mein promotion-Agent
(sein IQ ist auch gar nicht schlecht),
der sagt: “Dein neues Material, na ja,
ich weiß nicht recht…”

Aber sie brauchen mich noch.
Ich füttere sie doch
mit den Gewürzen zum Tanz.
Chiffre des Widerstands.
Ein Schoßhund zwischen Frohsinnsspekulanten,
mit nichts einverstanden.

(Mai 1982)

 

SPRING (Konzert-Intro)

Junge, mach dein Spiel,
du mußt jetzt raus raus raus,
ich habe das Gefühl,
du warst zu lang zu Haus.
Du kennst hier jeden Winkel
und bist ganz schön geschickt,
wird Zeit, daß du hier abhaust,
jetzt schau nicht so geknickt.
Sei wie eine Kugel
im Flipperlabyrinth,
die gehn auch nie verloren –
wie die Dinge nun mal sind.
Gut, das ist ‘n Dickicht,
das kennst du nicht von hier,
aber es gibt Pfade,
lauf einfach andern hinterher,
und werd nicht übermütig,
sprich mir deshalb nach:
AB JETZT BIN ICH MEIN EIGENES GEFÄNGNIS!
So, jetzt bist du richtig wach.
Ein Stück Brot zwischen die Zähne,
einen Kompaß in die Hand,
du brauchst von jetzt ab nie mehr
mit dem Kopf gegen die Wand,
also geh ans offne Fenster,
und schau mich nicht so ängstlich an:
SPRING!
Mach dein Spiel, Mann…

(August 1982)