Trotz und Träume

Trotz & Träume

Lieber Hartmut komm (1977)

Die Tür geht nie ganz zu (1978)

Ausgeklinkt (1978)

Psycho-Western (1978)

Das Messer (1979)

Frühlingslied (1979)

 

Trotz & Träume – Unveröffentlichtes

Auf der Fähre nach Thassos (1977)

Bundesrepublikanischer Albtraum (1977)

Der Herr Professor Hasenfuß (1977)

Der Altlinke (1977)

Morgen is ‘n neuer Tag (1978)

Sex&Gewalt (1978)

Regenlied (1978)

Bis hier ist nicht so weit (1978)

Linker Tourismus (1979)

Der teuerste Drink (1979)

Kleine Kette (1979)

Vor der Bank von Tokyo (1979)

Vielleicht ‘ne Ecke schärfer (1979)

LIEBER HARTMUT KOMM

Lieber Hartmut, komm, vergiss dein Du und Ich,
sei nicht länger stumm, mach dir den Teint schön frisch.
In ‘ner Schwulenpinte,
die ich dufte finde,
ist heut Maskenball bis früh um fünf.
Sei heut mal kein Mann,
zieh dein Kleidchen an,
das mit diesen blauen Pünktchen dran.

Hartmut, warum hast du dich heut nicht rasiert?
Trügst du lange Nylonstrümpfe, wär das nie passiert,
dass der Kontrolleur
sich bei uns beschwert,
dieser Anblick, der sei unerhört.
Wärst du stumm geblieben,
wär er heil geblieben,
dieser Fummel mit den Pünktchen dran.

Hartmut, hättest du nicht gar so grell gelacht,
hätt der Taxifahrer uns noch aufgemacht,
eh die Kinder kamen
und die Steine nahmen,
die ham uns mal wieder klargemacht,
dass in dieser Stadt
man nicht zu wählen hat
zwischen Mann und Frau und Tag und Nacht.

Ist er nicht ganz süß, Hartmut, der Blumenstrauß,
den ich dir hier bring sonntags in Krankenhaus?
Ist ‘ne wahre Schande,
dass die Rockerbande
uns noch erwischte, so kurz vor zuhaus.
Noch ist alles offen,
und wir können hoffen.
Einen Trost hat jeder falsche Mann:
Bald ist Faschingszeit
und dann stört die Leut
auch dein Kleid nicht mit Pünktchen dran.

DIE TÜR GEHT NIE GANZ ZU

Manchmal wach ich morgens auf
und will gleich wieder fort.
Nichts verstehen, an nichts drehen,
wie’n Sandsack über Bord.
Doch dann liegst du neben mir
und streichelst mich fast scheu:
komm doch mit mir, laß uns weg hier,
es gibt bloß uns zwei.

Wir vergessen, wie wir heißen,
wir lutschen und wir beißen.
Wie sanfte Vögel schweben wir
in ein leichtes Leben.

Ach du, die Tür geht nie ganz zu.
Im Haus gegenüber prügelt einer seine Kinder,
das läßt mich nicht in Ruh.
Ach nein, schalt das Radio nicht ein!
Tanzmusik und Lügen,
wir soll’n uns vor Freude biegen.
Laß mich bloß
wieder los,
tut mir leid,
ich brauch Zeit.
Komm mir vor wie bei ‘nem Psychotest.
Halt dich an dir selber fest!

Als ich noch ein Junge war,
mit Fragen vollgehängt,
hätt’ ich gern die ganze Welt
mit Dynamit gesprengt.
Und lag ich nachts im Bett und fror,
dann träumte ich, es gibt
einen Menschen in dem Schutt,
der dazu da ist, daß er mich liebt.

Eagal, ob’s ‘n Mann, ob’s ‘ne Frau ist,
bloß, daß er mir immer treu ist.
Wir zwei, sonst nichts, und wir schweben
in ein leichtes Leben.

Oh Mann, dann fing der Rummel an.
Auf all den Feten mußt du treten,
kommst an gar nichts ran.
Ganz schnell wächst dir das dicke Fell.
Du wirst wie all die andern Leute:
die ganze Welt Macker und Bräute!
Und mit ‘nem Freund
allein zu Haus,
den du dich nicht
zu küssen traust,
und der dich nicht mal fummeln läßt.
Halt dich an dir selber fest!

Manchmal morgens gegen vier,
wir sind beide angeknallt,
spür ich: du bleibst auch, wenn du
mich ganz festhältst, kalt.
Und ich blas dir etwas Qualm
auf die glatte Haut,
und stell mir vor, du gingst
in rot-grün-blauen Flammen auf.

Das würd’ ein Feuer geben,
so richtig gut für’s Schweben.
Ich könnte nicht mehr rennen,
sondern müßte mit verbrennen.

Ach du, die Tür geht nie ganz zu.
Der Typ von nebenan ruft die Feuerwehr an,
sofort ist wieder Ruh.
Ach wir, was soll’n wir denn noch hier,
wenn wir uns nicht einfach nehmen,
ohne uns dafür zu schämen?

Und laß mich bloß
nicht gleich los,
wenn ich flenn
oder renn.
Wir sind noch nicht ganz feuerfest
trotz dieser Schutzhaut aus Asbest.
Drum halt ich mich
auch manchmal
gerne
an dir fest.

(1978)

 

AUSGEKLINKT

Ich will bloß mit dir spielen
lauf mit raus in die Gischt
egal was wir zwei fühlen
wir werden nicht mehr erwischt

Mach die Augen zu
was du siehst
gehört dir
solang du noch dabei bist

Man sagt der Wind trägts rüber
die Insel hier wird nicht verschont
Tausende prügeln sich im Hafen
solln in den Schutz der Stadt solangs noch lohnt

Ich glaub nicht dass das was bringt
da isn Vogel auf’m Baum der singt
keiner der ihn zahlt und der ihn zwingt
er ist froh dass es ihm noch gelingt
dass es aus ihm klingt
WIR SIND AUSGEKLINKT

Ich kam her mit ner Fähre
war der einzge Passagier
der Bootsmann sagt: wenn ich mein eigner Herr wäre
blieb ich jetzt auch hier

Mach die Augen auf
schau mich an
wir sind allein
ich bin deine Frau und dein Mann

Ich will gar nichts von dir wissen
komm wir verbrennen Pass und Geld
zuhause drängeln sie sich vor den Bunkern
und beten dass vielleicht doch alles hält

Erzähl mir nichts von Kolonien
von Überlebensstrategien
genug getrickst genug gelinkt
der Vogel da ist froh dass es noch klingt
hörst du was er singt:
WIR SIND AUSGEKLINKT

Ich mag den Stolz in deinen Augen
dich haben sie wie mich gehetzt
übers Band in den Abfall
Ausschußware bis zuletzt

Grab dich in den Sand
ich komm mit
den Rest vom Film
ganz ohne Schnitt

Du wir leben noch sind wir noch warm
in der Sonne tanzt n Mückenschwarm
Du ein paar ganz tolle Sachen
können wir noch schnell gemeinsam machen
eh die Mauern krachen und das Glas zerspringt
hörst du was der Vogel singt:
WIR SIND AUSGEKLINKT

(1978)

 

PSYCHO-WESTERN

Letzte Nacht auf der Veranda saß im Schaukelstuhl der Boss.
Ich kam von hinten mit dem Halstuch. Ich zog zu, bevor er schoss.
Die andern Jungs war’n raus auf Beute, schlugen in den Kneipen Krach.
Ich war mal wieder an der Reihe: “Geh ins Bad, ich komm gleich nach.”

“Fettes Schwein, sollst mich nicht schlagen, mich nicht quälen, nicht liebkosen.
Als ich ausriß von zu Haus, gabst du mir Geld und schicke Hosen.
Doch deine Gang geht in die Brüche, deine Pläne sind verdreht,
nichts als Bauerntricks und Sprüche, und jede Nacht einer für’s Bett.

Mann, ich wachse aus den Schuh’n hier, soll ich warten, bis du platzt?
Diese fetten gelben Finger, wenn du mich damit betatschst.
Ich glaub schon, dass du uns liebhast, dass du anders bist als alle.
Doch du bist ein Schwamm vor Feigheit, und Gewalt ist eine Falle.”

Aus dem Stall die beste Stute, mit scharfem Blick quer durch die Nacht.
Hab an ihr Gesicht und an den Brief da zwischen Hemd und Haut gedacht.
Ob die andern mich vergessen? Ob sie meine Flucht versteh’n?
Hätt’ gern nochmal meinen Freund gestreichelt, werd’ ihn lange nicht mehr seh’n.

Ah, jetzt kommt die Sonne rüber, brennt vom Felsen auf mich ein.
Die Stute hat schon schwere Glieder, ich steig ab und lass sie frei.
Und dann möchte ich mich anschau’n, zieh mich aus, steig in den Bach,
wo das kalte Wasser fließt und sticht und macht mich klar und wach.

Und dann lieg ich zwischen Grillen, nackt und leicht und warm, und wart’.
Eine Stunde darf ich weich sein, mittags braucht mein Plan mich hart.
Hab fast nichts, bloß meine Wünsche und ‘ne Waffe und den Brief,
den sie mir beim Tanz gesteckt hat, als ich in ihre Arme lief.

Da stand, dass sie heut hier vorbeikommt, dass ihr Vater sie verkauft
an diesen Krüppel aus El Paso, dem das Geld wie Speichel läuft.
Und dass sie lieber kalt und tot wär oder ‘ne Nutte irgendwo,
und auch, dass seit sie mich geseh’n hat, wär sie manchmal wieder froh.

Von Osten hör ich Hufe stampfen. Schnell, zieh dich an und lade durch!
Knappe Gesten, Männerarbeit, tief im Bauch heult meine Furcht.
Ich hock mich hinter einen Felsen, jetzt ist die Kutsche schon zu seh’n,
auf dem Bock der miese Alte. Wenn ich jetzt schieß, dann müsst es geh’n.

Kühler Wind bläst in den Abend, schön, dass du mir die Decke gibst.
Möcht dich immer weiter anschau’n, sag nochmal, dass du mich liebst.
Vielleicht jagen sie uns morgen, und wir steigen hoch wie Rauch.
Unterm Kopf liegt die Pistole und mein blaues Halstuch auch.

(1978)

 

DAS MESSER

Als ich am Flipper bei den andern stand,
sah ich dich zum ersten Mal im Spiegel an der Wand.
Bin dann mit ‘ner Pulle Schnaps zum Park gerannt,
du kamst gleich hinterher und zogst mich in den Sand.

Ich hatte keine Angst,
ich gab dir keinen Tritt.
Was du auch verlangst,
ich wusste, ich mach mit.

Das war komisch: du hast gar nicht viel erklären brauchen,
ich gab dir was zum Trinken, du gabst mir was zum Rauchen.

Durch dich kam ich auf Feten ganz aus Marmor,
Insekten hinter Brillen spritzten Witz, ich war wie Glas.
Im Saunaholz kam ich mir blass und nackt vor,
du riebst mich wie ‘ne Puppe und ich wurde nass.

Du warst ein Springbrunnen,
ich hab dich angemacht.
Ein Gedicht hast du
von meinem Arsch gemacht.

Das war komisch: dreimal wollt ich wirklich weg von dir,
doch der Geruch von deiner Haut, der kam direkt aus mir.

Als die andre mit ins Haus und in dein Bett zog,
hab ich erst gedacht, es gäb ‘ne Ladung Spaß.
Doch dann wusch ich euch die Flecken aus dem Bettzeug,
ihr wart so fest zusammen, und ich fror, ganz ohne was.

Wenn ihr mich noch quält,
bin ich doch noch Dreck.
Aber ich war Luft,
und deshalb lief ich weg.

Dein leeres Haus. Ich weiß sehr gut, was hier zu holen ist.
Die andern räumen aus, still, dass uns keiner fängt.
Vor mir dein Bild aus Öl, auf dem du gut getroffen bist.
Ich durchstech’s mit diesem Messer –
das hast du mir mal geschenkt.

Als ich am Flipper bei den andern stand…

(1979)

 

FRÜHLINGSLIED

Die Sonne schont sich nicht mehr
der Altstadtmorgen quillt
Steck dir ‘ne Blume ins Haar
das gibt bestimmt ein schönes Bild

Da wächst ein Grashalm am Markt
der Asphalt wird geharkt
ich brauch was für meinen Schoß
heute bleib ich arbeitslos

Endlich ziehn wir unsere grauen Kutten aus
malen das Indianerzeichen auf die Stirn und auf die Faust
Mensch, was sehen wir doch alle hübsch und niedlich aus

Vergiss das Loch, wo du wohnst
den Bescheid vom Wohlfahrtsamt
der Abschiedsbrief, den du liest
er turnt dich doch bestimmt nicht an

Da vorn spielt einer Don’t think twice
tanz mit mir, und uns wird heiß
Komm, wir gehen Bongos klau’n
wir flutschen weg – oh – wie im Traum

Ja, ich kann ihn immer noch, den wiegenden Schritt
Brüste, Hüften, Beine, alles nackt, da platzt der Kitt
gestern war’n wir schwammig und jetzt scharf wie Dynamit

He Typ, vergiss dein Büro
deine Akten sind nicht wahr
he Mädchen, frag doch mal wieso
und schmeiß die Dekors aufs Trottoir

He ihr zwei, hier gibt’s Gras
nebenbei macht das Spaß
Ich glaub, ich flieg mit euch mit,
ich mag’s sehr gern zu dritt

Ich spür’s in allen Poren, dass ich nicht mehr frier
und dass es immer wärmer wird, das spüre ich an dir
He Bulle, knips woanders, verpiss dich aufs Revier

Ich seh’s an euren Fressen, wer das Fest verpennt,
wer löscht oder wer lacht, wenn das Rathaus brennt
und wer das Stichwort für die Wölfe und die Hexen kennt

Text zusammen mit Henner Reitmeier (1979)

 

AUF DER FÄHRE NACH THASSOS

Auf der Fähre nach Thassos
und es sieht verdammt nach Regen aus.
Die Abendsonne rutscht unter die Wolken,
ich glaub, da kommt sie heute nicht mehr raus.
Ich bin jetzt knapp fünf Tage unterwegs,
und seit gestern fühl ich mich allein.
Heute hab ich noch mit niemandem gesprochen,
trank hastig und stumm meinen Wein.

Das Schiff ist voller griechischer Familien,
scheint, ich bin der einzige Rucksacktourist.
Komm mir so richtig in der Fremde vor,
völlig unnütz, von niemand vermißt.
Und es ärgert mich, daß ich an zuhause denk
und ob der Regen nun fällt oder nicht.
Neben mir räkelt sich ein fieser Typ um Dreißig,
und ich hoff trotzdem, daß der mich anspricht.

Ne Minute später nahm der Typ mich am Arm
und fragte gönnerhaft: Freund, wo willst du hin?
Und obwohl ich so getan hab,als verstünd ich ihn nicht,
gab das dem Ganzen so etwas wie Sinn.
Grad geht der Mond überm Festland auf,
ich lehn mich in die schwarzen Wellen raus
auf der Fähre nach Thassos.
Wenn es regnet, macht das mir doch nichts aus.

Juni 1977

 

BUNDESREPUBLIKANISCHER ALBTRAUM

Zwei Streifenbullen spielen mit den Funksprechgeräten,
der Mann vom Tabakladen hängt die Zeitung unters Licht,
ich hol mir meine Pflichtlektüre und unterschreibe auf der Liste.
Dann schiel ich zu dir rüber und staun über dich.

In der Fußgängerzone
teilst du Flugblätter aus
von ‘ner Gruppe, die verboten ist.
Die Leute starr’n verbissen geradeaus.

Ich les den Leitartikel, und es dreht sich mir der Magen.
Der Mann vom Tabakladen schleppt einen Penner zu den Bullen ab.
Als hätten wir es eilig, drehn wir alle uns zur Seite,
bloß du rufst plötzlich zu ihm rüber: Mach nicht schlapp!

Würde wirklich gerne wissen,
was auf deinen Blättern steht.
Doch jetzt hab ich grad ‘n Job gekriegt,
und du weißt ja, wie es geht…

Zwei Typen rempeln mich, die sind vom Jugendarbeitsordnungsdienst,
ein Senator jagt mit Blaulicht heim in seine Residenz,
die Ordnungsdienstler filzen einen Typ mit keinem Ausweis,
die Streifenbullen nicken. Daß du noch nicht rennst!

In der Zeitung heute heißt es:
Räumt die letzten Nester aus.
Schau, die Blumen in Rabatten:
Fühlst du dich denn gar nicht zu Haus?

Ein paar, die ich von früher kannte, kamen lautlos in die Knäste,
andre sind verschwunden, ich blieb still und distanziert.
Also ruf nicht dauernd deine alten wohlbekannten Sprüche
von der Solidarität, ich krieg ja Heimweh und mich friert.

Und da kommen auch die Streifenbullen (endlich),
werfen dich hin und schleppen dich ab.
Sobald die Luft rein ist, das versprech ich,
heb ich eins von deinen Blättern auf und setz mich in Trab.

September 77

 

DER HERR PROFESSOR HASENFUß

Der Herr Professor Hasenfuß,
ehmals Marxist und immer guten Muts,
der tritt jetzt an zur großen Buß
und setzt in die Zeitung rein:
“Gehorsam meld ich, bin betroffen
vom linken Terror, diesem offnen,
Mord ist nicht gleich Mord, es wird der Rechtsstaat mit getroffen,
ich bin für Wandel, aber soll er friedlich sein.
Als ein kritischer Intellektueller
wollt ich die Massen formen, jedoch dacht ich es mir schneller,
in harter Kleinarbeit erstellt ich einen Bunten Teller
von Reformen, aber keiner biß hinein.
Hab lang den jungen Heißspornen erklärt
die fundamentalen Widersprüche und das Absterben des Staats,
doch manche nahmens wörtlich, und ich seh, es war verkehrt:
Ich will fortan nicht mehr so kritisch sein.
Gewiß, die Menschen sind geduckt und sehr verdrossen
und werden manchmal probeweise von der Polizei geschossen
und werden täglich reingelegt von den Gerichten und den Bossen,
doch sind in Wahrheit diese Übel klein.
Auch daß noch kaum wer steht auf seinen eignen Füßen,
daß Frau’n und Kinder stündlich für den ganzen Schwindel büßen,
das kenn ich alles gut aus meinen eignen Analysen,
doch soll man es fürs Große Ganze wohl verzeihn.
Auch daß wir in zwanzig Jahren kaum mehr atmen werden können,
daß uns die Macher weder Luft noch Leben gönnen
und vielleicht schon das Datum unsres Fndes kennen,
das weiß ich, doch der Anlaß scheint mir klein.
Nur jetzt, das macht mich wild, da wollen viele nicht mehr glauben,
nicht mehr an die Reformen, nicht an die Friedenstauben,
und statt zu betteln leg’n sie sich aufs Morden und aufs Rauben,
das darf uns nicht einmal klammheimlich freun.
Denn schließlich, das beton ich, dafür will ich werben:
Will einer friedlich wandeln, dürfen Macht und Ordnung nicht verderben,
es sollen bis zum Jüngsten Tag nur die ganz unten sterben,
wenn sie auch machtlos sind, so bleiben sie doch rein.
Und außerdem, das sag ich aber etwas leiser:
Man zog mich ins Vertraun, ich wurd vor Aufregung ganz heiser,
man bot mir eine Forschung für soziale Tranquilizer –
und lehn ich ab, dann drischt die Presse auf mich ein.
Ach, Rebellion und Widerstand, so Jugendsünden,
erst nagte ich am Throne, jetzt wittre ich die Pfründen.
Man braucht schon Innre Sicherheit, um die Karriere zu begründen.
Auch weiß ich, steh ich mit der Meinung nicht allein.”
Der Herr Professor Hasenfuß
schreibt vierzig Jahre später über diese große Buß:
“Man ahnte damals ja wirklich nichts von der heraufdämmernden neuen Art Faschismus –
beim nächsten Mal, da wolIn wir aufmerksamer sein!”

September 77

 

DER ALTLINKE

Ich trinke niemals vormittags,
ich trink nicht gern allein.
Doch wenn’s so trüb ist wie heut früh,
hilft mir ne Flasche Wein.
Ich hock mich vor den Schreibtisch,
schiieß mich im Zimmer ein
und träum, ich wär Professor
oder Autor bei Pahl-Rugenstein.

Ich war fast erwachsen mit siebzehn,
bin Mitte zwanzig einmal beinah durchgedreht.
Jetzt bin ich Ende dreißig
und hoff, daß es niemand verrät.

Meine Frau hat ‘n Job bei der Kirche,
für uns beide reicht das schon,
doch meinen Namen will sie nicht,
sie sagt: wegen der Emanzipation.
67 gab der Rudi mir ‘n Stoß und rief:
“Wir zwei gründen mal die linke Partei!”
Jetzt les ich in seinen Schriften,
doch er kommt nie bei mir vorbei.

Ich war fast erwachsen…

Ich sitz an meiner Arbeit
schon so manchen Lenz:
‘Kritik restrikter Kapitalakumulation’,
ich hab fast nie geschwänzt.
Als ich anfing, da schrieben wir noch alle so,
doch die schöne Zeit kommt nie zurück.
Jetzt steht im Kursbuch was von ‘Neuer Sensibilität’ –
ich denk manchmal, das is’n fauler Trick.

Ich war fast erwachsen…

…jetzt bin ich Ende dreißig
und hab Angst, daß mich bald niemand mehr versteht.

Dezember 1977

 

MORGEN IS ‘N NEUER TAG

Wir kamen in ‘ne Betonstadt mit Bunkern und Spiegelcafes.
Kein Platz für Leute wie dich und mich, alle Frauen trugen Toupees.
Ein paar von uns waren hektisch, als hätten wir ‘n Bankraub gemacht,
und wir suchten bloß jemand, der nett ist und gibt uns ‘ne Couch für die Nacht.

Ich bin unterwegs um zu wachsen, brauch was zu essen und n volles Glas,
und Leute, die nicht verschwinden hinter Masken aus höflichem Haß,
und dann und wann jemand, der funkelt und mich streichelt, so aus Spaß.
Auf mich sollst du nicht warten: Morgen is ‘n neuer Tag.

Früher lief ich geduckt rum und träumte aus Angst von Macht.
Schrieb eine ganze Schublade voll, gab mir selbst Interviews in der Nacht.
Über die Leute, die mich mochten, hab ich mich heimlich bepisst,
ich rüttelte stur an den Türen, doch die gehn auf nach da, wo du bist!

Jetzt bin ich unterwegs um zu wachsen…

Ich denk an meinen besten Freund, den hab ich noch immer lieb,
wir spielten uns viele Rollen: Tänzer, Therapeut und Dieb.
Doch noch jedesmal, wenn wir uns nah sind, kam der Stacheldraht und sticht:
Ich sage, ich will deinen Körper, er sagt, ich deinen nicht….

Und ich bin noch lang nicht so frei, wie ich tu, ich seh ja auch nicht danach aus.
Hab in der Stadt eine Wohnung, da verkriech ich mich oft wie ne Maus,
bis ich spür, wie die Tage mich falten, daß ich rissig werd’ wie ‘n Blatt Papier
in überheizten Archiven – und dann frag ich: Was soll ich noch hier?

Ich bin unterwegs um zu wachsen…

Letzten Winter gings mir dreckig, Matsch im Kopf und Eis im Schoß,
traf eine Frau, die mich aufnahm, und wir flogen beide los.
Erst warn wir frisch wie die Kinder, dann alternativ und schlau,
und dann fingen wir an zu schweigen, denn wir kannten unsre Tricks genau.

Und es gibt nicht bloß eine Betonstadt mit Bunkern und Spiegelcafés.
Überall Leute wie du und ich, die hassen den ganzen Stress.
Hassen die Bullen, das Jobben, haben Angst, daß der Trott sie frisst.
Wenn du dich morgen im Spiegel siehst, dann frag, ob du das noch bist!

Du bist unterwegs um zu wachsen, willst was zu essen und ‘n volles Glas,
und Leute, die nicht verschwinden hinter Masken aus höflichem Hass,
und dann und wann jemand, der funkelt und dich streichelt, so aus Spaß.
Auf dich soll niemand warten.
Auf mich soll niemand warten.
Morgen ist immer was Neues.
Morgen is ‘n fremder Tag.

Frühjahr 78

 

SEX & GEWALT

Erst die Pärchen, dann die Macker,
dann die Verlierer – jetzt sind alle weg,
eine Jeans – und Leder – Fete,
wo man checkt und sich versteckt.
Ich weiß gar nicht mehr, was los ist,
wer der Typ auf deinem Schoß ist,
der sagt wenig und bewegt sich so perfekt.

Ihr liegt da, verhakt wie zwei Maschinen,
die fast ohne Reibung funktionieren.
Deine Blicke sind so froh und schamlos,
daß ich denk, ich müßte dran erfrieren.
Kenn dich ziemlich lange, vielleicht sogar gut,
sah dich nie so scharf und voller Glut,
vielleicht sollt ich genau hinschaun, um ein bißchen davon zu kapieren.

Nebenan schläft dieser weggelaufne Junge,
du hast vorhin gefragt: Der reizt dich wohl?
Ach, der kommt aus einer fremden Gegend,
er sagt, Johnny Rotten wäre sein Idol.
Komm, erklär mir, warum du dir das gefallen läßt,
dass der Typ dich dauernd hochhebt und dann fallenläßt
und dich auspellt wie ne Kerze aus ‘nem Bogen Staniol?

Wo ihr jetzt brennt an beiden Enden,
könnt ich sagen: Ich blieb frei.
Sicher hinter meinen Wänden,
doch geb ich zu, ich wär sehr gern dabei!

Wie du schreist und lachst in seinen Armen,
und er hat sich wie ein Wolf in dich verkrallt,
wartet bloß, daß ich allmählich abzieh,
ihm ist gleich, ob dabei eine Türe knallt.
Ich geh rüber an das Bett, in dem der Junge pennt
und in seinem Traum die ganze Stadt verbrennt,
und ich blättre, bis ich einschlaf, in ‘nem Porno mit viel Sex & Gewalt.

Sommer 78

 

REGENLIED

Abschied an der Autobahn,
du drehst um, ich fang zu trampen an.
Mund an Mund in einem Bett vier Tage,
die Welt so bunt wie ‘ne gute Frage,
und doch hab ich dir wehgetan.

Der Rucksack ist so schwer,
wiegt jeden Kilometer mehr.
Der Wind rast über die Häuser,
stößt in die Felder und Gräser,
jagt mir den Regen hinterher.

Beim Gewitter renn ich in den Wald,
allein unter dem Poncho ist es kalt,
meine Hände streichen übers Moos,
glauben fast, es wär dein Schoß,
sind immer noch in dich verkrallt.

Ich hab dich mehr lieb, als ich mir gesteh.
Bei dir gibts Sonne oder Schnee.
Ich hab so Angst, ich könnte dich verachten,
bin’s gewohnt, den Regen zu verkraften –
die laue Luft, wo das Feuer verpufft,
wo ich nichts genau seh, aber alles versteh,
wo keiner mich fängt, wenn ich mich dreh –
“Niemand kriegt was geschenkt!”

Wenn du dies Lied mal hörst, dann werd ich tun, als wärs ein Scherz,
werd sagen: “Ist schon ehrlich, aber nimm es bloß nicht ernst”…

Ich hätt so gern, in diesem Lied könnt ich selber sein.
Das heißt auch: Laß mich nicht damit allein!
Jetzt kommt die Sonne durch, der Regen ist zu Ende,
sie wärmt mir Kopf und Brust und Hände,
als käm dein Atem in mich rein.

September 78

 

BIS HIER IST NICHT SO WEIT

graceful to Jim Jones

Lisbeth kam direkt vom Bahnhofsstrich,
Syph und Schüttelfrost und voll Chemie.
Roland vom Appartement aus dem elften Stock
lag dreimal unterm Hahn, es klappte nie.
Helmut war ‘n Doktor und Psychiater,
doch das System in seinem Kopf ging mit ihm rund.
Marion war Schoßhund in ‘nem Bungalow,
ihr Gatte schlug ihr da den Rücken wund.

Vergiß die alten Namen,
wir tragen alle das gleiche Kleid.
Du weißt, was ich versucht hab:
Bis hier ist nicht so weit.

Horch: Die Sirene, es geht zum Gebet und ans Essen.
Elf Stunden Arbeit, gemeinsam könn’ wir vergessen.
Schau: In der Schar unser Priester, er straft und liebt uns.
Was wir auch denken, er weiß es, doch er vergibt uns.

Bruder Franz mit Ledergurt und Funkgerät,
ihm ist die Ehrengarde unterstellt.
Schwester Ruth mit Liste und mit Video,
sie regelt, wer mit wem die Betten teilt.
Sonntags lehrt der Priester uns das Lachen,
daß der alte Kitt in uns zerbricht.
Wann erlebt ihr draußen solch Erwachen:
Macht und Glück, wenn er nur spricht!

Draußen war’n wir Freunde,
ich müßte beichten, daß ich noch so an dir häng.
Sag nicht Kreuzberg oder Irland-Trip,
es ist schlimm, wenn ich an sowas denk.

Horch: Die Sirene…

Thomas rannte hinter kleinen Jungens her,
der Priester gab ihm eine Frau, wo er sich traut.
Marlies stand mit Kind und ohne Macker da,
der Priester machte sie zu seiner Braut.
Ich war, was man politisch nennt,
hab’s mit Parteien und im Kollektiv versucht.
Jetzt kommt die Garde – bitte sag, du kennst mich nicht,
es gibt Kontrollen, und ich hör, daß man mich ruft.

Joey hatte H gespritzt,
er tat sich nicht mehr leid,
und Roland vom Appartement aus dem elften Stock –
bis hier ist nicht so weit.

Dezember 78

 

LINKER TOURISMUS

Ich glaub, ich weiß, was du grad denkst:
Daß du in der falschen Clique hängst.
Selbst hier, in diesem Strandcafe
reden die noch von der GEW.

Der Typ, der grad die Brille putzt
und in den Reiseführer luchst,
der hält die Leute hier für blöd
und spricht von Drittelparität.
Der Gurkensalat sei auch nicht zu genießen,
und schließlich brächte er Devisen.

Sein Freund, so fett, blaß an den Knien
erzählt von Stadtteilstrategien
und von Fraktionen auf dem Rathaus
und vom Sozialarbeiterstatus.

Was hast du denn mit denen am Hut?
Du siehst so frisch aus und so gut.
Sie fahr’n dir dauernd über’n Mund:
Schick die doch weg und dann gehts rund!

Der Blasse schimpft über den Dreck hier,
sagt: Umweltschutz hat keinen Zweck hier,
sein Freund, belehrend, zögert kaum
und meint, das sei ein allgemeines ethnisches Problem
im mediterranen Raum.
Dann loben beide sich die Praxis
und schimpfen, was hier für ein Krach ist,
Musik sei türkisch und faschistisch –
wenn griechisch, dann bitte von Theodorakis…

Jetzt diskutiert ihr – du mit bei –
über heut nacht, ihr seid ja drei,
ob eure Sensibilität
den Psychostress wohl übersteht,
ob man die Aggressionen auslebt
oder besser Gruppensitzung einschiebt,
und der Erfolg von Therapien,
der zieht sich hin, der zieht sich hin.
Ob man wohl heute nacht noch tanzt?
Nein, heißt’s, die Tänze hier sind so fixiert am Schwanz.

Wenn du wen suchst für heute nacht,
der ein paar andre Sprüche macht:
Ich kenn ‘ne Höhle, die ist schön,
man liegt und sieht den Tag aufgehn.
Und noch was: Frag nicht, was ich mach,
ich häng hier rum und bin hellwach.
Dein Freund ist für ne Diskussion,
entscheid dich schnell – ich geh ja schon.

Sougia, Frühjahr 79

 

DER TEUERSTE DRINK

Die sagen alle “Tut uns leid”.
Dabei weiß jeder hier Bescheid.
Ich kriegte einen Zettel, auf dem stand ‘Machs gut’,
und diese Unterschrift wie Blut.
Mir war ja klar, er ist ein Star,
heute hier und morgen da,
er war am schönsten, wenn er fliegt,
ich wußte bloß nicht, daß er lügt.
Ich bin noch ganz in seinem Griff,
ein Magen, wenn die Faust ihn trifft,
jetzt läuft das Lied, das er sonst pfiff –
und all die geilen Biedermänner an der Bar hör’n zu:
Bring mir den teuersten Drink, den ich bezahle
für die Augen, die ich so lieben tu!

Amanda kommt und sagt: “Hallo,
was hast du denn, wie geht’s dir so?”
Ich weiß genau, wie die sich freut,
ein Typ wie ich tut der nicht leid.
Es war in einer Samstagnacht,
der Krach in meinem Kopf ließ nach,
ich saß an diesem Tisch in meinem Tweedjackett,
mit Lidstrich, aber sonst adrett.
Er sah wie ein Indianer aus.
Ich sagte: “Komm zu mir nach Haus.”
Er war die Katze, ich die Maus.
Die Zehen schauten manchmal durch die Löcher seiner Schuh.
Bringt mir den teuersten Drink, den ich hier kriege
für die Augen, die ich so lieben tu!

Ich wollt, ich wär jetzt auf ‘nem Feld
in einem Sturm, der mit mir brüllt.
War das ‘n Kind, war das ‘n Mann?
Was hab ich ihm denn bloß getan?
Das bißchen Geld, ich bin nicht knapp,
der falsche Pass, ich bin auch nicht schlapp!
Er sagte: “Na, du hohes Tier,
du bist ja wie ein Freund zu mir.”
Wir lagen nackt in diesem Steinbruch,
und er erzählte von dem Einbruch,
ich sagte nichts, bloß: “Hals – und Beinbruch.”
Wir wälzten uns im Sand und tranken Pflaumenschnaps dazu.
Bringt mir den teuersten Drink, denn ich bezahle
für die Augen, die ich so lieben tu!

Ich war ein Stein in seinem Spiel,
er war ein Blitz, der auf mich fiel.
Er wußte nichts von meiner Frau,
ich nichts von seiner Zeit im Bau.
Jetzt kommt Amanda her und sagt: “Ich find dich nett, Bulle.”
Ich ruf zurück: “Aber ich bin doch zu fett, Trulle.”
Sie lächelt: “Gerade sowas will ich haben.”
Ich sag: “Du weißt, ich selbst steh mehr auf Knaben.”
Ach, dies Geschwätz von Hinterher:
‘Der kommt nicht weit, der ist bald leer.’
Wenn ihr wüßtet, was gelaufen ist, dann sagtet ihr gar nichts mehr!
Warum hör ich diesen miesen Tucken eigentlich noch zu?
Bringt mir den teuersten Drink, den ich bezahle
für die Augen, die ich so lieben tu!

Er hat mich irgendwann gefragt
nach meinem Job, ich hab’s gesagt.
Er lachte: “Ist das nicht riskant?
Ich spring dir doch mal aus der Hand?”
Das war in seiner kleinen Wohnung,
die ich uns hielt zur bess’ren Tarnung.
Er sagte: “Du ein Bulle, und ich Dieb –
schon komisch, was sich alles liebt.”
Ich schwamm nur still in seiner Haut
mit feinem Lächeln, wie ‘ne Braut,
ich hätt’ ihm jahrelang vertraut.
Und nach allem, was gelaufen ist,
trau ich ihm ‘ne Erpressung auch nicht zu!
Bringt mir den teuersten Drink, den ich bezahl’n kann,
für die Augen, die ich so lieben tu!

Der alte Joe bleibt vor mir stehn:
“Hast du die neuen Jungs gesehn?”
Ach Mensch, ich muß doch gleich zurück
ins legendäre Eheglück.
Ich seh die Tucken und die Kerle,
in jeder Muschel steckt ‘ne Perle,
mein Magen frißt das in sich rein,
ich glaub, ich kotz, ich altes Schwein.
Und morgen die Kollegen von der Fahndung,
ich muß so tun, als hätt ich keine Ahnung,
ich glaub, ich bring mich um, wenn ihm jemand was antut:
Mein kleiner Liebling, wo du bist, ich wünsch dir Glück!
Ey – hörst du mir noch zu?!
Bring mir den teuersten Drink’ den ich bezahle
für die Augen, die ich so lieben tu!

Piräus, Frühjahr 79

 

KLEINE KETTE

Deine Schenkel sind wie Zangen, wie ein Flaum sind deine Wangen,
und dein Schoß ist ein moosiger Schwamm.
Ich will Du zu dir sagen, und dann will ich dich fragen:
Hast du Feuer, tanzt du gern, brauchst du ‘n Kamm?
Bist du hier, um zu frieren, hast du was zu verlieren,
bist du spröde aus Stolz oder Scham?

Ich glaub, wir kennen uns von früher, und wir sprachen mal darüber,
daß noch so viel offen wär.
Wir standen Schlange für ne Karte, es gab Ordner, es hieß ‘Warte’,
so viel Körper, von weit her.
Bei dieser Prügelei am Eingang fuhr mir jemand sacht am Schwanz lang,
von da ab wollt ich mehr.

Ey, deine Augen gehn ins Leere,
so, als wenn gerade niemand bei dir wäre.
Vielleicht kommt der Typ, den du hier suchst,
erst, wenn du nicht mehr wartest, sondern auf ihn fluchst.
Vielleicht stirbt die Angst, die dich sonst hetzt,
erst, wenn du auf sie stolz wirst, vielleicht grad jetzt.
Ey, sag nicht, du bist allein,
ich seh uns zwei im Spiegel, schau doch auch mal rein!

Hast du noch ne Zigarette, hast du echt gedacht, ich hätte
nicht gespürt, daß dir hier was fehlt?
Ich wär gern dein großer Retter, lieber noch die kleine Kette,
mit der du gerade spielst.
Doch jetzt bin ich wie ein Clown, der sich nicht traut, dich anzuschaun,
um zu fragen, was du fühlst.

Mai 79

 

VOR DER BANK VON TOKYO

In Frankfurt vor der Bank von Tokyo,
mit der Sonne im Genick.
Wir spielten ‘One More Cup of Coffee’ und so –
Straßenmusik.
Ich dachte, was ich seit 10 Jahren denk:
Ich kann auf dich.
Auch wenn ich manchmal denk, ich könnte besser ohne dich –
ich kann auf dich.

Dann kam ne Frau vorbei in einem Seidenkleid
mit ner taz unter m Arm.
Sah so aus, als täte die sich selbst am meisten leid
und lächelte warm.
Ich machte, was ich seit 10 Jahren mach: Ich blockte dich.
Jede Frau, die dich lockt, ist für mich ein leichter Schock,
also block ich dich.

Um abzulenken, sprach ich von dem Ölteppich
in Mexiko.
“Was da ausläuft, ist nichts als die Wichse der Bonzen für mich”, sagte ich,
“und die Welt ist deren Klo.”
Ist doch so!
Du sagtest, was du seit 10 Jahren sagst: “Hör auf damit!
Diese platten Sprüche mit der Wut im Genick, du regst mich auf damit.
Hör bitte auf damit!”

In Frankfurt vor der Bank von Tokyo,
ich glaub, wir war ‘n froh.
Die Herrn im schwarzen Anzug strömten nur so,
es war wie im Zoo.
Ich dachte: ‘Nächstens mach ich unter alles einen großen Strich.’
Du sagtest: “Diese Frau wär jetzt genau das Richtige für mich.”
Und ich dachte, was ich seit 10 Jahren denk:
Ich kann auf dich.

August 79

 

VIELLEICHT NE ECKE SCHÄRFER

Lange Zeit gab’s Balance
zwischen warm und kalt.
Jeder kriegt mal die Chance
zu nem Gefühlshaushalt.
Noch ein bißchen rebellisch,
manchmal empört,
aber abgeklärt und vernünftig,
ein Typ, der nichts mehr und niemanden stört.

Hey, ich weiß nicht mehr, was los ist,
hab mich in den falschen Typ verknallt,
weiß nicht mehr, was klein, was groß ist:
Im Sturm wird mir warm und in der Sonne ist mir kalt.

Es war verkorkst wie ganz früher,
riß die Augen auf, soweit sie gehn,
Kaninchen und Schlange,
Gespräche, die den Bach runter gehn.
Rundherum die klugen Sprüche:
You can’t always get what you want.
Weisheiten aus der Psychoküche:
Schwul, bi, hetero, der gesammelte Schwund.

Hery, ich glaub, ich krieg den Durchblick,
ich war so sicher, daß mir das nicht mehr passiert.
Keiner braucht dich, wenn du durchdrehst,
du wirst erst akzeptiert, wenn dein Blackout funktioniert.

Du, ich muß dir das erzählen,
ich weiß, du bist kein Agent,
du bist ne Frau, die ich liebhab,
jemand, der nicht locker durch die Gegend rennt.
Doch sobald du nicht dabei bist,
werd ich den Verdacht nicht los,
daß deine Zärtlichkeit ein Trick ist,
der mich ruhig stellen sollen bis ganz zum Schluss.

Wenn die sagen: Komm vergiß es,
sprechen Narren ohne Narben,
wenn die tun, als wüßten die, was Glück ist,
sprechen Blinde von den Farben.

Ich war früher mal politisch,
später nannten wir das alternativ.
Ich weiß, daß meine Haut ganz fahl ist
von dem sensiblen Mief.
Ich hab kein Mitleid mit dem Macker,
der wie ein Hähnchen durch die Gegend rennt.
Ich hab kein Mitleid mit dem Softi,
der immer freundlich ist und sich nie verbrennt.
Meine Wünsche gehn mit denen,
die auf dem Weg sprühn und verglühn.

Es wäre gut, wenn du kein Mitleid hast
mit diesem Freund von dir mit seinem Kopf auf deinen Knien.

Ja vielleicht ne Ecke schärfer,
vielleicht ne Ecke weiter gehn.
Diese Träume, die ich mit fünfzehn hatte,
sind nicht dazu da, daß sie mit dreißig wie die Möbel in der Wohnung stehn.

Oktober 79