Uralt

Uralte Liedtexte

Kuhlied (1970)

Ich spiel nicht mehr mit (1972)

Die Wahrheit geschieht (1972)

Die Liebe ist so schwer (1973)

Irgendwer anderes irgendwo (1974)

Ich sah dich auf dem Marktplatz (1974)

Bob (1975)

Krankenbesuch (1976)

In ein leichteres Leben (1974/76)

alter Bekanntschaft wiederbegegnet (1977)

 

KUHLIED

Die Prozession war schnell zu Ende,
es gab nicht allzuviel zu sehn.
Jetzt sind die Krieger schon im Wirtshaus,
es wird nichts Wichtiges geschehn.
Ich sitz am Graben vor der Straße,
auf der ein Bus in zwei Stunden fährt.
Vom Kirchturm hat es drei geschlagen,
der Briefkasten wird um vier geleert.
Ich ruf “Hallo!”
Das macht mich froh.
Die Kuh macht “Muh”,
will ihre Ruh.
Ich schau der Kuh beim Fressen zu.

Gestern kam einer aus der City,
ein Held der Arbeit mit Elan.
In seinem Koffer Dokumente
für mich. Er sagte: “Fang gleich an.”
Auf Fragen ließ er sich nicht ein.
Sein Wahlspruch: “Wenn du Ehrgeiz hast,
dann wirst du auch bald König sein.”
Ich warf sein Köfferchen ins Gras
und rief: “Halts Maul!”
Ich bin zu faul.
Die Kuh macht “Muh”,
will ihre Ruh.
Ich schau der Kuh beim Fressen zu.

Der Tag geht mit der Sonne unter,
die kalte Nacht kommt mit dem Mond.
Was sonst geschieht, erfahr ich später,
wie aus Versehen. Ich bins gewohnt.
Nur wenn es dämmert, drohn Gefahren,
der Zwerg Allwissend kommt zu mir.
Er staunt mich an aus grauen Augen
und fragt: “Sag mal, was willst du hier?”
Ich sag: “Sei still!
Ich weiß, was ich will.”
Ich höre zu.
Die Kuh macht “Muh”.
Ich schau der Kuh beim Fressen zu.

Die Leute hier sind laut und freundlich
und ihre Sorgen sind recht groß.
Die Erde hart und kalte Nächte.
Was blieb, fiel nicht in ihren Schoß.
Der Polizist sitzt mit im Wirtshaus,
der Pfarrer quatscht vom Paradies.
Ihm werden seine Schäfchen fehlen,
wenn er mal tot ist. Ganz gewiss.
Ich ruf “Hallo!”
Das macht mich froh.
Die Kuh macht “Muh”,
will ihre Ruh.
Ich schau der Kuh beim Fressen zu.

(1970)

 

ICH SPIEL NICHT MEHR MIT

Eines Tages hatte ich die Nase voll,
ich nahm meinen Koffer und verschwand.
Für mein Mädchen ließ ich ein Bild zurück,
ich haute ab aufs flache Land.
Ich lief drei Tage aus der Stadt heraus,
bis ich an die Schrottplätze kam.
Ein Schrotthändler sagte: Das ist mein Revier!
Ich war machtlos, als er mir den Koffer nahm.
Ich spiel nicht mehr mit.

Dann stand ich an der Straße und trampte nach Süden,
in der Hand eine Flasche Gin.
Ein Junge aus der Nachbarschaft kam mit seiner Mutter
und wollte einen Kuß, ich gab ihn ihm.
Auf einmal traf mich ein Stein ins Kreuz
und eine Stimme: Du bist unser Feind!
Der Vorstand der Aktion ,Saubere Landschaft’
griff mich an, sie schrien: Jetzt wird aufgeräumt!
Ich spiel nicht mehr mit.

Gottseidank hielt grad ein Auto an,
und ich sprang auf den Hintersitz.
Ein Jüngling und sein Mädchen und laute Musik,
wir fuhren schnell wieder Blitz.
Das Mädchen war sauer auf ihren Freund
und erzählte mir ihre Klagen.
Ich streichelte ihr Haar, und sie ging darauf ein,
und der Typ schmiß mich gleich aus dem Wagen.

Ich lief in eine Kneipe und bestellte ein Glas Wein,
da spielten sie treue alte Lieder.
Ein paar Waldarbeiter am Nebentisch
sangen mit und holten mich rüber.
Einer sagte: Kommunisten gehören abgemurkst,
und ich flüsterte leise: Nein.
Da standen alle auf und zeigten ihre Muskeln,
jagten mich raus, schrien: Du rotes Schwein!
Ich spiel nicht mehr mit.

Draußen hatte es zu regnen angefangen,
ich fror und es wurde Nacht.
Ich schaute in ein Zimmer, da gabs Braten und Schnaps,
als sie mich sahen, wurde das Licht ausgemacht.
Ich seufzte, es war still bis auf ein paar Hunde
und das Fernsehen, Länderspiel.
Ich suchte was zum Pennen und war ziemlich fertig.
Da kam ein Mädchen, das mir gut gefiel.
Ich rief: Hey Mädchen, wo willst du hin heut nacht?
Und sie: Ich geh in eine Diskothek!
Komm doch mit, kleiner Junge, wenn du sonst nichts weißt,
sie liegt grad auf deinem Weg.
Ich nahm sie am Arm, und sie schmiegte sich an
und fragte, von welcher Band ich bin.
Ich sagte: Von keiner und erzählte ihr von mir.
Sie schrie: Du bist kein Typ, und dann hat es keinen Sinn!
Ich spiel nicht mehr mit.

Ich suchte mir ein Autowrack und schlief darin ein,
ein wenig später weckte mich ein Hund.
Der bellte um das Auto, und ich schlich heraus,
die Kehle trocken und der Rücken wund.
Eine Frau holte mich zum Tee in ihr Haus,
ich wurde satt, und sie suchte etwas Glück.
Wir schliefen ein paar Runden, doch dann kam ihr Mann
und schmiß mich raus, ich durfte nie zu ihr zurück.
Ich spiel nicht mehr mit.

Ich packte meine Sachen und verschwand in die Nacht,
lief eine Landstraße entlang.
Die Dörfer waren tot, doch hinter einem Feld
sah ich Lichter und hörte Gesang.
Ich kroch über Wiesen und kam an ein Haus,
junge Leute saßen dort im Kreis.
Einer zeigte auf mich: Das ist unser Retter,
wir sind grau, aber er ist weiß.
Ich spiel nicht mehr mit.

Sie holten mich zu sich, ich hockte in der Mitte,
sie gaben mir Kräuter und einen Joint.
Dann sprachen sie Gebete, es brannte ein Feuer,
ich war müde und hab wohl geträumt.
Auf einmal war das Feuer ganz nah an mir dran,
und sie sangen: Erlöse uns, Gott!
Ich versuchte, mich loszubinden,
während sie heulten: Wir sind in großer Not!
Ich spiel nicht mehr mit.

Als meine Kleider schon anfingen zu brennen,
kam ein Mädchen und machte mich frei.
Die andern nahmen Steine und warfen sie nach uns,
und wir liefen, wohin war einerlei.
Wir liefen drei Tage, bis in die nächste Stadt,
dort wurde das Mädchen meine Frau.
Wir hatten eine Wohnung, sie paßte auf mich auf,
und ich arbeitete und wurde sehr genau.
Doch eines Tages hatte ich mal wieder die Nase voll,
ich nahm meinen Koffer und verschwand,
für mein Mädchen ließ ich ein Bild zurück
und haute ab aufs flache Land.

So renn ich noch heute in einem großen Kreis,
wann ich ankomm, das ist die Frage.
Die Welt ist die Maschine, die meisten sind ihr Öl,
doch ich will Sand sein, weil ich nichts anderes sage als:
Ich spiel nicht mehr mit.

(1972)

 

DIE WAHRHEIT GESCHIEHT

Die Fabriken schließen, wer da schuftet, geht nach Haus.
Die andern ziehn sich um, sie lockt erst die Nacht heraus.
Der Tramp unter der Kirche spricht vom Trip nach Pakistan.
Und der rote Clown ruft: “Leute, unsere Revolution fängt an!”
Aber du hältst dich da raus.
Du sammelst Müll und gehst nach Haus.
Du machst deine Notizen, willst der sein, der alles sieht.
Du meinst, du hast die Wahrheit. Die Wahrheit geschieht.

Heilsarmisten singen, Säufer ziehn ins Paradies.
James Bond rennt aus dem Kino, auf der Leinwand ist ein Riß.
Bankleute spannen Netze, und ihr Köder ist das Glück.
Wenn du anfängst stehnzubleiben, gibt es kein Zurück.
Staubwolken im Konzertsaal, Mozart gibt ein Interview.
Der Freundeskreis der Industrie spielt mit den Jusos Blindekuh.
Leuchtreklamen jubeln, wenn du glaubst, wird alles leicht,
wenn du dich weigerst, kannst du stolz sein, doch das hat noch nie gereicht.
Und du hältst dich da raus.
Du sammelst Müll und gehst nach Haus.
Du machst deine Notizen, willst der sein, der alles sieht.
Du meinst, du hast die Wahrheit. Die Wahrheit geschieht.

Die Nachrichten verbinden sich zu einem zähen Kreis,
manchmal zerschlägst du Fernseher, hoffst, daß der Kreis zerreißt.
Mit Modenschaun und Hitlisten sind wir auf dem letzten Stand,
wen die Arbeit nicht ganz umhaut, der verliert im Bett das Land.
Manche lesen kluge Bücher, kennen sich aus für ihren Teil,
andere machen schöne Worte, sind vor Zusammenhängen geil.
Wenn die Worte nicht mehr reichen, fliegt ein Kaufhaus in die Luft.
Versicherungen zahlen, und die Wut ist rasch verpufft.
Aber du hältst dich da raus.
Du sammelst Müll und gehst nachhaus.
Du machst deine Notizen, willst der sein, der alles sieht.
Du meinst, du hast die Wahrheit. Die Wahrheit geschieht.

Jede Nacht öffnen sich Märkte, laute Liebe wird verkauft.
Zwischen Spiegeln wirst du eintaxiert, Geld und Wärme ausgetauscht.
Manche finden keine Worte, andre reden stundenlang.
Die Gesunden frieren und die Kranken bleiben krank.
Eine Uhr zeigt, wieviele Menschen verhungern jeden Augenblick.
Andre sterben an Maschinen, Tag für Tag und Stück für Stück.
Nach oben buckeln, unten treten, der Profit ist der Zweck.
Wir fressen Lügen, wolln uns rächen, doch wir bleiben tief im
Dreck.
Aber du hältst dich da raus.
Du sammelst Müll und gehst nach Haus.
Du machst deine Notizen, willst der sein, der alles sieht.
Du meinst, du hast die Wahrheit. Die Wahrheit geschieht.

Und uns helfen keine Reisen, und kein Haus, kein Glück im Kleinen.
Das sind Lösungen der Reichen, die nur ihren Sieg verschleiern.
Was wir kaufen, sind ihre Waren, was uns umbringt, ihre Macht.
Wir sind selbst die größte Ware, und wir werden gut bewacht.
Jeder will sein Leben führen, es heißt: Geld regiert die Welt.
Doch das Geld kommt aus der Arbeit, die die Welt zusammenhält.
Jeder neue Morgen raubt uns Mut und gibt uns Wut.
Doch wenn wir uns nicht bald wehren, geht die Welt mit uns kaputt.
Und du hältst dich da raus.
Du sammelst Müll und gehst nach Haus.
Du machst deine Notizen, willst der sein, der alles sieht.
Du meinst, du hast die Wahrheit. Die Wahrheit geschieht.

(1972)

 

DIE LIEBE IST SO SCHWER (KRÜCKEN)

Rocco war ein früher Freund,
wir spielten Mann und Mann.
Er hatte eine coole Schwester,
die machte sich an mich ran.
Wir trafen uns heimlich hinterm Hof,
doch Rocco kriegte alles raus,
er sagte: “Wenn du mir die Schwester klaust,
ist zwischen uns alles aus.”

Die Liebe ist so schwer,
wir wollen immer mehr.
Alle, die ich kenne, haben Krücken unterm Bauch,
nur ich lieg auf dem Rücken, und du auch.

Tina traf ich am Strand von Nizza,
sie gehörte einem Regisseur,
wir lernten uns kennen bei trockener Pizza,
sie war schmal wie ein Nadelöhr.
Wir gingen spazieren auf schwankenden Brücken,
wollten dorthin, wo alles fließt,
doch Tina bog den Spazierstock durch
und sagte: “Bleib dort, wo du bist…”

Die Liebe ist so schwer…

Monika und ihr schwarzer Gott
besuchten mich im Sanatorium,
zwischen Doktoren und Apparaturen,
wir drehten die ganze Story um,
die Wärter kamen mit Elektroschocks,
zogen Bananen durch meinen Mund,
doch der schwarze Gott sprach das Nachtgebet,
und ich wurde nie gesund.

Die Liebe ist so schwer…

Gräfin Paula war ein bayerischer Cowboy,
sie nahm den Hut sogar mit ins Bett,
und obwohl sie manche Dinge schluckte,
wurde sie niemals fett.
Trotz ihrer süßen ländlichen Stiefel
und den Flüchen, die sie immer sprach,
und trotz all diesem scharfen Leder
hielt jeder sie für schwach –

und die Liebe war so schwer…

Gestern stellte ich den Kühlschrank an
und legte mich selbst hinein.
Nahm nichts mit als meinen Verstand
und wollte mich befrein.
Doch dann hörte ich Schreie von draußen,
und der Kühlschrank ging in die Brüche,
irgendwas wartet, drinnen oder draußen,
und ich zerfließe still in meiner Küche.

Und du fragst mich, was das alles soll,
warum ich dir das erzähle –
wir liegen auf dem Rücken um Mitternacht,
und du meinst, daß ich dich quäle.
Ich warte einfach auf eine Zeit,
wo es keine Bilder gibt,
und wo es keine Worte mehr braucht,
damit jemand wie du mich liebt –
jetzt sag bloß nicht:

Die Liebe ist so schwer…

(1973)

 

IRGENDWER ANDERES IRGENDWO

Die Dame aus Steglitz versperrt den Schalter
und denkt: Was sich liebt, das neckt sich.
Sie wartet am Bahnhof und sieht ihren Nachbarn,
den Studienrat, doch der versteckt sich.
Johnny, die Kamera schußbereit,
macht sich zur Jagd fertig am Bahnhof Zoo.
Und der sanfte Junge in der dünnen Jacke
denkt sich, er wär irgendwer anderes, irgendwo.

Die Klofrau spuckt Tränen, ihr Alter schlägt zu
und nimmt ihr lachend den Vorschuß.
Dann zeigt er Johnny ein japanisches Radio,
gut versteckt hinterm Abfluß.
Der Studienrat reißt sich zusammen,
er stiefelt, den Kopf unterm Kragen, zum Klo,
und der sanfte Junge in dieser dünnen Jacke
verschiebt seinen Traum, er wär irgendwer anderes, irgendwo.

Die Dame aus Steglitz fängt an zu winken,
umhalst ihren Gatten, der mit junger Begleiterin anreist,
und Johnny schießt ein verstohlenes Foto
vom Studienrat, der den Jungen grad aufreißt.
Ein Bulle dreht seine Runde,
er denkt an die Zeit, wo sie Listen machen durften
von den Leuten vor dem Klo am Zoo.
Und der sanfte Junge erzählt dem Studienrat im Taxi,
wie das wär, einmal irgendwer anderes, irgendwo.

Am Morgen ist alles vorüber.
Sie sprengen den Steinboden rund um den Bahnhofsplatz ab.
Die Schlagzeilen peitschen:
erfüllt euch eure Wünsche und Träume, arbeitet,
und wer sich anstrengt, der schaffts.
Johnny entwickelt die Fotos,
und der Studienrat schiebt seinen Jungen zur Tür raus,
seufzt und ist froh,
daß die Nachbarin ihn nicht erkannt hat,
gestern am Bahnhof, irgendwen anderes, irgendwo.

(1974)

 

ICH SAH DICH AUF DEM MARKTPLATZ

Ich sah dich auf dem Marktplatz mit Gitarre,
ich hielt dich für ein Poster, du warst echt.
Den Lehrlingsmädchen aus den Bäckereien
gabst du erste Lehren, ihnen war es recht.
Der Bürgermeister kam mit seiner Fahne,
du branntest ihm ein Streichholz untern Bart,
du griffst nach seiner Frau und hattest Flügel,
und ihr zogt los auf eine lange Fahrt.

Dann traf ich dich mit einem Wandervogel,
den du bestraftest, weil er kleiner war als du.
Du sagtest: Wer mich will, muß lange können.
Wir alle lachten, schauten zu.
An den Lagerfeuern der Zigeuner sangst du
die lauten Lieder, und die alten Bären wurden stumm.
Du schlepptest ihre Töchter reihenweise in die Hütte,
die Mütter schlichen still ums Lager rum.

Später hieltst du Reden über Auferstehung,
kamst mit einer Band zum Sonnenfestival.
Sie tanzten um dich her und waren glücklich,
du vertriebst die Stille nackt und prall.
Dann schriebst du über Freiheit und Gesundheit,
zogst in eine Hütte, und die Hütte war die Welt.
Du schriebst: Liebe das Leben, und das Leben liebt dich.
Wir warteten und wußten, daß uns etwas fehlt.

(1974)

 

BOB

Ich sah ihn zum ersten Mal mittags am Hafen
mit einem blonden Jungen, er trug ‘ne Brille aus Chrom,
wir schlurften alle Tee, starrten auf die Mole,
und ich dachte nebenbei: Sicher Vater und Sohn.
Dann traf ich ihn am Markt, als es dunkel wurde,
am Tisch der Tramps, wo die Pässe kreisen.
Sie nannten ihn Bob, und er erzählte von Neuseeland,
ich dachte grinsend: Der wills denen aber zeigen.

Er sah aus wie ein Typ vom American Express,
der grad mal ausgeschert ist aus seiner Herde,
einer, der früher mal Motorradfan war
und jetzt immer noch was übrig hat für junge Pferde.
Doch dann kam er mit stories vom Monsun in Neu Delhi,
wie er drei Tage in nem Lastwagen schlief,
und als er den Schlafsack nahm und in den Park stapfte,
dachte ich: Irgendwie liegst du schief.

Am nächsten Tag saßen wir in einem Teehaus
uns gegenüber, ich sprach mit einem boy,
der erzählte von den Kurden, und woher die Waffen kamen,
und hatte Verbindungen zu irgend ‘ner Partei.
Bob hat zugehört und manchmal gelächelt,
und plötzlich sagt er: “Ich war auch mal Kommunist,
als ich jung war, in Neuseeland war das schwierig,
wir wollten alle weg, doch dazu hat es nie gereicht.

Ich hab mich deshalb auf Geschäfte gestürzt,
geheiratet, gekämpft, um in das Ställchen zu kriechen,
das die uns anbieten, wenn wir zermatscht sind,
hab’s auch geschafft, dabei das Beste vergessen.
An dem kapitalistischen Karr’n hab ich geschoben,
bis die Haare fielen, glaub mir: Keine Hoffnung drin.
Vor drei Jahren hat sich meine Frau von mir geschieden,
und seitdem sah ich in der Scheiße keinen Sinn.”

Jetzt ist er unterwegs, hat sein Lebenswerk verkauft,
er lachte: “Das wird mein bestes Jahr.
Freunde auf der Straße findst du immer,
und wer übern Berg ist, der behält den Kopf klar.”

Später auf dem Schiff Richtung Westen
teilten wir mit zweihundert Leuten das Deck,
tauschten unsre Bücher, Urteile und Flaschen
und hielten uns wach in dem schiffseignen Dreck.
Bob sang Lieder, und ein hübscher junger Türke
rief ihm zu: “Dein Herz ist jünger als meins!”
Bob grinste verlegen, griff kurz ins Leere
und brubbelte: “Also, da hätt ich schon lieber deins.”

Die Hitze ist vertrieben, es gab ‘n langen Winter,
ich hab manchmal gehofft, Bob käm bei uns vorbei,
doch dann denk ich an die freiwilligen Zäune
und sag mir: Wenn er nicht kommt, auch einerlei.
Nur, daß wir uns so viele Fallen stellen,
und obwohl wir nicht gern frieren, bleibt es kalt.
Bob trägt sie alle auf dem Rücken, seine Fragen,
und manchmal hoff ich, ich würde schnell so alt.

(1975)

 

KRANKENBESUCH

Wir saßen zu dritt im Krankenhaus,
in einem Zimmer, wo man rauchen kann.
Das Rauchen war gegen den Regen draußen,
ich glaub, du fingst als erste damit an.
Es war, als lebten wir schon lang auf einer Insel
mit wenig Worten und im gleichen Rhythmus.
Wir sprachen, wo das Leben anfängt, der Tod aufhört,
und daß ein Körper platzt, wenn er so vieles schlucken muß.

Dann blieb ein Satz im Rauch, dem süßen, kleben:
Wir alle suchen einen Führer, um zu leben.

Schritte der Geschäfte übern Gang lang,
die Türen schlugen, Lampen brannten aus.
Du mußtest bleiben, während wir zwei gingen,
jeder von uns auch in ein andres Haus.
Jetzt denk ich dran wie an den Augenblick vorm Aufstehn:
du drehtest deinen Kopf und hobst die Augen auf,
als seist du leicht und frei und ohne Wünsche.
Ich sah es kurz und heb es auf.

(1976)

 

IN EIN LEICHTERES LEBEN

Ich tausch mit Martin Zigaretten,
Freitagnachmittag, Frontscheibe vom Kaufhaus,
dann gibts Gedränge vor nem linken Bücherladen,
zwei Bullen greifen zu und verhaften uns als Auflauf.
Auf dem Revier eine Eintragung in Listen,
ein Rechtsanwalt erscheint, die Bullen schrein: “Haut ab!”
Martin sagt: “Ich find seit Wochen keinen Job mehr,
ich hau auch ab, ich mach für die nicht schlapp.”

Weiter fahren
in ein leichteres Leben.
Wind in den Haaren, immer weiter fahren,
was durch dich durchgeht, nehmen.
Wo alles einfach ist,
da will ich hin.
Scheint, als wären viele auf dem Weg,
scheint, als gäb es nicht nur einen Weg dahin,
scheint, als würd ich weiterziehn.

Schlaf in verbrannten Feldern über Mittag,
die Sonne macht die Straße abends rot.
Martin kann ein bißchen jugoslawisch
und ruft: “Reiß deine Maske ab, du bist nicht tot!”
Müde Frauen folgen ihren Männern,
Heugarben auf den Köpfen ziehn sie heim.
Wir spielen Fangen, warten auf das Auto,
grinsen und kreisen mit dem Wein.

Maria wirft den Hörer auf die Gabel und schluchzt: “Ich bring mich nochmal um.
Du stopfst mich voll mit Shit und läßt mich tanzen,
und wenn ich nach dir schrei, dann verbrenn ich mir den Mund.
Das ist das Schlimmste, dieser graue Morgen,
ich weiß, du liegst nicht neben mir, das Zimmer friert wie ich.
Du teilst den Zauber deiner Haut so selbstverständlich,
daß ich mir wünsch, du ließt mich ganz im Stich.”

Weiter fahren…

Martin geht nach Kreta zu den Mädchen,
ich bleib fünf dicke Tage in Athen,
treffe auf Ussy mit dem Scheckheft aus New England,
die hat Bob Dylan 74 life gesehn.
Ich renne fort vor ihrem Freund, dem Koreaner,
der tauscht ihr alle ihre Schecks für Gras,
ich trag schon häufig eine Lederjacke,
doch vor ‘nem Typ mit Schlagring werd ich immer noch blaß.

“Du wirst jetzt endlich funktionieren lernen”,
rief der Beamte mit dem Kopf aus fahler Haut,
“wir haben ein paar lückenlose Unterlagen,
für deine Zukunft bist du uns noch etwas laut.”
Und Jacky sagt: “Die meisten sind schon abgetreten,
wer jetzt nicht kämpfen geht, hat seinen Traum verkauft.
Wenn du dich über Wasser halten willst und leben,
mußt du ne Knarre haben, sonst löst du dich auf.”

Weiter fahren…

Einer mit schwarzem Bart, Augen wie Blei, auf einem Rastplatz:
“Mann, schon seit vielen Jahren zieh ich rum.
Kenn jeden Strand Europas, platz vor Plätzen,
doch wo ich immer hängen blieb, wirds dumpf um mich herum.
Ich lernte schweigen und die Zeichen lesen,
mal mir ein Muster meiner Schritte, wie sie suchen.
Die Leute, die ich kannte, werden in mir immer stiller,
ich höre zu, hör, wie sie mich verfluchen.”

Zwischen den Birken hinterm Weiher fand ich Tommy,
der hat sich aufgehängt, weil alle sagten, er versagt.
Ich konnte nichts tun, als dem Rest Bescheid zu geben,
warum er keinen andern aufgehängt hat, hab ich ihn zu spät gefragt.

Dann stiegen sie vom Bildschirm in mein Zimmer,
spielten den Mainzer Karneval mit meinen Puppen,
ein Prediger, ein Manager, ein Henker und ein Volksheld,
der Hofnarr schrie: “Das sind zwar Geister – aber ungerufen?”

Weiter fahren…

Ich bleib bei Jim, ein Schwarzer aus Manila,
war lang in London und bewegt sich wie ein Pfeil.
“Die Hölle dort, sie rösten dich lebendig,
mal wolln sie deine Muskeln, aber meistens sind sie geil.”
Ich lach mit ihm und schau auf seine Zähne,
ganz weiß und blitzen wie sein Geist, so scharf.
Ich seh ihn tanzen, und ich bin wie alle andern,
ich bete: “Laß mich zu dir und zeig mir, was ich darf…”

Braungebrannt kommt Martin heim aus Kreta,
den Sack voll Fotos und für die Regenzeit Adressen.
Ich leg die Fingerspitzen sanft auf seine Lippen
und denk: Dreh dich nicht um, lern du lieber vergessen.
Und lösch dein Konto, eh du abhaust,
du sollst so steil sein wie in der Wüste Rauch.
In jeder Nacht versöhnen deine Glieder
sich mit ihren Brüdern, und den Schwestern auch –

Weiter fahren in ein leichteres Leben…

(1974/76)

 

Alter bekanntschaft wiederbegegnet

Rück mal ganz nah an mich ran,
seit wann trägst du eine Glatze?
Seit wann bemalst du deine Kopfhaut,
marinierst du deine Brüste?
Röcke und Perücken, sag mal
stimmt das, sind die wirklich out?
Und das Hakenkreuz am Rücken, hör mal,
ist das nicht doch etwas laut?
Vor nem halben Jahr noch hast du
mir erzählt, du willst aufs Land,
reine Luft und eigne Kühe,
melkt dir jetzt wer den Verstand?
Klar, die Scene braucht neue Stöße,
Makrokost, versteh ich, bringts nicht,
doch auch wenn du mich jetzt streichelst,
versöhnst du mich mit dem Schlagring nicht.
Und paß auf, ich bin ein Schwuler,
wie ich hör, habt ihr die satt,
ach, nur die Politfreaks davon,
na, da bin ich aber platt.
Wenn du magst, kannst du jetzt gehen,
Totentanz im Tolstefanz.
Ein total entlaubter Dschungel.
Jetzt sag bloß nicht: Vietnam.

(1977)