Weisse Glut

Weisse Glut

Schatten-Wolke-Sonne (1998)

Wieder verliebt (1998)

Das alte Fahrrad (1998)

Dickes Ding (1997)

Danke Mutter (1997)

Sufi-Bar (1999)

Die Runde (1992/98)

Kleine Forscher (1999)

Geiles Teil (1998)

Das (1999)

Irgendwo-Zug (1999)

Junge Mütter (1997)

Der Biker (1995)

Für immer Weihnachten (1998)

Du ließt mich in d. Tür stehn (1998)

Was kommt (1999)

 

Weisse Glut – Unveröffentlichtes

Bestellt und nicht abgeholt (1999)

Bäckerblume (1998)

Puppen an Strippen (1998)

Ich komme/Ich warte (2te Fassung 1998)

Ramona (1998)

Lied zum Ende des 30jährigen Krieges (1998)

Die menschliche Seite (1998)

Was macht Lola (1998)

Staubsauger (1999)

Zweite Heimat (1999)

Als wenn die Erde bebt (1999)

SCHATTEN – WOLKE – SONNE

So viele Bilder aus den paar Farben,
so viele Lieder aus den paar Tönen,
mach dir einfach ne Geschichte aus’n paar Worten,
du kannst hin, wo du hin willst,
das liegt da, um’s zu nehmen.
So’n tolles Gebäude aus den paar Steinen,
soviel Zauberei mit den paar Zahlen,
so ne Unendlichkeit aus nur n paar Sekunden,
hol dir ab, was du haben willst,
das ist fertig zum Finden…

Beim ersten Mal ist es vielleicht am schönsten,
beim nächsten Mal wird es deshalb am schwersten,
aber jedesmal ist es irgendwann Wonne,
und der Schatten wandert mit der Wolke um die Sonne.

So viele Gedanken aus den paar grauen Zellen,
kannst doch immer wieder tanken, kannst dir neue bestellen.
So ne reizende Kleinigkeit aus so ner groben Masse –
du kannst das nachher nochmal umbaun,
tauchs in Wasser, das wird klasse!
Soviel Spuren im Sand von nur zwei nackten Füßen,
so viele Muster in der Hand von den paar Küssen,
so viele Tränen aus zwei Augen, die sich neigen –
ey, da spiegelt sich die Welt drin jetzt,
der Himmel hängt voll Geigen…

Beim ersten Mal ist es vielleicht am schönsten,
beim nächsten Mal wird es deshalb am schwersten,
aber jedesmal ist es irgendwann Wonne,
und der Schatten wandert mit der Wolke um die Sonne.

So ne tolle Aufregung nach so ner kleinen Mühe,
so’n winziges Schwungrad, und schon fliegst du in die Höhe,
eine Raupe auf der Haut, schon fängst du an zu träumen,
wer da sagt, ihm wäre langweilig,
der träumt vielleicht Versäumen…
Und was wartet im Busch da, was leuchtet im Dickicht?
Du hast dir das selbst hergewünscht, also erschrick nicht,
da drüben der Schmetterling, der zwischen den Zweigen hängt –
du kannst sehn, was du sehn willst,
und du weißt, wer an dich denkt…

Beim ersten Mal ist es vielleicht am schönsten,
beim nächsten Mal wird es deshalb am schwersten,
aber jedesmal ist es irgendwann Wonne,
und der Schatten wandert mit der Wolke um die Sonne.

1998 © M. Maurenbrecher

WIEDER VERLIEBT

Deine Knie sind so zittrig,
dein Herz, es springt so sehr,
die Augenlider fallen,
die Arme werden schwer.
Kannst unmöglich heut zur Arbeit,
kommst unmöglich aus dem Bett,
du stehst am Anfang einer schweren Krankheit,
die bis an die Knochen geht.
Und du weißt aus langjähriger Erfahrung,
daß es jetzt erst mal kein Mittel gibt –
du hast dich wieder verliebt.

Besser, du meidest ne Weile deine Freunde,
die wolln nur wissen, was gelaufen ist,
besser, du hörst ne Weile nur auf deine Träume,
solang du krank bist, sind die taufrisch.
Besser, du sprichst im Traum nur immer die paar Worte,
und hörst dazu das gleiche Stück Musik –
du hast dich wieder verliebt.

Hey – da drüben steht ihr,
hinter’m Hafen, Lichter um die Bucht.
Sie sagt: Mein Gott, wie hab ich dich denn gefunden?
Du sagst: Naja, ich hab dich auch nicht gesucht…

Und dein Kopf spürt immer noch den Aufprall,
die Bar war eng und es gab wenig Licht,
und jemand schubbste dich, und nur durch Zufall
flog dein Glas Wein in ihr Gesicht.
Doch ihre Antwort war der Anfang deiner Krankheit,
sie sagte Danke dem, der dich grad schiebt“ –
du hast dich wieder verliebt.

1998 © M. Maurenbrecher

DAS ALTE FAHRRAD

Da schiebt ein Mann sein altes Fahrrad
durch den Regen und den Wind,
man sieht dem Mann und seinem Fahrrad
sofort an, daß sie Freunde sind.
Kann sein, der Mann und das alte Fahrrad
wissen gar nicht mehr wohin,
kann auch sein, daß sie schon seit Jahren
nur die gleiche Runde ziehn.
Ich glaub, der Mann hat längst ein Rad ab,
weshalb er sein Fahrrad liebt.
Kann auch sein, daß das alte Fahrrad
diesen Mann eigentlich schiebt.
Kann sein, der Mann und auch sein Fahrrad
waren einmal um die Welt,
oder sie schleppen sich zum Schrottplatz,
weil an beiden nichts mehr hält.
Nein nein, der Mann, sein altes Fahrrad:
Grad noch waren beide neu,
und weil es niemals größren Spaß gab,
deshalb blieben sie sich treu.
Oh ja, der Mann und dieses Fahrrad,
füreinander sind sie jung,
sie üben grad am Nanga Parbat,
nehmen für die Steigung Schwung.
Drum laßt es schnein, die Sonne scheinen
und die Jahreszeiten gehn,
seht ihr den Mann mit seinem Fahrrad,
sollt ihr still beiseite stehn.
Ihr seht den Kampf und seht die Wahrheit,
ja, setzt ruhig noch was drauf –
da schiebt ein Mann sein altes Fahrrad,
und die Hoffnung hört nicht auf.

Ja, ihr seht den Mann und sein altes Fahrrad.

Vielleicht ist das Rücklicht kaputt.
Vielleicht hat das Hinterrad einen Platten.
Oh Mann, ausgerechnet das Hinterrad!
Aber dem alten Mann macht das nichts.
Vielleicht ist es gerade dies platte Hinterrad,
das dem Mann an seinem Fahrrad so gefällt.
Die Polizei hält ihn an. Und will sehn,
ob alles okay ist. Und stellt fest: An diesem
Fahrrad ist gar nichts okay. Aber was
versteht die Polizei schon von Fahrrädern?
Ja, dieser alte Mann hat sein Fahrrad gefunden.
Ist es nicht das, wonach wir alle suchen?
Vielleicht steht an der nächsten Ecke
auch Dein Fahrrad. Schau es dir an, vielleicht
erkennt es dich. Nimm es mit. Aber nur dann,
wenns nicht abgeschlossen ist…

Ihr seht den Kampf und seht die Wahrheit,
ja, setzt ruhig noch was drauf –
da schiebt ein Mann sein altes Fahrrad,
und die Hoffnung hört nicht auf.

1998 © M. Maurenbrecher / Bov Bjerg

DICKES DING

Ein Mann hatte keine Verwandten,
keine Freundin, worin sein Herz sich fing,
daß er Miete zahlen konnte für ein Zimmer mit Klo,
war der seidene Faden, an dem er hing.
Sein Freund war nur ein Tamagotschi,
und den pflegte er, so gut es ging,
und wenn der nach dem Fressen das Signal gab für Verdauung,
dann seufzte er gerührt: Was für’n dickes Ding…“

Jeder Mensch braucht ein dickes Ding,
etwas, woran sein Herz sich hing,
etwas, das noch da ist, wenn der Rest schon nicht mehr wahr ist,
jeder braucht sein dickes Ding.

Eine Frau lebte in sieben Zimmern
mit einem Konto, auf dem der Zins sich fing,
Ablösesumme einer schiefgelaufnen Ehe
mit nem dummen, aber superreichen Finsterling.
Natürlich war sie ziemlich alleine,
nur ein kleiner Mops, der ihr am Bein rumhing,
und manchmal, wenn sie lachen wollte, band sie ein paar Würste
an ne Strippe, und dann rief sie: Pluto, spring!“

Jeder Mensch braucht ein dickes Ding…

Das Glück der beiden stand in den Sternen
morgens um halb sechs in einem Waschsalon,
sie sahen sich und blieben sich nicht ferne,
als Liebende vereint, so zogen sie davon.
Doch die Frau mochte keine Tamagotschis,
während dem Mann der Mops bald auf die Nerven ging –
nach natürlichem Verlauf kams zu einer Frucht der Liebe,
und die Hebamme seufzte: Was für’n süßes dickes
Ding…“

Jeder Mensch braucht ein dickes Ding…

Jetzt verspottet nicht den Jungen auf dem Fahrrad,
er ist so fett, daß es die Luft im Reifen kaum mehr bringt,
der Grund ist ein Problem bei der Verdauung,
und daß er zu oft in der Küche nach den Würsten springt.
Dieser Junge fährt weit weg von seinen Eltern
zur Ruine unten am Kanal,
dort fängt er seinen Lieblingsfrosch, den bläst er auf –
nur ganz vorsichtig, nur knapp bis vor den Knall…

Denn jeder Mensch braucht ein dickes Ding…

1997 © M. Maurenbrecher

DANKE MUTTER!

Wenn ich geheult hab, hatte Krach, und in der Schule lief es ganz beschissen,
ich war allein in einer Welt von Feinden, fand kaum heim – da war es
gut zu wissen,
daß eine wartete und nahm mich in den Arm,
mir wars eigentlich gar nicht recht, ich hielt’s für Kinderkram,
doch wie von selbst legten sich Anspannung und auch des Tages Schutter

es war das Einfachste der Welt, ich dachte: Danke Mutter!

Sie konnte Menschen gut durchschaun, hatte eine scharfe Zunge,
sie sagte: Mir kannst du doch trauen, dies Mädel ist nichts für
dich, Junge.
Die ist verheiratet, beinah 40 schon, und Du, Du wirst doch grad erst
17!“
Ich sagte: Mutter, wenn du dich da einmischt, werd ich morgen früh
noch fortgehn!“
Aber ein weit’res Jahr verging, und ich stand nach wie vor bei
ihr im Futter
und liebte jetzt ein hübsches junges Ding und dachte (wenn ich
überhaupt was dachte): Danke Mutter!

Man sagt, sie war ein heiteres Gemüt, konnte die Menschen gerne
leiden,
das war, was man nach außen sieht, sie konnte sehr gut unterscheiden
zwischen den ganz wenigen und dem großen Rest, zu dem man trotzdem
besser immer freundlich bleibt,
weil die es gar nichts angeht, was man eigentlich denkt und treibt.
Ich fand das früher immer unehrlich, doch neuerdings, wenn wiedermal
ein ganz Kaputter
in irgendeinem Eck mich volllabert, und ich bin sehr weit weg, denk
ich:
Danke, Mutter!

Jetzt ist sie lange tot, Generationen seh ich wandern,
will gerade ein Regal aufbaun, von einer Zimmerwand zur andern,
wie hätte sie das schnell gekonnt, noch fixer fast als meine Lebenspartnerin,
doch heute bau ich mal allein, mich selbst mir zu beweisen steht mein
Sinn,
ich rudre mit den Brettern und dem Aufbauplan verloren wie auf einem
Kutter,
das wird doch nie was, zu den Schrauben fehlt doch was,
da ha‘m die was nicht eingepackt –
Im Kleinen wie im Großen, eines fehlt, es ist die Mutter!

1997 © M. Maurenbrecher

SUFI – BAR

Sie sitzen in Mitte in einem Café
direkt am Fenster, und draußen fällt Schnee.
Drin ist es so wohlig, schön wie verhext.
Die beiden am Fenster ha’m sehr viele Küsse,
ganz wenig Text.
Und die Kellnerin denkt: Na ja, viertel vor Zwölf,
diese zwei wer’n sich bald schon verdrücken…

Und der Wein ist der dritte, und das Bier Nummer
sechs,
die beiden am Fenster ha’m sich so gern, es ist wirklich verhext.
Und immer, wenn er fragt: Gehn wir nachher zu dir?“,
sagt sie: Dein Zimmer ist so scheißkalt wie meins,
blei‘m wir doch noch’n bißchen hier.“
Und die Kellnerin lehrt die Aschbecher aus:
Wenn ihr zahlen wollt, ihr müßt nur nicken…“

Jetzt ist es nach zwei Uhr, und noch ein Nachtschwärmergast
hängt am Tresen und labert, was die Kellnerin haßt.
Und unsre Zwei sind versunken, besser, man schaut gar nicht hin,
sind in der Wärme ertrunken, bleiben ewig da drin.
Und die Kellnerin dreht alle Lichter voll an:
Vier Uhr fünfzehn, jetzt aber raus, keine Zicken…“

Und drei Jahre später ist dieses Paar wieder
da,
sein Mantel aus Leder, ihrer aus Kamelhaar.
Und das Café ist ne Sufi-Bar mit zweihundert Sorten Tee,
und die Kellnerin ist völlig umgestylt, aber draußen fällt
Schnee.
Und der Tisch am Fenster sieht so kümmerlich aus,
sie sehn es mit wehmütigen Blicken…

Du fragst, was dies Lied soll, es hat sogar eine
Moral:
Wem seine Wohnung zu kalt ist, der nimmt ne wärmere, das ist normal.
Doch wenn du jemals ne Kellnerin bist in einem Nachtcafé
und hast ein Liebespaar sitzen, wirf es nicht raus in den Schnee.
Wenn du jemals ne Kellnerin bist, sieh es an mit Entzücken:
Es sind die glücklichsten Leute, die sich bei dir verdrücken,
sind oft die glücklichsten Leute, denen’s zu kalt ist zum
Ficken.

1999 © M. Maurenbrecher

DIE RUNDE

Großvater, Vater, Enkel und Sohn
beim Weihnachtsschnaps, kurz nach Mitternacht schon.
Während auf dem Bildschirm eine Fee verschneit,
träumt sich jeder in seine Zeit.

Julklapp in Pommern“, sagt der Urahn und lacht,
im Schlitten zur Kirche um Mitternacht,
mit den Pferden auf Jagd, über die Brache raus,
so war es gedacht, mit dem Krieg war es aus.“

Flüchtlingskinder“, stöhnt da sein
Sohn,
als einziger in der Klasse zur Kommunion,
was war es mir peinlich – was hab ich gemacht?
Es ohne jede Hilfe zum Industriemeister gebracht!“

Der große Meister, ich weiß, ich weiß“,
spottet die zweitjüngste Stimme im Kreis,
Malocher mit der Fahne im Riesenbetrieb,
man sieht ja die Ruine, die übrigblieb.“

Da ist nicht nur eine“, ruft der Enkel und
grinst,
ist ne Ruinenstadt hier, wenn du mich mal ausnimmst,
sogar du, mein cooler Daddy mit dem Steuerbüro,
für ne Option auf deine Zukunft legst du dir ne line im Klo…“

Hör auf jetzt, Bursche“, sagt der Urahn
mit Gewalt,
dies Lied ist alt wie das Pfeifen im Wald:
Weil die Kraft nicht reicht, der Stolz wird brechen,
landen wir halbfertig mit zerbrochenen Knochen.

Ist der Lauf, mein Söhnchen – vielleicht machst
du’s besser?“
Na ja“, sagt der Junge und spielt mit nem Messer,
ich weiß nur eins: Während ihr redet und raucht,
wartet auf mich jemand, der mich heut nacht noch braucht.“

Großvater, Vater, Enkel und Sohn
beim Abschiedsschnaps, weit nach Mitternacht schon.
Während in das Häuschen grad ein Blitz reinfährt,
prosten die vier – und ha’m den Donner nie gehört.

1992 / 98 © M. Maurenbrecher

KLEINE FORSCHER

Hab ein Huhn an beiden Beinen rumgeschleudert – wollte sehn, ob es trotzdem
noch hochfliegen kann. Mama kam dazu und meinte, mit mir würd’s
wohl heute ne Menge Ärger geben. “Und schau mal, der viele
Schnee” – als wenn ich das nicht schon längst selbst gemerkt
hätte. Papa rief aus der Küche, ich sollte doch Brötchen
holen gehn – und das ist wirklich das letzte, einmal als Brötchenholsklave
zu landen. Warf einen Schneeball nach der Katze vom Nachbarhof. Papa
kam mit dem Brötchengeld angerannt, kriegt mich natürlich
nicht, und deshalb sagt er, dann sollt’ ich doch ne Weile Schneeforscher
spielen. Auf den Feldern hinter dem Supermarkt. Das Geld könnt
ich ruhig einstecken, als Schneeforscher weiß man nie… Ich fand
das keine so schlechte Idee. Das Tor fällt ins Schloß. Keiner
winkt mir nach. Alles eingefroren hier draußen. Auf einmal fror
ich auch. Ich legte noch einen Zahn zu – als Reisender brauchst du nämlich
eine echte Disziplin:

Kleine Forscher im ewigen Eis
wollen etwas finden, was die Welt noch nicht weiß.
Mut ist die Voraussetzung, Einsamkeit der Preis
für kleine Forscher im ewigen Eis.

Hatte natürlich meine Stabtaschenlampe mit.
Und das Bild der kompletten Mannschaft von Bayern München – ohne
das geh ich überhaupt gar nicht mehr raus. Die Stabtaschenlampe
brennt von der Bushaltestelle bis in das Waschbecken vom Friseurladen
rein, die ha’m vielleicht komisch gekuckt… War’n bißchen
traurig, daß Sven und Robin nicht mit dabei sind, allein trau
ich mir keine Mülleimer kippen. Aber doch auch froh, so allein.
Bin überhaupt nicht langsamer geworden, als die Häuser aufhörten.
Mit Sven und Robin hätten wir jetzt Blödsinn gemacht, aber
so wars wirklich unheimlich, richtig Forschungsreisender. Eiskalt pfiff
der Wind. War nur froh, daß die Spaste aus der Sechsten mich nicht
abgefangen haben – die sind echt eklig. Für die ist das, was jetzt
auf mich zukam, einfach nur ein verschneiter Kartoffelacker – na, deren
Sorge…

Kleine Forscher im ewigen Eis
wollen etwas finden, was die Welt noch nicht weiß.
Mut ist die Voraussetzung, Einsamkeit der Preis
für kleine Forscher im ewigen Eis.

Als erstes hab ich ihn voll mit meiner Lampe angestrahlt.
Bin ganz langsam draufzu. Mit Sven und Robin zusammen hätt ich
natürlich gewußt, daß das ein Schneemann ist, mit ner
Banane als Maul, wahrscheinlich hätten wir ihn umgestürzt.
Aber das war kein Schneemann. Das hab ich sofort an seinen Augen erkannt
– von weit weg, ganz heiter. Dann hat er gefragt, wie ich heiße.
Er wär der Yetli, hat er gesagt – so ähnlich haben sie ihn
neulich auch im Tabaluga-Club genannt. Yetli, der Schneemensch. Keiner,
vor dem man Angst haben muß – jedenfalls nicht ich, mit meiner
Forschungsreisenden – Disziplin. Wie er denn hier hergekommen ist, hab
ich gefragt. Er wäre hier eigentlich immer, hat er geantwortet,
nur zu einer anderen Zeit, vor fünftausend Jahren, wo’s andauernd
kalt ist, und ich, ich wär jetzt gerade hier in seiner Zeit angekommen
– nur, weil ich so ein mutiger Forschungsreisender bin. Ich hab mich
umgeschaut, das ganze Dorf war weg. Nur ein paar Vögel, die um
den Schneemenschen rumgeflattert sind. Da hab ich an das Huhn denken
müssen – und ob es vielleicht Vorfahren hat, die über fünftausend
Jahre vorausschauen – da bin ich dann gelaufen…

Naja, wo ich auf meinem Marathonlauf so direkt am
Supermarkt vorbei-komm, hab ich dann doch noch Brötchen geholt.
Mama hatte den Tisch schon gedeckt. Papa saß da und sah sehr zufrieden
aus. “In einem anderen Leben”, sagt er, “war ich wahrscheinlich
auch mal ein Brötchenholsklave.” Ich finde, das ist wirklich
der falsche Ton. “Davon verstehst du nichts”, sag ich knapp
und mach mich an meine Cornflakes. Jetzt sitzt er oben und klimpert
ewig auf seinem Klavier. Versucht ne Idee zu finden für einen seiner
Auftritte. Bildet sich wahrscheinlich ein, das wär alles von ihm
selbst – dabei hab ich dieses Lied gesungen, seit ich überhaupt
Schneeforscher bin… Sinnlos, ihm sowas zu erklären. Vielleicht
bin ich ja einfach fünftausend Jahre älter?

Kleine Forscher im ewigen Eis
wollen etwas finden, was die Welt noch nicht weiß.
Mut ist die Voraussetzung, Einsamkeit der Preis
für kleine Forscher im ewigen Eis.

1999 © M. Maurenbrecher

GEILES TEIL

Der Braten ist gegessen,
deine Torten ha’m gesessen,
der Familienkrach war wieder Spitze,
zum Glück blieb mein Sessel heil.
Ah, die Ehen unsrer Kinder
kommen kaum noch über’n Winter,
es tut gut, mal wieder nur wir beide
ohne Netz und ohne Seil.
Ich weiß, du willst die Gunst der Stunde nutzen
für ein stundenlanges Putzen,
ich träum hier noch’n bißchen,
ich fand die Neue von unserm Hannes auch ziemlich abgedreht,
aber gib zu: Sie fliegt auf ihn wie’n kleiner schneller Pfeil,
und deshalb will ich dich was fragen,
kannst natürlich sofort Nein sagen, nur:
War ich eigentlich für dich irgendwann mal einfach nur’n geiles
Teil?

Na komm, wir ziehn durch die Jahrzehnte,
und unsre Herzen gehn in Rente,
man vergißt so viel –
das Beste nicht, na klar, wir ham’s uns schon gegeben.
Und du, ich glaub, du würds’t mich sowas wohl auch nie fragen,
ich wüßt auch nicht gleich was drauf zu sagen,
denk ja sowieso: Jeden Morgen aufwachen zusammen
ist eigentlich Arbeit genug für’n ganzes Leben…
Trotzdem: Während ich hier so träume,
die Realität versäume –
ich glaub, am schönsten wärs, du sagtest nachher:
Dieser Typ, der war ne Katastrophe, stumpf wie’n stumpfes Beil,
der hat ne Menge ruiniert,
eigentlich nie was kapiert,
aber für’n paar Monate, für’n paar Wochen,
na sagen wir mal für’n paar Viertelstunden in der ganzen Zeit

da war der einfach nur nichts weiter als ein richtig geiles Teil!

Was? Ich hab gar nichts gesagt. Ich red hier nur
mit mir selbst…
Ja, ich komme. Du wischst, ich sauge. Wie immer.
Einen Dreck hinterlassen die aber auch jedesmal, diese Kinder.

1998 © M. Maurenbrecher

DAS

Das,
was sie ihm grad verspricht,
sie sagt es ihm ganz schlicht,
er hört es und er glaubt es nicht,
doch sie
lacht ihm ins Gesicht,
und als ihr Blick dann bricht,
denkt er: Tränen lügen nicht.
Die Bar
wo eben Nacht noch war,
schwankt wie ein faules Boot
hinein ins Morgenrot,
und das,
was sie ihm da verspricht,
ist heller als das Licht
auf ihrem weichen Haar.

Und ich,
ich seh die beiden gehn,
bleib weiter hinten stehn,
dieser Tag wird leicht und schön.
Doch nicht,
was sonst so oft geschieht,
steht in diesem Lied,
nur ‘Auf Wiedersehn’.

1999 © M. Maurenbrecher

IRGENDWO-ZUG

Fährt ein Zug nach irgendwo,
die Leute drin sind nicht sehr froh,
Gepäck im Gang, verstopft das Klo,
Verspätung hat er sowieso.

Draußen auf ’ner Brücke schaut ein
Penner auf die Gleise
und denkt: Das wär ein Glück, mit diesem Zug auf eine Reise.
Drinnen eine Dame sieht ihn winken, winkt zurück
und denkt: Jetzt auf der Brücke stehn, das wär mein größtes
Glück.

Fährt ein Zug nach irgendwo,
Geschäftsmann fragt: “Gibts hier‘n Extraklo?”
Der Schaffner nickt: “Für Trinkgeld sowieso”
Geschäftsmann lacht: “Dann wer‘n wir beide froh.”

Halt auf freier Strecke, im Gebüsch ein Liebespaar,
alle, die ihm zusehen können, finden’s wunderbar.
Nur die beiden Liebenden ha‘m jetzt schnell genug,
man sieht’s an ihren Augen, sie woll‘n mit in diesem Zug.

Ist wohl die Sehnsucht nach dem ganz ganz anderen

wo der Himmel immer blau ist, die Pflaumen immer schon reif –
wo alles so richtig unerträglich toll ist –
und das Ziel braucht den Weg, um zu werden…

Draußen sieht ein Kind den langen Zug in seinem
Traum,
die Fahrt quer durch den Berg und auf dem Gleis den schweren Baum,
drinnen denkt der Lokführer: ‘Jetzt hau ich nochmal rein,
jetzt kommt der lange Tunnel, und ich werd schon pünktlich sein.’

Fährt ein Zug nach irgendwo,
Geschäftsmann schreit: “Wieso vibriert’s hier so?”
Die alte Dame fragt: “Aber wo sind wir, wo?”
Der Schaffner schwankt, doch lächelt froh:
“An dieser Schwelle, Herrschaften, ist das eigentlich immer so,
wir ha‘m die Verspätung aufgeholt, den Fahrplan eingehalten,
und jetzt sind wir schon am Ziel.
Dieser Zug endet hier im Irgendwo.”

1999 © M. Maurenbrecher / Bov Bjerg / Horst Evers

JUNGE MÜTTER

Junge Mütter auf U-Bahn – Treppen,
wer hält den Buggy, wer hilft schleppen?
Junge Mütter sind leider manchmal allein.

Junge Mütter an der Supermarktkasse,
Kind klemmt im Laufband, der Kassierer wischt die Scheiße –
für junge Mütter ist die Welt leider manchmal gemein.

Junge Mütter träumen von vorher,
als sie Töchter war’n und so wie der Rest,
doch wenn’s eng wird, schrein sie wie die eig’nen Mütter:
“Halt dich an meinem Rucksack fest!”

Und sie betrinken sich gerne auf Feten,
ist ein Babysitter da, sie dürften sich verspäten,
aber immer, wenns am schönsten ist, hör‘n sie‘s
im Kopf leise schrein.

Junge Mütter kauen nachts auf einem Schnuller,
wenn der Freund sie vor dem Wickeln verläßt,
und ihr Traum hat tausend Freunde und wird toller,
und alle halten sich an ihrem Rucksack fest…

Junge Mütter morgens um halb sieben,
Milch kocht über, eine Stunde ist geblieben
zum Verliebtsein mit dem Kind, und die Welt wird ein Fest.

Junge Mütter bei Sonne und Gewitter,
braungebrannt, schlafwandelnde Ritter,
nur ein Kindergartenstreik, der gibt ihnen den Rest.

Ja, ich hab gedacht, wir könnten heut mal
einen Ausflug machen,
ihr zwei und ich, Schlittenfahren oder so… Dacht ich mir,
daß dich das freut. Okay, ich nehm den Schlitten
und den Buggy, ist doch klar – du sollst dich nur ausruhn –
und die Pampers, na meinetwegen – und den
Teddybären auch noch, gib schon her.. Mann,
ganz schön viel Kram, schleppst du immer so viel mit
dir rum? Hör mal, die Kleine, schreit die weiter so?
Du, ich rutsch dauernd aus, entschuldige, mit dem ganzen
Zeug auf mir drauf hab ich überhaupt kein Gleichgewicht.
Ich glaub – du hast doch da was -, ich glaub, ich halt mich
besser mal an deinem Rucksack fest, ist das okay..?

Junge Mütter träumen von vorher,
als sie Töchter war’n und so wie der Rest,
doch wenn’s eng wird, schrein sie wie die eignen Mütter:
“Halt dich an meinem Rucksack fest!”

1997 © M. Maurenbrecher

DER BIKER

Ich war in Idaho,
ich war in Itzehoe,
war im New Yorker Zoo
und auch in Gütersloh,
mich macht die Welt so froh.

Denn was mich durch‘s Leben trieb,
ist eigentlich nur ein Prinzip:

Erst packen, dann schicken,
erst kacken, dann ficken.

War mit der Brit im Stroh,
mit Jane im Herrenklo,
ich mags gern stereo,
doch nur auf mei‘m Niveau –
das heißt strikt hetero.

So daß mir Karin neulich schrieb:
Ich hab dich unwahrscheinlich lieb,
aber am meisten dein Prinzip:

Erst packen, dann schicken,
erst kacken, dann ficken,
bin halt so,
macht mich froh.

Und weil der Mensch ein Paket ist,
muß er gut verschnürt sein, bitte sehr,
es wickelt der Mensch sich nicht selber ein,
da muß ein Absender her.

Ich bin kein Mensch für eine Nacht,
mir reichen schon zwei Stunden,
ha‘m wir‘s erst hinter uns gebracht,
bin ich doch gleich verschwunden.

Erst packen, dann schicken.
Erst Jacken, dann Flicken.
Erst hacken, nachher picken.
Erst kacken, dann ficken.
Leben schön,
wiedersehen
und Tschüß.

1995 © M. Maurenbrecher / A. Ballert

FÜR IMMER WEIHNACHTEN

Es war keinen Tag zu früh,
ich hab geglaubt, das klappt doch nie,
wir ha‘m uns immer nur umschwärmt,
an andern Feuern uns gewärmt,
wir war’n zu scheu, um zu gestehn,
daß wir im Traum zusammen gehn –
soviel Glück wird nie geschehn
war, was wir beide dachten.
An jenem Tag war’s bitterkalt,
ein weißer Bart machte mich alt,
ich lief Reklame durch die Stadt
für einen Typ, der Kohle hat,
an meinem roten Mantel zerrten ein paar Jungs,
ich rannte weg und landete mit Schwung
direkt beim Werbeengel von der Konkurrenz,
und das warst du…

Und dann war Weihnachten,
Weihnachten,
wo wir all die schönen Dinge einmal wirklich machten,
an die wir sonst nur immer heimlich dachten.
Weihnachten –
wo wir blau machten,
blauer Himmel riesengroß,
und wir flogen darin los.

Und das kam keinen Tag zu spät,
es heißt: Man erntet, was man sät,
wir sahen hinunter auf die Menschenkolonie,
und unser Herz war voller Sympathie.
Ich weiß nicht, sagtest du es oder ich:
Zurück woll’n wir noch nicht.
Wir ha’m ein Zeitloch entdeckt,
wir bleiben ’ne Weile weg“ –
wie wir da beide lachten…

An unserm Weihnachten,
Weihnachten,
wo wir all die kleinen Dinge einmal wirklich machten,
an die wir sonst nur immer heimlich dachten.

Der große Laster bremste viel zu spät,
ich hielt dich fest, du zogst mich mit,
und seine Räder rollten riesengroß,
was jetzt passiert, das geht nach vorne los –
wir wollten eigentlich nur in eine Pizzeria
und fanden uns dann ganz woanders wieder,
doch auch hier oben singt man solche Lieder –
das ist das einzige, was wir vorher anders dachten:

Für immer Weihnachten,
Weihnachten.
Für immer Weihnachten…

1998 © M. Maurenbrecher

DU LIESST MICH IN DER TÜR STEHN, HEULEND

Ich treib mich durch den Sommer nachts,
Musik von sonstwo her.
Gestern lief alles so elend schnell,
heute geht alles so schwer.
Wohin ich mich auch wend,
ich hab nichts mehr, das brennt.
Tauchtest du auf hier – ich wüßt nicht: küß ich
dich oder kill dich,
ich glaub, dich kümmert das auch kein Stück.
Du ließt mich in der Tür stehn, heulend,
wie soll ich dahinter zurück?

Hier, wo ich bin, ist ein ganz trübes Licht,
macht mich im Kopf leer und tot,
und alle lachen, nur ich lach nicht,
die Sterne: wie Kirschen rot.
Ich klimper hier ein bißchen rum,
hab meinen Ausgehschal um.
Das Gespenst unsrer Liebe ist immer noch da,
glaub nicht, daß es mich so bald verschont.
Du ließt mich in der Tür stehn, heulend
unter dem hohen Mond.

Wenn sie mich kriegen, irgendwann wird das sein,
nicht heute nacht und nicht hier.
Ich könnt einiges dazu sagen, doch es fällt mir nicht ein,
Gottes Gnade kommt auch mal zu mir.
Fahr durch die Nacht dahin,
Eiswasser fließt in mir drin.
Ich wär ja verrückt, nähm ich dich zurück,
das wär gegen jede Regel des Spiels.
Du ließt mich in der Tür stehn, heulend,
leidend wie ein Tier.

Wenn der letzte Rest Tageslicht langsam verlöscht,
Freundchen, gehst du in die Knie.
Ich hör ein paar Glocken drüben vom Kirchhof
und frag mich, für wen läuten die.
Gewinnen ist nicht drin,
nur mein Herz kriegts nicht hin.
Gestern nacht tanzte ich mit einer Fremden,
und ich wußte nur: Du bist das nicht.
Du ließt mich in der Tür stehn, heulend,
und der Blues flog mir ins Gesicht.

Hab ich Hunger, dann ess ich, und ich trinke bei
Durst,
hab mir unterwegs nie was geborgt.
Und selbst, wenn mir das Fleisch fällt aus meinem Gesicht,
weiß ich, da ist jemand, der sich sorgt.
Soviel bedeutet das mir,
das kleinste Zeichen von dir…
Ich seh dies ewige Erklären geht nach nirgendwo hin,
hätt dich vielleicht gern noch was gefragt.
Du ließt mich in der Tür stehn, heulend,
alles ist gesagt.

1997 © Bob Dylan / deutsche Fassung 1998 M. Maurenbrecher / Bov
Bjerg

WAS KOMMT

Egal, was kommt,
ich hab‘n paar Leute geliebt
und hab die Sonne paarmal auf – und abgehen sehn.
Egal, was kommt,
ich sah mich paarmal klein und glücklich
unter wunderbaren Sternen stehn.
Manchmal hab ich was verschwiegen,
manches ließ ich feige liegen
und weiß: Nichts kommt,
so wie es war, ein zweites Mal.
Ich fahr heut noch in die Nacht raus,
es tut so gut außer Haus,
weiß nicht, wo‘s hingeht,
doch ich komm, ich komme an auf jeden Fall.

Egal, was kommt,
ich denk an dich und dich und dich,
ein paar von uns hier unten,
ein paar schon in dem irren Licht.
Ich war oft gern mit mir alleine,
Langeweile kannt‘ ich keine –
wer drin ist in dem Spiel,
der spinnt sich ein und fliegt dann seinen langen Fall.
Ich fahr heut noch in die Nacht raus,
es tut so gut außer Haus,
weiß nicht, wo‘s hingeht,
doch ich komm, ich komm zurück, ich komme an
und komm zurück
für‘s nächste Mal.

Egal, was kommt,
ich hab die Schubladen geleert
und ein paar Zettel weggesteckt,
und es ist völlig unwichtig,
wer wann warum und was von irgendwem entdeckt.
Wir sind ’ne Zeitlang hier,
und was wir greifen, schreit nach mehr,
aber das Ungegriffene, das schleudert uns wie einen Ball.
Ich fahr heut noch in die Nacht raus,
es tut so gut außer Haus,
weiß nicht, wo‘s hingeht,
doch ich komm, ich komme an, komm näher ran mit jedem Fall,
ich komme an auf jeden Fall.
Egal, was kommt!

1999 © M. Maurenbrecher

Bestellt und nicht abgeholt

Wir wollten immer ein anderes Leben,
und unsre Hoffnung war übergroß,
wir standen im Alltag oft fremd daneben
und dachten: Das Wirkliche geht erst los.

Wir glaubten nicht mehr an Revolutionen
und an das mega-private Glück.
Wer bestimmte Enttäuschungen einmal gemacht hat,
der will nie mehr nach dort unten zurück.

Wir war’n auch nicht mehr einfach nur Menschen,
obwohl auch wir natürlich nur Menschen sind.
Für die Tatsache, daß in uns drin etwas Höheres keimt,

für diese Tatsache war’n wir nicht blind.

Mancher von uns nannte es gern das Absolute,
mancher andere sagte auch: das Paradies –
wir konnten stundenlang darüber reden miteinander,
wie schön hell und warm es dort ist.

Und wir lasen die alten Propheten,
denn sie sprachen zu uns direkt.
So haben wir auf unserm Weg aus der Fremde
auch das Datum des Abschieds entdeckt.

Wenn der Mond wiedermal vor die Sonne
und der Sturm wieder auf Reisen geht,
und ein Schatten jagt über die Erde von Pol zu Pol,
dann ist es Zeit für das letzte Gebet.

Kurz gesagt: Wir haben fest daran geglaubt, uns würde am 11.8.99
ein Raumschiff abholen. Im letzten Jahr des Jahrtausends. Während
der Sonnenfinsternis. Ein Raumschiff, das uns auserwählt hatte
für die bessere Welt. Das ist nicht ganz so komisch, wie es klingt.
Wir waren sehr gut vorbereitet. Und sehr viele Menschen, vielleicht
sogar die meisten, haben schließlich an jenem Tag erwartet, daß
etwas Wildes geschehen würde. Etwas ganz Unerwartetes. Auf das
alle warteten. Wie konnte es da noch geschehen?
Wir jedenfalls standen auf unserm Dach und wollten wirklich erlöst
sein. Wir sahen sogar schon das Raumschiff. Der Mond trat vor die Sonne.
Das Lied der Vögel verstummte. Wir hoben unsre Arme – aber die
Stimme, die wir dann hörten, die war so deutlich, und was sie uns
sagte, das war so klar – es hat alles nochmal verändert:

“Wie bestellt und nicht abgeholt.
Wie mit Liebe gezeugt und dann doch nicht gewollt.
Wie ein ganz leises Wort im sehr lauten Wind.
Warum wollt ihr denn fort – wo wollt ihr glücklich hin?”

Wir war’n im ersten Moment ziemlich erschrocken
und fühlten uns eigentlich auch gelinkt
von dieser Stimme, die uns ganz trocken mitteilte,
daß wir besser da bleiben sollten, wo wir grad waren, und daß
wir auf keinen Fall –
ich wiederhole: auf keinen Fall – auserwählt sind.

Aber später kam eine tiefere Einsicht
in Gottes listigen Plan:
“Seid ihr nicht glücklich?”, hatte die Stimme aus dem
Raumschiff vermutet –
und genau darauf kam es doch an.

Okay! An das Raumschiff muß von euch keiner glauben. Das ist
keine Voraussetzung für den Kurs, den wir heute hier abhalten.
Unser Trainingswochenende ist überhaupt ganz voraussetzungslos.
Es soll euch nichts weiter zeigen als die schlichte Tatsache, daß
wir längst im Paradies leben – wenn wir es nur so sehen wollen.
Du und Du und Du und Du. Auf jeden Einzelnen kommt es an. Und auf die
vielen Millionen mit uns, die an dem gleichen Kurs teilnehmen und heute
nacht darauf warten, dass etwas Unerwartetes geschieht. Dass die Computer
stehenbleiben. Daß die Währungen fallen. Dass ein Sturm losbricht.
Sagt euch immer:
Wir sind glücklich, wir sind glücklich hier, wir sind jetzt
glücklich. Später werdet ihr zugeben müssen: Es hat gestimmt.
An der Schwelle zum neuen Jahrtausend – am Anfang von dem Geheimnis,
am Anfang von dem Spiel ‘Stille Post’ – bei dem ihr das Wort sein werdet,
das jetzt geflüstert wird und das sich unterwegs ändert…</P class=”basistext”>

“Wie bestellt und nicht abgeholt.
Wie mit Liebe gezeugt und dann doch nicht gewollt.
Wie ein ganz leises Wort im sehr lauten Wind.
Warum wollt ihr denn fort – wo wollt ihr glücklich hin?”

© Maurenbrecher 1999

BÄCKERBLUME

MM:
Sie vom Schlaf noch schwach,
er gerad noch wach,
so sah’n sie sich jeden Morgen
an dem Kuchenbord,
sie verkaufte dort,
er kam Brötchen besorgen.
In dem tiefen Blick,
den er rüberschickt
und sagt: “Das gleiche wie immer”,
lag ein großes Glück,
und sie gab’s zurück,
auf ihren Augen ein Schimmer.

Alle:
Liebe ist so schön,
will ein Wiedersehn
und glaubt dann, sie wird nichts versäumen.
Doch das Leben ist kurz,
und die Hälfte geht rum mit dem Träumen.

Bov:
Er nahm immer eins von diesen kleinen, feingeschroteten Ökobrötchen,
die normalerweise gegen acht schon verkauft sind.

Horst:
Aber so spät kam er eigentlich nie, und wenn doch, dann hatte sie
ihm natürlich eins zurückgelegt.

Bov:
Er zahlte immer mit abgezähltem Kleingeld, und jedesmal mußte
sie darüber lächeln. Fr beobachtete genau, wie sie mit ihren
flinken Fingern das Brötchen vorsichtig in die Tüte schob

Horst:
… und sie sah ihm aufmerksam zu, wie er die Tüte dann umständlich
in seiner weiten Jacke verstaute. Sie hatten sich nie unterhalten, irgendwann
ist ein Punkt überschritten, und wenn man’s dann doch noch wagt,
dann ist es beinah obszön …

Bov:
… viel zu grob. Sie schauten sich einfach an, lange, während
die anderen Kunden schon husteten. Manchmal sagte er sogar: “Schönen
Tag noch”, oder sie: “Bis morgen”…

Horst:
… und dann wurden sie beide ganz rot.

Alle:
Liebe ist so schön,
will ein Wiedersehn
und glaubt dann, sie wird nichts versäumen.
Doch das Leben ist kurz,
und die Hälfte geht rum mit dem Träumen.

Horst:
Sie dachten eigentlich auch gar nicht viel aneinander. Machmal spürte
sie ihr Herz rasen, wenn sie spät am Mittag noch einer Hausfrau
ein übriggebliebenes Ökobrötchen einpackte – dann stellte
sie sich vor, wie er mit seinen blitzenden Zähnen dort reinbiß,
ihr Reisender aus der Nacht, der immer so elegant wirkte in ihrem Laden,
so wie mit durchlebten Abenteuern gesättigt…

Bov:
Und er, wenn er sein Brötchen zu Haus in den Milchkaffee tunkte,
manchmal allein, manchmal mit einer Begleiterin, die dann natürlich
vor der Bäckerei hatte warten müssen, er dachte dann wohl
schon mal, dies sei jetzt ihre Wange, in die er grad zärtlich biß
– die Wange des flinken süßen Lebens dort draußen…

MM:
Sie vom Schlaf noch schwach,
er gerad noch wach,
so sah’n sie sich seit zwei Jahren,
wenn er jetzt denkt dran,
ja, dann seufzt er bang
und murmelt: “Wie glücklich wir waren…”

Bov:
Denn gestern früh stand plötzlich eine andere Verkäuferin
am Kuchenbord!

Horst:
Es war ihm eigentlich erst aufgefallen, als er schon gesagt hatte: “Das
gleiche wie immer.

Bov:
“Ja, aber wo ist denn ihre Kollegin”, hatte er da entsetzt
gerufen, und sein schöner verliebter Blick lief auf Eis.

Horst:
“Woher soll ich das wissen?”, hatte die Neue geknurrt, “hat
wohl gekündigt oder so….

Bov:
“Ja, aber haben Sie nicht zufällig ihre Adresse, oder vielleicht
irgendeine Idee, wo sie jetzt…”

Horst:
“Also, lieber Herr, woll’n Sie den Tag hier durchpalavern, ich
hab nämlich auch noch ‘n paar andere Kunden…”

Bov:
Da hat er zum ersten Mal im Leben eine Salzbrezel gekauft, die wird
jetzt langsam hart auf seinem Küchentisch.

Horst:
Er irrt haltlos durch die Straßen, hat fast die Hälfte der
Bäckereien in zwei Bezirken schon abgeklappert, es ist alles so
leer, so sinnlos…

Alle:
Liebe ist nicht schön
ohne Wiedersehn,
denn die Liebe, sie denkt nicht in Jahren.
Ach, wo ist sie hin,
ist ihr was geschehn?
Er wird es vielleicht nie erfahren.

MM:
Und wir auch nicht!

Alle:
La la la la la,
la la la la la,
da glaubst du, du wirst nichts versäumen,
doch das Leben ist kurz,
und das meiste geht rum mit dem Träumen.

© Januar 98, für ‘Mittwochsfazit’

PUPPEN AN STRIPPEN

Puppen an Strippen,
freundlich lächelnd
an der Wand.
Das Kind ist zu groß,
es nimmt sie nicht mehr
in die Hand.
Puppen an Strippen –
andres Spielzeug
geht längst vor,
und jede Nacht
fleht im Kinderzimmer ein Chor:

//Gib uns n Tip,
wo uns nicht so langweilig ist.
Gib uns Gefahr, wir sind da,
nur daß du uns nicht siehst.
Solln wir denn jeden Tag nur zuschaun,
wie die Sieger jubeln und die Feinde fliehn?
Wir sind Puppen an Strippen,
wir woll’n toben und flippen,
du müßtest nur mal wieder an uns ziehn! //

© Februar 98, für ‘Auf dem Weg zu den Spielen’ mit Richard Wester

ICH KOMME/ICH WARTE (2te Fassung)

M: Der ICE ist menschenleer,
fährt in die Dämmerung rein,
er hält ganz kurz in Bielefeld,
eine junge Frau steigt ein.
Setzt sich an einen Vierertisch,
sieht nach Verreisen aus,
sie zieht sich ihren Lidstrich nach
und holt das Handy raus.

B: “Hier ist Leda. Ich wollt dir nur sagen,
es wird heut später. Ich sitze noch im Büro und komm hier
erstmal nicht weg. Kann jetzt auch nicht drüber reden. Vergiß
nicht, den Kindern was zu essen zu machen. Und tschüß.”

M: In den Hügeln hinter Osnabrück
verglüht das Abendrot,
der Kellner kommt mit Wurst vorbei
und Wein und weichem Brot.
Sie nimmt grad ihren ersten Schluck,
als das Handy schellt,
und wie sie da zusammenzuckt,
als käm ein Blitz in ihre Welt…

B: “Du bists. Ich hab schon die ganze Zeit
mit deinem Anruf gerechnet. Ja, das hab ich auch fest vor. Nein nein,
ich bin noch – zuhaus… kann jetzt nicht so reden, verstehst du …
Du, ich will dich doch auch sehen, vielleicht fahr ich nachher sogar
noch los … Ich ruf dich nochmal an, muß jetzt Schluß machen,
tschau …”

M: Aus den Bergen bricht die Nacht herein
an der Porta Westfalica,
die junge Frau formt leise Worte,
und ein Echo ist auch da –

B: Ich komme.
M: Ich warte. (2tes Mal zusammen)

H: “Soo, entschuldigen Sie mal bitte: Im Auftrag
der Bundesbahn führen wir hier eine kleine Fahrgastbefragung durch.
Wir würden gerne von Ihnen wissen: Nutzen Sie diese Strecke eher
beruflich oder privat -ah ja, Mondscheintarif, na dann ist ja schon
einiges klar – und eine letzte Frage: was sind Anlaß und Ziel
ihrer Reise!?”

M: Kurz vor dem Hauptbahnhof Hannover,
etwa auf der Höhe Wunstorf,
greift die junge Frau nochmal zum Hörer
und legt ihr schönstes Lächeln auf:

B: “Ich wollt dir nur sagen, es wird heut nichts
mehr. Wir kriegen Besuch, und den Kindern geht es auch nicht so. Ja,
mein Schatz. Nächstes Wochenende vielleicht, ich ruf dich an. Ich
werde den Kopf an die Scheibe lehnen, die Landschaft vorbeifliegen sehn
und von dir träumen. Wieso Landschaft, wieso fliegen? Weiß
ich auch nicht, wieso ich das grade gesagt hab, fiel mir nur eben so
ein … du inspirierst mich vielleicht zu sowas. Und vergiß nicht:

B:&M: Ich komme.
Ich warte.

H: “Ja, natürlich kriegen Sie in Hannover
Anschluß in Richtung Ruhrgebiet. Der Zug steht auf dem Gleis gegenüber.
Sie müssen sich aber beeilen, der fährt in drei Minuten. Und
warten tut der nicht! Aber warum eigentlich – aus der Richtung kommen
Sie doch gerade!?” Unsre Umfrage geht weiter, doch eins ergibt
sich schon, die richtig großen Reisen spiel’n sich wohl ab am
Telefon…

B: “Hier ist Leda nochmal. Jetzt hab ichs fast
geschafft. Noch ein Exposé eintüten, dann mach ich das Büro
für heute dicht. Schlafen die Kinder schon? Du, ich hab heut eine
wunderbare Reise – nein, ich meine eine wunderbare Formulierung gefunden.
Les ich dir nachher mal vor. Schmierst du mir ‘n paar Brote? Bis gleich
dann…”

Alle: Auf dieser Fahrt konnten wir lernen,
was man sonst erst spät kapiert,
die Liebe bleibt vielleicht am schönsten,
wenn man nur telefoniert…

B&M: Ich komme.
Ich warte.

H (dazwischen): “Nächster Halt Bielefeld.
Sie haben Anschluß in Richtung Detmold, Lemgo, Paderborn und Soest.
Bitte beachten Sie auch unsern Gepäckträgerservice… (usw.)

B&M (am Ende dazwischen): Vielleicht nächste
Woche – also Freitag hab ich schon was vor usw.

© Frühjahr 98 – für ‘Mittwochsfazit’

RAMONA

Die Mitsänger flüstern (kann allmählich lauter werden)
nach jeder Zeile:
Schön, schön ist die Welt.

MM:
Liebe Ramona,
wir sind im Haus die Mitbewohner,
und wir seh dich manchmal durch das Fenster zum Hof.
Wir müssen dir jetzt was erklären,
denn mehr als sehn könn wir dich hören,
und wir finden Modern Talking leider ziemlich doof.

Ich mein, wir könn’ verstehn, daß nachts
um fünfe
des Thomas Anders glockenzarte Stimme
deine Träume etwas aufpeppt, ist doch schön.
Wir sehn dich dann sogar manchmal durchs Fenster
im süßen Negligé, wie ein Gespenst ver
zehrst du dich. Wir finden: Da muß was geschehn!

Liebe Ramona,
was wir jetzt sagen, klingt vielleicht wie Hohn, aber
wir ham connections, und wir wolln für dich was tun.
Wir werden alle deine CDs jetzt gleich holen,
wir schicken sie zu unserm Kumpel Dieter Bohlen,
und der signiert sie dir, und du kannst ruhn!

Sei nicht stur und sei nicht böse,
es ist ja nur das Schloß von deiner Tür, das ich grad löse,

schieb bitte keinen weitren Riegel vor,
noch einmal Midnight Lady im ganz großen Chor!
Und dannn kommt’s nie mehr nie mehr nie mehr vor,

Alle:
… und schön, schön, schön ist die Welt.

© Juni 98, für ‘Mittwochsfazit’

LIED ZUM ENDE des 30jährigen KRIEGES

Fünf Herren haben gewürfelt,
wer wird Sieger sein –
vier liegen tot am Boden,
der Sieger feiert allein.
Schon kommen vier neue Herren:
Wie wärs? Wagt ein Würfelspiel!
Ach, unsre Erde ist voll von dem Blut,
doch zeigt sie uns, was sie will.
Atmet den Duft dieser Nacht ein:
die Friedensglocke, sie klingt,
gebt Schlachten und Droh’n mit der Macht drein
für das, was jetzt keimt und springt.
Wo gestern noch alles gebrannt hat,
wird ein Getreide blühn,
nicht Blut, sondern Brot für die Kinder,
die weg in die Zukunft ziehn.
Brot und ein quellfrisches Wasser
für die wenigen, die es erleben,
betet, daß Mörder und Hasser
mitwollen und sich ergeben.
Atmet den Duft dieser Nacht ein:
die Friedensglocke, sie klingt –
macht, daß es Dauer und Demut sind,
was sie uns allen bringt!

© Juli 98, für die ‘Rheinfels-Saga’, St. Goar

DIE MENSCHLICHE SEITE

Gerhard Schröder ist müde.
Der Bodyguard muß pinkeln, und der Parkplatz auf der Autobahn
ist leer.
Kein Volk zum Winken.
Die Stille und die Sterne, vom Kassettendeck ein Lied, und der Chauffeur
summt leise mit: ‘Verdamp lang her’…
Der Sieg liegt in der Luft, das ist die Macht, die ruft,
und Gerhard Schröder ahnt: sie meint nur ihn allein.
Aber da fehlt noch was, ein Übermut, ein Spaß –
wie würde Kohl jetzt empfinden? Komm Gerd, ganz locker sein …

Auch Theo Waigel ist müde.
Er sitzt im Abschminkraum von 3Sat, neben ihm Jürgen Trittin.
Sie nerven sich zum dritten Mal in dieser Woche,
Jürgen fragt: “Ey Theo, fahr’n Sie nach der Wahl nach Lodz,
oder wo woll’n Sie eig’ntlich hin?”
Wie lebt man ohne Macht? Man wird nur ausgelacht,
wie von dieser furchtbaren Frau Rosh vorhin, die gesagt hat: “Es
geht auch ohne Sie und Ihren Kanzler – Herr Waigel, Sie wer’ns sehn
…”
Die Maskenbildnerin langt ziemlich zärtlich hin,
und Theo stichelt: “Jürgen, sei’n Sie ehrlich, manchmal könn’
Sie Clinton schon verstehn …”

Doch am traurigsten in dieser Nacht ist Claudia
Nolte,
weil sie als Kind schon immer nur Hubschrauber fliegen wollte.
Jetzt reicht der altgediente Pilot ihr freundlich seinen Schal,
und beide wissen: Diesmal wohl zum allerletzten Mal.

“Ach, Lothar Bisky, ge’m Se mir noch mal den
Whiskey” –
“Wenn Se den suchen, Frau Hildebrandt, den ha’m Se selber in der
Hand”

Ja, eine merkwürdige Nacht, zwei Tage vor der
Bundestagswahl 98. Das junge, in einen Schafsfellmantel gekleidete Wesen,
das plötzlich aus dem Gebüsch trat auf einem abgelegenen Parkplatz
im Hunsrück, mußte sich eigentlich nur im Scheinwerferkegel
der schweren Limousine anmutig postieren. Der Kanzlerkandidat der SPD
stierte es an, dann war ihm so heimatlich zumute. Er nestelte an seiner
Kleidung und vollzog ein paar unauffällige, eindeutige Handbewegungen.
Nur er, für sich allein. Wie denn auch sonst? Das wars gewesen.
Was für ein Feeling! Jetzt war er sowas von locker! Der Chauffeur
ließ die Bap-Kassette weiterlaufen und machte unauffällig
ein paar Fotos. Die sind nie veröffentlicht worden und haben die
Wahl auch nicht mehr beeinflußt. Aber zur allgemeinen Überraschung
wurde das Holocaust-Mahnmal dann doch noch gebaut. Der frischgebackene
Kanzler Schröder hat sich sofort persönlich und vehement dafür
eingesetzt.

Doch am glücklichsten in dieser Nacht wurde
Claudia Nolte,
denn sie hat endlich was gemacht, was ihr der Chef nie erlauben wollte.
Sie gab dem altgedienten Piloten einen langen dicken Kuß.
Der murmelte: ‘Wie Margot damals, wenn Erich nicht dabei war, hab ich’s
doch gewußt’.
Und später hat er dann gefragt: “Frau Ministerin, war es so
recht?”
“Oh ja”, hat Claudia geseufzt, “oh ja – es war nicht
alles schlecht…”

© September 98

WAS MACHT LOLA

Cool, daß du mal vorbeischaust. Wußte
gar nicht, daß du in der Stadt bist. Schau dich nicht so gründlich
um – weißte, Wohnungen sind hier längst nicht so wichtig
wie bei euch zuhaus, sind eher sowas wie Sprungbretter – ins Unbekannte…
Ist ein Kontinent für sich, sone Stadt.
Klar hab ich Leute kennengelernt, jede Menge! Bin doch schon Monate
hier … Die vielen Flaschen, ja – von der letzten Fete … Hab auch
schon connections. Du, der Ausblick wirkt nur so ungemütlich: Schau
mal, die Mauer is von ‘nem alten Kühlhaus, irre romantisch eigentlich,
man muß sich nur etwas reinleben. Und tagsüber Licht brennen
lassen, das auch.
– Der ist seltsam, der Typ, haste den auch gleich getroffen, das ist
unser Hausmeister, wohnt direkt unter mir. Nachts ist ein Kommen und
Gehn bei dem – leben und leben lassen – das ist das Coole an so ‘ner
Großstadt. Völlig abgefahren. Jetzt erzähl aber du mal:
wie läufts bei euch drüben, die Clique und alles…

Was macht Lola,
und wie gehts Karl-Heinz?
Steht im Clubhaus immer noch dies bunte Weinglas?
Das war immer meins.
Und sag mal, uns’re alte Penne,
hat die wirklich Pleite gemacht,
ich habs gelesen und gedacht, ich spinne.
Ich hab mich totgelacht.

Da willst du hin mit mir? Ach, was in den Stadtzeitungen
steht, ist doch alles Tourischeiß. Es sind die verborgenen Winkel
hier, wo ‘s richtig abgeht. Tresor – viel zu weit weg, außerdem
gar nicht einfach, da reinzukommen. Muß ich ja auch nicht. Neulich
der Zigarettenmann an der Ecke, als ich Geld wechseln wollte, da sagt
der: “Fünf ist drin, eins im Sinn” – ist das abgefahren!?
Das ist doch völlig abgefahren – so sind die drauf hier. In fünf
Wochen bringt die Berliner Zeitung vielleicht ‘n Artikel von mir – ist
das nicht cool? Hat gerade geklingelt, was? Komm, mach nicht auf – nee,
das sind keine Freunde, das ist der Alte von unten, ich weiß genau,
was der will. Könnte anstrengend werden. Ich geh kaum mehr raus,
weißte – muß mich aufs Wesentliche konzentrieren, diese
wahnsinnigen Reize erstmal alle verarbeiten – aber jetzt erzähl
mal, erzähl doch mal endlich von euch:

Was macht Lola,
und wie gehts Karl-Heinz?
Steht im Clubhaus immer noch dies bunte Weinglas?
Das war immer meins.
Und sag mal, uns’re alte Penne,
die hat wirklich Pleite gemacht?
Ich war nahe dran, ich hab geglaubt, ich flenne
und hab mich dann nur totgelacht.

Wo würdst du gern hingehn? ‘Lola rennt’, hab
ich gesehn die Werbung. Aber weißte, es gibt hier ‘ne Menge Filme,
und der grad, das ist nicht unbedingt der coolste davon – das finden
alle Insider, kannste jeden fragen. Und außerdem: Bißchen
traurig bin ich schon, daß sie sich nie mal gemeldet hat, Lola
– ich mein, hat sie dir denn nichts für mich ausrichten lassen?
Was sind die? Ehrlich – die beiden? Mein bester Freund, und dann…
Weißte, wie ich das finde!? Ich find das naheliegend und richtig.
Jetzt, wo ich hier doch die Riesenauswahl hab – ich mein, es wär
doch schade für sie, wenn sie ihre schönsten Jahre mit Warten
vertut, während ich hier Karriere mach…

Also If you see her, say Hello,
und Kompliment an Karl-Heinz,
und laßt das Weinglas hinterm Tresen bitte unberührt,
das ist immer noch meins.
In paar Jahren, wenn ich wiederkomm
und kann ‘n paar Tricks mehr drehn,
übernehm ich bei euch das alte Stadtblatt,
und dann wolln wir mal sehn…

Lola rennt. Scheiß-Film! Und die haben mir
gar nichts ausrichten lassen durch dich? Ach komm, erzähl mir das
doch jetzt nicht auch noch! Mann, ich leb in ‘ner Weltstadt, muß
ich mir diese Problemchen anhören! Weißte, Weihnachten, wenn
ich bei den Eltern vorbeischau, sind die doch schon längst nicht
mehr zusammen. Ich werd ganz cool sein. Ist das Normalste der Welt.

Aber sag mal, unsre alte Penne,
wie hat die denn Pleite gemacht?
Stand sogar hier in der großen Zeitung. Ich denk, ich spinne,

und dann hab ich mich totgelacht über euch da unten…

© November 98

STAUBSAUGER

MM:
Flusen in der Küche,
Haarbüschel im Bad,
früher hab ich weggeschaut,
mir fehlte guter Rat.
Aschrerest am Bettrand,
im Teppich grauer Fleck,
ich habe was geschenkt gekriegt,
und all der Dreck geht weg.

Alle:
Da muß ‘n Staubsauger ran,
da muß ‘n Staubsauger ran,
da muß ‘n Staubsauger ran,
der alles staubsaugen kann.
Ich hab ‘n Staubsauger, Mann,
der soviel staubsaugen kann,
ich laß den Staubsauger ran,
und dann kommt einfach alles dran.

Horst:
Leergesaugte Wohnung,
raus ins Treppenhaus,
der Nachbar macht die Türe auf,
scheu wie eine Maus.
Ich mag nicht seine Möbel,
und seine Videos nicht,
und wenn ich ihn genau anschau,
dann auch nicht sein Gesicht.

Alle:
(Ref)

Bov:
Raus auf die offne Straße
mit Batteriebetrieb,
überall Silvesterdreck,
das ist mir richtig lieb.
Komm her, du süßer Pitbull,
komm her, du kleines Frauchen,
ich weiß, ihr habt es gern gesehn:
mich vor euch verkrauchen…

Horst:
Ich habe eine Liebste,
war lange Zeit verreist,
sie kennt ja mein Geschenk noch nicht,
und auch nicht, was es heißt.
Ließ vor der Reise durchblicken,
sie sei sich nicht im klaren,
was aus uns beiden werden würd –
wo wir so glücklich war’n…

(Alle: Refr. geflüstert)

Bov:
Jetzt steh ich auf den Feldern,
hinter mir die Stadt,
und alles gründlich leergeputzt,
ich hab mich selber satt.
Hab immer nur den Dreck gesehn
seit vielen, vielen Tagen,
ich schau auf das Gebläse
und jemand hör ich sagen:

Alle:
Da muß ‘n Staubsauger ran,
da muß ‘n Staubsauger ran,
mich saugt der Staubsauger an,
denn es kommt einfach alles dran.

MM:
Wupps, die alte Welt ist wieder da,
und ich mittendrin,
Haarbüschel und Flusen,
die Hundehalterin,
ihr Pitbull und mein Nachbar,
die Allerliebste auch –
Mensch, ist das hier schön dreckig,
ich weiß, was ich jetzt brauch.

Alle:
Da muß ‘n Staubsauger ran,
da muß ‘n Staubsauger ran,
da muß ‘n Staubsauger ran,
der alles staubsaugen kann.
Ich hab ‘n Staubsauger, mann,
der soviel staubsaugen kann,
ich laß den Staubsauger ran,
und dann kommt einfach alles dran.

© Januar 99, mit Bov Bjerg und Horst Evers

ZWEITE HEIMAT

“Kennen wir uns nicht?” – Oh ja, von früher.
Ich erinnere mich, wir war’n zusammen tanzen, hatten eine Weile gleiche
Lehrer, jetzt erkenn ich dein Gesicht. Auf Besuch hier? Na, dann schau
dich um wie auf Besuch – was dich betrifft, bleibt es ein Abenteuer,
sei nicht gründlich, schau nicht allzulang auf mich… Ich steh
hier rum wie eine, die drauf wartet… Ja, ich lebe hier, schon eine
Weile, hab mein eignes Zimmer, eine Kochecke, die Dusche und mein Bett
– und einen neuen Tag, der für den nächsten kommt, der für
den übernächsten, immer gleichen, wieder seinen Keim hat…

Nein, es zieht mich nichts zurück. Es wird
dich überraschen: manchmal fahr ich sogar zu euch hin. Ich buch
mir das als Urlaub. Bin nicht grade überschwemmt von Tränen,
wenn ich dagewesen bin. Hab dann das teuerste Hotel, und ich kann ganz
gut übersehen, wie ich geworden wär mit unsrer Ausbildung
und den Familien im Hintergrund, der einen, die sich hochgerappelt hat,
aber der zweiten auch, von ihm – denn wenn ich dageblieben war… du
hast es doch geschafft, ihn dir zu kapern? Schau jetzt nicht weg, ich
seh’s dir an, ich kenn den Blick, den Blick der Fliegen, die der Leim
hat…

Dein Begleiter wartet. Sei nicht zu sentimental.
‘Er’ wird nichts davon erfahren. Dein Begleiter möchte sein geheimes
Wochenende, und du hast’s auch bitter nötig. Du, ich lese dir das
einfach ab. Habt ihr Kinder? Habt ihr noch eins vor? Du siehst, ich
werd gerufen, meine Zeit ist knapp – wenn ihr euch wohlfühln wollt,
nehmt das Zimmer hinten links, hinter dem alten Tor. Ich bin nicht bitter,
ich bin greifbar, und das wollt ich immer sein, es war nicht möglich
in der Stadt, aus der wir beide kommen. Hast du wirklich seinen Ring
bis hierher mitgenommen? Ach du: find du mich doch einmal so rührend,
wie ich dich gerade jetzt. Und dann sprich von mir, als wenn das Ganze
einen Reim hat –
da, wo ich sie gesehn hab, sag, ist ihre
zweite Heimat.

© März 99, für Richard Westers CD-Projekt

ALS WENN DIE ERDE BEBT

Gibt es keine Antwort?
Rufst du nie zurück?
Von dir zu hör’n wär so schön,
dich wiedersehn
vielleicht zu viel an Glück.
Will der Zauber jetzt von mir,
daß ich dich nie find?
Bisher, wenn ich dich mal suchte,
dann traf ich dich auch blind.

Wenn ich ‘s träumte, warst du immer da,
ich ließ dich oft allein,
für mich war das ganz wunderbar,
das wird dann wohl mein Fehler sein…

Doch uns verband ein Zauber,
als ob man doppelt lebt:
Ich sah die graueste Wand mit dir,
als wenn die Erde bebt.

Gibt es keine Antwort mehr?
Rufst du nie zurück?
Wenn das ein Machtspiel ist von dir zu mir,
vergiß die nächste süße List.
Will der Zauber jetzt von mir,
daß ich einsam zieh?
Das Licht, das uns zwei’n zukam,
allein find ich das nie.

Wenn dus träumtest, war ich immer da,
du wolltest leidend sein,
für dich war das ganz wunderbar,
das wird dann wohl dein Fehler sein…

Doch uns verband ein Zauber,
als ob man doppelt lebt:
Der gleiche graue Abgrund,
doch als wenn man drüber schwebt.
Wenn wir uns ganz fest hielten:
Als wenn die Erde bebt.

© Juli 99, für Veronika Fischer