FEUER, KRIEG & FRIEDEN
Ein Ausflug zu einigen Ideen von Leonard Cohen
In der Nähe von Los Angeles, am Mount Baldy, lebt in einer kleinen buddhistischen Gemeinschaft ein 63jähriger Kanadier. Er geht wie alle dort den Exerzitien nach, kocht für die anderen und widmet sich seiner eigenen Arbeit: Dem lebenslangen Erfinden, Aufschreiben und Korrigieren, der Suche nach Bildern für die privatesten und allgemeinsten Zusammenhänge – dem Dichten.
Der Mann versteht es, eine Art von schrecklich-schönen Volksliedern zu komponieren. Hören wir gleich eins – eine Art Heldensage. Sie handelt von der Heiligen Johanna, der jungfräulich stolzen Heroine, die ihr Leben dem Kampf gewidmet hat und nun besiegt ist. Hier reitet sie, ermüdet vom Krieg, aber das Feuer verfolgt sie – eine Art Liebesgeschichte…
‘Joan of Arc’ ab dem vorletzten Satz eingefadet, jetzt laut, nach ca. 2.45 leiser für:
Ich würde mir wünschen, dies wäre wirklich ein Volkslied. “‘Und wer bist du’, so sprach sie ernst zu dem Verborgenen hinter dem Rauch, ‘Nun, ich bin das Feuer’, antwortete er, ‘und ich liebe deinen Stolz, und dein Alleinsein auch’…” Die tapfere Kämpferin soll vernichtet werden. Alle Gründe, eine heiligen Krieg zu führen, könnten eitel sein. Alle Maßstäbe, sich unberührbar zu machen, könnten aus verborgener Geilheit stam-men. Gehen wir ruhig so direkt in den Text: “‘Feuer, mach deinen Körper kalt, denn meinen halten sollst du bald’, und dies sprechend trat sie ein, für ihn die Eine, seine Braut zu sein’…”
‘Joan of Arc’ wieder laut. Nach 4.15 leiser für:
Das Stück ist natürlich kein Volkslied. Wer sich auskennt mit den Gesängen unseres Jahrhunderts, der weiß: dies stammt von Leonard Cohen. Wie der ‘Lindenbaum’ von Franz Schubert stammt. Die Strafe, die der Heiligen Johanna von ihren siegreichen Feinden auferlegt wird, Schuldbekenntnis und Scheiterhaufen, das erfährt sie in diesem Lied als Verheißung. “Und sie begriff in ihrem Stolz: War er das Feuer, so war sie wohl Holz.” Der Hohn der Sieger wird umgemünzt. Der biblische Satz ‘Liebe deine Feinde’ wird wörtlich genommen. So verführerisch einfach reimt sich dann Vernichtung mit innerem Triumph. Leonard Cohen, der Dichter und Sänger, hat es wie in vielen seiner Lieder, auch hier so gewollt. Er hält noch einen koketten Einwand bereit: “Ich selbst, ich will ja Liebe und hellen Schein – doch muß es denn so grell und grausam sein…”
‘Joan of Arc’ wieder laut. Bei ca. 6.05 wegfaden.
Der gepflegte, charmante Bohemien, der 1934 geborene Kanadier Leonard Cohen, ist, seit er Mitte der 60ger begann, Lieder aufzunehmen und Konzerte statt Lesungen zu geben, oft als trauriger Charmeur oder Hippiesänger mißverstanden worden. Dabei heißt es schon auf Seite zwei seines ersten Romans: “Eine Wunde ist, was sich ereignet, wenn das Wort Fleisch wird” – eine Warnung, denn alle Verletzungen sind also vorgezeichnet, irgendwo vorgedacht worden. Und am Ende dieses Buches, ‘The Favourite Game’, brennt für die Hauptfigur das Erzählte in einem visionären Moment lichterloh – für den gleichen Triumph des Erkennens wie in dem Lied ‘Joan of Arc’:
“Tausend schattenhafte Gestalten, ein einziges Feuer, alles was geschah, diente (…) der Vision, und wenn er es sah, war er mitten im Herzen der Dinge.”
Vernichtung ist notwendig, wenn man etwas erkennen will, und das Aufschreiben vollzieht sie nach, führt sie vor. Das Schreiben ist für Leonard Cohen eine gefährliche Tätigkeit, sie führt in Geheimnisse ein, und die Geheimnisse sind voller Gewalt. Zum Beispiel, sich in einen Feind zu verlieben, sich in ihn zu verwandeln, in sich selbst die zerstörerische Kraft zu erleben, von der man bedroht wird. Und angezogen! Ein sehr frühes Gedicht geht:
“Ich schreibe, weil ich
etwas machen will,
das so schön ist wie du.
Wenn ich bei dir bin,
will ich so ein Held sein,
wie ich einer sein wollte,
als ich sieben Jahre alt war –
ein vollkommener Mann,
der tötet.”
(Selected Poems, S. 215)
Schönheit als Ziel. Aber was, wenn man sich ihr hingibt – löst man sich in ihr auf? Und weil doch auch die Schönheit vernichtet sein will: Muß man dann nicht ein Mörder sein, um zu überstehen, und das Massaker wär das Perfekte? “Wir leben auf einem Schlachthof. Wer braucht glückliche Songs?”, ist einer der markigsten Aussprüche Cohens. Und sein eigenes, anfangs sehr behütetes Leben hat er meist mit Mißvergnügen und Spott bedacht. Es kam ihm nicht wahr genug vor. Anfang der Sechziger schrieb er einem Freund: “Was für eine freudlose Farce wir (…) treiben, besonders wir, die Vorsichtigen, denn was sie horten, schwindet Tag für Tag. Gib mir einen Krieg, komplizierte Scheidungen und Schande, gib mir gebrochene Leben und alkoholischen Wahn. Gib mir alles außer Kleinlichkeit und Sicherheit.” (Biogr., S. 155)
Dreißig Jahre später ist aus dieser jugendlichen Pose ein Epos geworden, unter dem Titel ‘The Future’ veröffentlicht – der Sänger verwandelt in einen Verführer, der alles Böse kennt und für notwendig achtet, um die Ordnung der Welt zu bewahren. Jetzt blickt er in eine Zukunft, in der die Dinge einander gleich gültig zu werden drohen – Vernichtung ohne ein Feuer sozusagen. Der konservative Verführer besteht auf dem Bösen und auf der Schuld, weil es ohne das keine Liebe geben kann. Leben heißt diese Gegenpole ertragen, sogar verteidigen. Feigheit wäre kein Frieden.
Rhythmus und Grundidee dieser Zivilisationskritik haben sich über 30 Jahre hinweg gehalten – so arbeitet Cohen:
Ab hier leise eingefadet: ‘The Future’
“Gib mir die zerbrochene Nacht zurück, mein Geheimzimmer, mein geheimes Leben, es ist einsam hier, und keiner da zum Foltern. Gib mir absolute Kontrolle über jede lebende Seele, leg dich neben mich, Baby, das ist ein Befehl! Gib mir Crack und analen Sex, nimm den einzig übriggebliebenen Baum und stopf ihn in das Loch deiner Kultur. Gib mir die berliner Mauer zurück, gib mir Stalin und den heiligen Paulus, ich hab die Zukunft gesehn, Bruder: sie wird Mord sein!”
‘The Future’ laut. Im 2ten Refrain leiser für:
“Die Dinge werden in alle Richtungen auseinandergleiten, und es wird nichts geben, das sich weiter aneinander messen läßt. Der Blizzard dieser Welt hat die Schwelle überschritten und die Ordnung der Seele ist erledigt. Als sie damals sagten: ‘Bereue’, was haben sie wohl gemeint?”
‘The Future’ wieder laut, bis ca. 4.00, dann leiser für:
“Ich bin der kleine Jude, der die Bibel schrieb.” Cohens apokalyptischer Entwurf ist von der Erbschaft nicht zu trennen, daß er mit seiner Familie zu den Verfolgten gehörte, und also ein Provokateur sein muß. Bei seinem ersten Konzert in Deutschland vor knapp dreißig Jahren forderte er das Publikum auf – ich war dabei -, ihm den Hitler-Gruß vorzumachen. Aber er benennt auch die Anmaßung, die es darstellt, wenn ein weißer Amerikaner sich zu tanzbaren, attraktiven Sounds in Weltuntergangsformeln aalt – daß auf den Ewigen Juden “all die lausigen Poeten” folgen, “die alle klingen wollen wie Charlie Manson”, das ist in seiner Komposition kein Zufall. Opfer und Täter – sorgfältigst miteinander verquickt.
‘The Future’ wieder laut bis zum Beginn des letzten Refrains, dann langsam wegfaden
“Anne führte einen chassidischen Tanz vor (…) Für ein paar Augenblikke verloren sich ihre Bewegungen in Europa, mit ungebräunter Haut warteten sie in den engen Straßen auf Wunder und auf die Gelegenheit zu einer Rache, die sie niemals nehmen würde.”
So geht eine Stelle aus Cohens erstem Roman, die in einem jüdischen Sommercamp bei Montreal spielt. Die Energien dieses Dichters sind mit Europa verbunden und umspielen auch die Vernichtung seines Volks dort – aus Russland und Litauen sind seine Eltern und Großeltern nach Amerika emigriert. Ihn selbst hat es lange Zeit eher nach Griechenland als nach Kalifornien gezogen, und seine Verehrung für den Spanier Garcia Lorca ist größer als die für Bukowski oder Allen Ginsberg. Alt-Europäisch ist sein Literatentum, das Kollegial – Kameradschaftliche, das er im Gespräch ausstrahlt. Man hätte jemand wie ihn, zwei Generationen vorher, womöglich in Prag gefunden, auch musikalisch, und über seinen Leitsatz: “Deine persönlichste Antwort ist zugleich die universellste”, hätte er sich mit Franz Kafka womöglich verständigt.
Weniger vielleicht darüber, welche Macht das Gegenüber, der erotische Gegner auf den Schreiber und Schönheitssucher ausübt. Wie genußvoll leidend, immer das stimmigste Bild für Betrug und Erniedrigung aufsuchend, wie verzweifelt treu Leonard Cohen seine Erlebnisse, Beziehungen, erotischen Wanderungen beschrieben hat, das macht ihn zu einem Romantiker. Es gibt dutzende wunderschön-schauriger Flirt – und Eheszenen von ihm, und sein hoffnungsfroher Ausruf: “I needed so much to have nothing to touch” (ich wollte so sehr nichts mehr berühren müssen), war lange Zeit eher Beschwörungsformel. Immer wieder in den Krieg, privat so heftig wie universell, mit den uralten Bildern jenseits des Glaubens an Aufklärung und Entwicklung: “Die Silbermesser blitzen in dem schläfrigen Café, ein Geist steigt auf den Tisch hinauf in bräutlichem Negligée. Sie spricht: Mein Körper ist das Licht, mein Körper ist der Weg. Ich hebe meine Hand in Abwehr, in die sich gleich der Brautkranz legt…Und wo ist meine zigeunernde Frau heut nacht?”
Ab hier leise eingefadet: ‘Gypsy’s Wife’
“Für meine Mutter Masha, die mich kurz vor ihrem Tod an die Musik erinnerte, die sie mochte”, steht auf der Platte mit diesem Lied.
‘Gypsy’s Wife’ laut bis ca. 2.30, dann langsamer Fade
“Mich hat die Bescheidenheit eures Interesses an meinem Werk immer tief gerührt”, sagte Leonard Cohen zu den leitenden Angestellten seiner Plattenfirma, als sie ihm 1988 eine Auszeichnung für mehr als fünf Millionen im Ausland verkaufter Platten überreichten. Im Ausland: Dieser Sänger ist auch als ‘Produkt’ ein europäischer Künstler geblieben, in den USA wurden seine Werke ein paar Jahre lang nur von Spezialsortimentern verlegt. Das hat sich seit den Neunzigern wieder geändert: Mit einem Schwung populärer Versionen seiner alten Stücke – von Jennifer Warnes, Nick Cave und anderen gesungen – gibt es nach dem frühen für Cohen nun einen zweiten späten Ruhm. Den älteren Herrn in der Klostergemeinschaft auf dem Mount Baldy wird es freuen. Ihn hat eine Art Gelassenheit eingenommen, die mit dem Zen zu tun hat: dem Herunterfahren der Energien auf einen heiteren Nullpunkt – ohne dabei zu verstecken, was innen und außen brodelt.
“Ich grüß euch jetzt von der anderen Seite von Verzweiflung und von Angst, mit einer Liebe so weit und zerschlagen, daß sie euch überall erreichen kann. Dies sing ich für den Kapitän, dessen Schiff nie fertig wird, für die eingebildete Mutter, deren Wiege noch immer leer ist, für das Herz ohne Begleiter, für die Seele ohne König, für die Primaballerina, die zu gar nichts tanzen kann…”
‘Heart with no Companion’. Ab ca 2.00 ganz langsamer Fade, folgender Text darunter:
“Dein Versprechen sollst du halten, auch wenn es nichts mehr zählt. Halt es ein für den Kapitän (…) und für die Primaballerina, die zu gar nichts tanzen kann…”
Ertrag es. Mach dir nichts vor. Die Welt ist ein Schlachthaus. Nichts ist besser.
“Ich frage mich, wie viele Menschen in dieser Stadt / in möblierten Zimmern leben./ Spätnachts, wenn ich hinaus auf die Häuser sehe,/ möchte ich schwören, in jedem Zimmer ist ein Gesicht,/ das zu mir rüberschaut, /und wenn ich mich abwende,/ frag ich mich, wie viele an ihren Schreibtisch zurückkehren / und dies hier aufschreiben.”
Selected Poems, S. 113
‘Bird on the Wire’ (live) bis Ende
© Manfred Maurenbrecher 1997