PFLICHTGEFÜHL GEGEN UNBEKANNT
Kommentar
Anfang der Siebziger bezog ich manchmal die Wohnung eines Bekannten, ausgestattet mit Klavier, einem Zweispur – Tonbandgerät und mehreren Mikros, und nahm dort auf, was ich an Text und Musik in den Monaten vorher skizziert hatte. Das war meine erste Erfahrung mit Studioarbeit, ein paar Vertraute als Hörer reichten mir damals. Aber ich gab mir selbst Interviews im Schlaf.
Ich hatte knapp hundert Lieder beisammen, als ich Ende 76 mit vier anderen jungen Männern die Sponti-Musikanten – Gruppe ‘Trotz und Träume’ gründete. Nun ging es ums Auftreten, und meine anfängliche Scheu wich wachsender Begeisterung; nur mit dem Publikumsgeschmack kam ich schlecht zurecht: Stieß eins meiner Lieder auf zu große Resonanz, wurde es mir verdächtig. 1979, als ich einen Winter auf Kreta verbrachte, beschloß ich, wie meine Stücke ab jetzt zu sein hätten: unberechenbar, kein Wort zuviel und wenn’s geht mich selbst überraschend. Zwei Jahre später versuchte ich mit den nächsten hundert Liedern in selbstorganisierten Konzerten etwas Geld zu verdienen, und an einem jener Abende saß auch Herwig Mitteregger, der Schlagzeuger von Spliff, mit im Publikum. Er lud mich in sein Studio ein. Ich kannte Spliff gar nicht…
Von wegen! Ich hatte mich schon um ‘Geschäftskontakte’ bemüht, und ein quirliger Freund, Hubert Skolud, hatte neben Mitteregger auch andere mögliche Produzenten zu meinen kleinen Abenden geschleppt – aber am Morgen nach jener sektüberschwemmten Nacht hatte ich beim Aufwachen das klare Empfinden, mit meiner Beschaulichkeit wär es vorbei – ich ging mit Herwig diejenigen Stücke durch, die am ehesten meinem Ideal von Kargheit entsprachen, und wir nahmen das auf.
Von dieser LP ‘Maurenbrecher’ ist auf der vorliegenden Sammlung kein Stück enthalten. Warum es mir leicht gefallen ist, die Lieder auszuschließen (und auf etwas mußte ich verzichten), ist die spröde Geschlossenheit der ersten Platte. Sie ist eine Einheit und sollte in einem Stück gehört werden; stammt aus der Zeit, wo ich vom professionellen Musikmachen und von der Landschaft, in der es passiert, nicht die geringste Ahnung hatte. Zwei Bilder: Wie ich an einem nebligen Novemberabend in die Baracke des Spliff-Studios stolpere und durch meine beschlagenen Brillengläser zum ersten Mal Türme, Regale voll Hi-Fi-Gerätschaft erkenne, überall blinkt etwas, Signale kreuzen sich ins Unendliche – und das andere: Wie die hocherfahrenen Musiker um mich am Flügel herumhocken, ich meine spröden Akkorde anschlage und sie dem ganz aufmerksam, achtsam folgen. Herwig dann wieder aufspringend, einen Witz reißend oder Wutanfall, Schwung anzapfend, Jim Rakete mit seinem Röntgenblick und den Sphinx-Sprüchen – er nannte mich einen Clochard beim Bankett, der die Tischordnung durcheinanderbringt – etwa zu diesem Zeitpunkt setzt Pflichtgefühl gegen Unbekannt ein.
Und zwar mit Bingerbrück, einem Liebeslied aus der vergangenen Stille. Mit Es tut mir gut hört die Reise 75 Minuten später auf, und beide Stücke sind in je einer Nacht im Jahr 83 entstanden. Was mir an den Aufnahmen heute am meisten gefällt, ist unser Spiel mit der Technologie – manchmal konnte Herwig mit den Geräten umgehen wie ein kleiner verliebter Junge, das war dann schön; ich hab es mir von ihm abgeschaut. Ich bin nämlich nie ein Freund des Handwerks gewesen, dessen, was Musiker gerne das ‘Amtliche’ nennen – ich habe lange gebraucht zu begreifen, wie nötig Fertigkeiten sind, will man Menschen in seinen Bann ziehen -; ich bin mir sicher, daß manche Stücke einen nur deshalb locken, weil sie auf einem Fehler aufbauen (z.B., daß ‘Bingerbrück’ keinen Refrain hat und doch wie ein Schlager klingen will). Und schwierig wird es für mich, wenn das Handwerk den ursprünglichen ‘Geist’ eines Stücks zu erschlagen droht. Bei Studioaufnahmen hatte ich häufig zu kämpfen damit, kamen mir meine rauschenden, plärrenden Demos von zu Haus oft gelungener vor als die Ergebnisse im Regieraum. Dietrich und Mammi Mutti Muschi sind solche Lieder, über deren Machart Herwig und ich uns heftig gestritten haben – heute mag ich sie so, wie sie damals geworden sind: Ausdruck ihrer Zeit. Es gibt immer wieder Leute, die mir raten, doch einmal eine Platte nur am Klavier zu machen: Aber ich bin kein Purist, mich locken Experimente -, nur brauche ich manchmal Jahre, um einem Lied seinen optimalen Ausdruck zu geben. Stücke, die weiser sind als der Kerl, der sie singt, an die muß man sich ranleben, es geht nicht anders: Solch eines ist Hafencafé, das älteste der Sammlung – an dem ich monatelang gefeilt habe, das ich seit 82 singe, aber erst Anfang der 90er fand ich den Ton dafür, wie ich selber es hören will (Ulla Meineckes Version ist etwas ganz anderes). Seit ich mich auf den Bühnen sicher fühle, nehm ich übrigens öfter mal ein uraltes Lied mit und singe es, ohne geprobt zu haben (Konstantin Wecker war der einzige Kollege, der mir bestätigt hat, ihm ginge es ähnlich): Man erzählt sich dann selbst etwas.
Aber normalerweise ist da der Markt vor! 1985 war das Jahr, wo deutschsprachige Rockmusik ‘mit Anspruch’ boomte. Auch das Jahr, wo der Haß auf sie anfing, wahrscheinlich. Heinz Rudolf Kunze war die Zeit davor rumgelaufen mit immer derselben drängenden Klage – wir hatten seinerzeit einen regen Gedankenaustausch -: Warum Grönemeyer und Lage, warum nicht er?! Ich hatte 84 mit einer sparsam schrägen Band aus Freunden in den Clubs verbracht, jetzt stand ein Rockpalast-Auftritt an und ein neues Album, und man redete mir diese Band, der mangelnden Akzeptanz wegen, aus. Ich ließ mir’s gefallen. Ich begann mich an Interviews im Wachzustand, an Auftragsarbeiten und gute Honorare zu gewöhnen. Aus Bielefeld reiste im Januar George Kochbek an, und mit ihm machten Herwig und ich Viel zu schön (Lied und Platte), unser gemeinsames Meisterwerk. Kochbek war unter der Losung hergebeten worden, diesmal müsse es bei dem sperrigen Maurenbrecher aber kommerzieller zugehen, und dementsprechend vorsichtig war er anfangs mit seinen Soundangeboten. Noch bei Höchste Zeit, meiner leisen Homage an die Terroristen auf Menschenhändler-Parties. Als George uns dann besser kennenlernte – bei sechs Wochen à 12 Stunden täglicher Arbeit bleibt das nicht aus -, entfaltete er seine Malerei. Ich war hingerissen davon, wie er meine diesmal weitflächigeren Lieder mit Hintergründen versah, Springquellen, Farbsteigerungen, ich wollte dazu singen! Auch Herwig wurde plötzlich ein richtiger Schlagzeug-Musikant (als Gegenteil einer Beleidigung gemeint), nur ein wagemutiger Pianist bin ich leider im Studio noch nicht gewesen. Aber wir waren’s zufrieden und machten eine Scheibe mit vielen Gästen (Lindenberg, Anne Haigis, Ulla Meinecke, Gayle Tufts, Udo Dahmen, Heiner Pudelko – Der Junge kann malen – und Richard Wester), die von Anfang bis Ende durchlief – keine Pausenrille, alles ein großes Stück. Da wir die Lieder quasi chronologisch auf Band hatten, kann man hören, wie wir zur Form finden: Die Freundschaftsballade Avignon noch in lyrischer Zartheit,Gib mir deine Zigarette als cooler Innenstadt-Dance, und dann zum Abschluß Flußabwärts. Es wird immer Leute geben, die dieses Stück überproduziert nennen – ich hatte ein Märchen geschrieben, das vielleicht uralt in der Luft lag – George und Herwig haben unter meiner staunenden Anstiftung in einer Nacht daraus die Fernweh-Orchesterfassung gemacht, die zu hören ist. Als wir am nächsten Nachmittag in das kippenüberhäufte Studio zurückkamen und das Band laufen ließen, war’s kaum zu glauben.
‘Kaum zu glauben, viel zu schön’, so etwas murmelte auch der Mann von der Plattenfirma, Hubert Wandjo, bei der ersten Abhöre, die Rakete in seiner wie immer von schönen Frauen durchsetzten Fabrik organisierte. Da hatten sie also ein Kunstprodukt (für viel Geld), jede Menge lobende Kritiken im Sack, aber immer noch keine Single, nichts Griffiges à la ‘Dein ist mein ganzes Herz’, nicht einmal unser Bemühen darum. Der Rockpalast-Auftritt in Hamburg war ein Erfolg gewesen (Vorgruppe für Bruce Cockburn – der Hero der Alternativ-Bewegung stahl uns alle Soundcheck-Zeit), die Konzerte im Frühjahr erregten Aufsehen (ich war so müde danach, daß ich drei Tage in einem Waldhotel durchschlief), Ina Deter hatte eine Rose auf den Bühnenrand gelegt im Luxor in Köln, mir schoben sich im Traum die Gesichter wie Fenster vorbei – ich gab noch ein Interview für RTL live in Luxemburg (damals ein rührend schlichter Sender, wir schoben den Flügel zu dritt ins Studio) – und einmal mehr auf Urlaub in Kreta verliebte ich mich. Als Richard Wester, der Saxophonist meiner Band, mich an einem Off-Tag in das Café seiner Schwester lockte für einen Abend zu zweit, wo wir ungeprobt losspielten, machte mir das Spaß, aber ich ahnte die Zukunft nicht…
Es ist interessant, wie eine erste Garde von Journalisten und Organisatoren an einen ranrückt, sobald sie glaubt, einen Trend erspürt zu haben, und wie sie dann lautlos abrauscht, wenn’s keiner wurde. Manche Leute haben nur solche Bekanntschaften. Was die Verkaufszahlen, Rundfunkeinsätze, die Präsenz angeht, ist ‘Schneller leben’ von 86 wohl meine erfolgreichste LP gewesen. Ich hatte die Lieder gutgelaunt hingeschrieben – aber den Druck nach Anerkennung und nach Bezahlbarmachung doch deutlich gespürt. Ich hatte dabei meine Band im Ohr, wir waren vier Wochen im Studio und – tut mir leid -, der ‘Geist’, wie er manchmal in den Konzerten die Führung übernahm, ist in die Aufnahmen nicht oft geraten. Bei der Wiedersehens-Hymne Reisende schon, aber dann sind es Udo Dahmen am Schlagzeug, Benjamin Hüllenkremer am Baß, Ebo Wagner, jeder für sich, hart arbeitend… Flucht nach vorn, als ich merkte, wie bestimmte Leute aus der ersten Reihe (man gewöhnt sich an sowas) kein Urteil abgeben mochten über das Resultat der Bemühung: Ich nahm eine Sketch-Idee zum Medienumgang mit der Katastrophe von Tschernobyl und eine halbe Melodie und fuhr damit zu Dr. Diether Dehm, dem ‘linken Millionär’, Macher mit dem Ruf der Windigkeit, mit dem ich selbst immer prima zurechtgekommen bin, denn Gegensätze können sich schätzen. Er sieht vor allem die Adressaten vor sich, wenn er textet. Unser Halbwertzeit war dann das Stück, das die Platte geschoben hat. Zu meiner Überraschung mochte es sogar Ulla Meinecke, mit der ich es in der Berliner Waldbühne gesungen hab; und der nächtliche Auftritt mit George Kranz bei Hannes Waders Bühnenjubiläum im Münchner ‘Giesing’ – er Schlagzeug knüppelnd, ich schreiend – hatte auch was.
Drei Männer im Schnee im eiskalten Winter 87 quer durch die Republik. In zehn Tagen Probezeit hatten wir uns ein Potpourri unserer Lieblingslieder entworfen, endlich durfte ich leise Dinge erzählen, mußte nicht gegen Schlagzeuge anbrüllen, endlich mußte ich sorgfältig am Klavier begleiten, denn außer mir würde es keiner tun. Wir hatten uns unsere stillen Stücke gewählt, so sind wir eben, und als Gegenpol streuten Richie und ich kleine absurde Spielszenen ein. Bei den Grünen (Wahlkampf) wollten sie uns so botschaftslos gar nicht auf die Bühne lassen, Rio Reiser (damals grad König von Deutschland) setzte uns durch und sang bei ‘In der Nachbarschaft’ mit. Überhaupt Rio: Keiner von denen, die hierzulande das Singen mit der Seele verbinden – etwas so Altmodisches, Zeitloses tun -, fehlt mir wie er!
Durch ‘Drei Männer im Schnee’ bekam ich Luft für die Unabhängigkeit in die Lungen, die man als erwachsener Mensch braucht, und eigentlich fing ich damals mit dem Lebens- und Arbeitsstil an, der bis jetzt gilt. Man macht sich seine Termine selbst. Man nimmt an und lehnt ab. Man schätzt eigene Schwächen und Stärken ein. Man bucht sich selbst seine Flüge und Züge (ich kenne Band-Musiker, die sich sogar den Urlaub von jemandem durchplanen lassen…). Eine Rundfunksendung im WDR, die ich manchmal moderierte, gab mir die Möglichkeit, neue Stücke live zu testen, die Auftritte, jetzt mit Richie zu zweit, wurden inniger und dreister, ich hatte Zeit für zwei Bücher, mit dem Altmeister am Pult Udo Arndt und Ulla Meinecke entstand die leise, romantische Studioplatte ‘Nichts wird sein wie vorher’, die 89 erschien. Brennende Boote ist daraus mein Favorit – vorweggenommener Abschied, die Bilder kamen wie Eindrücke auf einem langen Spaziergang von Gestern bis Morgen. Die kleine Schwester fliegt zum Mond dagegen ist mein Kommentar zu der Regierung, die wir länger ertragen haben als nötig. Mit Richie hatte ich im Sommer 89 auch die Gelegenheit zu vier Massen-Auftritten in der DDR (als Vorgruppe für Ulla und ihre Band): Schwitzende FDJ-ler im Securitybereich, minutenlanger Jubel für Ansagen wie, seine Heimat solle sich gefälligst jeder selbst wählen dürfen, ein Staatsvolk in Auflösung. Als wir dann im Dezember 89 in München spielten, kamen zwei Mädels aufgedreht glücklich hinter die Bühne: Beide hatten sich zuletzt in Dresden gesehen bei unserem Auftritt, die eine war tags darauf über Ungarn verschwunden und jetzt in München ansässig, die andere dorthin zum Wochenendausflug gefahren, sie wußten nichts voneinander, grad eben zufällig beide im Café Giesing…
Nach Fertigstellung von ‘Nichts wird sein wie vorher’ gab es noch einen häßlichen Zwergenaufstand meiner damaligen Managerin und eines ‘großen’ Hamburger Konzertveranstalters, die beide – in meinem Namen – viel Geld vor sich sahen, das sie sich nicht erst verdienen, sondern gleich abkassieren wollten – seitdem bin ich von solchen Leuten verschont.
Offene Grenze, 23.12.89 ist mein erstes Stück für die 90er und führt in die Bilderlandschaft, die mich seitdem interessiert hat. Eine bestimmte romantische Sicht, von der meine Stücke aus den 80ern geprägt sind, gab es nachher nicht mehr. Ich glaube, das Lied Viel zu schön ist der Angelpunkt dieser Romantik gewesen, von dem aus es ganz verschiedene Wege zum Gegenüber gegeben hat – aber für einen hat man sich nachher entschieden. Schau in die Nacht raus habe ich manchmal mein Hochzeitslied genannt; ich nahm es hier von der Live-CD, die ich mit Wester zusammen im Januar 90 produzierte, aber auf ‘Nichts wird sein wie vorher’ ist es ähnlich hübsch (nur da spiel ich nicht Flöte). Was hätte man werbetechnisch aus dem Willy-Brandt – Zitat, das ich immerhin verwendete, eh er es aussprach, noch alles machen können…
1992 bekamen Richard Wester und ich für unser Duo – Programm den Deutschen Kleinkunstpreis. Und wer wissen will, was danach passiert ist, soll sich die CD KAKERLAKEN anhören, erschienen bei Bellaphon wie dieser Sampler und produziert von Detlef Petersen (ehemals ‘Lake’), einem echten Meister. Oder in meine Konzerte kommen: Solo und mit den verschiedensten Freunden, dem Kabarettisten Achim Ballert, den Satirikern Horst Evers und Bov Bjerg, Micha Stein, Gerulf Pannach, dem Aachener Wendelin Haverkamp, manchmal auch wieder mit Wester – (vieles davon betreut von meinem Freund und Ratgeber Robert Weißenberger) -: Wie bei den Jazzern, den alten Bluesern ist da ein Netzwerk entstanden, in dessen Maschen sich verfängt, wer zu spielen Lust und Kraft hat – wer nur kalkuliert, nicht…
Im Moment sitz ich an meinen kleinen Geräten und einem Klavier – in dörflicher Umgebung diesmal – und bastele, erfinde wie vor zwanzig Jahren. Draußen rauschen die Trends vorbei. Arbeit macht glücklich, sagt man. Pflichtgefühl gegen Unbekannt.
Mit manchen Stücken läßt es sich alt werden. Für mich gehört In der Nachbarschaft dazu – obwohl ich Tom Waits längst nicht so schätze wie den, den ich gleich zitieren werde -, alle paar Jahre schreib ich die Strophen um – meine Stimme ändert sich wie die Zeit, die sie mitmacht – und wie die wechselnden Bilder für diese Zeit…
“I hear the ancient footsteps
like the motion of the sea,
sometimes I turn there’s someone there,
sometimes it’s only me…”
B.D. 1981
M.M. / 24.4.97